Baldur der Ketzer
19.05.2002, 18:31 |
Unkenrufe, Katastrophenwillies, Elfenbeintürme und kein Ruhgg durchs Land Thread gesperrt |
Hallo, zusammen,
bin mal wieder da (mit ISDN-Modem, nur 64kB, aber Spitzengeschwindigkeit, da merkt man erst, wie schlecht analoge Leitungen sein müssen trotz 56kB).
Kürzlich hatte ich wieder einmal das Vergnügen, an meiner Ex-Uni einem Vortrag lauschen zu dürfen.
Lehrstuhlübergreifendes Seminar.
Vor dem Termin mußte ich noch schnell zum Spediteur, Sendung abholen, dann zur Bank, Überweisungen tätigen, gehetzt und gerade noch rechtzeitig komme ich ins Wolkenkuckucksheim, in Gedanken damit beschäftigt, neue Absatzwege zu suchen und Liquiditätsvarianten durchzudenken.
Mit dem Durchschreiten des Portals befinde ich mich in einer anderen Welt.
Still, in sich gekehrt, fast schon weltabgewandt wie im Kloster.
Die Vorlesungsprogramme an den schwarzen Brettern erinnern an längst vergangene, bessere Zeiten, so unwirklich erscheinen mir die Themen.
Volkswirtschaftliche Lehren werden wiedergekäut, die nicht mal zum Zeitpunkt ihrer Entstehung halbwegs real waren.
Die Anschläge in den Gängen erinnern manchmal eher an eine linke Politszene-Kneipe als an eine elitäre Wirtschaftsuniversität.
Nun ja, man hat mir oft genug erklärt, daß Praktiker in der Uni nichts zu suchen haben, man müsse halt abstrahieren können......
Trotzdem - wenn ich mir vergegenwärtige, wie sehr man sich beispielsweise über den Vorrang zweier Rechtsnormen streiten kann, wie lebenswichtig und existenzbestimmend theoretische Abhandlungen sein können, die im realen Leben nun wirklich nie vorkommen, dann frage ich mich, ob nicht wir, die vorsichtigen Realmahner einen Knacks haben, und ob nicht die Schönredner und Vielschwätzer aus Presse, Politik und Lehre näher an der Wirklichkeit sind.
Da ist die Wirtschaft am Absaufen, das Geld ist knapp wie nie, eine wahnsinns Pleitewelle rollt durchs Land, und an der Uni wird über Auslegungsvarianten konkurrierender Rechtsnormen geschwafelt, wie weiland 1945, als die rote Armee gerade nach Berlin einmarschierte, der Reichsfinanzhof noch über Aktivierung von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz oder Sonderbilanzen von Kommanditisten Urteile fällte..........irreal.
Niemanden scheint zu interessieren, woher eigentlich die Kohle für das Wolkenkuckucksheim herkommen soll, wer das Geld verdienen und abdrücken soll, um es dann für diese megainteressanten Fragestellungen -investieren- zu können........
Man macht sich zwar noch hochoffizielle Gedanken, ob eine 50%-ige Abgabenquote noch zulässig sein kann oder nicht, aber die realen Probleme eines Berufstätigen scheinen dort so unendlich weit entfernt zu sein, daß ich mich frage, ob ich nicht schon an einer Ketzer-Psychose leide.
Wessen Wirklichkeitsempfinden ist nun real?
Das des Professors, der ja sein Fach (sein Steckenpferd?) vertreten möchte, der vergeistigt in höheren Sphären schwebt, unfehlbar wie der Papst über unternehmerische Dinge und meinetwegen das Maßgeblichkeitsprinzip der Handelsbilanz doziert, ohne jemals eine müde Mark selbst verdient zu haben, ohne je eine Firma von innen gesehen zu haben, oder das des Otto Normalverbrauchers, der über seine Steuern das alles tragen muß und zum Monatsletzten hin öfters Schweißausbrüche kriegt, weil er nicht weiß, wie er über die Runden kommen soll?
Der Hammer am Rande ist, daß zwar während des Seminars unglaublich abstrahierende Reden geschwungen werden, abends in kleiner Runde aber sehr wohl die wahren Probleme angesprochen und erkannt werden - ohne Eingang in die morgige Vorlesung zu finden.
Daß jetzt jeder Steuerpflichtige unter dem Generalverdacht der organisierten Kriminalität steht, scheint entweder nicht bewußt zu sein, oder verschwiegen zu werden, über so was redet man nicht, denn nicht sein kann, was nicht sein darf, bloß ruhig sein, sonst kommt man nach Sachsenhausen......
Wir haben es meiner Ansicht nach mit einer gespaltenen Wirklichkeitsbeschreibung zu tun, hier die politisch-korrekte Titanic-Kapelle, die bis zum Versinken weiterspielen muß, einem Kasperltheater für Kleinkinder und Seichtgemüter gleich, dort die menschlich einvernehmliche Sorge und den Frust über die bedrohlichen Entwicklungen, bloß, hören darf das niemand.
Die Verlogenheit gibts nicht nur in Politik und Presse, nein, sie wuchert auch in den Unis.
Wie, so frage ich mich, soll sich mal was ändern, wenn man nicht mal einen Änderungsbedarf formuliert? Drastisch formuliert? Mit Paukenschlag???
Scheinbar ist alles ganz gut so, wie es ist. Niemanden scheint es außerhalb unseres Forums- Kreises so halbwegs zu interessieren, was sich abzeichnet.
Die Firmen gehen still pleite, wenns nicht ein Holzmann ist.
Der Strom kommt ja aus der Steckdose, und die da oben können uns nicht verhungern lassen.
Dazu kommt eine riesige Portion Resignation, was soll man denn tun, es ist ja nirgends eine Alternative sichtbar.
Ach ja, der Westerwelle, macht doch eine spritzig-erfrischende Politik, hat Rückgrat, oder? Nein, wieder gefehlt, auch der hängt an der Waldi-Leine ;-(. Alle anderen sowieso.
Irgendwann ist es zu spät, ins Rettungsboot zu steigen, selbst wenn doch im Salon noch flotte Rhythmen spielen.
Warum soll ein freiheitliebender Muslim in einem Lande mit Sharia leben?
Warum soll ein freiheitlich denkender Berufstätiger in einem Rechtssystem leben und dort Steuern zahlen, wo man ihn ständig kriminalisiert?
Letztenendes kann man immer nur selber für sich Veränderungen schaffen.
Wenn es im Großen nicht anders werden mag, muß man für sich was ändern.
Ich bin unendlich froh, für mich diese Schritte eingeschlagen zu haben, und es wäre für mich unvorstellbar, wieder kleines Rädchen im verlogenen System zu werden.
Niemand wird ernstlich glauben, daß sich nach den Wahlen irgendwas in der BRD verändern wird, egal, welches Kasperl nachher seine Omme im Fernsehen präsentieren wird.
Und wieder werden bis 2006 die Zügel weiter angezogen, nichts wird sich bessern.
Wie lange noch ausharren in der Hoffnung, der beschworene Ruhgg werde schon noch kommen?
Nach meinem Empfinden ist es in keinem anderen europäischen Staat derart krass ausgeprägt wie in der BRD.
Aber auch das ist ja nichts neues.
Laßt Euch herzlich grüßen vom Baldur aus der Ketzerecke
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Reinhard
19.05.2002, 19:02
@ Baldur der Ketzer
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Re: Unkenrufe, Katastrophenwillies, Elfenbeintürme und kein Ruhgg durchs Land |
Lieber Baldur,
ich kann Dich gut verstehen, aber die Beschreibung der Probleme des Systems sind doch nun wirklich bekannt, wenngleich zB. die Franzosen noch stärker besteuert und bevormundet werden wie die Deutschen.
Was fehlt sind Lösungskonzepte und die sind theoretisch leicht zu finden.
Das Problem der Staatsverschuldung ist eine Überbeanspruchung durch seine Bürger. So wäre ein weiteres Ausufern der Neuverschuldung zu verhinden, indem man z.B die Renten linear absenkt bei gleichbleibender Höhe der Einzahlungen und die Überschüsse zur Schuldentilgung und verzinslich angelegter Fondbildung verwendet.
Weißt Du, fast jeder Bürger schimpft, aber im Grunde ist keiner bereit einen prsönlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Systems zu leisten.
Die Politik müsste den Mut haben, dem Bürger einmal eine ehrliche Rechnung aufzumachen um ihm vor allem auch für die Zukunft zu zeigen, was er überhaupt erwarten könnte.
Aber davor haben alle Angst und nicht nur die Politiker.
Deshalb geht es munter weiter bis zur nächsten Staatsreform, nur daß diese nicht so schnell kommen wird wie hier in diesem Forum oft behauptet wird.
Ich rechne noch mit mindestens 10 Jahren, bis es wirklich eng wird.
Grüße
Reinhard
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Baldur der Ketzer
19.05.2002, 19:17
@ Reinhard
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Re: Unkenrufe, Katastrophenwillies, Elfenbeintürme und kein Ruhgg durchs Land |
Lieber Reinhard,
---wenngleich zB. die Franzosen noch stärker besteuert und bevormundet werden wie die Deutschen.
das mag ja sein, die DDR war auch noch ein kleines Stückchen restriktiver, aber warum immer nach schlechteren Beispielen orientieren? Warum nicht positive Beispiele heranziehen?
>Was fehlt sind Lösungskonzepte und die sind theoretisch leicht zu finden.
>Das Problem der Staatsverschuldung ist eine Überbeanspruchung durch seine Bürger. So wäre ein weiteres Ausufern der Neuverschuldung zu verhinden, indem man z.B die Renten linear absenkt bei gleichbleibender Höhe der Einzahlungen und die Überschüsse zur Schuldentilgung und verzinslich angelegter Fondbildung verwendet.
Nein, es ist keinesfalls eine Überbeanspruchung durch die Bürger - wo denn auch?
Es ist eine Überbeanspruchung durch die herrschende Politikerkaste, die einfach die Ausgaben beschließen, was für die Bürger angeblich gut sein soll, incl. Subventionen usw.
Schau Dir mal die Ausgabe-Bereiche an und überlege Dir, wer von diesen soweit selber profitiert, daß er als Bürger dies beanspruchen würde.
Es ist die Verschwendung der Kameralistik, es ist das Bedarfsdeckungsprinzip, das uns ins Elend gezogen hat.....
Und soweit es die Renten betrifft, so wäre es zwar ein Stück mehr Ehrlichkeit, zu sagen, Leute, Renteneinzahler, eure Kohle ist futsch, ihr habt gar keinen Anspruch eingekauft, Pustekuchen, der Generationenvertrag ist nix anderes als fauler mieser Zauber, aber selbst das würde niemand glauben...
>Weißt Du, fast jeder Bürger schimpft, aber im Grunde ist keiner bereit einen prsönlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Systems zu leisten.
Ich nehme schon Kanister mit, um nicht in der BRD tanken zu müssen, damit man dort keine Steuer mehr von mir kriegt - soweit zum Thema -Aufrechterhaltung DIESES Systems-
Im übrigen frage ich mich, womit ein Durchschnittsverdiener denn noch mehr beitrag leisten soll, als er eh schon zwangsweise tun muß...
>Die Politik müsste den Mut haben, dem Bürger einmal eine ehrliche Rechnung aufzumachen um ihm vor allem auch für die Zukunft zu zeigen, was er überhaupt erwarten könnte.
Richtig, Regierungserklärung, schonungslose Bankrotterklärung, Insolvenzverwaltung. DANN wären auch Einschnitte durchsetzbar, aber es fehlt doch allen der Mut, auf die desolate Ausgangslage hinzuweisen.
>Aber davor haben alle Angst und nicht nur die Politiker.
Die Bürger haben Angst vor der Wahrheit, weil es Fragen stellt und Antworten vermissen läßt, und die Politiker haben Angst um ihren Hals....
>Deshalb geht es munter weiter bis zur nächsten Staatsreform, nur daß diese nicht so schnell kommen wird wie hier in diesem Forum oft behauptet wird.
>Ich rechne noch mit mindestens 10 Jahren, bis es wirklich eng wird.
Da gebe ich Dir leider absolut Recht, man sieht ja in Rußland, wie weit es runtergehen kann, ohne, daß es chlöpft.
Deswegen kann man nur für sich selber die Weichen stellen.
Ebenfalls herzliche Grüße vom Baldur
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Kasi
19.05.2002, 19:20
@ Reinhard
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Re: Unkenrufe, Katastrophenwillies, Elfenbeintürme und kein Ruhgg durchs Land |
Hallo Reinhard,
>Was fehlt sind Lösungskonzepte und die sind theoretisch leicht zu finden.
Diesen Satz finde ich interessant, denn meist hört man eben doch das Gegenteil. Ich habe gerade wieder längere Gespräche zu den heutigen problemen hinter mir und angesichts der nun doch schon weiter kursierenden Meldungen über die desolate lage des U.S. Haushalts scheinen immer mehr Leute anzufangen nachzudenken, wie es auch hier weitergehen kann.
Mir fällt auf, daß in letzter zeit auffallend viel über die Gehälter und Leistungen deutscher Manager im Verhältnis zu tausenden von gestrichenen Jobs geschrieben wird, anstatt nur auf Arbeitslose, Rentner und Ausländer einzuprügeln.
Ich frage mich immer noch, wo der richtige Ansatz ist, um noch zu retten, was zu retten ist. Wo setzt man an und wie erzieht man die Politiker dazu, keine kurzfristige Politik zu betreiben, sondern langfristige Lösungen zu entwickeln?
Wieso kann man den Menschen nicht klarmachen, daß kurzfristige Geldgeschenke nur Almosen sind, die zu Lasten des ganzen Systems und zukünftiger Generationen gehen? Wenn man mal klar hören würde, wie was bezahlt wird wäre das schon ein Schritt aber man wird in allen Bereichen nur von einer unglaublichen Intransparenz erschlagen. Die gilt es abzubauen, aber wie?? Die Super-Reformen der FDP wären doch schon fein, nur was soll draus werden? Wo liegt eigentlich die Verbindlichkeit eines Wahlprogrammes?? Wer übernimmt eigentlich heute die Verantwortung für die er sich fürstlich entlohnen läßt?
Weiß jemand hier, was das Kreuz auf dem Wahlzettel rechtlich überhaupt bedeutet? Hat es irgendeine Bedeutung? Auf jeden Fernseher gibt es 12Monate Garantie, warum nicht auf Wahlprogramme??
Und wie können die Deutschen das Parteirecht verändern, wenn diejenigen es ändern müssen, die davon profitieren? Vielleicht sehe ich es eindimensional, aber Beamtentum und Politik, die keine Verantwortung übernehmen sind das Hauptproblem, das behoben werden muß um die Gesellschaft wieder zu mehr Selbstverantwortung zu erziehen?!?
Kasi
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Baldur der Ketzer
19.05.2002, 19:35
@ Kasi
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wie könnte eine echte Reform aussehen? |
Hallo, Kasi,
fehlende Verantwortung ist das Problem.
Ein Abgeordneter ist nicht haftbar zu machen, ebenso wenig ein Verwaltungsbeamter, der Mittelverwendungspläne erstellt.
In der Privatwirtschaft ist jeder (ausgenommen, die AR/VR-Problematik) für alles verantwortlich, ein Geschäftsführer für den Laden, ein Arbeitnehmer für seine Tätigkeit, ein Unternehmer für alles und nochmals alles, Haftung, wohin man sieht, sogar ohne Verschuldung, was auch nicht mehr normal ist.
Nehmen wir ein Beispiel: in der Ostschweiz gibt es durchaus Ämterverquickungen, die es in der BRD nie gegeben hätte, aber sie sind enorm erfolgreich.
Der Finanzminister von AI (Appenzell-Innerrhoden) war mal vormittags Kantonsangestellter, nachmittags Unternehmensberater und Steuerberater.
Mit super Erfolg.
Der Landamman von AR, also, der Regierungspräsident, ebenfalls.
Super Erfolg, null probleme.
Nehmen wir die Schweiz mit ihrer Milizarmee.
Ein Kommandant ist auch im Zivilleben meistens eine Führungskraft, statt bloß die nötigen Jahre abgebummelt zu haben, unabhängig von jeder Befähigung.
Deswegen gibt es eine große Akzeptanz, jeder muß parallel im Zivilleben beweisen, daß es was kann, auch wenn er nicht am Beamtentropf hängt.
Das fehlt halt in den großen europäischen Ländern.
Die großen Industriekonglomerate haben mit freiem Unternehmertum eh nichts mehr zu tun, ebensowenig wie die Schrempps, Dickmaulrüss, äh, Koppers und Breuers, und wie sie alle heißen.
Politik muß zum nebenberuflichen Ehrenamt werden, es gehört eine Haftung für Fehlleistungen her, erst dann klappt auch wieder mit den Zukunftsaussichten.
Nur, das sind Illusionen, wenn wir ehrlich sind, der Zug der Zeit geht in die andere Richtung.
beste Grüße vom Baldur
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JeFra
19.05.2002, 21:18
@ Baldur der Ketzer
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Re: Unkenrufe, Katastrophenwillies, Elfenbeintürme und kein Ruhgg durchs Land |
Ich bin unendlich froh, für mich diese Schritte eingeschlagen zu haben, und es wäre für mich unvorstellbar, wieder kleines Rädchen im verlogenen System zu werden.
Wie stellen Sie sich eigentlich Ihr Leben in der Alpenfestung nach dem Tag X vor? Irgendwies muss das ja mal ein bettelarmes Land gewesen sein (das haben Sie, wenn ich mich recht erinnere, selber einmal geschrieben). Warum sollte dieser Zustand nicht nach dem Zusammebruch des jetzigen Wirtschaftssystemes wiederkehren, zumal wenn es dann allen dreckig geht? Glauben Sie, dass Sie auch dann noch dort wohlgelitten sein werden?
MfG
JeFra
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wasil
19.05.2002, 22:08
@ Baldur der Ketzer
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Re: Unkenrufe, Katastrophenwillies, Elfenbeintürme und kein Ruhgg durchs Land |
Baldur in Hochform wie immer. Dem gibts nichts beizufügen
Gruss Wasil
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JeFra
19.05.2002, 22:26
@ Baldur der Ketzer
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Re: wie könnte eine echte Reform aussehen? |
es gehört eine Haftung für Fehlleistungen her
Damit waere ich sehr vorsichtig. Es gibt bei uns so schon genug Moeglichkeiten, jemanden zu verklagen, wenn seine Meinung nicht in den herrschenden Mainstream passt. Dass man eine Haftung fuer 'Fehlleistungen' bei uns einfuehrt (selbstverstaendlich als Waffe des Establishments gegen Abweichler in den eigenen Reihen) kann ich mir sehr gut vorstellen.
Eines der Beispiele fuer eine Zeit, in der es tatsaechlich relativ leicht war, Politiker fuer ihre 'Fehlleistungen' zur Verantwortung zu ziehen, ist nicht gerade verlockend: Waehrend der franzoesischen Revolution wurde erst der Koenig fuer seine Fehlleistungen zur Verantwortung gezogen, dann die Girondisten, dann die Gruppe um Danton, dann Robespierre. Ein gewisses Mass an Narrenfreiheit fuer die Politiker scheint eben der Preis dafuer zu sein, dass die Auswechslung der Staatsspitze mit anderen Methoden erfolgen kann als zur Zeit der franzoesischen Revolution. Deshalb bin ich nur dann (in diesem Fall aber radikal und ohne jedes Erbarmen) fuer die Haftbarmachung von Politikern, wenn diese die normalen demokratischen Entscheidungsmechanismen blockieren. Der Nachweis muesste natuerlich erbracht werden. Ein sicheres Indiz in diese Richtung ist aber das Eintreten dafuer, dass gewisse Probleme nicht zum Wahlkampfthema gemacht werden.
MfG
JeFra
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Kasi
19.05.2002, 23:23
@ Baldur der Ketzer
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Re: wie könnte eine echte Reform aussehen? |
Hallo Baldur,
ich denke nicht, daß man soweit gehen muß, Politik zur ehrenamtlichen Tätigkeit zu machen. Wieso sollte es nicht so sein, wie immer gesagt wird... die hohe Verantwortung wird auch entsprechend entlohnt. Kein Problem... auch in der Wirtschaft nicht. Mein Problem ist eben die Verlogenheit, dem Volk einerseits zu erzählen, daß man noch viel zu wenig verdient, weil die Verantwortung so enorm hoch ist aber andererseits weniger Verantwortung trägt als jeder Angestellte, der seinen Job behalten muß, um seine Familie halbwegs durchzufüttern.
Unsere Manager sind da ja top drin... immer auf Amerika schielen... da verdienen die noch mehr. Was sind schon 5-11 Mio. für die Verantwortung. Scheiße gebaut, ab in den nächsten Vorstand und noch eine Abfindung reinschieben. Wo zum Teufel ist denn die Verantwortung?? Die sind ja nicht mal haftbar, wenn Insiderhandel vorliegt.
Kommst du aus der Schweiz? Nur so gefragt, weil du so viele Beispiele daher angeführt hast.
>Nur, das sind Illusionen, wenn wir ehrlich sind, der Zug der Zeit geht in die andere Richtung.
Wie meinst du das denn?? Meinst du nicht, daß es momentan eher wieder den Rückwärtsgang einnimmt, nachdem wir die Börsenhochs und Hochs der Verantwortungslosigkeit gesehen haben?? Ich bin da eher positiv gestimmt... nur wie gesagt wo ist der Punkt um anzusetzen?? Wie kann man das Parteiengesetz ändern und wie tief stecken wir wirklich schon im Dreck?
Kasi
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Baldur der Ketzer
20.05.2002, 18:30
@ JeFra
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Re: Unterschied zwischen Hochsteuerstaaten und Kleinstaaten |
>Wie stellen Sie sich eigentlich Ihr Leben in der Alpenfestung nach dem Tag X vor? Irgendwies muss das ja mal ein bettelarmes Land gewesen sein (das haben Sie, wenn ich mich recht erinnere, selber einmal geschrieben). Warum sollte dieser Zustand nicht nach dem Zusammebruch des jetzigen Wirtschaftssystemes wiederkehren, zumal wenn es dann allen dreckig geht? Glauben Sie, dass Sie auch dann noch dort wohlgelitten sein werden?
Hallo, JeFra,
in der Tat war Liechtenstein in der Zwischenkriegszeit ein bitterarmes (Auswanderungs-) Land, und ich kenne einen Fall, wonach der Opa buchstäblich wildern gehen mußte, um seine Familie durchbringen zu können.
Seitdem weltweit die Gewinne wegbrechen, werden Optimierungsstrategien weniger lukrativ, und der Finanzdienstleistungssektor verliert zwangsläufig an Bedeutung.
Im Umkehrschluß bedeutet dies den Zwang, sich auf traditionelle Wirtschaftsbereiche zurückzubesinnen, das ansässige Gewerbe zu fördern, was immer sinnvoll ist.
Wenn die Steueraufkommen sinken, heißt es umso mehr, zusammenzustehen, und auch vergleichsweise geringe Steuerbeiträge pro Mann werden dann wieder geschätzt.
Insofern wird die Situation eher besser als schlechter, denn man nimmt ja durch seine Aktivität niemandem etwas weg, sondern bringt seinen kleinen Zusatzbeitrag zum Ganzen, Restaurantbesuche, Einkäufe, Mieten, Steuerberatungskosten etc.
In den Boomzeiten geraten diese Beiträge eines jeden Einzelnen gerne in den Hintergrund, man neigt vielleicht dazu, sie geringzuschätzen.
Das ist in Zeiten, in denen es klemmt, nicht der Fall.
nebenbei ist Ihre Frage aber bezeichnend für die Situation:
in den Hochsteuerländern kann man sich nicht vorstellen, daß die geschundenen Steuerzahler mal die Schnauze vollkriegen und sich auf jeweils gangbare Weise verweigern.
Das kommt in der Kalkulation nicht vor.
Der einzelne Bürger, sein Beitrag, ist ein Fliegenfurz in der Statistik, auf den man locker verzichten kann.
Ist die Bevölkerung aber gering und damit auch das nationale Rechenwerk, wird deutlich, wie wichtig die Motivation eines jeden einzelnen ist, wie sich eine Volkswirtschaft aus den kleinen Beiträgen eines jeden Bürgers zusammensetzt.
Ich zahle landesübliche Steuern und koste dem Gastland nichts, also, warum sollte man mich anfeinden?.
Die Übersichtlichkeit sorgt m.E. für mehr Vernunft und sollte dafür sorgen, daß auch in Zukunft eine gedeihliche Entwicklung in den klassischen Oasenländern stattfinden kann.
Die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland sind zwar unzweifelhaft hilfreich, aber deswegen ist noch immer der Großteil der Volkswirtschaft -herkömmlich- geprägt, auch, wenn dies dem negativ-Klischee der Wüstenstaaten nicht entspricht.
Selbst, wenn es wirtschaftlich und steuerlich keinen Unterschied mehr gäbe zwischen dem Fürstentum und den Hochsteuerländern, so wäre es noch immer ein Vorteil, von hier aus tätig zu sein, weil die respektvolle Gesinnung und die wirtschaftsfreundliche Handhabung ein unschätzbarer Standortvorteil bleiben.
Beste Grüße vom Baldur
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