dottore
20.01.2002, 18:50 |
Real-Enzyklopädie (27): Hat der Goldstandard funktioniert? Thread gesperrt |
Guten Tag!
Der Goldstandard (im Folgenden GS) wird gern von Leuten kritisiert, bei denen man rasch den Eindruck hat, ihre Ablehnung, wenn nicht gar ihr Hassgefühl auf das Gold als eines monetären Instruments steigt in Korrelation zu ihrer Kenntnislosigkeit.
Nachdem der Goldmechanismus selbst auf einschlägigen Web-Seiten und auch hier im Forum bereits ausführlich erläutert wurde (wobei auch auf UMBRUCH, Seiten 337 ff. hinzuweisen ist), wollen wir uns hier der konkreten Ausformung des GS im Deutschen Reich zuwenden und zu dem, was das Gold, bzw. vor dem Reich in den Einzelstaaten (mit Ausnahme Bremens) das Silber als Währungsmetall bewirkte. Dabei hilft dieser erste Überblick:
Die Großhandelspreise, die letztlich kreditinduziert sind, zeigen den klassischen Verlauf: Anstieg in der Zeit der Napoleonischen Kriege. Danach Bereinigung der kreditinduzierten Preis-Bubble bis zur Mitte des Jahrhunderts. Danach ein erneuter Anstieg, der in der Überspekulation der 1870er Jahre seine Spitze fand, mit entsprechender Korrektur bis in die Mitte der 1890er Jahre und ein erneuter Anstieg bis zum Beginn des Weltkrieges.
Die immer wieder aufgetischten Behauptungen, der Weltkrieg sei Ausfluss und Folge einer Deflation gewesen, sind vollständig abwegig. Wenn überhaupt, lässt sich an so etwas wie eine Korrelation von Inflation und Kriegsausbrüchen denken (vor 1800, vorn 1870, vor 1914). Diese Überlegungen werden bei Gelegenheit vertieft.
Der in der Grafik ebenfalls erscheinende Preisindex des Nettosozialprodukts zeigt für die Zeit des reinen GS im Kaiserreich eine leicht fallende, dann steigende Tendenz, wobei auch dort die Entwicklung der Löhne und Einkommen dies dergestalt konterkarierte, dass weder in der deflationären noch in der inflationären Phase von der Bevölkerung insgesamt als unangenehm empfundene Netto-Effekte, ihre wirtschaftliche Lage selbst betreffend, gefühlt wurden.
Noch ein Blick auf die Entwicklung der Geldbestände in der Zeit des klassischen GS in Deutschland:
[img][/img]
Der erste Zacken links in der Grafik „Notenbankdepositengeld“ kann übergangen werden, da es sich dabei um die bekannten französischen Reparationszahlungen gehandelt hat. Interessant ist der Bargeldumlauf insgesamt (obere schwarze Linie), der sich bis in die 1890er Jahre stagnativ verhalten hat, sich dann aber zwischen 1890 und 1914 in etwa verdoppelte. Dies ist vor allem dem „Metallgeld im Umlauf“ zu verdanken, was allen Kritikern des GS und ihrem Argument, es „gab“ bzw. auf heute bezogen „es gibt einfach nicht genug Gold“ den Boden entzieht.
Der Anstieg der Banknoten entspricht dem allgemeinen Trend, sagt aber wenig aus, da Kontokorrentguthaben, Akzepte und Wechsel die gleichen Funktionen wie Banknoten erfüllten, und Knut Borchardt sogar von Belegen spricht, dass diese im Einzelfall „durch weit mehr Hände gingen als etwa eine Banknote über 1000 Mark.“ („Währung und Wirtschaft“ unter: „Währungs- und Finanzpolitik von der Reichsgründung bis zum I. Weltkrieg“ in: „Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876 - 1975“, S. 26).
Besonders interessant ist die Entwicklung der Bankdepositen des Publikums unter dem GS, die sich in etwa verzwölffachten. Wer eine solche Zunahme als Zeichen eines grundsätzlich falschen oder versagenden Systems ansieht, kann bei rechtem Trost nicht sein.
Der Goldstandard im Deutschen Reich stellt sich also als ein Währungssystem dar, das genau den Zweck erreicht hat, den ein Währungssystem erreichen, bzw. den es - ohne ihn zu stören - begleiten sollte.
Der Goldstandard hat die Prosperität der gesamten Bevölkerung nachhaltig gesteigert.
Gruß
d.
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JüKü
20.01.2002, 18:52
@ dottore
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Re: dottore ab jetzt in schwarz, zur besseren Auffindung (owT) |
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Ghandi
20.01.2002, 20:38
@ dottore
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als Ergänzung ein paar Sätze, die man einst in Geschichte zum Thema lernte |
dottore schreibt:
... >Der Goldstandard hat die Prosperität der gesamten Bevölkerung nachhaltig gesteigert.
Lieber dottore,
damals gab es den allmächtigen Sozialstaat, den Du heute
unwidersprochen für viele Fehlentwicklungen verantwortlich
machst noch NICHT.
Und die heute alles überwuchernde Sozialversicherung (42% vom Lohn)
wurde von Bismarck erst 1883 als Reaktion auf die wachsende Verelendung
und zur Abwehr der erstarkenden Sozialdemokratie eingeführt.
Abseits der Goldstandard-Romantik sah´s grob so aus:
Durch den Wegfall der Feudalherrschaft und der damit verbundenen Ehehemmnisse,
konnte jeder heiraten, ohne dabei seine finanzielle Situation berücksichtigen
zu müssen.
Die Folge war eine gewaltige Bevölkerungsexplosion.
Die ländlichen Gegenden boten der wachsenden Bevölkerung nicht
mehr genug Verdienstmöglichkeiten.
Es kam zu einer Landflucht.
Die Menschen strömten in die Städte, um hier Arbeit zu finden und
ihre Familien ernähren zu können.
Es musste Geld für die Unterkunft verdient werden, da nun die Arbeitstätte
nicht mehr gleich Wohnstätte war, wie es größtenteils in der Agrargesellschaft
der Fall gewesen war.
Da die Bevölkerungsexplosion jedoch sehr viele Menschen in sehr kurzer Zeit
in die Städte auswandern ließ, kam es zu einem deutlichen Überangebot
an Arbeitskräften, so dass die Arbeiter in ihrer Not auch schlecht be-
zahlte Arbeiten unter schlechten Arbeitsbedingungen annahmen und so
gemeinsam mit dem gnadenlosen Konkurrenzkampf der Fabriken unter-
einander zu einer rapiden Absenkung des Lohnniveaus beitrugen.
Die Arbeitsleistung des Familienvaters reichte
oft nicht aus um die Familie zu versorgen.
Die Ära der Kinder- und Frauenarbeit brach an. Frauen und Kinder
waren billigere Arbeitskräfte,denen bei gleichwertiger Arbeit
häufig nur die Hälfte des Lohnes, den ein Mann dafür
erhalten hätte, gezahlt werden musste.
Der Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt stieg dadurch noch
mehr, was zu noch stärkerem Absinken des Lohnniveaus führte.
Verarmung, Krankheiten, die ihren Ursprung in Mangel- und
Fehlernährung oder den katastrophalen hygienischen Verhältnissen
hatten, Wohnungsnot, Familienstrukturen, die sich langsam auflösten,
psychische Probleme und häufig völlig fehlende Schulbildung waren
die Folgen, die, mit dem stark verharmlosenden Begriff der
„sozialen Frage" umschrieben wurden.
Die Arbeitszeit in der Fabrik umfaßte oft bis zu 14 Stunden am Tag,
bei maximal eine Woche Urlaub im Jahr.
Das Arbeitstempo richtete sich gnadenlos nach dem Takt der Maschinen,
die den Arbeitsrythmus und das Tempo vorgaben. - Pause gab´s nicht.
Dazu Auszüge aus einer Fabrikordnung:
1. Die Arbeitszeit der Arbeiter, welches auch ihre Arbeiten sein mögen, wird vom Fabrikherrn nach den Umständen und der Jahreszeit bestimmt.
2. Jeder Arbeiter ist verpflichtet, länger als gewöhnlich und auch sonntags zu arbeiten, wenn es die Umstände verlangen.
3. Der Tagelohn gilt für 12 Arbeitsstunden.
4. Alle Arbeiter müssen auf den Glockenschlag auf ihre Arbeit gehen; sie verfallen durch Zuspätkommen in eine Geldstrafe von 6pf.-10Sgr. je nach ihrem Lohn und den Ursachen. (...)
14. Arbeiter, die gegen ihre Vorgesetzten widersetzlich oder ungehorsam sind, können ohne Aufkündigung entlassen werden.(...)
18. Die Arbeiter müssen sich der Untersuchung vom Körper unterwerfen, wenn es der Fabrikherr als gut erachtet, dieselben vornehmen zu lassen.(...)
Grüsse
G.
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Zardoz
20.01.2002, 21:44
@ Ghandi
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Re: Nicht alles so hinnehmen... |
>Und die heute alles überwuchernde Sozialversicherung (42% vom Lohn)
>wurde von Bismarck erst 1883 als Reaktion auf die wachsende Verelendung
>und zur Abwehr der erstarkenden Sozialdemokratie eingeführt.
... denn das fand ich dazu:
Als Bismarck seine Sozialversicherung einführte, waren bereits zwei Drittel der in dieses System zwangsweise Eingegliederten anderweitig auf freiwilliger Basis versichert. Er zerstörte mit seinem Zwangssystem ein Netzwerk gegenseitiger Hilfe der Zivilgesellschaft, das auch für Konservative einen hohen Rang hat. Sein Motiv für diese Gesetzgebung, welche die Vertrags- und Konsumfreiheit von 12 Millionen Bürgern einschränkte, war der Versuch, diese Menschen vom Staat abhängig zu machen, um sie dadurch besser beherrschen zu können.
"Wer eine Pension hat für sein Alter, der ist viel zufriedener und viel leichter zu behandeln als wer darauf keine Aussicht hat. Sehen Sie den Unterschied zwischen einem Privatdiener und... einem Hofbedienten an: der letztere wird sich weit mehr bieten lassen..., denn er hat Pension zu erwarten."
Otto von Bismarck
Zardoz
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Theo Stuss
20.01.2002, 21:46
@ Ghandi
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Re: Was hat das mit dem Goldstandard zu tun? |
Diese Probleme existierten nicht wegen des Goldstandards. Es gibt sie auch im Kreditgeldstandard, wo sich das Problems sogar zuspitzt. Ich verweise auf den kürzlich geposteten SPIEGEL-Artikel der amerikanischen Journalistin Ehrenreich über Billiglohnjobs in den USA.
Insgesamt hat sich während des Goldstandardes die Lage der Arbeiter verbessert und nicht verschlechtert. Die anfängliche Massenverelendung war eine Folge der Dampfmaschine und der Industrialisierung, die tatsächlich zur Landflucht führte. Das war eine Folge der neuen Methoden der Massenproduktion, die jetzt möglich wurden. Man stelle sich vor, wir hätten damals einen Kreditgeldstandard gehabt. Alles wäre noch viel schlimmer gekommen. Der Goldstandard hat Überinvestitionen, auch Blasen, oder Bubbles genannt, doch in engen Grenzen gehalten.
Dottore hat nie behauptet, es wäre alles eitel Sonnenschein gewesen. Er wollte nur zeigen, daß das Elend, das es gab, nichts mit dem Goldstandard zu tun hatte.
Gruß,
Theo.
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Uwe
20.01.2002, 22:51
@ Zardoz
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Re: Nicht alles so hinnehmen... |
Zardoz: [i]...denn das fand ich dazu:
Als Bismarck seine Sozialversicherung einführte, waren bereits zwei Drittel der in dieses System zwangsweise Eingegliederten anderweitig auf freiwilliger Basis versichert. Er zerstörte mit seinem Zwangssystem ein Netzwerk gegenseitiger Hilfe der Zivilgesellschaft, das auch für Konservative einen hohen Rang hat....[/i]
<center>[img][/img]
"Mutter, der nette Onkel von der Mannheimer kommt, wegen der Versicherungen!"
"Soll doch bitte raufkommen!"</center>
Ich vermute dies, war der wirkliche Dialog vor den"Bismarckschen Sozialgesetzen", zu dieser Situation und erst später, als Heinrich Zille es zu Papier brachte, schrieb er unter sein Bild den kurzen Dialog geschrieben:
<center>"Mutter, Fritze is janz naß!"
"Halt'n in de Sonne, det er trocknet!"</center>
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Ghandi
20.01.2002, 23:09
@ Theo Stuss
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eben |
hi Theo,
die Zeit der industriellen Revolution war geprägt durch:
- hohes Bevölkerungswachstum
- billige Arbeitkräfte
- geringen Staatsanteil
- geringe / bzw. keine Lohnnebenkosten
Vergleich bitte mal mit heute.
Ohne Zweifel gleiten wir jetzt von der Stagnation
in die deflatorische Depression, keine Frage.
Auch enthält unser System Webfehler.
Dennoch sollten wir nicht einfach alte Zeiten verklären
und uns nach der romantischen Kaiserzeit zurück sehnen.
Warum sollte der Weg über dieses holy shit der einzig
denkbare zu einem besseren Geldsystem sein?
Gruß
G.
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Ghandi
20.01.2002, 23:29
@ Zardoz
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ja, dahin müssen wir wieder, Zardoz |
>Als Bismarck seine Sozialversicherung einführte, waren bereits zwei Drittel der in dieses System zwangsweise Eingegliederten anderweitig auf freiwilliger Basis versichert. Er zerstörte mit seinem Zwangssystem ein Netzwerk gegenseitiger Hilfe der Zivilgesellschaft, das auch für Konservative einen hohen Rang hat
hi Zardoz,
dass die Sozialversicherung, wie sie heute wächst
und gedeiht neben dem Staat ein wichtiger Faktor ist,
der unsere Wirtschaft abwürgt, darin wirst Du wohl kaum
widersprechen.
Und diese auf Subsidiarität basierenden Strukturen, die
vor Bismarcks staatlicher Sozialversicherung im Entstehen
begriffen waren, weisen genau den Weg, den wir m.M. nach
jetzt wieder gehen sollten.
Oder hast Du Dir schon mal überlegt, wie DEIN Käfig in
jenem Jumbo-Altersheim einmal aussehen sollte, dass dereinst
ganze Heerscharen von alten Menschen aufnehmen müßte, wenn
dieses Wahnsinns-System von heute in 20 oder 30 Jahren noch
in gleicher Form existieren würde?
Gruß
G.
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Galiani
21.01.2002, 00:22
@ dottore
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@dottore: Hut ab! Ganz meine Meinung. (Nur Milton Friedman denkt da anders!) |
Siehe Galiani-Text, S. 419
Liebe Grüße
G.
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Zardoz
21.01.2002, 00:26
@ Ghandi
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Dann bin ich ja beruhigt... |
... denn Dein vorheriges Statement vermittelte mir einen ganz anderen Eindruck
>hi Zardoz,
>dass die Sozialversicherung, wie sie heute wächst
>und gedeiht neben dem Staat ein wichtiger Faktor ist,
>der unsere Wirtschaft abwürgt, darin wirst Du wohl kaum
>widersprechen.
Wie kommst Du darauf, ich könne das anders sehen?
>Und diese auf Subsidiarität basierenden Strukturen, die
>vor Bismarcks staatlicher Sozialversicherung im Entstehen
>begriffen waren, weisen genau den Weg, den wir m.M. nach
>jetzt wieder gehen sollten.
Den Weg werden wir auf jeden Fall wieder gehen. Sobald der Staat das Zeitliche gesegnet hat.
Nice day,
Zardoz
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Zardoz
21.01.2002, 00:31
@ Uwe
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Was soll mir das sagen? (owT) |
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Knallfrosch
21.01.2002, 01:44
@ dottore
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2 Fragen |
Lieber dottore,
vielen Dank zunächst für Ihre vielen Ausarbeitungen hier im Forum.
Ich bin in Sachen Ã-konomie und Geldtheorie völlig ungebildet und habe hier schon viel gelernt. Leider werden meine Fragen immer mehr, fange ich also gleich an.
1. Sie vergleichen hier die Zeiten des GS mit den heutigen Zeiten. Dazwichen liegen viele Jahre und da frage ich Sie, altern Märkte? Wenn ja, wieviel der Wirtschaftsdaten ist dem Geldsystem und wieviel der zeitlichen Nähe der Märkte zu den Basisinnovationen, Galianos ersten Biss in den Apfel, zuzuschreiben.
2. Ist Gier Antrieb des Menschen im Kapitalismus?
Gruß!
Knallfrosch
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nereus
21.01.2002, 08:44
@ Zardoz
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Re: Was soll mir das sagen? (owT) - Eigentlich nicht viel, nur das.. |
.. dem Maler Heinrich Zille die Berliner Mietskasernen in einem üblem Traum erschienen sein müssen.
Hallo Zardoz!
Vollgefressen und satt blickte er auf das dekadente Treiben der Lohnarbeiter die mit gewerkschaftlicher Unterstützung und staatlichem Wohlwollen den verarmenden Unternehmer bis auf die Knochen auspressten.
Der schlesische Weberaufstand oder die Bodenreform waren prinzipiell Auswüchse einer sich radikal verändernden Wirtschaftssystems in dem der Pöbel immer unverschämter hinlangte und die neugegründeten Kapitalgesellschaften mit dem Rücken zur Wand standen.
Mancher Lohnarbeiter wurde sogar so dreist das er seine Frau und die eigenen Kinder zur Arbeit schickte und es sich selbst zu Hause gut gehen ließ.
Grundstücksspekulationen oder das rasante Anwachsen von Dörfern zu großen Städten mit einher gehenden miserablen Lebensverhältnissen waren immer wieder die schrecklichen Visionen einiger Weniger die nach der ganzen Völlerei den überbordenden Luxus einfach leid waren und mal Lust auf Abwechslung hatten.
Wenn ich recht informiert bin wurde der französische Film"Das große Fressen" gedreht um das zügellose Treiben der damaligen Proletarierer in Europas Großstädten auf Zelluloid zu bannen.
Der häufigste Grund des Ablebens der damaligen Zeit soll das sich"zu Tode pupsen" gewesen sein.
Der böse böse Staat hat anfangs sogar die armen Unternehmer unterstützt weil er den Arbeitern das Recht verweigerte sich zu Berufsständen zusammenzuschließen (Koalitionsrecht).
Aber das war natürlich nur von kurzer Dauer und die fettbäuchigen Proleten machten dem Staat dann richtig Dampf.
Ach ja, so war das früher. ;-)
Wahrscheinlich wird der widerwärtige Bismarck in den Kathedralen des allumfassenden Liberalismus als Satan gebrandmarkt.
Das geschieht ihm recht.
mfG
nereus
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Diogenes
21.01.2002, 09:27
@ Knallfrosch
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Re: 2 Fragen |
Hallo knallfrosch,
>1. Sie vergleichen hier die Zeiten des GS mit den heutigen Zeiten. Dazwichen liegen viele Jahre und da frage ich Sie, altern Märkte?
Der Markt als solches altert nicht. Ob Märkte altern oder nicht, hängt vom jeweiligen Produkt ab. Manche Produkte altern nicht, sie sind zeitlos aktuell (z. B. Brot, Dachziegel), andere altern sehr schnell (z. B. Computerkomponenten, Mode).
Das"altern" eines Produkt hängt vom Markt, sprich: den Menschlichen Bedürfnissen, ab.
>Wenn ja, wieviel der Wirtschaftsdaten ist dem Geldsystem und wieviel der zeitlichen Nähe der Märkte zu den Basisinnovationen, Galianos ersten Biss in den Apfel, zuzuschreiben.
Ich verstehe die Frage nicht ganz. Worauf willst du hinaus?
>2. Ist Gier Antrieb des Menschen im Kapitalismus?
Der Antrieb ist die Befriedigung unserer Bedürfnisse, mit Mitteln, die wir dafür tauglich halten. Das gilt für alle Wirtschaftssysteme, mögen sie taugen oder nicht. ;-)
>Gruß!
>Knallfrosch
Gruß
Diogenes
P.S. @dottore: Danke für die schöne Zusammenfassung.
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dottore
21.01.2002, 09:36
@ Knallfrosch
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Re: 2 Fragen |
Hi Knallfrosch,
>1. Sie vergleichen hier die Zeiten des GS mit den heutigen Zeiten. Dazwichen liegen viele Jahre und da frage ich Sie, altern Märkte?
Märkte sind reine Tausch- bzw. Kaufplätze. Sie können nicht altern. Die attische Agora in Athen funktionierte genau so wie jede (Verkaufs-)Messe heute auch. Vermutlich meinst Du Veränderungen in der Nachfrage. Die gibt es, d.h. die Nachfrage nach Stofftaschentüchern oder Waschbrettern sinkt, dafür ist die nach Papiertaschentüchern und Waschmachinen gestiegen. Es gibt immer wieder Sättigungstendenzen ("Alterungen"), die sich dann auf Märkten zeigen, z.B. ist der Automarkt inzwischen ziemlich satt. Hat auch was mit der besseren Qualität und längeren Haltbarkeit der Autos zu tun. Heute gibt es mehr als 30 Mio Autos in Deutschland. Es werden niemals 60 Millionen werden können - dann würden alle Autobahnen zu Parkplätze.
>Wenn ja, wieviel der Wirtschaftsdaten ist dem Geldsystem und wieviel der zeitlichen Nähe der Märkte zu den Basisinnovationen, Galianos ersten Biss in den Apfel, zuzuschreiben.
Apropos Autos. Die wurden im Kaiserreich erfunden und begannen schon damals die Kutschen zu ersetzen. Geldsysteme haben als solche nichts mit Basisinnovationen zu tun. Diese ergaben sich unter einem Metallgeldstandard (plus Kreditgeld) nicht anders als in einem reinen Kreditgeldstandard. Die Umsetzung von Innovationen ist vor allem vom Kreditsystem abhängig. Das hat unter dem GS bestens funktioniert, mit einer entscheidenden Einschränkung allerdings: Die Kreditexzesse (d.h. Verschuldungsexzesse), so wir sie heute erleben, sind durch die"goldene Bremse", die der GS darstellt, erheblich geringer.
Deshalb auch die Folgen von solchen Exzessen: Inflationen, Deflationen, Bubbles, Crashs und Baissen. Und vor allem die Aufschuldung der öffentlichen Hände, die nicht gut enden können.
Wenn es überhaupt so etwas wie einen Nachteil des GS gegeben hat, dann waren es die langfristig niedrigen realen Wachstumsraten. Allerdings sind sie heute nicht höher; wir lassen uns nur von nominalen Wachstumsraten täuschen. Letztlich kann jede Wirtschaft real nur so schnell wachsen wie mehr bzw. intensiver gearbeitet wird. Über die Intensität entscheidet der Produktivitätsfortschritt, der sich wiederum langfristig aus Basisinnovationen ergibt.
>2. Ist Gier Antrieb des Menschen im Kapitalismus?
Gier ist eine menschliche Eigenschaft, die zunächst nichts mit Kapitalismus zu tun hat. Die Menschen im Sozialismus waren auch"gierig" - nach Autos und Fernsehern, die ihnen nicht geliefert wurden und vor allem nach westlichen Produkten und nach westlichem Lebensstandard.
Die wichtigste Antriebsfeder ist die Angst. Die ist in reinen Kreditgeldsystemen schon deshalb größer, weil es dort fast aussschließlich nur noch darum geht, die Kredite (Schulden) zu bedienen. Jeder ist dort unter Druck, was zu all den Erscheinungen führt, die wir heute hassen: Angst um den Arbeitsplatz (wie zahle ich dann meine Kredite ab?), Angst vor Konkurs (siehe Handwerk und Mittelstand) und vor allem die zu beobachtende Beschleunigung aller Abläufe (permanenter Termindruck, siehe auch das Quote von Paul Virilio, weiter unten, Ähnliches schreibt auch Franz M. Vuketits).
Kurzum: Die Lebensqualität (Ruhe, Muße, überhaupt"Zeit" haben) verschlechtert sich immer weiter.
Gruß
d.
P.S. Es ging mir bei der Darstellung des GS nicht darum, diesen als Optimum schlechthin darzustellen, sondern darum, die Behauptungen zu widerlegen, er habe nicht funktioniert, sondern zur allgemeinen Verelendung, zu dauernden Deflationen und vor allem automatisch zu Kriegen geführt.
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dottore
21.01.2002, 11:21
@ nereus
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Re: Achtung! Der Weberaufstand war ein Unterehmeraufstand. Kommt auch vor... (owT) |
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Zardoz
21.01.2002, 11:42
@ nereus
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Weißt Du... |
... Nereus, das Elend dorthin zu schieben, wo wir es nicht mehr direkt erleben müssen - in die sogenannte dritte Welt und auf spätere Generationen - macht unser System nicht zu einem besseren, oder?
Das wir jetzt und hier besser leben bestreite ich ja nicht. Ich behaupte allerdings, daß wir die Rechnung noch nicht gesehen haben.
Bismarck war einfach ein Machtmensch. Begriffe wie"Satan" kommen allenfalls Menschen in den Sinn, denen noch immer Herrschaft als etwas von Gott gegebenes erscheint.
Nice day,
Zardoz
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Uwe
21.01.2002, 13:30
@ Zardoz
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Respekt,... |
Zardoz, wie Du die Verknüpfung von nereus Beitrag, mit Deiner Argumentation unter Einbeziehung «... sogenannte dritte Welt und... spätere Generationen...» hinbekommen hast, was mir erlaubt zu vermuten, Dir nicht erklären zu müssen, was mein Beitrag Dir vielleicht hätte sagen können, der meine spontanen Gedanken beim Lesen Deines Satzes «...waren bereits zwei Drittel der in dieses System zwangsweise Eingegliederten anderweitig auf freiwilliger...» wiedergab.
Gruß
Uwe
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nereus
21.01.2002, 13:48
@ dottore
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Re: Weberaufstand war ein Unterehmeraufstand. Kommt auch vor... - in der Tat ;-) |
Hallo dottore!
Der Aufstand der schlesischen Weber war sicherlich ein Unternehmeraufstand.
Die Kleinunternehmer bzw. Heimgewerbetreibende protestierten gegen die beginnende Maschinisierung/Automatisierung der Wirtschaft.
Die großen Fabriken gruben den Einzelunternehmen das Wasser ab.
Heinrich Heine oder Gerhard Hauptmann faßten diese Ereignisse in Dramen und Gedichten zusammen.
Vielleicht würden Sie dies als Zeitenwende bezeichnen.
Ich habe nur auf Uwes lakonisches Posting reagiert und versucht die Zardoz'sche Frage etwas überspitzt zu beantworten.
Die Einführung der Bismarckschen Sozialreform war nicht der Zugriff des Staatsmonsters auf den unbescholtetenen Bürger sondern der Versuch dem Proletariat eine erträgliche Absicherung während und nach einem ziemlich anstrengenden Arbeitsleben zu geben.
Die einstmals Selbständigen wurden in die Lohnabhängigkeit gezwungen - so hätte es vielleicht ein ihnen bekannter Barmener Geschäftsmann formuliert.
Schön das Sie auf den Unternehmeraufstand hingewiesen haben.
Denn es zeigt das auch Unternehmer untereinander (große und kleine) sehr viel Sprengstoff zur Zündung bringen können.
Für diesen wirtschaftlichen Umbruch (inklusive aller späteren Segnungen der Industriegesellschaft) und die z.T. damaligen verheerenden sozialen Folgen kann ich nun wirklich nicht den Staat in die Verantwortung nehmen.
Das wollte ich halt nur mal kurz erwähnt wissen.
mfG
nereus
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nereus
21.01.2002, 13:55
@ Zardoz
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Re: Weißt Du... - ich weiß, aber ich meinte etwas anderes |
Hallo Zardoz!
Da hast Du mich wohl etwas mißverstanden.
Du schriebst das Bismarck nur deshalb sozialreformerisch tätig wurde, um einen besseren Griff auf's Volk zu haben und dabei zerstörte er die zarten Keime eines privaten Versicherungswesens.
Ich würde eher sagen, daß er den ganz offensichtlich erkennbaren Auswüchsen einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzung etwas entgegen setzen wollte.
Die sozialistischen Ideen des 19.Jahrhunderts verfingen deshalb bei der Bevölkerung weil sich schreiende Ungerechtigkeiten auftaten.
Dies war aber ein Problem einer wirtschaftlichen Revolution die das bestehende soziale Gefüge kräftig durcheinander wirbelte.
Der Staat kann dafür nun wirklich mal nichts, auch wenn er sonst für alle Leiden dieser Welt herangezogen wird.
Bismarck war sicherlich ein Machtmensch. Was ist daran so schlimm?
Viel wesentlicher ist wozu diese Macht letztlich gebraucht wird.
Gorbatschow war auch ein Machtmensch, hat aber kraft seiner Macht und seines Amtes viele Millionen Menschen Osteuropas in die Freiheit entlassen.
Macht an sich ist also nicht per se böse.
mfG
nereus
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Zardoz
21.01.2002, 15:43
@ nereus
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Re: Weißt Du... - ich weiß, aber ich meinte etwas anderes |
>Du schriebst das Bismarck nur deshalb sozialreformerisch tätig wurde, um einen besseren Griff auf's Volk zu haben und dabei zerstörte er die zarten Keime eines privaten Versicherungswesens.
Ich zitierte, was ich unter"www.mehr-freiheit.de" zum Thema fand. Über die Beweggründe Bismarcks können wir beide lediglich spekulieren, das wörtlich wiedergegebene Zitat spricht allerdings für sich.
>Ich würde eher sagen, daß er den ganz offensichtlich erkennbaren Auswüchsen einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzung etwas entgegen setzen wollte.
Du würdest nicht, sondern Du sagst. Und ich sage, mittels der Macht des Staates verhinderte er eine marktwirtschaftliche Lösung.
>Die sozialistischen Ideen des 19.Jahrhunderts verfingen deshalb bei der Bevölkerung weil sich schreiende Ungerechtigkeiten auftaten.
>Dies war aber ein Problem einer wirtschaftlichen Revolution die das bestehende soziale Gefüge kräftig durcheinander wirbelte.
>Der Staat kann dafür nun wirklich mal nichts, auch wenn er sonst für alle Leiden dieser Welt herangezogen wird.
Der Staat muß immer in die Verantwortung genommen werden, wenn er Menschen seine Lösungen aufzwingt.
>Bismarck war sicherlich ein Machtmensch. Was ist daran so schlimm?
Nichts. Habe ich aber auch nicht behauptet. Ohne sein Staatsamt hätte er allenfalls eine weitere private Versicherung gründen können.
>Viel wesentlicher ist wozu diese Macht letztlich gebraucht wird.
Wesentlich ist, ob jemandem ein Staatsapparat zur Machtausübung zur Verfügung steht.
>Gorbatschow war auch ein Machtmensch, hat aber kraft seiner Macht und seines Amtes viele Millionen Menschen Osteuropas in die Freiheit entlassen.
Eigentlich ein Widerspruch zu dem oben von Dir ausgeführten. War das Elend vorher größer oder nachher?
>Macht an sich ist also nicht per se böse.
Lieber Nereus, mit Kategorien wie"Gut" und"Böse" würde ich in so einem Kontext niemals argumentieren.
Nice day,
Zardoz
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nereus
21.01.2002, 17:53
@ Zardoz
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Re: Weißt Du... - ich weiß, die neue Gottheit namens MARKT |
Hallo Zardoz!
Ich schrieb: Ich würde eher sagen, daß er den ganz offensichtlich erkennbaren Auswüchsen einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzung etwas entgegen setzen wollte.
Du antwortest: .. Und ich sage, mittels der Macht des Staates verhinderte er eine marktwirtschaftliche Lösung.
Na da bin ich aber froh das der Markt alles regelt bzw. regeln kann. ;-)
Die"reine" marktwirtschaftliche Lösung war ja gerade der Grund warum die Leute auf die Barrikaden gingen.
Die Verhältnisse des 19.Jahrhunderts, bezüglich des Lebensstandards, sind nun wirklich nicht vergleichbar mit denen von heute.
Ein damaliger Arbeitsloser konnte nicht Stütze kassieren und sich ggf. einen schönen Tag machen.
Damals ging es wirklich um's Überleben.
Und als von der Einzelproduktion auf die Massenproduktion umgestellt wurde verloren Hundertausende ihre Jobs. Nicht weil sie durchweg faule Hunde waren sondern weil ihnen schlichtweg die Existenzgrundlage entzogen wurde.
Der Staat muß immer in die Verantwortung genommen werden, wenn er Menschen seine Lösungen aufzwingt.
Aber wenn Menschen anderen Menschen aufgrund ihrer besonderen wirtschaftlichen Position Bedingungen aufzwingen die zum Himmel schreien, braucht man nach Verantwortung nicht zu fragen.
Hauptsache es rechnet sich.
Du wirst es vielleicht nicht glauben aber ich vermute mal die Marktwirtschaft zwingt der Gesellschaft ebenfalls Lösungen auf.
Verbleibt eigentlich nur die Frage für wen es sich dann rechnet.
Ohne sein (gemeint ist Bismarck) Staatsamt hätte er allenfalls eine weitere private Versicherung gründen können.
Ja das hätte er wohl sollen, dieser Dösbaddel.
Schade das die Philosophen, die Dichter und Denker und vor allem das Lumpenproletariat ihm dies nicht gesagt haben. Aber damals gab es das EW-Board noch nicht.
Jede Unmutsbekundung der Malocher in der Vergangenheit war immer nur Ausdruck ihres marktwirtschaftlichen Unverständnisses.
Wie gut das ich das jetzt weiß.
mfG
nereus
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