Immer mehr Kapital fließt Richtung Euroland
FRANKFURT, 19. Februar. An den Devisenmärkten hat sich ein Spannungsfeld aufgebaut. Einerseits fließen die internationalen Kapitalströme zusehends in Richtung Euro-Raum. Andererseits hat die Gemeinschaftswährung trotz dieser Zuströme seit Herbst von 0,92 auf knapp 0,86 Dollar Ende Januar abgewertet und sich bislang nur wieder auf ein Niveau von etwa 0,87 Dollar erholt. Vor diesem Hintergrund steigt das Risiko, daß sich die Spannungen in heftigen Kursbewegungen entladen.
Wie eine Analyse der Kapitalströme zeigt, ist Euroland in der zweiten Jahreshälfte 2001 zu einem Netto-Empfänger von Kapital geworden. Investoren nutzten das vergleichsweise niedrige Niveau des Euro, sich im Euro-Raum über Direktinvestitionen oder Erwerb von Aktien einzukaufen. Darin drückt sich Zuversicht hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung im Euro-Raum sowie der mittelfristigen Entwicklung des Euro aus.
Nach Daten der Europäischen Zentralbank war der Umschwung bei Aktienkäufen und -verkäufen besonders deutlich: Flossen in den ersten elf Monaten des Jahres 2000 noch netto 236 Milliarden Euro aus dem Euro-Raum ab, so sind ihm im gleichen Zeitraum 2001 netto 135 Milliarden Euro zugeflossen. Im November verzeichnete der Euro sogar in allen drei Kategorien - Direktinvestitionen sowie und Erwerb von Aktien und Schuldtiteln - Nettozuflüsse.
Nach Einschätzung der Analysten von Morgan Stanley dürfte sich diese Entwicklung im laufenden Jahr fortsetzen. Denn sowohl die Euro-Aktien- als auch die Rentenmärkte versprächen höhere Renditen als ihre Pendants in Amerika. Erste Indizien stützen die These: So hat Goldman Sachs die Kapitalströme der eigenen Kunden analysiert und festgestellt, daß in der ersten Februarhälfte in großem Stil Kapital aus Amerika an die europäischen Aktienmärkte geflossen ist - mehr als je zuvor seit Beginn dieser Erhebung im Jahre 1999. Auch im Anleihegeschäft sei der Saldo negativ für Amerika gewesen, positiv für Euroland.
Die Analysten von Morgan Stanley ziehen aus ihrer Analyse den Schluß, daß der"faire Wert" des Euro derzeit bei 0,97 Dollar liege. Goldman Sachs wagt sogar die Prognose, daß der Euro schon im zweiten Quartal bis zu 1,05 Dollar wert sein könnte, im dritten Quartal in der Spitze 1,12 Dollar. Nach einem Kaufkraft-Paritäten-Modell der Deutschen Bank müßte der Euro übrigens sogar 1,19 Dollar wert sein.
Für die Euro-Optimisten ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die fundamentalen Daten in den Wechselkursen niederschlagen. Ein Umschwung zugunsten des Euro könnte demnach zum Beispiel ausgelöst werden, wenn die Enron-Krise Kreise ziehen und das Vertrauen in die amerikanische Wirtschaft noch tiefer schädigen sollte oder wenn der konjunkturelle Aufschwung in Amerika rasch einem neuerlichen Abschwung Platz machte. Komme der Dollar erst einmal unter Druck, könne dies zu einem sich selbst verstärkenden Abwertungsschub führen - ähnlich wie die Spekulationsblase auch am Aktienmarkt schließlich geplatzt sei.
Demgegenüber deutet das Lager der Dollar-Optimisten die anhaltende Euro-Schwäche als Indiz, daß es den Anlegern generell an Vertrauen in die Stabilität des Euro-Raums fehle. Diesbezügliche Stichworte sind die politische Führungsschwäche, die unlängst durch den Streit um den"blauen Brief" deutlich wurde, und die Unfähigkeit der Politik, die verkrusteten Strukturen an den Arbeits- und Gütermärkten aufzubrechen. Wenn der Euro trotz aller fundamentaler Vorteile, die er derzeit aufweise, nicht vorankomme, sei auch mittelfristig nicht mit einer Aufwertung zu rechnen. Eher schon mit dem Gegenteil - wenn nämlich eine kräftig anziehende Konjunktur in Amerika wegen der verbesserten Renditeerwartungen wieder einen Umschwung der Kapitalströme in Richtung Wall Street bewirke. Auch diese Einschätzung wird übrigens von den Prognosen von Goldman Sachs abgedeckt: Demnach könnte der Euro im laufenden Quartal noch auf 0,83 Dollar fallen und den Rest des Jahres um 0,88 Dollar pendeln.
Wer gehofft hatte, daß der amerikanische Präsident George Bush anläßlich seines Besuchs in Tokio deutliche Worte zum Streitthema Yen-Abwertung finden würde, sah sich enttäuscht. Am Dienstag brachte den Yen aber unter Druck, daß das Regierungsprogramm zur Sanierung der Banken enttäuschte. Einer stärkeren Abwertung des Yen steht aber vermutlich entgegen, daß japanische Anleger derzeit in großem Stil Aktien und Anleihen in Wall Street verkaufen und die Erlöse in Yen tauschen - um Löcher daheim zu stopfen. Diese Repatriierung von Auslandskapital dürfte noch bis Ende März anhalten, wenn in Japan das Geschäftsjahr endet.
BENEDIKT FEHR
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.02.2002, Nr. 43 / Seite 29
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