Griechen 14
7. Warentausch und Geld
Über den gerechten Tausch schrieb der Philosoph Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1133b ): Vorausgesetzt, „a sei ein Haus, b zehn Minen, c ein Bett. a ist nun ½ b, wenn das Haus fünf Minen wert oder ihnen gleich ist. Das Bett sei 1/10 b.
So sieht man dann, wie viel Betten dem Haus gleich sind, nämlich fünf. Dass in dieser Weise der Austausch vor sich ging, bevor das Geld aufkam, ist klar. Denn es macht nichts, ob man fünf Betten für ein Haus gibt oder den Geldwert der fünf Betten.“
Sein Beispiel ist von verführerischer Einfachheit. Erst bestimmte Aristoteles den Geldwert eines Hauses („die Hälfte von zehn Minen“), dann den Geldwert einer Polsterliege („ein Zehntel von zehn Minen“), dem wichtigsten und teuersten Möbelstück der alten Griechen, und bekommt als selbstverständliches Ergebnis, „wie viel Betten dem Haus gleich sind“.
Überhaupt nicht selbstverständlich ist jedoch, dass aus dieser Rechnung klar werde, wie Aristoteles behauptet, in welcher Weise „der Austausch vor sich ging, bevor das Geld aufkam.“
Indem Aristoteles die Geldwerte zweier Waren bestimmt, kann er ohne weiteres das Preisverhältnis dieser beiden Waren bestimmen. Niemand, auch wenn er Aristoteles heißt, kann jedoch aus einem Schluss, der Geldwerte voraussetzt, einen logischen Schluss auf Verhältnisse ziehen, in denen es weder Geld noch Geldwerte gibt.
Aristoteles stellt das Frühere, nämlich den Warenpreis, als Folge des Späteren, nämlich des Geldes hin. So wird weder klar, wie der Warentausch vor sich ging, bevor es Geld gab, noch wie und warum das Geld aufkam.
Warentausch existierte lange vor dem Geld und die Natur des Geldes ist aus dem Warentausch zu erklären, nicht umgekehrt. „Die Schwierigkeit liegt nicht darin, zu begreifen, dass Geld Ware ist, sondern wie, warum, wodurch Ware Geld ist.“ (K. Marx, Kapital I. MEW 23,107)
7.1. Gebrauchsmittel und Tauschmittel
Der älteste Handel, von dem die griechische Literatur berichtet, war der Eintausch einer Frau im Haushalt des Odysseus, „welche... Laertes mit seinem Gute gekauft, in jungfräulicher Blüte, für zwanzig Rinder.“ (Odyssee 1, 430-431). Dass Frauen wie Vieh gehandelt wurden, war keine griechische Besonderheit und bedeutete schon ein Fortschritt gegenüber dem vorher üblichen Frauenraub.
Zwanzig Rinder für eine Frau waren jedenfalls ein märchenhaft hoher Preis. Durchleuchten wir einmal, welche unterschiedliche Rollen die beiden Handelspartner und ihre Handelsgüter dabei spielten:
Laertes, der Vater des Odysseus, hatte das Bedürfnis nach einer zweiten Frau und konnte zwanzig Ochsen entbehren. Die Braut wollte er als Gebrauchsmittel besitzen, auf die zwanzig Rinder konnte er als überflüssiges Nichtgebrauchsmittel verzichten. Laertes bot sein eigenes Nichtgebrauchsmittel für ein Gebrauchsmittel in fremder Hand. Was für den jungen Laertes ein Brautkauf, war ein Ochsenkauf für die Brauteltern. Sie hatten ein Bedürfnis nach zwanzig Ochsen und wollten die Tochter zum günstigen Zeitpunkt ihrer „jungfräulichen Blüte“ weggeben. Für sie waren die zwanzig fremden Rinder ein ersehntes Gebrauchsmittel, die eigene Tochter ein Nichtgebrauchsmittel.
Die Handelspartner stellten im Tausch zwei Produkte in bestimmter Menge gegenüber, die im Wert gleich galten, deren Funktionen im Tausch jedoch doppelt waren: Jedes Tauschobjekt, die 20 Rinder wie die Braut, war gleichzeitig Gebrauchsmittel für den Nichtbesitzer und Nichtgebrauchsmittel für den Besitzer.
Der Besitz eines fremden Gebrauchsmittels war für beide Parteien Zweck des Tausches. Aber jede Seite erreichte ihren Zweck nur, indem sie ein geeignetes Tauschmittel in der passenden Menge anbot, das für die andere Seite Zweck des Tausches und damit Gebrauchsmittel war. „Im unmittelbaren Produktentausch ist jede Ware unmittelbar Tauschmittel für ihren Besitzer.“ ( Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 103)
Je nach Sicht der handelnden Personen verkörperte sowohl die Braut wie die 20 Ochsen den Tauschzweck wie das Tauschmittel. Das waren die komplizierten Vorbedingungen, die den direkten Tausch ermöglichten.
Als Tauschmittel erfüllten die Ochsen wie die Braut im direkten Tausch die Funktion von Geld, ohne schon Geld zu sein. Das Tauschmittel war noch kein Geld, weil es noch nicht an eine bestimmte Warenart gebunden war, sondern in jede Warengestalt schlüpfen musste, die getauscht wurde. Die Geldfunktion des Tauschmittels war eine vorübergehende Vermittlerfunktion, die das Kunststück fertig brachte, den Nichtgebrauchswert des früheren Besitzers in einen Gebrauchswert des neuen Besitzers zu verwandeln.
Solange nur einige, bekannte Arbeitsprodukte innerhalb einer Gemeinschaft getauscht wurden, wussten alle Beteiligten, wie viel Arbeitszeit und damit wie viel Wert in jeder Ware steckte. Menschen konnten auf dieser Stufe mit Vieh getauscht werden, weil diese Menschen Herren über sich hatten, denen sie wie Vieh gehörten und die sie wie Vieh benutzten. Der Brautvater, der seine Tochter verkaufte, war ebenso Herr über ihr Schicksal wie der Bräutigam, der sie kaufte. Die verkaufte Braut war wie das Vieh nicht einfach nur Naturprodukt, sondern ebenso Produkt menschlicher Arbeit. Das Menschenvieh hatte Arbeit durch seine Ernährung, Bekleidung, Behausung, Pflege, Erziehung und Ausbildung gemacht, ganz so wie das richtige Vieh Arbeit durch Zähmung, Pflege, Aufsicht, Fütterung u. ä. gekostet hatte.
In Mensch und Tier vermischt sich das Wirken der Natur und die Arbeit der Menschen wie in allen Produkten, die der Mensch schafft: „Die Gebrauchswerte,... die Warenkörper, sind Verbindungen von zwei Elementen, Naturstoff und Arbeit.... In dieser Arbeit der Formung selbst wird er beständig unterstützt von Naturkräften. Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte... Die Arbeit ist sein Vater... und die Erde seine Mutter.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 57-58) Dass aber die neue Frau des Laertes volle 20 Rinder wert war, lag wohl daran, dass sie aus vornehmem Hause stammte und königliche Ernährung und Erziehung genossen hatte. Je nach gewohnheitsmäßigem Wert gaben beide tauschenden Parteien mehr oder weniger von ihrem Tauschmittel her.
Im Außenhandel mit neuen, fremden Waren musste diese Wertbestimmung erst durch Erfahrung erlernt werden. Herodot erzählte davon, dass ein Schiff von der Insel Samos von Nordafrika an die Atlantikküste der iberischen Halbinsel verschlagen wurde, und dort zu einer Stadt kam, „die noch nie besucht worden war... weshalb diese Samier bei ihrer Rückkehr... den größten Gewinn von ihrer Ladung hatten.“ (Herodot 4, 143)
7.2. Eine besondere Geldware als Zirkulationsmittel
Sobald der Tausch zur Gewohnheit und zum Bedürfnis wird, treten auf dieser Entwicklungsstufe spezifische Probleme auf.
Wenn einem griechischen Weinbauern ein irdener Mischkrug zerbrochen war, konnte er sich mit etwas Wein auf den Weg zum nächsten Markt machen. Dort bot ihm ein Töpfer zwar ein schönes Mischgefäß an, hatte aber vielleicht alle seine Vorratskrüge schon gefüllt und brauchte daher keinen Wein mehr. Ohne einen Weinbedarf des Töpfers taugte der Wein des Bauern nicht zum Tauschmittel. Der Handel kam nicht zustande.
Vielleicht kam zufällig am selben Tag ein Hirte zum Markt, um Wein zu erhandeln und bot dafür ein Lämmchen. Jeder der drei hatte ein Arbeitsprodukt als Nichtgebrauchsmittel anzubieten, trotzdem konnte kein Handel zustande kommen, weil sie keinen Tauschpartner fanden, für den ihr Nichtgebrauchsmittel ein begehrenswertes Gebrauchsmittel war. Ohne den passenden Partner hatte niemand das passende Tauschmittel.
Die drei wären aber dumm gewesen, wenn sie unverrichteter Dinge nach Hause gegangen wären. Es gab für ihr Problem mehrere Lösungen, die aber einige Zeit in Anspruch nahmen. Zum Beispiel konnte der Weinbauer den Töpfer dazu überreden, für einige Krüge Wein das Lamm von dem Hirten zu erstehen, um dann wieder Platz und Bedarf für Wein zu haben. Dann könnte er für den Wein des Bauern seine Töpferware verkaufen. Bauer und Hirte hätten dann, was sie wollten, der eine Wein, der andere einen Mischkrug. Der Töpfer hätte Wein und einen Krug verkauft, und dafür ein Lamm erhalten, das er dann seinerseits verkaufen musste, wenn er es nicht mit seinen Freunden verspeisen wollte.
Beim Tauschhandel muss jeder Warenbesitzer für sein Nichtgebrauchsmittel einen passenden Gegenüber finden, der es als Gebrauchswert ansieht, damit sich das Nichtgebrauchsmittel in ein Tauschmittel verwandeln kann. Diese Suche nach passenden Interessenten wurde um so länger, je mehr sich die Zahl der Warenarten auf dem Markt vermehrte.
Bei Homer wird von phönizischen Kauffahrern erzählt, die trotz einer Aufforderung, ihren Handel zu beschleunigen, einen ganzen Sommer brauchten, um eine einzige Schiffsladung in Waren für die Rückfahrt zu tauschen: „Und die Phönizier weilten ein ganzes Jahr auf der Insel, kauften und schleppten ins Schiff unzählige Güter zusammen.“ (Odyssee 15, 454ff ) Weil in den Wintermonaten das Mittelmeer für die antiken Schiffe zu gefährlich war, mussten die Phönizier bis zum Frühjahr auf die Rückfahrt warten.
Am schnellsten konnte jemand ein fremdes Gebrauchsmittel erhandeln, wenn er im Besitz einer Ware war, die sich allgemeiner Beliebtheit erfreute. Ein gefragtes Gebrauchsmittel für die einen war ein günstiges Tauschmittel für die andern. Solche gefragten Warenarten mussten sich zu besonderen Geldwaren entwickeln, die sich jeder zu verschaffen suchte, um sie als Tauschmittel zu benutzen. Zu ihrem normalen Zweck als Gebrauchsmittel trat der besondere Zweck hinzu, ein günstiges Tauschmittel zu sein. „Der Gebrauchswert der Geldware verdoppelt sich. Neben ihrem besonderen Gebrauchswert als Ware, wie Gold z. B. zum... Rohmaterial von Luxuswaren usw. dient, erhält sie einen formalen Gebrauchswert, der aus ihren spezifischen gesellschaftlichen Funktionen entspringt.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 104)
In ein Tauschmittel hatte sich jede Ware verwandeln müssen, die im direkten Tausch einen bestimmten Käufer suchte, dessen spezielles Bedürfnis sie befriedigte. Indem eine besondere Ware zu Geldware wird, die viele fremde Kaufwünsche auf sich zieht, wird sie vom individuellen Tauschmittel zum allgemeinen Tauschmittel oder Zirkulationsmittel, das den Austausch oder die Zirkulation vieler Waren ermöglicht.
Welche Warenart in diese Rolle schlüpfte, hing von der lokalen Beliebtheit ab. Besonders beliebt waren entweder solche Waren, die in dem jeweiligen Umkreis besonders häufig waren, z. B. Rinder, Wein und Getreide, oder solche Waren, die aus der Fremde kamen und daher besonders selten und begehrenswert waren. Bei Homer waren das z. B. Gerätschaften aus Silber und Gold, aber auch Eisenwerkzeuge und Rohmetall. Sobald eine dieser bestimmten Waren zur Geldware geworden war, wurde sie in ihrem Geltungskreis allgemeines Tauschmittel oder Zirkulationsmittel. Ohne ihr Dazwischentreten war dann ein Tausch nicht mehr möglich. So wie im Beispiel vom Weinbauer und Töpfer ohne Mithilfe einer dritten Person, dem Hirten, kein Verkauf zustande kam, so tritt jetzt statt einer vermittelnden Person die besondere Geldware als Mittler zwischen die Käufer. „Als Vermittler der Warenzirkulation erhält das Geld die Funktion des Zirkulationsmittels.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 128)
Bevor unser Weinbauer seinen Krug kaufen konnte, musste er zuerst an die Geldware kommen. Er ging vielleicht zum Hirten und verkaufte ihm seinen Wein, für den er die Geldware erhielt. Dann kaufte er damit beim Töpfer seinen Mischkrug. Er tauschte also immer noch Wein gegen Krug, Ware A gegen Ware B, aber der Tausch wurde jetzt vermittelt durch das Dazwischentreten einer Geldware. Ware A tauschte sich erst mit Geldware, dann tauschte sich die Geldware mit Ware B. Um an die Geldware zu kommen, brauchte der Weinbesitzer zwar immer noch als dritte Person einen Geldbesitzer, aber die Suche nach diesem Vermittler verkürzte und vereinfachte sich in dem Maße, in dem sich die Geldware jetzt in vielen Händen befand und nicht nur in den Händen von denen, die diese besondere Ware produzierten.
Die Verwandlung eines Lamms in Wein und von Wein in einen Mischkrug oder die Umwandlung eines Nichtgebrauchsmittels in ein Tauschmittel und dann in ein Gebrauchsmittel sind ganz erstaunliche Erscheinungen. Die Entwicklung des griechischen Handelsverkehrs wurde zur Geburtshelferin des dialektischen Denkens. Das Schmiede- und Töpferhandwerk und den Handel seiner Heimatstadt Ephesos hatte Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. der Vater der Dialektik, Heraklit, vor Augen, als er von der Verwandlungskraft des Feuers sprach: „Alles ist austauschbar gegen Feuer und Feuer gegen alles, wie Waren gegen Gold und Gold gegen Waren.“ (Die Vorsokratiker I, Heraklit 63)
Herausbildung der Warengesellschaft in Griechenland (Bisheriger Text)
Wird fortgesetzt, Wal Buchenberg
<center>
<HR>
</center> |