Hoffnung auf Amnestie für
Steuersünder
ZÜRICH, 5. Juni. Die Feiern für die Queen haben es in
dieser Woche wieder ans Licht gebracht: Ohne den Finanzplatz
London läuft so gut wie nichts auch an den Kapitalmärkten auf
dem Kontinent. Wegen der Jubiläumsfeiern in England tanzten
Londons Banker um den Buckingham-Palast, statt vor den
Computern zu sitzen. Die Handelsaktivitäten in Zürich und in
Frankfurt kamen zeitweilig fast zum Erliegen. Auch am
Geldmarkt waren zeitweilig kaum verläßliche Kurse für
kurzfristige Dollar- und Pfundanlagen zu hören. Erst nachdem
der Handel in New York am späten Dienstag nachmittag wieder
anlief, entkrampften sich die Märkte in Europa. Am Mittwoch
zeigten sich viele Händler in den Londoner Handelszentren noch
müde.
"Eine verlorene Woche" seufzten auch die Emissionsbanken,
die noch immer auf ansehnlichen Restbeständen neuer Anleihen
sitzen sollen, die bis Ende Mai emittiert worden waren. In
einigen Fällen sollen diese Papiere mit Abschlägen vom
Emissionskurs angeboten werden. Das gilt besonders für
Langläufer. Jetzt zählt man schon die Handelstage bis zum
Halbjahresultimo. Der Emissionskalender ist für Euro- und
Pfundanleihen geschrumpft. Etwas besser sieht es bei
Dollaranleihen aus, die aber überwiegend außerhalb Europas
untergebracht werden, vorausgesetzt, daß die Ratingnoten
stimmen. Die Europäer halten gegenüber Dollar-Emissionen die
Taschen zu. Sie fürchten für die nächste Zeit noch weiter
rückläufige Dollarkurse gegen Euro am Devisenmarkt.
Von der Dollar-Baisse zum Euro ist der Wechselkurs des Euro
gegen Schweizer Franken kaum tangiert worden. Anleger aus
Deutschland mit Franken-Anleihen im Portfolio, haben bisher
keine Wechselkursverluste erlitten, wenn sie ihr Vermögen in
Euro umrechnen. Vieles spricht dafür, daß sich die Schweizer
Währung auch weiter gegen Euro behaupten wird, wobei
immer wieder auf den Vertrauensvorschuß des Frankens in den
Augen von Investoren aus dem Euroraum verwiesen wird.
Neue internationale Frankenanleihen, die in der ersten
Juniwoche an den Markt kamen und deren Zinsen ohne
Steuerabzug gezahlt werden, laufen auch weiter gut.
Jetzt gibt es plötzlich auch am Finanzplatz Schweiz Gerüchte
aus Berlin. Angeblich hätten sich Steuerexperten aus den drei
großen deutschen Parteien CDU/CSU, FDP und SPD heimlich
getroffen, um über eine Steueramnestie in Deutschland nach
den Septemberwahlen nachzudenken. Die Steueramnestie in
Italien - so heißt es - habe zu den Gesprächen den Anstoß
gegeben. Es seien die hochverschuldeten Länder und die
Kommunen in Deutschland, die händeringend neue
Einnahmequellen suchten. Da alle Parteien im Wahlkampf aber
Steuererhöhungen für die nächste Zukunft ausgeschlossen
hätten, würden die Politiker jetzt über ihren Schatten springen
und sich ernsthaft auch mit der Frage der Rückführung
deutscher"Fluchtgelder" - vor allem aus der Schweiz -
beschäftigen müssen.
Zur Diskussion stehen mehr als 400 Milliarden Euro, die mit
einer Amnestie angezapft werden könnten. Die Idee, eine
solche Amnestie gleich mit der Einführung einer allgemeinen
Zins- abgeltungssteuer von vielleicht 25 Prozent in der ganzen
EU für die Zukunft zu verbinden, soll angeblich gleich nach den
Wahlen mit Brüssel ernsthaft diskutiert werden.
Vorstellbar wäre - heißt es jetzt in Schweizer Bankenkreisen -,
daß mit einer allgemeinen Zinsabgeltungssteuer in der EU auch
das heiße Eisen des Schweizer Bankgeheimnisses wesentlich
abgekühlt werden könnte. Wohlgemerkt: Das sind vorläufig
erst alles Spekulationen. Aber das finanzpolitische Gewicht der
leeren Kassen wird immer größer und drängt zu pragmatischen
Lösungen.
Erste schüchterne Bewegungen gibt es jetzt auch in der Frage
der eingefrorenen argentinischen Devisenschulden. Schon in
der nächsten Woche will der Internationale Währungsfonds
eine Delegation nach Buenos Aires schicken, um auszuloten, ob
es Grundlagen für mögliche neue Kredite an das
krisengeschüttelte Land geben könnte. Der Währungsfonds
sagt, es würde jetzt ausreichende Fortschritte zur Vorbereitung
von Schuldenverhandlungen geben. An den Märkten hat sofort
die Spekulation darüber begonnen, was bei solchen
Verhandlungen wohl auch für die Gläubiger internationaler
Devisenanleihen Argentiniens abfallen könnte. Die Geldkurse
für Argentinien-Anleihen auf Euro-Basis haben sich oberhalb
von 20 Prozent der Nennwerte eingependelt. Verschiedentlich
sollen diese Woche schon bis 25 Prozent gezahlt worden sein.
Gewarnt wird in der Schweiz zwar vor allzu großem
Optimismus. Aber das Eis scheint gebrochen zu sein für
realistische Lösungen des Schuldenproblems, meinen jetzt die
Händler.
HEINZ BRESTEL
Quelle: FAZ vom 6.6.2002, Seite 27
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