Galiani
23.02.2002, 17:15 |
Zum Aufsatz von M. Hudson, »Reconstructing the Origins of Interest-Bearing Debt« Thread gesperrt |
Popeye hat einen interessanten Link hier hereingestellt, zu dem ich nachstehend einige Bemerkungen verliere:
Der Aufsatz enthält - abgesehen von den im weiteren erörterten Gesichtspunkten - viele interessante Gedanken. Insbesondere der anthropologisch-historische Befund, daß es kaum Beweise für die noch heute weit herum vertretene Auffassung gibt, der Zins würde nach Maßgabe der Produktivität des geborgten Kapitals für den Ausleiher festgesetzt, verdient Interesse. Daß dies eine völlig abwegige Meinung ist, steht theoretisch seit langem fest.
Der Autor zeichnet zunächst die unstrittige Tatsache nach, daß sich das Phänomen der Zinsnahme in ökonomischen Schuldverhältnissen bis ins 4. Jahrtausend vor Chr. nachweisen läßt und zwar vornehmlich dort, wo sich die Wirtschaft am dynamischsten entwickelt hat (z.B. in Mesopotamien, wo es die Tempel-Banken waren, die für ihre Kapitalausleihungen ganz selbstverständlich Zinsen verlangten).
Die These des Autors allerdings, daß der Zins"zweifellos" aus dem Geschenketausch, aus dem Phänomen der Geldbußen, aus dem Brauch des Hochzeitsgeschenks und aus der Nachbarschaftshilfe hervorgegangen sei, erscheint mir indes als fragwürdig; jedenfalls liefert der Autor für diese Feststellung ("No doubt like trade and commerce, debt is found from the outset as gift exchange, restitution fines for personal injury, and bridal or related marriage arrangements as well as the omnipresent mutual aid.") nur dürftige Beweise: Er zitiert etwa u.a. Tacitus, der Kap. 26 seiner GERMANIA, tatsächlich mit der Bemerkung beginnt, daß Zinsnehmen bei den Germanen"unbekannt" war. Demgegenüber ist jedoch festzustellen, daß die Germanen nach demselben Tacitus (ib. 5,14) überhaupt fast kein Geld in Gebrauch hatten. Ein kenntnisreicher Kommentator der Germania (H. Schweizer-Sidler in Eduard Schwyzer, Tacitus' Germania, Halle a.d.S. 1912; S. 58, FN 2) bemerkt deshalb:"[D]er ganze Satz [sei daher] im Grunde überflüssig und nur aus der beständigen vergleichenden Heranziehung der römischen Verhältnisse [durch Tacitus] zu erklären."
Ich darf daran erinnern, daß ich in meiner Auseinandersetzung mit XSurvivor über den Zins mehrfach darauf hingewiesen hatte, daß es auch in einer Naturalwirtschaft notwendigerweise zu einer Art Natural-Zins kommen müsse. Der genannte Kommentator der Germania des Tacitus setzt denn auch nach seiner erwähnten Bemerkung fort:"Daß übrigens auch auf einer Kulturstufe, deren Wertmesser die Kuh ist, Schuld- [und Zins-]Verhältnisse entstehen können, zeigen Zustände im alten Irland, wo die Häuptlinge überschüssige Beutekühe gegen bestimmte Leistungen gewöhnlich auf sieben Jahre an ärmere Freie überlassen, die dadurch oft zu Hörigen herabsinken."
Man darf deshalb auch einige Fragezeichen hinter die Behauptung Michael Hudsons anfügen, daß erst die"Standardisierung" und das"Silbergeld" der Tempel und Paläste im alten Sumer die Entwicklung des Zinses und damit die Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft erlaubt habe. Ich halte diese Schlußfolgerung für diskussionsbedürftig und die noch viel weiter reichende Aussage des Autors, in der seine anthropologische Sicht des Zinses gipfelt, daß dies beweise, daß"Planwirtschaft" durchaus zu einer stabilen Gesellschaft führe, ist meiner Meinung nach abwegig. Hudson erliegt hier genau der Gefahr vor der er eingangs gewarnt hatte: daß nämlich heutige Verhältnisse in ein urgeschichtliches Umfeld projiziert werden.
Grüße
G.
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Popeye
23.02.2002, 18:22
@ Galiani
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Re: Zum Aufsatz von M. Hudson, »Reconstructing the Origins of Interest-Bearing Debt« |
>Die These des Autors allerdings, daß der Zins"zweifellos" aus dem Geschenketausch, aus dem Phänomen der Geldbußen, aus dem Brauch des Hochzeitsgeschenks und aus der Nachbarschaftshilfe hervorgegangen sei, erscheint mir indes als fragwürdig;
Hallo, Galiani, über unser Fischerproblem muß ich noch grübeln.
Zu Deinem ogigen Text: Ich habe diese These schon häufiger - vornehmlich in der angelsächsichen Literatur gelesen.
Ich glaube es war George Gilder (in seinem Buch, Wealth an Poverty, soweit ich mich erinnere Anfang der 80iger erschienen), der sogar behauptete aus dem Schenken habe sich der Kapitalismus entwickelt. So wie dort vorgetragen, war es nicht ganz ohne Überzeugungskraft.
Grüsse
Popeye
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Galiani
23.02.2002, 19:22
@ Popeye
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Ja, Ja, Ähnliches hab' ich auch schon gelesen. Dennoch glaube ich, daß |
Hallo
Dennoch glaube ich, daß der Zins einfach daraus entstanden ist, daß die Menschen gemerkt haben, daß der Spatz in der Hand besser ist als die Taube am Dach.
Wenn ich heute oder morgen dazu komme, werde ich einen hochinteressanten Vortrag über den Zins von Hans Tietmeyer hier hereinstellen, den dieser 1994 anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde seitens der Uni Münster gehalten hat ("Der Zins als Führer durch die Zeit"; auszugsweise abgedruckt in der FAZ vom 30. Juli 1994)
Grüße
G.
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dottore
23.02.2002, 19:35
@ Popeye
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Re: Jessas, Goofy Gilder kommt noch mal aus der Gruft |
Hi Popeye,
>Ich glaube es war George Gilder (in seinem Buch, Wealth an Poverty, soweit ich mich erinnere Anfang der 80iger erschienen), der sogar behauptete aus dem Schenken habe sich der Kapitalismus entwickelt. So wie dort vorgetragen, war es nicht ganz ohne Überzeugungskraft.
Ja, war Gilder. Und es fehlte jegliche Überzeugungskraft; ich hatte mich schon damals damit auseinander gesetzt.
Er schreibt im Kapitel"Zins und Geld" (34 f.) u.a. (! sind von mir):
"Die Geschenke wurden in der Regel im Rahmen einer kultischen Handlung und natürlich in der Hoffnung (!) auf ein späteres Gegengeschäft dargebracht. Der Wert dieser Gegenleistung war nicht festgelegt (!), doch wurde wohl auch eine Art Zinsen (!) erwartet...
Solche Geschenk-Konkurrenzen sind Wettbewerbe in Altruismus (!), denn eine Gabe wird nur dann mit einer größeren Gegengabe beantwortet werden, wenn der Beschenkte, überrascht und angenehm berührt (!), seinerseits den Spender beglücken (!) will, wozu ihm wiederum dessen Wünsche und Bedürfnisse bekannt sein müssen. So fördert der Geschenkwettbewerb Verständnis und Sympathie der Menschen füreinander.
Der Kreislauf der Geschenke - und damit der wirtschaftliche Nutzen - wird wachsen, solange die Gabe von den Beschenkten höher eingeschätzt werden als von den Spendern. Diese Sitte überwand (!) den Tauschhandel - mehr noch, sie schuf eine Art Geld (!), bestehend aus Verpflichtungen, Schulden oder Versprechungen..."
Das ist der plumpe Versuch, das Raubtier Kapitalismus, das ununterbrochen auf Erfüllung drängt (sonst hätte er niemals auch nur ne Kutsche erfunden),"lieb" zu schreiben.
Unpräzise (eine"Art" Geld, eine"Art" Zins - was soll das sein?) und vor allem der entscheidende Fehler,
Altruismus und Verpflichtungen und Schulden
gleich zu setzen.
Altruismus ist schön und gut, aber immer noch freiwillig. Aus Schulden etc. aber folgt unerbittlicher Zwang.
Würden alle freiwillig zahlen, geben, schenken, gäbe es keine Schulden. Niemals, nirgends.
Gruß
d.
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dottore
23.02.2002, 19:44
@ Galiani
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Re: Zum Aufsatz von M. Hudson, »Reconstructing the Origins of Interest-Bearing Debt« |
>Man darf deshalb auch einige Fragezeichen hinter die Behauptung Michael Hudsons anfügen, daß erst die"Standardisierung" und das"Silbergeld" der Tempel und Paläste im alten Sumer die Entwicklung des Zinses und damit die Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft erlaubt habe.
Doch da ist was dran, nicht an der Standardisierung, sondern daran, dass sie Edelmetall beliebig teilen lässt (daher es irgendwann ein erstes Gewicht = Standard geben kann, bei absoluter Identität zu anderen gleich schweren Gewichten, was bei keiner anderen Ware möglich ist). Deshalb ließen sich auch die Abgaben standardisieren (wenn 10 Kühe gefordert, hätte ich 10 halbtote geschickt, 10 Shekel muss ich 10 Shekel schicken, immer in eindeutiger Feinheit) und damit auch die Kreditnahmen, die zur Finanzierung der Abgabenentrichtung nötig wurden.
>Ich halte diese Schlußfolgerung für diskussionsbedürftig und die noch viel weiter reichende Aussage des Autors, in der seine anthropologische Sicht des Zinses gipfelt, daß dies beweise, daß"Planwirtschaft" durchaus zu einer stabilen Gesellschaft führe, ist meiner Meinung nach abwegig.
Nicht Planwirtschaft, sondern die regelmässigen"novae tabulae". Dann geht's wieder rund. Nur kann diese Gesellschaft nu winzig sein - niemals etwas, was wir heute haben. Daher: Einverstanden.
Gruß
d.
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Popeye
23.02.2002, 20:09
@ dottore
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Re: Jessas, Goofy Gilder kommt noch mal aus der Gruft - Afterthought |
>Hi Popeye,
>>Ich glaube es war George Gilder (in seinem Buch, Wealth an Poverty, soweit ich mich erinnere Anfang der 80iger erschienen), der sogar behauptete aus dem Schenken habe sich der Kapitalismus entwickelt. So wie dort vorgetragen, war es nicht ganz ohne Überzeugungskraft.
>Ja, war Gilder. Und es fehlte jegliche Überzeugungskraft; ich hatte mich schon damals damit auseinander gesetzt.
>Er schreibt im Kapitel"Zins und Geld" (34 f.) u.a. (! sind von mir):
>"Die Geschenke wurden in der Regel im Rahmen einer kultischen Handlung und natürlich in der Hoffnung (!) auf ein späteres Gegengeschäft dargebracht. Der Wert dieser Gegenleistung war nicht festgelegt (!), doch wurde wohl auch eine Art Zinsen (!) erwartet...
>Solche Geschenk-Konkurrenzen sind Wettbewerbe in Altruismus (!), denn eine Gabe wird nur dann mit einer größeren Gegengabe beantwortet werden, wenn der Beschenkte, überrascht und angenehm berührt (!), seinerseits den Spender beglücken (!) will, wozu ihm wiederum dessen Wünsche und Bedürfnisse bekannt sein müssen. So fördert der Geschenkwettbewerb Verständnis und Sympathie der Menschen füreinander.
>Der Kreislauf der Geschenke - und damit der wirtschaftliche Nutzen - wird wachsen, solange die Gabe von den Beschenkten höher eingeschätzt werden als von den Spendern. Diese Sitte überwand (!) den Tauschhandel - mehr noch, sie schuf eine Art Geld (!), bestehend aus Verpflichtungen, Schulden oder Versprechungen..."
>Das ist der plumpe Versuch, das Raubtier Kapitalismus, das ununterbrochen auf Erfüllung drängt (sonst hätte er niemals auch nur ne Kutsche erfunden),"lieb" zu schreiben.
>Unpräzise (eine"Art" Geld, eine"Art" Zins - was soll das sein?) und vor allem der entscheidende Fehler,
>Altruismus und Verpflichtungen und Schulden
>gleich zu setzen.
>Altruismus ist schön und gut, aber immer noch freiwillig. Aus Schulden etc. aber folgt unerbittlicher Zwang.
>Würden alle freiwillig zahlen, geben, schenken, gäbe es keine Schulden. Niemals, nirgends.
>Gruß
>d.
Hallo dottore,
ich meine mich zu erinnern, dass Gilder das Geschenk-Argument als Begründung für die kulturelle Verbindung zwischen Schenken und Kapitalismus verwendet. Beides erwartet eine unbestimmte Gegenleistung und ist somit risiko-behaftet. Der Unternehmer weiß nicht, ob er Gewinn erzielt und der Schenkende nicht, ob er das gewünschte Ergebnis mit dem Geschenk erzielt (Dankbarkeit, Wohlwollen, generell Förderung seiner eigenen Interessen). Ich kann mich nicht erinnern, dass Gilder die Entstehung des Zinses mit seinem Geschenk-Argument begründet (und ich schon gar nicht). Aber, die oben geschilderte Verbindung konnte ich nachvollziehen.
Aber es ist schon lange her, und ich kann mich nicht mehr genau erinnern.
Grüße Popeye
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Galiani
23.02.2002, 22:15
@ dottore
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Richtig, dottore! Es war wohl Ihre Besprechung, die mich damals hellhörig machte (owT) |
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dottore
23.02.2002, 23:22
@ Popeye
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Re: Jessas, Goofy Gilder kommt noch mal aus der Gruft - Afterthought |
Hi Poeye,
>ich meine mich zu erinnern, dass Gilder das Geschenk-Argument als Begründung für die kulturelle Verbindung zwischen Schenken und Kapitalismus verwendet. Beides erwartet eine unbestimmte Gegenleistung und ist somit risiko-behaftet.
So ist es leider nicht. Das Risiko liegt nicht darin, dass der andere auch mit einem Gegengeschenk daher kommt, sondern, dass er mit einem noch größeren Gegengeschenk daher kommt. Das Gegengeschenk ist keine Erwartung oder Hoffnung, sondern eine Befürchtung. Denn dann muss der andere wiederum mit einem noch größeren Geschenk aufwarten.
Die Gefahr eines immer größeren Gegengeschenks ist der Druck, unter der der Schenker steht. Daher wurden die Geschenke immer abstrus höher, in der Hoffnung, dass der andere sie eines Tages dann nicht mehr toppen könne.
>Der Unternehmer weiß nicht, ob er Gewinn erzielt und der Schenkende nicht, ob er das gewünschte Ergebnis mit dem Geschenk erzielt (Dankbarkeit, Wohlwollen, generell Förderung seiner eigenen Interessen).
Das gewünschte Ergebnis des Schenkers ist, dass der andere aufgibt.
>Ich kann mich nicht erinnern, dass Gilder die Entstehung des Zinses mit seinem Geschenk-Argument begründet (und ich schon gar nicht). Aber, die oben geschilderte Verbindung konnte ich nachvollziehen.
Genau das schreibt er ja von"Zins" und"Geld". Das wäre übertagen auf heute: Ich zahle dem Anbieter statt der geforderten Summe 1000 für eine Ware im Wert von 1000 von mir aus 2000, in der Hoffnung, dass der andere nicht mit einem Warenangebot von 3000 daherkommt.
Bei den Tobriand- usw. -Beispielen geht's nur um eines: MICH, den Chef kann keiner... Das Risiko liegt nicht im Gegengeschenk, sondern im größeren Gegengeschenk, dessen Schenker (anderen Chef) dann eben keiner mehr kenn.
Gruß
d.
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Popeye
23.02.2002, 23:40
@ dottore
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Re: Jessas, Goofy Gilder kommt noch mal aus der Gruft - Originell |
Hallo dottore,
timeo Danaos et dona ferentes, darauf läuft Dein Argument ja hinaus. Ich mußte herzhaft lachen - auf alle Fälle orgineller als Gilder!!
Grüße
Popeye
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