<font size="4">Aus Japans Fehlern lernen </font>
Von Fredmund Malik
Das einstige Musterland der Manager versinkt in einem deflationären Morast.
Schuld daran ist der Verlust eherner Tugenden und wirtschaftlicher Grundprinzipien.
Vor zwölf Jahren, am letzten Handelstag des Jahres 1989, begann das Ende des japanischen Wirtschaftswunders. Das war zunächst nicht ohne weiteres erkennbar. Die Meldungen zur Lage hätten nicht besser sein können: Man glaubte, am Beginn einer neuen Ära zu stehen; der allgemeinen Auffassung zufolge waren sowohl die Inflation besiegt als auch der Konjunkturzyklus. Meine Skepsis zu Japan und seinem Wunder ist in einem Buch des Jahres 1990 publiziert; die meisten der heutigen Kritiker haben damals als Consultants das Loblied japanischen Managements gesungen - und viele Manager haben andächtig gelauscht.
Von Japan kann und sollte man in mehrfacher Hinsicht lernen:
<ul> ~ erstens, wie man von Null zu einer wirtschaftlichen Weltmacht wird;
~ zweitens, wie man das alles wieder kaputt machen kann, in dem man eherne, wenn auch langweilige Prinzipien des Wirtschaftens aufgibt und sie dem modischen Glamour der Finanzwelt opfert;
~ drittens, wie wenig man noch tun kann, wenn man so gewirtschaftet hat
~ und viertens, dass man nicht auf Gurus, New Paradigm-Apostel und Wunderrezeptverkäufer hören darf.</ul>
Japan spielt ein Deflationsszenario fast lehrbuchhaft vor - die Entstehung der Deflationsursachen ebenso wie die Abwicklung einer Deflation.
Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit
In der ersten Phase entstanden die soliden, weil aus harter Arbeit und robusten
Strategien resultierenden, realwirtschaftlichen Nachkriegserfolge, die Japan zur erst ignorierten, dann belächelten und zuletzt gefürchteten Weltmarktkonkurrenz machten. Die Ursachen des Erfolges waren einfach und leicht erkennbar, außer für jene, die vor lauter fernöstlicher Infantil-Mystik die wirtschaftlichen Tatsachen nicht sehen konnten:
<ul> ~ lange Arbeitszeiten,
~ kompromisslose Kundenorientierung,
~ Maximierung der Marktstellung,
~ hohe Ersparnisse für produktive Investitionen und niedrige Zinsen.</ul>
Anders hätten die Japaner aus dem Debakel der totalen Kriegszerstörung gar nicht
herauskommen können.
In der zweiten Phase wurde die Realwirtschaft zuerst ergänzt und dann verdrängt durch die Geldwirtschaft. Mittel wurden zu Zwecken - Kredit um des Kredites willen; Akquisition um der Akquisition willen; Sparen nicht für Investition, sondern für Spekulation.
Dazu kamen außerwirtschaftliche Zwecke: Größen, Werte, Summen - immer alles im Superlativ - für die Ego-Trips imperialistischer Manager und Politiker. Immer bestaunt, heroisiert, mystifiziert und als vorbildlich dargestellt durch eine wachsende Zahl serviler, westlicher Hofberichterstatter, abgesegnet durch wallfahrende Manager aus dem Westen - und endend in der zweitgrößten Casino-Wirtschaft der Geschichte.
Bewertungsexzesse, Hyperspekulation in Aktien, Immobilien, Kunst und was man sonst noch traden kann, scheinbar endlose Bull-Markets - in Wahrheit war alles nichts anderes als eine auf dem Kopf stehende Pyramide fauler Kredite, die unvermeidbar selbst die beste Realwirtschaft in den Strudel der Deflation reißt.
Zwölf Jahre Deflation
Der Anfang vom Ende und die dritte Phase begann - ohne Vorwarnung, unspektakulär, scheinbar ohne Ursache und daher völlig unbemerkt und bis heute nicht richtig interpretiert - am 30. Dezember 1989 bei einem Nikkei-Stand von rund 39.000 Punkten, die selbstredend nur als Vorstufe für Nikkei 40.000, 60.000 und 100.000 angesehen wurden. Die Börsenkapitalisierung Tokios war größer als die in London und New York.
In Wahrheit war es der Beginn der Talfahrt. Was danach kam, wurde interpretiert als"milde Korrekturen...,"gesunde Verschnaufpausen...","die letzten günstigen Kaufgelegenheiten...","ein Markt für langfristig denkende Investoren...","retirer pour mieux sauter...","sit and wait...".
Wie lange kann man sitzen und warten, wenn man bei Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 30, 50 und 70 zwar gekauft ("it's a new economy"), aber nicht bezahlt ("it's a new paradigm"), sondern per Kredit finanziert hatte?
Heute ist die japanische Wirtschaft noch immer in größten Schwierigkeiten und versinkt, egal welchen Maßstab man nimmt, in einem deflationären Morast. Der Staat hat schon bisher - das ist japanische Tradition - getan, was er konnte, und das war nicht wenig. Damit konnte zwar bisher ein Kollaps verhindert werden, die Probleme wurden aber nicht gelöst.
Inzwischen werden die Gelder der staatlichen Pensionsversicherung eingesetzt, um die Finanzinstitutionen zu retten. Noch vor wenigen Jahren fanden sich unter den zehn weltgrößten Banken acht japanische; heute sind es noch zwei, und ob sie überleben werden ist fraglich, denn sie haben vor allem faule Kredite in ihren Bilanzen.
Nikkei bei 4000?
Die stillen Reserven, für welche die Japaner weltberühmt waren und mit denen sie nach gängiger Meinung allem Unbill trotzen konnten, sind weitgehend aufgebraucht. Sobald die momentane Erholung der Börse zu Ende geht, werden sie vollständig aufgezehrt.
Die letzten Reserven der Japaner sind ihre über Jahre aufgestockten Bestände an
US-Staatspapieren. Sie sind die Schneewechten über den Lawinenhängen der US-Treasury-Märkte.
Japan hat noch weitere und in manchen Gebieten überhaupt erstmals Maßnahmen zu
ergreifen, bis man vom Einsetzen einer nachhaltigen Gesundung ausgehen kann. Bevor der Nikkei auf einen Stand von 4000 oder 5000 Punkten gesunken ist, dürfte die Sache kaum ausgestanden sein.
Und was tun heute eigentlich die Autoren der Erfolgsbücher über japanisches Managen und Wirtschaften? Sie schreiben Erfolgsbücher über amerikanisches Managen und Wirtschaften. Genauso falsch, aber man liest sie und glaubt ihnen, genauso naiv.
http://www.manager-magazin.de/koepfe/mzsg/0,2828,191329,00.html
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Danke, Cosa, für diesen hervorragenden Artikel von einem der ganz wenigen Durch- und Klarblicker: Prof. Malik. Es lohnt sich, auch den dort folgenden Artikel über den Link vom japanischen McKinsey-Berater zu lesen.
Hier noch ein paar Anmerkungen von mir:
Japan, Japan, wie geht's weiter - es hat soviele Leute gegeben, die sich"in der Zeitachse" verschätzt haben. Und auch ich muss sagen, dass ich an einem Punkt bin, wo ich 'Japan' nicht mehr verstehen kann. Das, was dort jährlich, monatlich, täglich von Staatsseite an neuen Schulden produziert wird, ist schier unfassbar. Und allein der im Verhältnis zum Staat kleine, ja winzige, japanische Bankensektor braucht Milliarden über Millarden, um durchzukommen. Es muss (!) große Konkurse geben, aber wann kommen die nächsten ganz großen 'Dinger'? Was passiert, wenn ich als Privater jeden Tag ein paar tausend Euro Schulden machen könnte, ohne dass ich zurückleisten muss? Es passiert so lange nix, wie die Forderungsinhaber ihre Forderungen gegen mich nicht definitiv abschreiben. Wenn sie sie denn dann abschreiben, dann bedeutet es deren Pleite. Also lassen sie's bleiben bzw. nehmen es nur in begrenzten Umfang vor, bis sie dazu gezwungen werden. Und dann? Dann schreiben sie ab und gehen reihenweise in den Konkurs. Das sind nochmals mehr und mehr Arbeitslose... Aber dann ist da ja immer noch"Der Staat" (das Monster). Das Spiel geht u.U. solange, bis alles, aber auch wirklich alles staatlich ist - und nicht nur läppische 70% wie heute (mit wenigen Ausnahmen ist dies weltweit so, es gibt so gut wie keine freien, kapitalistischen Märkte mehr).
Der McKinsey-Berater schreibt im MM über einen 'jahrhundertelangen Abstieg' Spaniens... und wie sieht das heute mit Japan aus? Für die ersten 78% Abstieg des Nikkei hat es 12 Jahre gebraucht - wie lange wird es für die nächsten 78% dauern? Merke: Jede Aktie, jeder Index kann x-mal 90% verlieren: Von 40.000 auf 4000 auf 400 auf 40 auf 4... alle die, die auf einen schnellen und weltweiten crash hoffen mit anschließndem"Neustart" werden möglicherweise enttäuscht:"Sideways forever" mit Abwärtstendenz ist mglw. die Richtung, an die wir uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gewöhnen dürfen. S. Japan.
Wenn wir großes Glück haben, dann gibt's einen crash und ein paar harte Jahre. Wenn wir Pech haben, wird's ein Abstieg, dessen Ende keiner von uns hier im Forum mehr erlebt.
Ganz, ganz herzlichen Gruß in die Hansestadt,
Tobias
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