das ist tatsächlich scharfsinnig: Kluge können sich dumm stellen - umgekehrt funktioniert das nicht. Oder so ähnlich.
Das habe ich mal vor über einem Jahr aufgegabelt und möchte es mal zum Besten geben - es erscheint immer noch aktuell: Es ist aus der"DIE WELT"
Innenansichten eines Kleinanlegers
T-Aktie als Einstiegsdroge
Eine Polemik Von Matthias Iken
- Verflucht sei der November 1996 - der Monat, in dem alles anfing. Bis dahin konnten wir den Börsencrash als Zuschauer von der Wohnzimmercouch verfolgen. Unsere Welt war klein, aber übersichtlich. Börse reimte sich auf"böse", und wenn wie 1987 die Märkte erzitterten, lehnten wir uns mit einer Prise Sozialneid und Selbstgerechtigkeit gemütlich zurück. Selber schuld, dachten wir uns. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Und zufrieden spielten wir mit unseren Sparstrümpfen und verlängerten unsere Sparbriefe. Doch dann kam der unselige 26. November 1996 - der Tag, der alles verändern sollte. Theo Waigel ist Schuld, Ron Sommer oder Manfred Krug, irgendeiner, nur wir nicht. Denn die Deutsche Telekom ging an die Börse - und irgendwie sind wir mit hineingeschlittert.
Landauf, landab wurde von Bankschaltern, Plakatwänden und in Werbespots zur Zeichnung der Aktien geraten. Wer etwas auf sich hielt, gönnte sich also 100 dieser seltsamen Stücke, die sie T-Aktien getauft hatten. Wäre es schief gegangen - wir hätten uns nicht gewundert, hätten mit den Achseln gezuckt, die Banken verflucht und wieder Bundesschatzbriefe gekauft. Doch leider ging es nicht schief - ganz im Gegenteil. Die T-Aktie wurde zur Einstiegsdroge für unsere Sucht.
Denn die Aktie stieg und stieg und stieg. Nie war es so einfach, Geld zu verdienen. Wann immer wir in die Zeitung blickten, die T-Aktie hatte wieder ein paar Pfennig zugelegt. Und das Spiel, das wir zunächst aus der Distanz verfolgt hatten, begann uns Spaß zu machen. Wir wollten mehr davon. Und wir bekamen mehr - im März 1997 eröffnete die Deutsche Börse den Neuen Markt, einen Rummelplatz für uns Kleinanleger. Das war genau das, was wir brauchten, denn wir mussten die Dosis erhöhen: Der drögen Standardwerte, egal ob Onkel Bayer und Tante Siemens, waren wir längst überdrüssig, wir gierten nach dem größeren Kick. Und die Spielregeln am Neuen Markt schienen denkbar einfach: Investieren und reich werden. Jedes Los ein Treffer. Wir begannen zu zeichnen, was das Zeug hielt - ohne Rücksicht auf Unternehmen, Geschäftsmodelle und Verluste.
Und wenn die Kurse in die Knie gingen, wie 1997 in der Asienkrise oder 1998 im Hedge-Funds-Fiasko, wussten wir, was zu tun ist. Wir drehten die Taschen um, schlachteten die Sparschweine der Kinder und räumten die Konten leer. Freunde, so billig werden Aktien nie wieder! Wir behielten Recht, rasch drehten die Kurse ins Plus. Wir fühlten uns als Tausendsassa, wie König Midas vor dem ersten Hunger. Das Spiel war toll, immer doller, immer schneller wurde gekauft und verkauft. Und alle mussten mitmachen - Eltern, Nachbarn und Kegelbrüder der Welt! Schaut auf diese Börse. Nie war es so leicht, reich zu werden. Die"Telebörse" wurde"Tagesschau", die"Börse-online" unsere Bibel. Zurückhaltende Zeitgenossen waren Bedenkenträger, warnende Stimmen wurden niedergepfiffen. Denn nur Spielverderber und Angsthasen blieben außen vor. Wer keine Aktien hatte, konnte auf den Partys nach Hause gehen - er war uns fremd geworden.
Zwar beschlich auch uns mitunter das Gefühl, dass alle ein wenig übertreiben - aber wir wähnten uns in Sicherheit. Sollte es zu heiß werden, würden wir halt verkaufen. Die Dummen waren immer die anderen, und der Tanz auf dem Vulkan ging weiter. Sogar die"Bild"-Zeitung appellierte an unseren Restverstand:"Deutschland taumelt im Geldrausch. Die Börse kocht, ein Lehrer fragt: Warum soll ich noch arbeiten?" Vergeblich. Wir haben nichts verstanden - und nun die Antwort bekommen. Doch alles kam noch viel brutaler, als wir uns in den schlimmsten Albträumen ausgemalt hatten. Das Unheil kam nicht mit einem lauten Knall, sondern schleichend, ganz langsam, zu harmlos, um zu reagieren. Zunächst waren wir noch froh, als die Kurse rutschten.
Wir begrüßten die taumelnden Notierungen mit Beschwörungsformeln wie"notwendige Bereinigung","klärendes Gewitter" oder"endlich wieder Schnäppchenpreise". Schlimmer noch - wir glaubten diesen Unsinn auch. Zunächst kauften wir munter hinzu, in der Gewissheit der nahenden Trendwende. Doch langsam wurde diese Gewissheit zum Zweifel, und nun dämmert uns, dass wir richtig falsch lagen.
Wir blicken auf die Trümmer unseres Depots, verzagt, frustriert, wütend. Die einen schwören der Aktie ab - bis die nächste Hausse sie rückfällig werden lässt. Andere schalten Rechtsanwälte ein und verklagen alle Unternehmen, die angeblich unser Geld geraubt haben. Und wieder andere tun gar nichts mehr. Sie ahnen, dass es nun zum Verkaufen zu spät sein könnte. Den Letzten beißen auch an der Börse die Hunde.
Die Letzten, Freunde, das sind wir.
ein gelungenes Wochenende
wünscht
A.W.
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