auch aus der WELT am SONNTAG
Wirtschaft rauf - Aktien runter
Paradox: Hervorragenden Konjunkturdaten stehen abwärts gerichtete Aktienmärkte gegenüber. Experten suchen die Ursachen in der brisanten politischen Lage
Frankfurt fhs - Er hat es geschafft. Der Dax ist nach fast einem halben Jahr endlich aus seiner Handelsspanne zwischen 4800 und 5200 Punkten ausgebrochen. Allerdings nach unten... Am Freitagabend endete er bei traurigen 4610 Punkten und auch der Dow Jones fiel bis auf 9590 Zähler.
Das Paradoxe daran: Gleichzeitig werden auf beiden Seiten des Atlantiks hervorragende Wirtschaftsdaten veröffentlicht. Die US-Wirtschaft wuchs im ersten Quartal so stark wie seit 19 Jahren nicht mehr. Der Einkaufsmanagerindex war am vergangenen Montag stärker gestiegen als erwartet. Am Mittwoch zeigte sich, dass der amerikanische Dienstleistungssektor im Mai stärker gewachsen ist als prognostiziert. Und auch in Deutschland war Positives zu vermelden: Die Auftragseingänge zogen im April stark an, vor allem die Aufträge aus dem Inland.
Warum also geht es an den Aktienmärkten nicht bergauf?"Das ist kein normaler Wirtschaftszyklus", sagt David Kotok von dem amerikanischen Anlageberater Cumberland, um dann provokativ anzufügen:"Es ist Krieg."
Kotok vergleicht die gegenwärtige Wirtschaftslage mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs und kommt zu erstaunlichen Parallelen."Im Zweiten Weltkrieg veränderte sich der amerikanische Haushalt von einem Überschuss von drei Prozent des Bruttosozialprodukts im Jahre 1941 zu einem Defizit von einem Prozent 1942", erzählt Kotok. Genau die gleichen Zahlen gelten nun für die Jahre 2001 und 2002. Er nennt eine Reihe weiterer Ähnlichkeiten: niedrige Zinsen, volatile Märkte, explodierende Ausgaben für die Sicherheit. Getrieben werde die Entwicklung von wachsenden Defiziten und einer entsprechenden Geldpolitik."In ungefähr einem Jahr werden wir die Resultate in einer wachsenden Inflation sehen", prophezeit er.
Wenn dieser Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg auch vielen zu weit gehen mag: Die Politik sorgt nach wie vor für große Unsicherheiten an den Märkten. Ob Afghanistan, Naher Osten oder Indien und Pakistan - in einem solchen Umfeld können die Aktienkurse nicht gedeihen, trotz der guten Konjunkturdaten.
Verstärkt wird die Unsicherheit durch den Vertrauensverlust in den US-Aktienmarkt. Bislang gibt es dort zudem wenig Anstrengungen, dieses Vertrauen durch Reformen wieder herzustellen. Anders in Europa: Hier erklärte der Europäische Gerichtshof in der vergangenen Woche"Goldene Aktien", mit denen Staaten sich ihre Mehrheit bei bestimmten Konzernen sichern, für unzulässig. Nun könnten vielleicht sogar bald Unternehmen wie VW ins Visier von Aufkäufern geraten. Jedenfalls ergeben sich neue Chancen für Umstrukturierungen in der europäischen Konzernlandschaft.
Nichts verändert hat dagegen in der vergangenen Woche Wim Duisenberg. Die Europäische Zentralbank entschied sich gegen eine Anhebung des Leitzinssatzes. Duisenberg zeigte sich zwar weiterhin besorgt über Inflationsgefahren. Man brauche aber noch mehr Zeit und Daten, um eine Entscheidung über eine Zinsanhebung zu treffen.
Daten allerdings bekommt er schon am kommenden Donnerstag geliefert. Im Monatsbericht der EZB dürften die Inflationserwartungen nach oben revidiert werden. Christel Rendu de Lint von Morgan Stanley rechnet daher damit, dass die EZB schon bei der nächsten Sitzung am 4. Juli den Zinssatz um 0,25 Prozentpunkte anhebt."Weitere Hinweise auf eine wirtschaftliche Erholung, eine beständig wachsende Geldmenge M3, oder zusätzliche hohe Lohnabschlüsse in den nächsten Monaten dürften ausreichen, um die EZB die Zügel anziehen zu lassen."
Von diesem Schritt abhalten könnte Duisenberg jedoch der stärkere Euro. Der Anstieg des Eurokurses in den vergangenen Wochen entsprach in seiner Wirkung bereits einer Zinserhöhung um etwa 0,25 Prozentpunkte. Am Freitag schrammte der Euro nur knapp an der Marke von 0,95 US-Cent vorbei und erreichte damit den höchsten Stand seit sechzehn Monaten.
Von der Eurostärke profitieren die Rentenmärkte. Ihnen kommt außerdem die schlechte Stimmung an den Aktienmärkten zugute. Zumindest hier dürfte daher auch in der kommenden Woche die Tendenz"freundlich" lauten.
Von Unternehmensseite sind dagegen in den kommenden Tagen wenig Neuigkeiten zu erwarten. Nur Nokia und Axa werden Zahlen präsentieren. Die Experten von WestLB Panmure glauben zwar, dass Nokia seine Ziele bestätigen wird, allerdings erwarten sie einen leicht negativen Ausblick. Sinkende Margen und ein abnehmender Marktanteil belasten das Unternehmen. Auch von dieser Seite dürfte es in der kommenden Woche keine positiven Impulse für die darbenden Aktienmärkte geben.
<center>
<HR>
</center> |