-->Lieber dottore, lieber galiani,
verfolge seit geraumer Zeit euren Disput mit großem Interesse. Will mich nun auch mal zu Wort melden. Nicht etwa, weil ich fertige Lösungsansätze anzubieten hätte, sondern um vielleicht den ein oder anderen Aspekt zu eurem immer komplexer werdenden Thema beizusteuern.
Möglicherweise wäre es hilfreich, den gesellschaftstheoretischen Entwürfen anthropologische Vorüberlegungen zugrunde zu legen, denn ich denke mal, dass jedwede Institution nur aus der „Natur“ des Menschen heraus erklärbar/verständlich wird. Nehmen wir zunächst mal das Machtphänomen: Ich bin erstaunt über die hin und wieder anklingende Vorstellung, diesem Phänomen möglicherweise entrinnen zu können. Das halte ich für ein Ding der Unmöglichkeit.
Wer schon mal einen brüllenden Säugling erlebt hat, wird ohne weiteres konstatieren, dass dem Menschen schon von klein auf Bedürfnisse/Interessen zueigen sind, die mit „Macht“ zur Befriedigung hin drängen. Eine Egozentrik im wertneutralen Sinn. Diese zunächst rudimentäre Geltendmachung eigener Interessen wird in einer sogenannten zivilisierten Gesellschaft im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung -oft bis zur Unkenntlichkeit- verfeinert/kaschiert. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Mensch Zeit seines Lebens seine Interessen/Bedürfnisse auf direkte oder indirekt/subtile Weise zu befriedigen trachtet. Er wird immer(!) genau das tun, das per saldo seinem vermeintlichen Wohlbefinden zuträglich zu sein scheint (impliziert natürlich auch eine direkte/rücksichtslose Spielart/Option).
Eine zweite Grundannahme ist, dass der Mensch durchaus die Annehmlichkeiten der „Brutpflege“ verinnerlicht hat. Ist ja auch überaus angenehm, in den ersten Lebensjahren von vorne bis hinten bedient zu werden. Ein durchaus erstrebenswertes Modell für das spätere Leben als Erwachsener, wie ich meine. Oder anders ausgedrückt: Der Mensch scheint -ob genetisch bedingt und/oder durch Sozialisation hervorgerufen- prädestiniert zu sein, den Minimalismus als Lebensprinzip zu erheben (mit möglicht wenig Aufwand möglichst viel erreichen).
Und hier kommt das Phänomen „Macht“ ins Spiel. Denn um eigene Interessen geltend zu machen, bedarf es durchaus der Macht/Überlegenheit (des Intellekts, der Rhetorik, der Körperkraft etc.). Wobei „Körperliche Gewalt“ die größte Durchsetzungskraft für sich beanspruchen kann (Faust schlägt Argument). Schaut man sich die Historie an, findet man ja auch genügend Belege dafür, dass körperliche Gewalt/Waffengänge/Eroberungen (ungeachtet unserer heute herrschenden Moralvorstellungen) durchaus als legitim angesehen/praktiziert worden sind. Wenn nun aber alle das Recht auf Gewaltanwendung für sich beanspruchen, dann ist selbstverständlich auch jeder einzelne der Gefahr ausgesetzt, selbst Opfer der Gewalt anderer zu werden. Ergo: Solidarisierung mit anderen - zumal man dadurch ja auch hinsichtlich der Durchsetzung seiner eigenen (bzw. Gruppen-) Interessen durchaus schlagkräftiger wird.
Möglicherweise sind ja derartige Gruppenbildungen (Ziel: Bündelung der eigenen Schlagkraft und Schutz vor gebündelter Schlagkraft anderer) die Keimzelle unserer heutigen Staaten gewesen. Mal angenommen: Eine von mehreren „Solidargemeinschaften“ war in einem bestimmten, besiedelten oder beanspruchten Territorium durchsetzungsfähiger/stärker als andere. Von dieser dominanten Gruppe dürfte nun fraglos Zwang/Abgabezwang (in Form von Naturalien) auf die schwächeren ausgeübt worden sein (und zwar unabhängig von einem etwaigen Überschuss). Als „Gegenleistung“ dürfte der abgabepflichtigen Sippe ein gewisser „Schutz“ gewährt worden sein. Die Abgabenpflichtigen waren so vor Übergriffen anderer Gruppen einigermaßen sicher (kein unkalkulierbares Risiko mehr), und die Machthaber waren daran interessiert den Fortbestand der zu melkenden Kuh aufrecht zu erhalten. Diese „Aggregate“ gegenseitiger Abhängigkeit wurden wohl im Lauf der Zeit größer (Fürstentümer, Staaten, Staatenbund, Bundesstaat) - substanziell hat sich -nach meinem Verständnis- an der grundlegenden Machtstruktur jedoch nichts geändert.
Machthaber/Staaten scheinen demnach seit jeher im Wesentlichen eine Funktion auszuüben, die einer Zuhälterfunktion nicht unähnlich ist. Allein, ein Zustand jenseits der Macht, ein Machtvakuum oder das generelle Überwinden von Macht ist schlichtweg nicht denkbar, weil der Mensch auf Grund seiner Egozentrik/Veranlagung sofort wieder mehr oder weniger intakte/institutionalisierte Machtstrukturen schaffen würde. Es kann lediglich darum gehen, Macht zu bändigen/zu zügeln/zu teilen (etwa in einer Demokratie), um ein möglichst hohes Maß an Bürgerfreiheit zu erreichen. Und genau dieses sich ständig ändernde Maß an Freiheit (Demokratie ist kein statisch/idealtypisches Konstrukt, sondern ein dynamischer Prozess und kann gleichwohl partiell auch undemokratisch/repressive Züge aufweisen), ist der Maßstab für die Güte/Qualität einer Demokratie zu einem Zeitpunkt x. Dottore möge also vielleicht etwas gnädiger mit dem Demokratiemodell ins Gericht gehen. Wir haben noch kein besseres. Natürlich ist einer Demokratie der Keim der eigenen Pervertierung/Zerstörung immanent, wenn man das Modell sich selbst überlässt und sich auf einen fatalistischen Standpunkt zurück zieht. Schuld daran ist nach meinem Dafürhalten eben der Mensch in seiner unzulänglichen Beschaffenheit. Doch ist es müßig, sich über das Wesen des Menschen, seinen Willen zur Macht und seinen Hang zum Machtmissbrauch zu empören. Ich denke es ist lohnender, auch weiterhin daran mitzuwirken, das labile Gleichgewicht der gesellschaftlichen Kräfte und Machtfaktoren unablässig neu auszutarieren und wenigstens einigermaßen in Schuss zu halten. Denn was wäre die Alternative? Und was wäre die Alternative für eine Alternative?!
Im Übrigen setzt eure Auseinandersetzung über die Genese des Geldes voraus, dass es in grauer Vorzeit zumindest ein rudimentäres nationalökonomisches/monetaristisches Modell/Verständnis gegeben haben muss. Scheint mir völlig abwegig zu sein, vor allem im „binnenwirtschaftlichen“ Verhältnis einer Sippe oder „Dorfgemeinschaft“. Wozu sollte etwas Derartiges nötig gewesen sein? Das Warenangebot und auch die „Konsumwünsche“ dürften „damals“ wohl einigermaßen überschaubar gewesen sein. Wer Überschüsse zu tauschen hatte, war bestimmt nicht auf einen Supermarkt oder einen Marktplatz angewiesen. Man kannte sich ja untereinander und wusste wohl, wer was anzubieten, zu tauschen oder Mangel an etwas hatte. Derartige Tauschgeschäfte ließen sich zunächst wahrscheinlich am besten direkt an der „Haustür“ abwickeln. Ich denke mal, unsere Vorfahren waren vollauf damit beschäftigt Ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften und kaum jemand dürfte genug Muße (geschweige denn Vorbildung) gehabt haben, sich mit einer Theorie des Geldes (was ja zunächst als völlig unbekannt angenommen werden muss) auseinander zu setzen, für dessen Existenz zu sorgen und dann auch noch für die Rahmenbedingungen zu schaffen, diesem „komischen“ Tauschmedium Geltung zu verschaffen.
Aber auch der (unkreativen) Macht traue ich nicht zu, ein derartiges System ersonnen, und dann auch noch in einer beispiellosen logistischen Meisterleistung (ähnlich der Euro-Einführung) die Untertanen mit diesem Medium flächendeckend und in ausreichendem Umfang ausgestattet zu haben. Vielleicht hat sich ja das Geld in einem Jahrzehnte oder Jahrhunderte währenden Prozess erst ganz allmählich ausgebreitet, so dass Geld- und Naturalsystem über lange Zeit parallel existierten. Vielleicht wurde mit Gold zunächst nur an der Peripherie des Herrscherhauses „gezahlt“, z.B. an die Soldaten, verbunden mit dem Versprechen, dieses Gold bei Bedarf für Dinge des täglichen Lebens wieder zurück zu nehmen/zurückzutauschen (Mobilitätserfordernis macht Naturallagerhaltung für Soldaten naturgemäß etwas schwierig). Vielleicht hat es ja auf diese Weise ganz allmählich Verbreit(er)ung gefunden und nach und nach auch beim gemeinen Volk Einzug gehalten. Aber, I au nix wiss..............
Schönen Sonn(en)tag:-(
wiwo
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-->Hallo wiwo
Ganz kurz zu Deinen inhaltsreichen Ausführungen:
Erstens bezweifelst Du - und ich stimme Dir da vollkommen zu - die"Vorstellung, diesem Phänomen ["Macht"] möglicherweise entrinnen zu können."
Vollkommen richtig! Das ist unmöglich, weil es die"Macht" gibt, seit es Menschen gibt. Die Argumentation dottore's trägt denn auch meiner Meinung nach ein wenig das Kennzeichen des bekannten Trugschlusses in der Logik:"Zeitlich vorhergehend, also deswegen!" Beispiel: Der Hahn kräht; dann geht die Sonne auf. Also geht die Sonne auf, weil der Hagn kräht.
Mir scheint, dottore wendet eben dieses Gedanken-Skelett auf die Geld-Genese an: Die Macht geht dem Geld voran, also ist das Geld eine Folge der Macht.
Ich habe das einmal mit dem Beispiel ad absurdum geführt:"Seit es Menschen gibt, schneuzen sie sich. Aber es wäre doch vollkommen bekloppt, das Schneuzen als die Ursache des Geldes anzusehen."
Weiterhin sagst Du:
"Im Übrigen setzt eure Auseinandersetzung über die Genese des Geldes voraus, dass es in grauer Vorzeit zumindest ein rudimentäres nationalökonomisches/monetaristisches Modell/Verständnis gegeben haben muss. Scheint mir völlig abwegig zu sein..."
Vollkommen richtig. Und ich bin auch mit Aussagen darüber, was wohl das erste Geld gewesen sein mochte, sehr vorsichtig. In einem Posting habe ich angedeutet, daß möglicherweise auch"Schmuck" im privaten Tauschverkehr ("an der Haustüre", wie Du es ausdrückst) die Geldfunktion übernommen haben mag. Im Zusammenhang mit dem Erwerb des Kupferbeiles durch den Ã-tzi um 2500 v. Chr. sagte ich zwar, daß ich - einfach weil das das Naheliegendste ist - davon überzeugt bin, daß Ã-tzi dieses Beil gekauft habe, drücke mich aber sehr vorsichtig bezüglich des Tauschmittels aus, das Ã-tzi dabei hingegeben haben mag:"irgendeine Form von Geld" habe ich gesagt! Du siehst also, daß ich mich sehr wohl bemühe, die von Dir aufgezeigte Klippe zu umschiffen.
Und absolut einer Meinung mit Dir bin ich natürlich auch, wenn Du sagst:
"Aber auch der (unkreativen) Macht traue ich nicht zu, ein derartiges System ersonnen, und dann auch noch in einer beispiellosen logistischen Meisterleistung (ähnlich der Euro-Einführung) die Untertanen mit diesem Medium flächendeckend und in ausreichendem Umfang ausgestattet zu haben...."
Ich eben auch nicht! Und die Fundstücke Popeyes, die ich eben kommentiert habe, scheinen das auch zu beweisen.
Gruß
G.
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