>mal sehen wie das alles endet.
hat das jemand schon gelesen, aus die ZEIT
B Ã- R S E N C R A S H
Die Börse auf den Knien
Ohne staatliche Hilfe führt der Aktiencrash in eine Rezession
Von Robert von Heusinger
ZEIT-Grafik
Quelle: Thompson Financial Datastream
Die Aktienkurse fallen und fallen und fallen. Der Deutsche Aktienindex Dax, der Anfang dieser Woche sogar unter 3600 Punkte rutschte, hat die Kursgewinne der vergangenen fünf Jahre komplett verloren. Langfristig orientierte Anleger, die kaufen und alle Hochs und Tiefs aussitzen, haben damit seit Mai 1997 mit deutschen Aktien nichts verdient. Rechnet man die Inflation ein, haben sie sogar 10 Prozent verloren. Nicht anders sieht es bei britischen oder amerikanische Aktien aus.
Na und? Hatte sich Ende der neunziger Jahre nicht die größte Spekulationsblase aller Zeiten gebildet? Jetzt entweicht ihr die Luft, und die Aktienkurse kehren wieder auf ein vernünftiges Niveau zurück. Doch so einfach ist es nicht.
Die jüngsten Turbulenzen bei Dax, Dollar und Dow signalisieren zwei Sorgen, die ernst zu nehmen sind: die realistische Gefahr, dass der Aktiencrash die Konjunkturerholung dies und jenseits des Atlantiks zunichte macht. Und das systemische Risiko: nicht mehr beherrschbare Kettenreaktionen an den Finanzmärkten, ausgelöst durch Bankzusammenbrüche oder Abwertungsspekulationen.
Systemische Risiken können von Pleitewellen ausgelöst werden, die die Banken mit einem Haufen uneinbringlicher Schulden zurücklassen, der auch sie erdrückt. Sinken die Aktien, sind auch die Kreditsicherheiten der Banken weniger wert. Also halten sie sich bei der Kreditvergabe zurück. Diese Kreditklemme kann eine Volkswirtschaft in die Rezession stürzen und dadurch weitere Unternehmen in den Konkurs treiben. Die Krise wird zum Problem für Regierungen und Notenbanken.
Noch wahrscheinlicher ist derzeit, dass Versicherer der fortgesetzten Baisse an den Aktienmärkten nicht standhalten. Ihre Reserven schmelzen dahin, und es wird immer schwieriger, die versprochenen Auszahlungen zu leisten. Schon nach dem 11. September gab es von deutschen Versicherern Notverkäufe am Aktienmarkt. Im Herbst vergangenen Jahres wurde sogar eigens ein Gesetz geändert, das ihnen die Möglichkeit gibt, Kursverluste nicht sofort abschreiben zu müssen, wenn sie als vorübergehend eingeschätzt werden. Das Problem: Heute notieren alle wichtigen Aktienindizes niedriger als im vergangenen September.
Ohne staatliche Intervention wird der Teufelskreis, so er einmal in Gang gekommen ist, nicht zu durchbrechen sein. Die Investmentbank Credit Suisse First Boston diskutiert in einer neuen Studie drei mögliche Maßnahmen, um die Versicherer vor Notverkäufen zu schützen. Erstens neue Gesetze, wie Aktienkursverluste schonend in der Bilanz verbucht werden können. Zweitens die Absenkung der garantierten Rendite. Und drittens der direkte Kauf von Aktien durch die Notenbanken."Alle drei Möglichkeiten müssen jetzt ernsthaft ins Kalkül gezogen werden", so die Autoren.
Das ebenfalls unschöne Szenario, dass die Aktienmarktschwäche die Rezession wiederauferstehen lässt, wird immer deutlicher an den Finanzmärkten vorweggenommen. Kommt es zum erneuten Konjunkturabschwung, sind alle Gewinnprognosen der Unternehmen Makulatur. Trotz der kräftigen Kursverluste wären die Aktien dann nach wie vor teuer. Denn das Kurs-Gewinn-Verhältnis schrumpft nur, wenn die Kurse stärker sinken als die Gewinne.
Dabei hängt es vor allem vom amerikanischen Konsumenten ab, ob es zum erneuten Konjunktureinbruch weltweit kommt. Immerhin macht seine Konsumfreude zwei Drittel des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus und damit ungefähr ein Drittel des Welt-BIPs. Bislang hat er sich dank des boomenden Immobilienmarktes und der sinkenden Zinsen wenig beeindruckt von den schwachen Aktienmärkten gezeigt.
Das kann sich aber rasch ändern. Denn der Dow Jones hat allein in den vergangenen zwei Wochen rund 1500 Zähler abgegeben und mischt erst jetzt bei der Abwärtsbewegung der Weltbörsen richtig mit. Und da die Amerikaner ihre Altersvorsorge fast komplett über den Kapitalmarkt bestreiten müssen, werden sie eher früher als später anfangen zu sparen. Dann ist der nächste Abschwung programmiert. So bleiben nur Fiskal- und Geldpolitik, um eine tiefe Rezession zu verhindern. Seit Anfang der Woche wetten die Händler am US-Geldmarkt bereits wieder auf die nächste Zinssenkung der US-Notenbank - und das, obwohl die Leitzinsen mit 1,75 Prozent kaum tiefer sein könnten.
Wie immer präsentiert sich Europa angesichts der Krisenstimmung an den Finanzmärkten verträumt. Die Regierungen streiten in Brüssel um die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, dabei würde die nächste Rezession vor allem die Aussetzung desselben notwendig machen. Und die Europäische Zentralbank (EZB) malt Inflationssorgen an die Wand. Kommt es nicht bald zu einer kräftigen Erholung an den Weltbörsen, wird auch die EZB sich wieder mit Zinssenkungen und Deflation beschäftigen müssen.
Wie wahrscheinlich aber ist die Erholung an den Märkten? Da die Stimmung kaum schlechter sein kann, spricht einiges für die Wende - bis auf die Bewertung. In Europa sind Aktien allmählich"fair" bewertet, in den USA immer noch nicht. Dass der Aktienmarkt dreht, ohne nach unten übertrieben zu haben, kann passieren, ist aber eher ungewöhnlich. Oder um mit Morgan Stanley zu sprechen: Handelt es sich nur um eine zyklische Baisse, hat der Markt nur noch weniger als zehn Prozent Kursverluste vor sich. Ist sie aber systemisch, sind noch Abschläge bei europäischen Aktien von mehr als 30 Prozent drin.
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(c) DIE ZEIT 31/2002
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