HB
01.07.2002, 00:28 |
Vom Gelde befreit Thread gesperrt |
Vom Gelde befreit
In Argentinien ist eine Art anarchosyndikalistisches Wirtschaftssystem eingeführt worden. Dafür gesorgt hat - na, wer wohl? - der Kapitalismus
Von Richard Herzinger
Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und im Zeichen der Globalisierung scheint der Kapitalismus allmächtig geworden zu sein. Jetzt besorgt er sogar schon seine eigene Abschaffung. Nehmen wir Argentinien: Seitdem dort die Wirtschaft kollabiert ist und die Bankguthaben der Bürger eingefroren wurden, ist die Geldzirkulation weitgehend zum Erliegen gekommen. Nicht nur für die Unterschichten, sondern auch für weite Teile des Mittelstandes ist die Geldwirtschaft nur noch eine nostalgische Erinnerung.
Die Argentinier müssen also wohl oder übel zu anderen Zahlungsformen übergehen. Überall im Land entstehen, wie die Neue Zürcher Zeitung kürzlich berichtete, Tauschmärkte und Tauschnetzwerke. Dort kann man sich mit allen Gütern versorgen, die fürs tägliche Überleben - und mehr - unerlässlich sind. Vom Gemüsehändler bis zum Arzt reicht die Skala der Anbieter, die den Netzwerken angeschlossen sind. Ein einfaches System von Tauschgutscheinen ersetzt den wertlos gewordenen Peso und den vor kurzem noch angebeteten Dollar.
Das heißt nun nicht, dass Argentinien ins Zeitalter primitiver Naturalienwirtschaft zurückgestürzt wäre. Vielmehr verwirklicht sich dort unversehens eine alte sozialrevolutionäre Utopie. Die argentinische Tauschwirtschaft ähnelt verblüffend den - nicht zuletzt von den Marxisten - vielfach verspotteten anarchistischen Wirtschaftstheorien, wie sie etwa der deutsche Nationalökonom Silvio Gesell Anfang des 20. Jahrhunderts propagiert hat. Dessen Vorstellung von einer ausbeutungsfreien Ã-konomie gründete auf dem Gedanken eines nicht verzinsbaren"Freigelds". Gesell hatte lange Zeit in Argentinien gelebt, ehe er 1919 zum Volksbeauftragten für das Finanzwesen der kurzlebigen, anarchisch versponnenen Bayerischen Räterepublik ausgerufen wurde. Eine egalitäre Tauschwirtschaft herrschte auch während der kurzen Periode des spanischen Bürgerkriegs, in der, unmittelbar nach der Erhebung Francos gegen die Republik 1936, die Anarchosyndikalisten in Katalonien das Sagen hatten. Aber auch Che Guevara träumte als Chef der Nationalbank auf Kuba von der Abschaffung des Geldes.
Was der sozialistischen Revolution gründlich misslang, vollbrachte jetzt die kapitalistische Regression: Der Vision von einem geldlosen Wirtschaften eine Massenbasis zu verschaffen. Die Initiatoren der argentinischen Tauschnetze visionieren, berauscht von ihrem Erfolg, nunmehr schon die globale Ausweitung ihres Modells. Doch auch diesmal wird die geldfreie Zeit wohl nur eine Übergangsperiode bleiben. Immerhin, wir lernen: Im scheinbar"stahlharten Gehäuse" (Max Weber) des globalen Kapitalismus ist grundsätzlich alles möglich - auch, dass einst verlachte und vermeintlich längst vergessene Ideen urplötzlich brennende Aktualität gewinnen.
<ul> ~ Vom Gelde befreit</ul>
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Oswald
01.07.2002, 00:57
@ HB
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Re: Vom Gelde befreit |
>Vom Gelde befreit
>In Argentinien ist eine Art anarchosyndikalistisches Wirtschaftssystem eingeführt worden.
wie könnte man rauskriegen, ob auch Metall-Münzen mit ins Spiel gekommen sind?
Hat vielleicht wer einen Freund oder Verwandten in Argentinien?
Läuft dort Internet eigentlich noch normal?
gruss
Os
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Baldur der Ketzer
01.07.2002, 01:25
@ HB
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Re: der Artikel wird den Oldy freuen (gruß dorthin) (owT) |
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Oldy
01.07.2002, 03:13
@ Baldur der Ketzer
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Re: der Artikel wird den Oldy freuen (gruß dorthin) (owT) |
Tut mir leid, Baldur, ich kenne die Geschichte besser. Da wird wieder einmal ein verfehltes Experiment Gesell in die Schuhe geschoben. Die Creditos sind KEIN Freigeld. Sie haben keinen Wertstandard und auch keine Umlaufsicherung. Eine vor zwei Jahren im Gespräch befindliche geplante Umlaufsicherung war mit 48 % im Jahr, 4 % monatlich unmöglich hoch angesetzt und es wurde gottlob auch nichts daraus.
Ich weiß schon warum die Gogos nur 5 % Umlaufsicherung haben. Dadurch werden sie freiwillig angenommen und selbst die sind noch einigen Kaufleuten zu viel. Es macht mir nur nichts aus, wenn einige sie nicht annehmen wollen. Die werden es später von selber tun, wenn sie sehen, daß ihnen da Geschäfte entgehen.
Jemand, der Gogos angenommen hat und nun seinerseits etwas kaufen will, geht einfach zu denen, die sie akzeptieren.
Manche Leute fragen mich schon auf der Straße, wann endlich die Gogos wirklich in Umlauf kommen, aber ich bin ja kaum vom Europaurlaub zurück nach dem ich damit anfangen wollte. Dort habe ich übrigens auch 1,000 Gogoscheine für einen Anfang in Ostdeutschland abgeliefert. Immer nur mit der Ruhe, sage ich. Ein alter Mann ist kein Schnellzug.
Gruß nach FL Oldy
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Wal Buchenberg
01.07.2002, 07:37
@ HB
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Re: Vom Gelde befreit und mit vierfach anderen Sorgen belastet!!!! |
Hallo,
es ist traurig, wenn Leute über Alternativen zum Kapitalismus erst nachzudenken beginnen, wenn die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt, die Arbeitslosenrate über 25% beträgt und die Menschen in Mülltonnen nach Essbarem suchen.
Noch trauriger ist aber, wenn diese Notlage als Utopie hingestellt wird. Oder ist das vielleicht utopiefeindlicher Sarkasmus, mit dem er Alternativmodelle verspotten will?
Es mag aber sein, dass auch diese Notlage für bestimmte Produzenten ein Paradies sind: Nämlich die traditionellen selbstwirtschaftenden Warenproduzenten. Die produzieren nämlich tauschbare Waren und Dienstleistungen. Die können in einer Tauschgesellschaft ganz gut überleben. Was aber ist mit den Lohnarbeitern? Sie verkaufen ihre Arbeitskraft, aber die Produkte, die sie dann produzieren, gehören nicht ihnen. Also können sie in Tauschringen auch keine Waren zum Tausch anbieten.
Auch sonst hat der Autor nicht viel Ahnung. Marx wollte das Geld ganz abschaffen. Gesell wollte mit einem verbesserten Geld wirtschaften.
Das wirft der Herr hier ziemlich durcheinander.
Gruß Wal
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Euklid
01.07.2002, 08:12
@ HB
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Re: Vom Gelde befreit |
>Vom Gelde befreit
>In Argentinien ist eine Art anarchosyndikalistisches Wirtschaftssystem eingeführt worden. Dafür gesorgt hat - na, wer wohl? - der Kapitalismus
>Von Richard Herzinger
>Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und im Zeichen der Globalisierung scheint der Kapitalismus allmächtig geworden zu sein. Jetzt besorgt er sogar schon seine eigene Abschaffung. Nehmen wir Argentinien: Seitdem dort die Wirtschaft kollabiert ist und die Bankguthaben der Bürger eingefroren wurden, ist die Geldzirkulation weitgehend zum Erliegen gekommen. Nicht nur für die Unterschichten, sondern auch für weite Teile des Mittelstandes ist die Geldwirtschaft nur noch eine nostalgische Erinnerung.
>Die Argentinier müssen also wohl oder übel zu anderen Zahlungsformen übergehen. Überall im Land entstehen, wie die Neue Zürcher Zeitung kürzlich berichtete, Tauschmärkte und Tauschnetzwerke. Dort kann man sich mit allen Gütern versorgen, die fürs tägliche Überleben - und mehr - unerlässlich sind. Vom Gemüsehändler bis zum Arzt reicht die Skala der Anbieter, die den Netzwerken angeschlossen sind. Ein einfaches System von Tauschgutscheinen ersetzt den wertlos gewordenen Peso und den vor kurzem noch angebeteten Dollar.
>Das heißt nun nicht, dass Argentinien ins Zeitalter primitiver Naturalienwirtschaft zurückgestürzt wäre. Vielmehr verwirklicht sich dort unversehens eine alte sozialrevolutionäre Utopie. Die argentinische Tauschwirtschaft ähnelt verblüffend den - nicht zuletzt von den Marxisten - vielfach verspotteten anarchistischen Wirtschaftstheorien, wie sie etwa der deutsche Nationalökonom Silvio Gesell Anfang des 20. Jahrhunderts propagiert hat. Dessen Vorstellung von einer ausbeutungsfreien Ã-konomie gründete auf dem Gedanken eines nicht verzinsbaren"Freigelds". Gesell hatte lange Zeit in Argentinien gelebt, ehe er 1919 zum Volksbeauftragten für das Finanzwesen der kurzlebigen, anarchisch versponnenen Bayerischen Räterepublik ausgerufen wurde. Eine egalitäre Tauschwirtschaft herrschte auch während der kurzen Periode des spanischen Bürgerkriegs, in der, unmittelbar nach der Erhebung Francos gegen die Republik 1936, die Anarchosyndikalisten in Katalonien das Sagen hatten. Aber auch Che Guevara träumte als Chef der Nationalbank auf Kuba von der Abschaffung des Geldes.
>Was der sozialistischen Revolution gründlich misslang, vollbrachte jetzt die kapitalistische Regression: Der Vision von einem geldlosen Wirtschaften eine Massenbasis zu verschaffen. Die Initiatoren der argentinischen Tauschnetze visionieren, berauscht von ihrem Erfolg, nunmehr schon die globale Ausweitung ihres Modells. Doch auch diesmal wird die geldfreie Zeit wohl nur eine Übergangsperiode bleiben. Immerhin, wir lernen: Im scheinbar"stahlharten Gehäuse" (Max Weber) des globalen Kapitalismus ist grundsätzlich alles möglich - auch, dass einst verlachte und vermeintlich längst vergessene Ideen urplötzlich brennende Aktualität gewinnen.
Wer das Geld abschafft,klemmt sich auch selbst seine Steuern ab.
Einkommen null gleich Steuern null.
Die kapitalistischen Staaten schneiden ihre eigenen Lebensadern ab oder ist schon an eine Tauschumsatzsteuer gedacht?
Die Krake Staat beseitigt sich so selbst.Aber sie ist noch zäh genug um Tauschumsatzsteuer einzuführen;-)
Gruß EUKLID
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Campo
01.07.2002, 08:42
@ Oswald
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Re: Vom Gelde befreit |
>>Vom Gelde befreit
>>In Argentinien ist eine Art anarchosyndikalistisches Wirtschaftssystem eingeführt worden.
>wie könnte man rauskriegen, ob auch Metall-Münzen mit ins Spiel gekommen sind?
>Hat vielleicht wer einen Freund oder Verwandten in Argentinien?
>Läuft dort Internet eigentlich noch normal?
>gruss
>Os
Moin,
also, für gute Vor-Ort-Beobachtungen diesbezüglich mußte Digo fragen. Im Hannich Forum ist er regelmäßig präsent.
http://f7.parsimony.net/forum9673/messages/7545.htm
Digo aus Argentinien
Gruß
Campo
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Ecki1
01.07.2002, 08:43
@ Wal Buchenberg
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Re: Vom Gelde befreit und mit vierfach anderen Sorgen belastet!!!! |
Was aber ist mit den Lohnarbeitern? Sie verkaufen ihre Arbeitskraft, aber die Produkte, die sie dann produzieren, gehören nicht ihnen. Also können sie in Tauschringen auch keine Waren zum Tausch anbieten.
Oh doch. Geschehen in Russland 1998 - 1999. Kohlekumpels bekamen anteilig Kohle, Mitarbeiter im Keramikwerk dagegen Kloschüsseln. Vermarkten mussten sie diese Waren jedoch selbst, da es keine Warengutscheine als eine Art gedecktes Privatgeld gab.
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Wal Buchenberg
01.07.2002, 09:38
@ Ecki1
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Re: Vom Gelde befreit und mit vierfach anderen Sorgen belastet!!!! |
>Was aber ist mit den Lohnarbeitern? Sie verkaufen ihre Arbeitskraft, aber die Produkte, die sie dann produzieren, gehören nicht ihnen. Also können sie in Tauschringen auch keine Waren zum Tausch anbieten.
>Oh doch. Geschehen in Russland 1998 - 1999. Kohlekumpels bekamen anteilig Kohle, Mitarbeiter im Keramikwerk dagegen Kloschüsseln. Vermarkten mussten sie diese Waren jedoch selbst, da es keine Warengutscheine als eine Art gedecktes Privatgeld gab.
Stimmt, du hast recht. Das gabs auch nach 1945 in Deutschland.
Aber diese elenden Verhältnisse sollen die Utopie sein, auf die die Menschheit hofft und hinsteuert? Es ist ein Hohn!!
Gruß Wal
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Ecki1
01.07.2002, 09:50
@ Wal Buchenberg
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Re: Vom Gelde befreit und mit vierfach anderen Sorgen belastet!!!! |
Aber diese elenden Verhältnisse sollen die Utopie sein, auf die die Menschheit hofft und hinsteuert? Es ist ein Hohn!!
Es gibt keine Utopie. Nur Bildung, Verständnis und entschlossenes Handeln helfen dem Einzelnen und somit allen.
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Diogenes
01.07.2002, 14:28
@ HB
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Re: Vom Gelde befreit / Nebbich |
>Vom Gelde befreit
>In Argentinien ist eine Art anarchosyndikalistisches Wirtschaftssystem eingeführt worden. Dafür gesorgt hat - na, wer wohl? - der Kapitalismus
Falsch. Das Papiergeld hat dafür gesorgt. Es hat die Leute von sich selber durch sich selber befreit (klingt fast wie im Evangelium *g*).
Ansonsten zeigt Argentinien nur, daß es ohne harte Währung dauerhaft nicht geht. Welchen Namen das Kind bekommt ist einerlei."Tauschnetze" sind unter dem Strich Kreditnetze. Denn die Fragestellung ist immer die selbe: Was ist Recheneinheit? Womit werden offene Salden beglichen?...
Nichts neues unter der Sonn' - nur im Kreis herum.
Gruß
Diogenes
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