Finanzsystem drohen bei Kursrutsch an den Aktienbörsen große Risiken
IWF: Probleme bei Enttäuschung der Gewinnerwartungen
ctg. WASHINGTON, 14. März. Dem internationalen Finanzsystem drohen erhebliche Risiken, sollten sich die hochgesteckten Erwartungen der Finanzmarktakteure auf einen Konjunkturaufschwung und steigende Unternehmensgewinne nicht erfüllen. Davor warnt der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem ersten"Bericht zur Stabilität des globalen Finanzsystems". Ein Kursrutsch an den Aktienbörsen und eine Verschlechterung der Kreditqualität an den Märkten für Unternehmensanleihen sei vorgezeichnet, wenn die Weltwirtschaft auch in diesem Jahr nur langsam wächst.
Derzeit sei die Meinung weit verbreitet, die Weltwirtschaft werde sich im Laufe dieses Jahres erholen. Die aktuellen Konjunkturdaten bestätigten diese Einschätzung. Zur Selbstzufriedenheit bestehe gleichwohl kein Anlaß, heißt es in dem Bericht. Sollte sich eine Schere auftun zwischen den Markterwartungen und der tatsächlichen Entwicklung, dann drohten das Vertrauen der Verbraucher und der Unternehmen ernsten Schaden zu erleiden."Sinkende Aktienkurse hätten weitreichende Folgen für Unternehmen, Konsumenten und Banken. Sie alle haben ihr Aktienengagement in den vergangenen Jahren erheblich erhöht", heißt es in dem Bericht, für den das ehemalige Vorstandsmitglied der Dresdner Bank, Gerd Häusler, verantwortlich zeichnet. Häusler leitet seit dem vergangenen Sommer die von IWF-Chef Horst Köhler geschaffene Abteilung"Internationale Kapitalmärkte".
Der IWF weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Verschuldung von privaten Haushalten und Unternehmen in den führenden Industrienationen recht hoch sei. Die Last des Schuldendienstes sei trotz der niedrigen Zinsen derzeit hoch. Die Entwicklung der Verschuldung müsse daher mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden, meint der Fonds.
Darüber hinaus bereitet die Lage einzelner Banken und Kreditinstitute dem IWF einige Sorge. Die Stärke des Bankensystems in den Vereinigten Staaten habe zwar die Widerstandskraft des internationalen Finanzsystems in den vergangenen Monaten gestärkt. Es gebe aber einige Industrieländer, die beim Umbruch und in der Konsolidierung des Finanzsektors hinterher- hinkten:"Vor allem in Japan haben die Kreditausfälle und die Deflation viele Institute erheblich geschwächt." Sollten die Kurse an den Börsen fallen, würde sich die Konsolidierung des Bankgewerbes sicher beschleunigen, meint der IWF.
Der Währungsfonds weist noch auf weitere Risiken hin, die mit der Wirtschaftsentwicklung nicht unmittelbar in Zusammenhang stünden. Viele Industrieunternehmen hätten in den vergangenen Jahren ihre Finanzgeschäfte enorm ausgeweitet. Vielfach unterlägen sie dabei weniger Restriktionen als traditionelle Finanzinstitute."Das hat einen Mangel an Informationen und Transparenz zur Folge, der es Anlegern erschwert, sich ein Bild von der Kreditwürdigkeit des Unternehmens zu machen", meint der IWF. Die Komplexität der Finanzgeschäfte und ständig neue Finanzprodukte erhöhten zusätzlich die Probleme für Investoren."Der Kollaps des Energiekonzerns Enron hat diese Risiken deutlich gemacht", heißt es in dem Bericht. Schärfere Publizitätsvorschriften für Unternehmen und Änderungen in der Rechnungslegung seien notwendig, um diese Risiken besser zu beherrschen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.03.2002, Nr. 63 / Seite 33
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