"Ihr seid nicht alleine, wir sind mit euch!"
Zentralratsvizepräsident Michel Friedman über seine Gespräche in Israel, die Solidarität der jüdischen Gemeinschaft und die Perspektiven für den Nahen Osten
Während im Nahen Osten der Terror täglich neue Opfer fordert, versucht Israel, eine gewisse Form von Normalität aufrechtzuerhalten, so auch durch seine Präsenz auf der ITB in Berlin. Nicht zuletzt der Tourismus ist ein Hauptwirtschaftsfaktor für Israel. Doch seit der"zweiten Intifada" bleiben die Urlauber weg. Und auch Juden überlegen zweimal, ob sie die Feiertage in Israel verbringen - und immer mehr entscheiden sich, nicht zu fahren. Vergangene Woche ist der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, von einer Informationsreise nach Israel zurückgekehrt. Nach seinen Eindrücken, politischen Gesprächen und warum die jüdische Gemeinschaft in Deutschland gerade in der jetzigen Zeit besonders an Israels Seite stehen muß, fragte ihn Judith Hart.
Sie sind gerade aus Israel zurückgekehrt. Wenn man den Medien glaubt, herrscht dort Krieg. Lieben Sie die Gefahr?
Friedman: Es ist für mich ein Akt selbstverständlicher Solidarität, in schweren Zeiten demonstrativ nach Israel zu fahren, um sowohl den Freunden und politischen Gesprächspartnern im Land als auch der Ã-ffentlichkeit in Deutschland zu demonstrieren: Die jüdische Gemeinschaft steht zu Israel!
Haben Sie angesichts der Gefahr vor Terroranschlägen überhaupt das Hotel verlassen?
Friedman: Selbstverständlich. Ich war nicht nur in Tel Aviv, sondern auch in Jerusalem.
Sie haben unter anderen mit dem israelischen Vizeaußenminister Michael Melchior gesprochen. Was hat er Ihnen gesagt?
Friedman: Im Außenministerium wurden intensive Gespräche geführt über die politische Lage in Israel und die Friedensoptionen. Dabei wurde deutlich, daß - entgegen dem Eindruck, den man durch die einseitige öffentliche Darstellung in deutschen Medien gewinnen könnte -, Israel zu Konzessionen bereit ist. Die unabdingbare Bedingung dafür ist allerdings, die Unterbrechung der Terrorakte. Die westliche Welt hat nach den Anschlägen vom 11. September in New York und Washington beschlossen, einen Krieg zu führen, weil es keine Legitimation - weder eine politische, noch eine nationale, noch eine religiöse - geben kann für Terror. Selbst berechtigte Gründe dürfen nicht zu terroristischen Aktionen führen. Was aber für die ganze Welt gilt, muß auch für Israel Gültigkeit haben.
Welche berechtigten Gründe kann es denn geben?
Friedman: Es gibt immer wieder soziale und humanitäre Ungerechtigkeiten auf dieser Welt. Es gibt Unterdrückung und Diktatur. Natürlich sind dies für die Betroffenen unerträgliche Zustände. Dagegen muß auch angegangen werden - aber ohne Gewalt, sondern nur politisch.
Auch der Konflikt im Nahen Osten ist ein Konflikt, bei dem verschiedene - berechtigte und unberechtigte - Interessen aufeinandertreffen. Aber auch dort muß gelten: Terror ist kein Mittel der Auseinandersetzung. Staaten, die vom Terror bedroht werden, müssen sich wehren.
Welche Perspektive hat Israel zur Zeit?
Friedman: Die Situation ist viel komplexer, als wir sie in Europa wahrnehmen. Ich bin davon überzeugt, daß eine Lösung zum Greifen nahe wäre, wenn der Konflikt nur ein bilateraler zwischen Israelis und Palästinensern wäre. Was wir in Europa nicht verstehen, ist, daß die Palästinenser ein Spielball der gegensätzlichen arabischen Interessen sind. Syrien kann kein Interesse an einem Frieden haben, weil dann auch die Libanonfrage auf der Tagesordnung steht. Jordanien kann kein Interesse an einem Frieden haben, weil sonst sehr schnell die Frage gestellt wird, warum Jordanien, wo über siebzig Prozent der Bevölkerung Palästinenser sind, nicht einen eigenen Beitrag leistet. Irak und Iran können kein Interesse an einem Frieden haben, weil sonst der"Sündenbock" Israel, der als Symbol für die westliche Welt steht, nicht mehr dazu dienen könnte, Haß zu schüren.
All diese Gruppen verhindern aktiv den Frieden und schüren den Terrorismus. Entweder kann Arafat das nicht verhindern oder er will es nicht verhindern. Beide Alternativen machen eine Zusammenarbeit, einen Dialog mit ihm außerordentlich schwierig.
Wie haben Sie die Stimmung im Land empfunden?
Friedman: Die Menschen sind besorgt, traurig und natürlich gibt es Angst. Trotzdem versuchen alle - so schwer dies auch ist - einen Alltag zu leben. Aber man merkt deutlich, daß der Terror seine Spuren hinterläßt. Umso wichtiger ist es jetzt - ähnlich wie während des Golfkrieges, als der Irak Israel mit Scud-Raketen bedrohte -, nach Israel zu fahren, da zu sein und zu zeigen: Ihr seid nicht alleine, wir sind mit euch!
Können Sie den Menschen guten Gewissens empfehlen, in diesem Jahr Pessach in Israel zu verbringen?
Friedman: Niemand kann angesichts der Quantität und Qualität der momentanen Terroranschläge die Verantwortung übernehmen, so etwas zu sagen. Jeder muß das für sich selbst entscheiden. Aber wann, wenn nicht in schweren Zeiten ist man da.
Jüdische Repräsentanten kritisieren den"einseitigen und ungerechten Umgang" insbesondere deutscher Medien mit Israel. Steht denn die jüdische Gemeinschaft Deutschlands uneingeschränkt an Israels Seite?
Friedman: Ich halte Kritik an Regierungspolitik in einer Demokratie grundsätzlich für richtig und unproblematisch. Dies gilt selbstverständlich auch für Israel. Auch dort gibt es Kritik an der Regierungspolitik. Übrigens: Es gibt in Israel auch Friedensdemonstrationen. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich endlich mal auch eine Friedensdemonstration in den palästinensischen Gebieten sehen würde. Ich bin für Kritik aber nicht für einseitige, polemische und parteiische Kritik. Es ist sehr leicht und nicht konstruktiv, eindimensional Israel für alles verantwortlich zu machen.
Die jüdische Gemeinschaft steht uneingeschränkt zum Existenzrecht Israels. Und Israel wiederum ist ein existentieller Bestandteil jüdischen Lebens und jüdischer Identität in der Diaspora. Es ist das religiöse Zentrum des Judentums mit der Klagemauer. Es ist ein kulturelles und wissenschftliches Zentrum für die jüdische Welt. Daß es unterschiedliche Meinungen auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu Ariel Scharons Politik gibt, ist Zeichen des Pluralismus und nicht der Blindheit. Die Blindheit, die ich derzeit beklage, sehe ich eher in der nichtjüdischen deutschen Ã-ffentlichkeit und in Teilen der Medienwelt.
Sind die Juden hierzulande solidarisch genug mit Israel und zeigen sie dies ausreichend?
Friedman: Es kann immer mehr getan werden. Israel braucht momentan jegliche Unterstützung moralisch, menschlich und seelisch. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Mein Gefühl - auch nach der Reise - ist, in der jetzigen Lage ist es das Wichtigste, hinzufahren.
Kann die hiesige jüdische Gemeinschaft auch konkret politisch Einfluß nehmen auf das Engagement der Bundesregierung?
Friedman: Die Bundesregierung ist im Rahmen der Europäischen Union aber auch für sich selbst sehr engagiert und ihre Politik ist nicht zu kritisieren. Joschka Fischer ist zurecht hoch respektiert von allen Diskusisons- und Verhandlungspartnern, gerade auch von den Israelis.
Ich bin allerdings beunruhigt über die Entwicklung in der FDP. Jürgen W. Möllemanns Einfluß als Lobbyist der Deutsch-Arabischen Gesellschaft und als Geschäftsmann, der mit arabischen Ländern arbeitet, ist immer deutlicher zu spüren. Ich mache mir Sorgen, wenn ich mir vorstelle, daß diese Position in absehbarer Zukunft bundesdeutsche Regierungspolitik unter einem FDP-Außenminister werden könnte. Diese Haltung darf im politischen Deutschland nicht mehrheitsfähig werden. Ich erwarte von deutscher Nahostpolitik die Berücksichtigung der besonderen Verantwortung gegenüber Israel.
Ich bin aber auch beunruhigt über einige Politiker, die sich momentan unter dem Vorwand, man müsse das Tabu brechen können, Israel zu kritisieren, sich einseitig positionieren - übrigens: Ich habe von diesem Tabu noch nie etwas gemerkt, selbst in den sechziger Jahren gab es eine deutliche antizionistische Bewegung auch in Deutschland.
Welche Erwartungen haben die Menschen in Israel an die jüdische Gemeinschaft in Deutschland?
Friedman: Da zu sein und zu verstehen, wie schwierig die Situation ist.
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