Aus der WELT von heute:
Die Hamster, der Hohn und der Zorn der Frau Höhn
Seit Jahren blockiert der Umweltschutz in Nordrhein-Westfalen eine Gewerbeansiedlung mit 12000 Arbeitsplätzen
Von Peter Gillies
Düsseldorf - Es sollte ein Leuchtturm grenzüberschreitender Hochtechnologie mit bis zu 12.000 Arbeitsplätzen werden, jenes Gewerbegebiet"Avantis" zwischen Aachen und Heerlen. Das verhindert bisher ein putziger Nager aus der Familie der Wühler: Cricetus cricetus. Die Kleinsäuger, bis in die siebziger Jahre eine Plage, gehören heute zu den gefährdeten Arten. Und just auf jenem 100 Hektar großen Aachener Industriegebiet soll es sie geben - Feldhamster.
Der Streit zwischen Wirtschaftspolitik und Umweltschutz in Nordrhein-Westfalen zieht sich jetzt über vier Jahre hin, führte zu rund 20 Prozessen und rief sogar die Europäische Kommission auf den Plan. Die Naturschützer hatten sich an Brüssel gewandt. Das bescherte der rot-grünen Landesregierung eine strafbewehrte Klage. Ein glückliches Ende ist nicht abzusehen. Mit einem Zucht- und Wiederansiedlungsprogramm für Feldhamster - 1,28 Millionen Euro auf fünf Jahre - sollten die Hamsterkämpfer beruhigt werden.
Aber jetzt platzt Bärbel Höhn, der grünen Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen, der Kragen."Ich lasse mich nicht dafür beschimpfen, dass ich aus meinem Naturschutzetat Geld für die Realisierung eines Wirtschaftsprojekts ausgebe, dem sonst die Einstellung droht." Die Hamster-Affäre sei auch unter dem Beifall von SPD-Koalitionären zu einer Satire verformt worden."Daraus wird jetzt böser Ernst, wenn die 12.000 Arbeitsplätze nicht realisiert werden können".
"Wenn ich für mein Programm zur Wiederansiedlung des geschützten Feldhamsters nur öffentliche Prügel beziehe, dann wird es eben gestoppt", sagte sie gegenüber der WELT."Dann wird die EU Strafen gegen Deutschland verhängen, und EU-Fördermittel müssen zurückgezahlt werden - in beträchtlicher Millionenhöhe. Und am Ende steht eine Investitionsruine". Wer die Lösung durch Polarisierung dem öffentlichen Spott aussetze,"verliert letztlich das Ziel - die Wirtschaftsansiedlung - aus den Augen. Diese Wirtschaftsansiedlung aber unterstütze ich." Als Adresse für weitere Kritik"stehe ich nicht zur Verfügung".
Das Gewerbeparkprojekt habe sich nur deswegen über vier Jahre hingeschleppt,"weil von Anfang an nur Spott und Polarisierung dominierten, nicht aber das Bemühen um ernsthafte Lösungen". Erst dieser"konfrontative Weg" habe das Projekt langwierig, teuer und ungewiss gemacht. Das Ergebnis: Investoren seien verschreckt."Wenn diese Konfrontation nicht durchbrochen wird, werden dort in Aachen nie Arbeitsplätze entstehen."
Wurden denn in der Gegend überhaupt schon einmal Feldhamster gesichtet?"Ich kenne niemand, der dort jemals einen Feldhamster auf dem Gelände des künftigen Gewerbegebiets gesehen hat", hatte der letzte NRW-Europaminister Detlef Samland (SPD) vor einem Jahr gesagt. Stammen die angeblichen Hamsterlöcher in Wahrheit von den Stangen der Vermessungsingenieure, wie er und andere Spötter vermuten? Höhn räumt ein, dass eine Feldhamsterpopulation wissenschaftlich"weder bestritten noch bestätigt" werden könne."Es gibt aber EU-weit nur noch acht Hamsterpopulationsstandorte, und das ist einer."
Dass die Hamsterstory eine kabarettreife Lachnummer abgibt, versteht die Ministerin durchaus. Nur dass das öffentliche Gelächter auf ihre Kosten geht, mag sie überhaupt nicht."Für den kurzen Spaß einer Satire riskiert man 12.000 Arbeitsplätze." Das Feldhamster-Wiederansiedlungsprogramm habe zu empörten Briefen von Bürgern geführt ("Bei uns schließt ihr das Schwimmbad, und dort werft ihr das Geld für Hamster raus"). Frau Höhn räumt ein, dass sich öffentlicher Beifall für derartige Projekte nicht erzwingen lasse."Managementfehler hat es auf allen Seiten gegeben, die Politik eingeschlossen", meint sie. Höhn:"Wenn Wirtschaft und Naturschutz hier gegeneinander kämpfen, gibt es für beide keine Zukunft". Schon heute sei der Schaden an dem deutsch-niederländischen Projekt"nicht mehr reparabel".
Die Vorbereitungen für das neue Hamster-Asylprogramm, mit dem die Naturschützer und die EU beruhigt werden sollen, seien angelaufen. In diesem Jahr stehen dafür 255.000 Euro bereit. Geld sei indes noch nicht geflossen. Derweil arbeitet Nordrhein-Westfalen, Land des Bergbaus, weiter am Nachweis von Hamsterpopulationen in besagtem Gebiet. Erschwert wird die Suche, weil der Nager sich etwa ein halbes Jahr unter Tage aufhält. Wenn man ihn ärgert, zeigt er durchaus politische Attitüden: Er stellt sich auf seine kurzen Hinterbeine, bläst die Backen auf, fletscht die Zähne, knurrt und zischt - bevor er sich entfernt.
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