Bär
21.06.2002, 12:36 |
Spieltheorie Thread gesperrt |
Spieltheorie sagt viel über menschliche Verhaltensweisen aus, wie sie auch an der Börse repräsentiert werden. Ein erster interessanter Artikel, weitere werden folgen.
Verlierer wollen Rache um jeden Preis
Wie unbeliebt Gewinner wirklich sind, haben britische Ã-konomen mit einem Finanzspiel demonstriert. Die meisten Teilnehmer wollten Rache - koste es, was es wolle.
Neid frisst seinen eigenen Herrn, sagt der Volksmund. Der Herr aber nimmt das gern in Kauf, wie Ã-konomen der Universitäten von Warwick und Oxford jetzt herausfanden. Andrew Oswald und Daniel Zizzo führten ein Experiment durch, dessen Teilnehmer echtes Geld gewinnen und die Einkünfte der Konkurrenten anonym vernichten konnten - Letzteres allerdings nur auf eigene Kosten.
Zur Überraschung der Forscher verhielten sich die Kandidaten alles andere als vernünftig: 62 Prozent von ihnen"verbrannten" das Geld anderer Leute. Der Schaden für die simulierte Volkswirtschaft war immens: Insgesamt, so die Wissenschaftler, ging etwa die Hälfte aller Verdienste durch den Kamin.
Die Teilnehmer blieben während des Experiments anonym und saßen voneinander getrennt an Computermonitoren, auf denen sie das eigene Abschneiden und das der Konkurrenten beobachteten. In der ersten Phase wurde den Kandidaten Geld zugelost: in der Regel zehn Pfund, manchmal aber deutlich mehr, so dass der Reichtum ungleich verteilt war. In der letzten Phase konnten die Teilnehmer die Gewinne der anderen vernichten, allerdings auf immer größere eigene Kosten. Am Ende mussten sie 25 Pence zahlen, um ein Pfund des Gegners zu tilgen.
Die Forscher hatten, wie sie in den"Annales d'Economie et de Statistiques" berichten, nur mit mäßiger Geldvernichtung gerechnet und erwartet, dass sie bei einem Preis von 25 Pence vollständig zum Erliegen kommt. Doch die Missgunst der Teilnehmer sei stärker als ihre Vernunft gewesen: Selbst der hohe Preis habe die Zerstörung fremder Gewinne nicht stoppen können."Die meisten Individuen wollten anderen weiterhin Schaden zufügen, ungeachtet der großen Verluste für sich selbst", so die Forscher.
Sie fanden außerdem heraus, dass die Glücklichen, denen in der ersten Phase das meiste Geld geschenkt wurde, reiche und arme Konkurrenten gleich stark schädigten. Die benachteiligten Kandidaten aber knöpften sich in erster Linie diejenigen vor, die ihrer Meinung nach unverdient Gewinne gemacht hatten.
"Unser Experiment hat die dunkle Seite der menschlichen Natur gemessen", lautet das Fazit der Wissenschaftler.
Spiegel online
<center>
<HR>
</center> |
JLL
21.06.2002, 12:55
@ Bär
|
Re: Hochinteressanter Artikel. Hast Du die genaue Quelle? (owT) |
<center>
<HR>
</center>
|
tas
21.06.2002, 13:21
@ Bär
|
Re: Spieltheorie |
... dachte schon, wir sind alle gutmenschen mit eingebauter tötungshemmung:-)
... eine zweite praktische untersuchung gab es kürzlich dazu u.a. in deutschland. hier wurde untersucht, wie privatanleger aggressiv das eigene kapital vernichten, indem sie aus gier blindlings selbsternannten gurus folgen...:-)
aber im ernst, diese untersuchungen sind auch für anleger interessant, insofern, daß verhaltensstrukturen offengelegt werden, die allgemein unbewußt befolgt anlage-entscheidungen beeinflussen. der"rational investor" hat sich als modell jedenfalls nicht durchgesetzt. ähnliche erkenntnisse findet man in literatur oder www unter"behavioral finance". liest sich außerdem recht lustig, wie durch emotionale fehlbewertung in kombination mit uralten instinkten immer wieder krasse fehlbewertungen und -verhalten entstehen. erfolg am markt hat ergo sehr viel mit selbsterkenntnis und"bewußtsein" zu tun:-)
(und wenig mit schuldzuweisungen und zetern über die ehemaligen gurus...)
grüße, tas
<center>
<HR>
</center> |
silvereagle
21.06.2002, 15:06
@ Bär
|
Re: Spieltheorie / Vorsicht vor falschen Schlüssen mL |
Über dieses"Experiment" wurde schon vor einiger Zeit bei den Systemfehlern ausgiebig diskutiert. Ich persönlich halte wenig von der Chose, zumal schon ein ganz wesentlicher Punkt der Versuchsanordnung sehr zweifelhaft ist: Ich käme nie auf die Idee, jemandem für den Einsatz EINES Teils eine HUNDERT PROZENT - Chance auf Vernichtung von VIER Teilen (!!) des Gegners zu geben.
Bei einer solchen Versuchsanordnung sollte wohl von vornherein ein gewünschtes Ergebnis herauskommen: Homo hominis lupus est.
Gruß, silvereagle
<ul> ~ Hierzu ein interessanter Thread...</ul>
<center>
<HR>
</center> |
Rumpelstilzchen
21.06.2002, 16:14
@ Bär
|
Re: Spieltheorie |
Insbesondere der Goldmarkt ist eine Fundgrube für Spieltheoretiker. Habe mir schon lange vorgenommen, einige in meinen Augen wichtige Aspekte zusammenzutragen.
Die wichtigsten Ansätze lassen sich wiederfinden: das Gefangenendilemma (in zwei Varianten), das Spiel mit der abschüssigen Bahn, das brinkmanship, der tolerierte Betrug großer Spieler durch kleiner Spieler wären die wichtigsten Stichworte.
Wenn ich mal Zeit gefunden habe, stell ich hier mal paar Überlegungen rein.
Grüße
R.
<center>
<HR>
</center> |
Hirscherl
21.06.2002, 16:21
@ Bär
|
Re: der in der Wirtschaftswissenschaft untersuchte homo oeconomicus... |
... ist eine reine Fiktion aus dem Elfenbeinturm. Wirtschaftswissenschaftler bemühen den homo oeconomicus ja gerne, um zu erklären wie die"unsichtbare Hand" des Marktes funktioniert, wie Konsumenten zwischen A und B wählen etc.
Eine Annahme hinter dem homo oeconomicus ist ja: Menschen (Konsumenten) handeln so, daß sie auf lange Sicht ihren eigenen Vorteil suchen, also z.B. die Ausgaben für ein und dieselbe Dienstleistung möglichst minimieren, die Einnahmen maximieren.
Dazu aus einem Artikel von Karl Sigmund (Institut für angewandte Systemanalyse, Wien), Ernst Fehr (Institut für Empirische Wirtschaftsforschung, Zürich) und Martin Nowak (Institute for Advanced Study, Princeton) im Spektrum der Wissenschaften 03/2002:
" Stellen Sie sich vor, dass ihnen jemand 100 Euro gibt - allerdings unter einer Bedingung: Sie müssen sich mit einer anderen, ihnen unbekannten Person einigen, wie sie beide die Summe untereinander aufteilen.
Die Regeln sind streng. Sie und die zweite Person befinden sich in getrennten Räumen und können nicht miteinander kommunizieren, Ein Münzwurf entscheidet, wer von ihnen vorschlägt, wie das Geld aufzuteilen ist. Angenommen, das Los trifft sie. Sie dürfen dann ein einziges Teilungsangebot machen, und die andere Person kann dem Angebot zustimmen oder ablehnen. Diese andere Person kennt ebenfalls die Regeln und die Gesamtsumme, um die es geht.
Wenn sie zustimmt, wird das Geld dem Vorschlag gemäß aufgeteilt. Lehnt sie aber ab, so bekommt keiner von ihnen etwas. In beiden Fällen ist das Spiel damit zu Ende und wird nicht wiederholt. Wie viel würden sie offerieren?
Viele Menschen bieten fünfzig Prozent der Summe, weil sie das Gefühl haben, dass diese Aufteilung"fair" ist und daher vermutlich akzeptiert wird. Risikobereitere Spieler versuchen hingegen, mit einem geringeren Angebot besser abzuschneiden.
Bevor sie sich endgültig entscheiden, können sie versuchen, sich in die Position der anderen Person zu versetzen. Diese muss eine bestimmte Geldsumme akzeptieren oder zurückweisen. Wenn das Angebot sich nur auf zehn Prozetn beläuft, würden sie dann die 10 Euro annehmen und die andere Person mit 90 Euro abziehen lassen - oder würden sie vorziehen, dass beide gar nichts bekommen? Was, wenn das Angebot nur 1 Euro beträgt? Ist das nicht besser als gar nichts?
Bedenken sie dabei stets, dass Verhandlungen oder ein Herumfeilschen durch die Versuchsanordnung ausgeschlossen sind. Ein einziger Vorschlag kommt aufs Tapet, und der kann entweder angenommen oder abgelehnt, aber nicht diskutiert werden.
Was würden sie also tun?
Vermutlich wird es sie nicht überraschen, dass zwei Drittel der Vorschläge zwischen vierzig und fünfzig Prozent leigen. Nur vier von hundert Personen bieten weniger als zwanzig Prozent. Ein so geringes Angebot ist riskant, weil es abgelehnt werden kann: Mehr als die Hälfte aller Versuchspersonen weisen Angebote zurück, die unter zwanzig Prozent liegen.
Das ist nun allerdings sonderbar: Warum sollte jemand ein Angebot als"zu gering" verwerfen? Wenn man nur daran interessiert ist, ein möglichst großes Einkommen zu erzielen, wäre doch das einzig rationale Verhalten, jedes Angebot zu akzeptieren - nach dem Motto: ein Euro ist besser als keiner. Ein eigennütziger Anbieter, der sich sicher ist, dass der andere ebenfalls sein Einkommen maximieren will, sollte daher den kleinstmöglichen Betrag vorschlagn und den Rest für sich behalten. [...]
Lange Zeit haben Wirtschaftstheoretiker ein Retortenwesen namens homo oeconomicus zur Grundlage iherer Überlegungen gemacht [...] Aus dem Ultimatum Spiel und anderen, ähnlich einfachen Experimenten lernt man, dass schon bei einfachsten Transaktionen Gefühle mindestens so wichtig sind wie Logik und Eigennutz.
Kritiker solcher Studien wandten allerdings ein, dass dafür größtenteils Versuchspersonen aus relativ entwickelten Länder wie der Schweiz, Japan, den USA oder China herangezogen wurden; besonder häufig handelte es sich um Studenten [..] Kürzlich hat eine groß angelegte anthropologische Studie nicht weniger als 15 Stammesgeselschaften aus vier Kontinenten untersucht [...] Kulturelle Traditionen beim Schenken und die starken Verpdlichtungen beim Annehmen von Geschenken spielen bei manchen Gesellschaften eine wichtige Rolle. Die Au etwa lehnten allzu großzügige Angebote ebenso ab wie allzu geringe. Doch trotz all dieser kulturellen Variation war das Resultat weit entfernt von dem, was eine rationale Analyse des Verhaltens von eigennützigen Spielern vorhersagen würde. Im entschiedenen Gegensatz zur bloßen Maximierung des eigenen Einkommens legen die meistn Menschen überall auf der Welt hohen Wert auf Fairness.
Experimentelle Ã-konomen haben viele Varianten des Ultimatum-Spiels analysiert. Die Resultate sind höchst aufschlussreich. Wenn etwa die Entscheidung, wer von beiden Spielern das Angebot macht, nicht durch einen Münzwurf, sondern durch ein Gschicklichkeitsspiel bestimmt wird, sind die Angebote üblicherweise geringer und werden auch eher angenommen - dier Ungleichheit wird eher akzeptiert, und zwar von beiden Teilnehmern. Wenn ein Computer das Angebot macht, werden noch geringere Anteile ohne weiters akzeptiert. [...]
<center>
<HR>
</center> |
JLL
21.06.2002, 16:22
@ silvereagle
|
Re: Vorsicht vor falschen Schlüssen, aber trotzdem interessant. |
Vor allem ist interessant, dass überhaupt jemand motiviert ist, einen Teil seines Gewinns zu opfern, nur um einem anderen Schaden zuzufügen. Bei dieser Strategie verarmen ja beide. Würde ich vernünftigerweise 100 EUR durch den Kamin jagen, nur für das zweifelhafte Vergnügen, dass sich bei dieser Gelegenheit auch 400 EUR meines Nachbarn ins Nirvana verabschieden? Was habe ich denn davon, außer 100 EUR weniger? Es ging bei diesem Spiel nicht darum Erster zu werden und seine Konkurrnz"fertig zu machen". Da würde es noch sinnvoll sein, den Erstplatzierten Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Nein, hier konnte echtes Geld gewonnen werden und mit jeder derartigen Neidaktion gegen die Führenden hat man sich selbst um einen Teil seines Gewinnes gebracht. Da Neid und Sozialneid mittlerweile zu den deutschesten aller Eigenschaften geworden sind, dürften die Ergebnisse eines derartigen Versuchsaufbaus hierzulande noch deutlicher ausfallen.
Schönen Tag
JLL
<center>
<HR>
</center> |
tas
21.06.2002, 17:28
@ JLL
|
Re: z.b. private gerichtsverfahren |
>Vor allem ist interessant, dass überhaupt jemand motiviert ist, einen Teil seines Gewinns zu opfern, nur um einem anderen Schaden zuzufügen. Bei dieser Strategie verarmen ja beide. Würde ich vernünftigerweise 100 EUR durch den Kamin jagen, nur für das zweifelhafte Vergnügen, dass sich bei dieser Gelegenheit auch 400 EUR meines Nachbarn ins Nirvana verabschieden? Was habe ich denn davon, außer 100 EUR weniger?
... genau dieses spiel vollzieht sich aber täglich tausendfach in privatklagen bei deutschen gerichten. kostet milliarden, just for stress:-)
grüße, tas
<center>
<HR>
</center> |
tas
21.06.2002, 17:34
@ silvereagle
|
Re: Spieltheorie / Vorsicht vor falschen Schlüssen mL |
>Über dieses"Experiment" wurde schon vor einiger Zeit bei den Systemfehlern ausgiebig diskutiert. Ich persönlich halte wenig von der Chose, zumal schon ein ganz wesentlicher Punkt der Versuchsanordnung sehr zweifelhaft ist: Ich käme nie auf die Idee, jemandem für den Einsatz EINES Teils eine HUNDERT PROZENT - Chance auf Vernichtung von VIER Teilen (!!) des Gegners zu geben.
>Bei einer solchen Versuchsanordnung sollte wohl von vornherein ein gewünschtes Ergebnis herauskommen: Homo hominis lupus est.
>Gruß, silvereagle
... quod erat demonstrandum, sagen der wissenschaftler, oder deutsch, am ende jeder untersuchung: was zu beweisen war.
eine gefahr liegt sicher auch darin, für die versuchsanordnung grade studenten zu nehmen: die wissen zwar immer genau, warum etwas gemacht wird - aber meist nicht, wie...
grüße, tas
<center>
<HR>
</center> |
JLL
21.06.2002, 17:58
@ tas
|
Re: Das ist ja das Verrückte, der Versuch insofern höchst aufschlußreich. (owT) |
<center>
<HR>
</center>
|
silvereagle
22.06.2002, 00:16
@ JLL
|
Re: Vorsicht vor falschen Schlüssen, aber trotzdem interessant. |
Hallo JLL,
> Vor allem ist interessant, dass überhaupt jemand motiviert ist, einen Teil seines Gewinns zu opfern, nur um einem anderen Schaden zuzufügen. Bei dieser Strategie verarmen ja beide.
Bei einem Verhältnis von 4:1 kann von einem"beide" wohl SO nicht die Rede sein... ;-)
> Würde ich vernünftigerweise 100 EUR durch den Kamin jagen, nur für das zweifelhafte Vergnügen, dass sich bei dieser Gelegenheit auch 400 EUR meines Nachbarn ins Nirvana verabschieden?
Da kommen mehrere psychologische Ebenen ins Spiel. Warum gibt es im Spielcasino denn die Jetons? Klar, weil man mit"richtigem" Geld mehr Skrupel hätte, es auf diese Weise"durch den Kamin zu jagen", als mit diesen netten Plastikkärtchen...
Und dann kommt da diese Wettbewerbssituation, die AUF JEDEN FALL da ist: Wann immer"gespielt" wird, dann will man GEWINNEN! Und ohne die Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, trotzdem aber den Partner nicht wechseln zu können... Also MICH wundert das - unterm Strich - überhaupt nicht, dieses Ergebnis.
> Was habe ich denn davon, außer 100 EUR weniger? Es ging bei diesem Spiel nicht darum Erster zu werden und seine Konkurrnz"fertig zu machen".
Siehe meine vorherige Argumentation.
> Nein, hier konnte echtes Geld gewonnen werden und mit jeder derartigen Neidaktion gegen die Führenden hat man sich selbst um einen Teil seines Gewinnes gebracht.
Also ich war ja nicht dabei, wie den Probanden die Regeln erklärt wurden... ;-) Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht gerade als"Verdienen sie so viel Geld möglich" beschrieben worden ist. Davon steht auch nichts in der Doku... Und bedenke: Ein Gegner, der nichts mehr hat, kann einem selbst nichts mehr wegnehmen... ;-)
> Da Neid und Sozialneid mittlerweile zu den deutschesten aller Eigenschaften geworden sind, dürften die Ergebnisse eines derartigen Versuchsaufbaus hierzulande noch deutlicher ausfallen.
Das"deutschest" finde ich als Begriff zwar unpassend, aber im Grunde hast Du den Nagel voll auf den Kopf getroffen. Wie hat Roland Baader im letzten ef geschrieben:"Es herrscht Krieg in Deutschland". Nicht nur bei Euch...
Gruß, silvereagle
<center>
<HR>
</center> |