-->Auszug aus Ethik der Freiheit, Murray N. Rothbard, Academia Verlag, Sankt Augustin, 2. Aufl. 2000
Kapitel 15 Menschenrechte als Eigentumsrechte [166] S. 124 ff.
"Liberals"* (siehe Anm. unten) möchten den Begriff des „Rechts" im allgemeinen für „Menschenrechte" wie die Redefreiheit reservieren, während sie bestreiten, daß er auf Privateigentum Anwendung findet.[167] Doch ganz im Gegenteil ergibt der Begriff des „Rechts" nur dann einen Sinn, wenn er als Eigentumsrecht verstanden wird. Nicht nur. daß es keine Menschenrechte gibt, die nicht auch Eigentumsrechte wären, sondern die ersteren verlieren ihre Absolutheit und Klarheit und werden unscharf und angreifbar, wenn nicht Eigentumsrechte zum Maßstab genommen werden.
Zunächst einmal sind Eigentumsrechte mit Menschenrechten in zweierlei Hin-
sicht identisch: zum einen in dem Sinn, daß Eigentum nur Menschen zukommen
kann, so daß ihre Rechte auf Eigentum Rechte sind, die zu menschlichen Wesen ge-
hören; und zum anderen in dem Sinn, daß das Recht der Person, ihren eigenen Kör-
per zu besitzen - ihre persönliche Freiheit - ein Eigentumsrecht an ihrer eigenen
Person wie auch ein „Menschenrecht" ist. Doch noch wichtiger für unsere Erörte-
rung ist es, daß sich Menschenrechte als unbestimmt und widersprüchlich erweisen,
wenn sie nicht als Eigentumsrechte gefaßt werden - wodurch Liberale dann veran-
laßt werden, diese Rechte wegen der „Rechtsordnung" oder für das „öffentliche
Wohl" abzuschwächen. Wie ich in einem anderen Werk schrieb:
[...] Nehmen wir etwa das „Menschenrecht" auf Redefreiheit. Die Redefreiheit
wird als das Recht eines jeden angesehen, alles zu sagen, was ihm gefällt.
Doch die vernachlässigte Frage ist: Wo? Wo hat ein Mensch dieses Recht? Er
hat dieses Recht sicherlich nicht im Bereich eines Eigentums, das er wider-
rechtlich betritt. Kurz gesagt hat er dieses Recht nur im Bereich seines eigenen Eigentums oder auf dem Eigentum von jemandem, der sich in Form eines Geschenkes oder in einem Mietvertrag damit einverstanden erklärt hat, ihn auf dem Grundstück zu dulden. Tatsächlich gibt es dann nicht soetwas wie ein se-
parates „Recht auf freie Rede"; es gibt nur eines Menschen Eigentumsrecht:
das Recht, mit seinem Besitz nach eigenem Belieben zu verfahren oder frei-
willige Vereinbarungen mit anderen Eigentümern einzugehen.[168]
Kurzum hat eine Person kein,,Recht auf Redefreiheit". Was sie tatsächlich hat,
ist das Recht, einen Saal zu mieten und zu den Leuten zu sprechen, die das Lokal
betreten. Sie hat kein „Recht auf Pressefreiheit". Was sie tatsachlich hat, ist das Recht, eine Druckschrift zu verfassen und zu veröffentlichen und diese an jene zu verkaufen, die sie kaufen möchten (oder sie an jene zu verschenken, die sie annehmen möchten). Was sie folglich in jedem dieser Fälle hat, sind Eigentumsrechte, und zu diesen zählt das Recht auf Vertragsfreiheit und freie Übertragungen als ein Teil dieser Eigentümerrechte. In keinem Fall gibt es ein gesondertes „Recht auf Redefreiheit" oder auf Pressefreiheit über jene Eigentumsrechte hinaus, die eine Person haben mag.
Zudem kommt es gerade dann zur Verwirrung und zur Schwächung des Begriffs
der Rechte, wenn die Analyse unter Bezug auf ein „Recht auf Redefreiheit" anstatt
unter Bezug auf ein Eigentumsrechte abgefaßt wird. Das berühmteste Beispiel ist die Erklärung von Richter Holmes, niemand habe das Recht, in einem vollen Theater
,,Feuer" zu rufen, und daher könne das Recht auf Redefreiheit nicht absolut sein,
sondern es müsse in Rücksicht auf die „Rechtsordnung" abgeschwächt und gemil-
dert werden.[169] Doch wenn wir das Problem als ein Problem von Eigentumsrechten
untersuchen, werden wir sehen, daß die Absolutheit des Rechts nicht abgeschwächt
zu werden braucht.[170]
Denn logischerweise ist der Rufer entweder ein Besucher oder der Besitzer des
Theaters. Wenn er der Theaterbesitzer ist, verletzt er die Eigentumsrechte der Besucher, die sie an jenem ungestörten Genuß der Aufführung haben, für den er ur-
sprünglich ihr Geld nahm. Wenn der Rufer ein anderer Besucher ist, dann verletzt er sowohl das Eigentumsrecht, das die Besucher darauf haben, der Aufführung
beizuwohnen, als auch das Eigentumsrecht des Besitzers, da er gegen die Bedingungen seiner Anwesenheit verstößt. Denn zu diesen Bedingungen zählt sicherlich, daß er das Eigentum des Besitzers nicht verletzt, indem er die Aufführung durch Täuschung stört. In jedem Fall kann er als ein Verletzer von Eigentumsrechten verfolgt werden. Wenn wir uns daher auf die betreffenden Eigentumsrechte konzentrieren, so sehen wir, daß es der von Holmes vorgebrachte Fall nicht erforderlich macht, das absolute Wesen von Rechten gesetzlich zu schwächen.
In der Tat machte Richter Hugo Black, ein bekannter „Absolutist" im Hinblick
auf,,Redefreiheit", in einer scharfsinnigen Kritik des Holmes'schen Theaterrufer
Arguments deutlich, daß seine (Blacks) Verteidigung der Redefreiheit auf dem
Recht auf Privateigentum beruht. So erklärte Black:
Gestern Abend ging ich mit Ihnen ins Theater. Ich denke, wenn Sie oder ich
aufgestanden und in dem Theater umhergegangen wären, so wären wir - egal,
ob wir gesprochen hätten oder nicht - testgenommen worden. Niemand hat
jemals gesagt, daß der erste Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung den
Menschen ein Recht gibt, sich an irgendeinen Ort der Welt zu begeben, der ih-
nen beliebt, oder irgendetwas zu sagen, das ihnen auf der Zunge brennt. Der
Kauf der Theaterkarten erwarb nicht auch die Möglichkeit, dort eine Rede zu
halten. In diesem Land haben wir ein Eigentumssystem, welches ebenfalls von
der Verfassung geschützt ist. Wir haben ein Eigentumssystem, und das bedeu-
tet, daß ein Mensch kein Recht hat, alles zu tun, was er möchte, und dies über-
all, wo es ihm beliebt. Mir wäre es zum Beispiel ein wenig unangenehm, wenn
sich jemand anschickte, in mein Haus zu kommen und mir zu erzählen, er habe
ein verfassungsmäßiges Recht hereinzukommen, da er eine Rede gegen das
Verfassungsgericht halten möchte. Ich bin mir darüber im klaren, daß jeder die
Freiheit hat, eine Rede gegen das Verfassungsgericht zu halten, aber ich
möchte nicht, daß er das in meinem Haus tut.
Dies ist ein wundervoller Aphorismus über das Rufen von,,Feuer" in einem
gefüllten Theater. Doch man muß nicht erst „Feuer" rufen, um verhaftet zu
werden. Wenn jemand für Unordnung in einem Theater sorgt, würde man ihn
nicht für das zur Rechenschaft ziehen, was er gebrüllt hat, sondern dafür, daß er gebrüllt hat. Man würde ihn nicht wegen für irgendwelche von seinen Ansichten zur Rechenschaft ziehen, sondern weil man der Auffassung ist, daß er keine Ansichten hatte, die man dort zu hören wünschte. Auf diese Weise wür
de ich antworten: nicht für das, was er schrie, sondern weil er überhaupt
schrie.[171]
Ähnlich forderte vor einigen Jahren der französische Politologe Betrand de Jou-
venel die Schwächung der Rede- und Versammlungsfreiheit aufgrund dessen, was er
das „Versammlungsleiterproblem" nannte - das Problem der Zuteilung von Zeit
oder Raum in einer Versammlung bzw. in einer Zeitung oder vor einem Mikrophon,
wo die Verfasser von Schriften bzw. die Redner glauben, die Redefreiheit gebe ih-
nen ein „Recht" auf den Gebrauch der Ressource.[172] Was Jouvenel übersah, war unsere Lösung des,,Versammlungsleiterproblems" - die Neufassung des Begriffs der
Rechte unter Bezug auf Privateigentum statt auf Rede- oder Versammlungsfreiheit.
Zunächst einmal können wir feststellen, daß in jedem der von de Jouvenel aufge-
führten Beispiele (ein Mensch, der einer Versammlung beiwohnt; eine Person, die
für die Seite,,Briefe an den Herausgeber" schreibt; jemand, der sich beim Radio um Diskussionszeit bewirbt) die angebotene knappe Zeit bzw. der knappe Raum
kostenlos ist. Wir befinden uns inmitten dessen, was die Ã-konomie das „Rationierungsproblem" nennt. Eine wertvolle, knappe Ressource muß zugeteilt werden - ob es sich um Zeit auf dem Diskussionspodium, um Zeit vor einem Mikrophon oder um Platz in einer Zeitung handelt. Doch da der Gebrauch der Ressource kostenlos ist, übertrifft die Nachfrage nach dem Erhalt dieser Zeit bzw. dieses Raumes zwangsläufig bei weitem das Angebot, und daher muß es zu einem empfundenen,,Mangel" der Ressource kommen. Wie in allen Fällen von Mangel und Schlangenbildung, die von zu niedrigen oder nicht-vorhandenen Preisen verursacht werden, bleiben die unbefriedigten Nachfrager mit einem Gefühl der Frustration zurück und verübeln es, daß sie nicht jenen Gebrauch der Ressource erhielten, der ihnen ihrer Meinung nach zustand.
Wenn ein knappe Ressource nicht im Wege von Preisen zugeteilt wird, muß sie
auf andere Art und Weise von ihrem Eigentümer vergeben werden. Es ist zu bemer-
ken, daß in allen von de Jouvenel aufgeführten Fällen die Zuteilung durch ein Preissystem erfolgen könnte, wenn der Eigentümer dies wünschte. Der Leiter einer Versammlung könnte Preisgebote für die knappen Plätze auf dem Podium erfragen, um die Plätze dann jenen Teilnehmern mit dem höchsten Gebot zukommen zu lassen. Der Radioproduzent könnte ebenso mit Gesprächsteilnehmern in seinem Programm verfahren. (In der Tat machen Produzenten genau das, wenn sie Zeit an individuelle Sponsoren verkaufen.) Es gäbe dann keinen Mangel und keine nachtragenden Gefühle bei einem zurückgenommenen Versprechen („gleicher Zugang" der Ã-ffentlichkeit zur Leserbriefspalte, zum Podium oder zum Mikrophon).
Doch über die Frage der Preise hinaus geht es hier um eine tiefere Angelegenheit.
Denn ob nun nach Preisen oder nach einem anderen Kriterium - die Ressource muß
in jedem Fall durch ihren Eigentümer zugeteilt werden. Der Eigentümer des Radiosenders bzw. des Radioprogramms (oder sein Agent) vermietet oder verschenkt
Sendezeit nach Kriterien, über die er entscheidet; der Eigentümer der Zeitung oder der von ihm beauftragte Herausgeber vergibt Platz für Leserbriefe auf jede beliebige Art und Weise seiner Wahl; der „Eigentümer" der Versammlung bzw. der von ihm bezeichnete Versammlungsleiter vergibt den Platz auf dem Podium in einer beliebigen Weise, für die er sich entscheidet.
Die Tatsache, daß die Zuteilung letztendlich nach Besitzerschaft erfolgt, gibt uns den Schlüssel zur eigentumsmäßigen Lösung von de Jouvenels „Versammlungs-
leiterproblem" an die Hand. Denn wer einen Brief an eine Zeitung schreibt, ist nicht der Eigentümer des Blattes; er hat demzufolge kein Recht auf, sondern nur eine Bitte nach Platz in der Zeitung - eine Bitte, die zu gewähren oder abzulehnen dem Eigentümer das absolute Recht zusteht. Wer in einer Versammlung zu sprechen verlangt, hat kein Rederecht, sondern unterbreitet nur eine Anfrage, über die der Eigentümer oder sein Vetreter - der Versammlungsleiter - zu entscheiden hat. Die Lösung liegt darin, die Bedeutung des „Rechts auf Redefreiheit" bzw. auf „Versammlungsfreiheit" neu zu fassen. Anstatt die unklare und - wie von de Jouvenel gezeigt - unpraktizierbare Auffassung zu vertreten, es gäbe eine Art gleiches Recht auf Raum oder Zeit, sollten wir den Finger auf das Recht auf Privateigentum legen. Nur
wenn man das,,Recht auf Redefreiheit" einfach als einen Teil der Eigentumsrechte
behandelt, wird es gültig, handhabbar und absolut.
Dies zeigt sich beim von de Jouvenel vorgeschlagenen,,Recht, andere Leute mit
seinen Ideen einzufangen". De Jouvenel sagt, es gebe einen „Sinn, in dem das Rederecht von jedermann ausgeübt werden kann; es handelt sich um das Recht, andere Leute mit seinen Ideen einzufangen" - zu den Leuten, auf die man trifft, zu sprechen, sie zu überzeugen versuchen und diese Leute dann in einem Saal zu versammeln, um somit eine eigene,,Gemeinde zu gründen". Hier kommt de Jouvenel der richtigen Lösung nahe, allerdings ohne dabei sicheren Grund zu erreichen. Denn in Wirklichkeit sagt er, daß das „Recht auf Redefreiheit" nur dann gültig und praktizierbar ist, wenn es gebraucht wird im Sinne des Rechts, zu anderen Leuten zu sprechen, sie zu überzeugen versuchen, einen Saal zu mieten, um zu jenen Leuten zu sprechen, die der Versammlung beiwohnen möchten, usw. Doch dieser Sinn des Rechts auf Redefreiheit ist in der Tat ein Teil des allgemeinen Rechts einer Person auf ihr Eigentum. (Selbstverständlich vorausgesetzt, daß wir nicht das Recht einer anderen Person vergessen, nicht überzeugt zu werden, wenn sie dies nicht wünscht, d.h. ihr Recht, nicht zuzuhören.) Denn Eigentumsrechte beinhalten das Recht auf den eigenen Besitz und darauf, mit den Besitzern anderen Eigentums Verträge und Tauschhandlungen im gegenseitigen Einvernehmen einzugehen. De Jouvenels,,Seelenfänger", der einen Saal mietet und zu seiner Gemeinde spricht, übt kein unbestimmtes,,Recht auf Redefreiheit" aus, sondern einen Teil seines allgemeinen Eigentumsrechts. Dies wird von de Jouvenel beinahe erkannt, wenn er den Fall zweier Menschen -,,Primus" und „Secundus" - erörtert:
Primus [...] hat durch mühselige Anstrengungen eine Zusammenkunft nach
seinen Vorstellungen zustandegebracht. Ein Außenstehender, Secundus,
kommt herein und erhebt den Anspruch, aufgrund des Rechts auf Redefreiheit
zu dieser Versammlung zu sprechen. Muß Primus seinem Willen genügen? Ich
bezweifle das. Er kann Secundus erwidern: „Ich habe diese Zusammenkunft
herbeigeführt. Gehe hin und mache du es ebenso."
Ganz genau. Kurz gesagt besitzt Primus die Tagung. Er hat den Saal gemietet, hat die Tagung einberufen und ihre Bedingungen niedergelegt; und denjenigen, die diese Bedingungen nicht mögen, steht es frei, der Tagung nicht beizuwohnen oder sie zu verlassen. Primus hat ein Eigentumsrecht an der Tagung, welches ihm erlaubt, nach Belieben zu sprechen. Secundus hat kein wie auch immer geartetes Eigentumsrecht und daher kein Recht, auf der Tagung zu sprechen.
Im allgemeinen handelt es sich dort, wo Rechte scheinbar eine Abschwächung er-
fordern, um Probleme, bei denen der Locus der Besitzerschaft nicht genau bestimmt ist, bei denen Eigentumsrechte kurz gesagt durcheinandergeworfen sind. Viele Probleme der „Redefreiheit" tauchen etwa auf staatlichen Straßen auf: Sollte eine Regierung zum Beispiel eine politische Zusammenkunft erlauben, von der sie behauptet. daß sie den Verkehr stören oder die Straßen mit herumliegenden Handzetteln verschandeln würde? Doch alle so gearteten Probleme, die scheinbar erfordern, daß die Redefreiheit weniger als absolut ist, sind in Wirklichkeit Probleme, die der mangelhaften Definition von Eigentumsrechten zu verdanken sind. Denn die Straßen befinden sich im allgemeinen im Besitz des Staates. Die Regierung ist in diesen Fällen „der Versammlungsleiter". Daher ist die Regierung wie jeder andere Eigentümer mit dem Problem konfrontiert, welchen Zwecken seine knappe Ressource zugeführt werden soll. Eine politische Versammlung wird, sagen wir, den Verkehr zum Erliegen bringen. Die Entscheidung der Regierung betrifft folglich nicht so sehr ein Recht auf Redefreiheit als vielmehr die Zuteilung von Straßenraum durch dessen Eigentümer.
Bemerkenswerterweise würde das ganze Problem nicht entstehen, falls die Stra-
ßen Einzelpersonen oder Firmen gehörten - wie es in einer liberalen Gesellschaft
ausnahmslos der Fall wäre. Denn die Straßen könnten alsdann wie jedes andere Pri-
vateigentum an andere Einzelpersonen oder Gruppen zu Versammlungszwecken
vermietet oder gespendet werden. In einer vollständig liberalen Welt hätte man nicht mehr das „Recht", die Straße eines anderen zu gebrauchen, als man das „Recht" hätte, den Versammlungssaal eines anderen im voraus in Beschlag zu nehmen. In beiden Fällen bestünde das einzige Recht in dem Eigentumsrecht am Gebrauch des eigenen Geldes, um die Ressource zu mieten, falls deren Besitzer das möchte. Natürlich bleibt das Problem und der Konflikt unlösbar, solange die Straßen im Staatsbesitz verbleiben. Denn der staatliche Besitz der Straßen bedeutet, daß alle anderen Eigentumsrechte, die man hat - einschließlich des Rechts auf Rede, Vereinigung, Verteilung von Handzetteln usw. - dadurch behindert und eingeschränkt werden, daß es stets notwendig ist, Straßen zu überqueren und zu benutzen, die sich im staatlichen Besitz befinden und die zu sperren oder in beliebiger Weise zu beschränken die Regierung sich entscheiden könnte. Wenn die Regierung die Straßenversammlung erlaubt, wird sie den Verkehr einschränken. Wenn sie die Versammlung wegen des Verkehrsflusses unterbindet, wird sie die Zugangsfreiheit zu den staatlichen Straßen unterbinden. In jedem der beiden Fälle - und für welchen sie sich auch immer entscheidet - werden die „Rechte" einiger Steuerzahler zu beschneiden sein.
Der andere Fall, in dem Eigentumsrechte und -umfang unzureichend definiert und
in dem Konflikte mithin unlösbar sind, betrifft staatliche Versammlungen (und deren „Versammlungsleiter"). Denn wie wir dargelegt haben ist der Locus der Besitzerschaft dann eindeutig, wenn ein Mensch oder eine Gruppe einen Sall mietet und einen Versammlungsleiter ernennt. Primus kann seinen Willen durchsetzen. Doch
wie verhält es sich mit staatlichen Zusammenkünften? Wer besitzt sie? Niemand kann das wirklich sagen, und daher gibt es keine befriedigende oder nicht
willkürliche Art und Weise zur Beantwortung der Frage, wer sprechen darf und wer
nicht oder was entschieden werden soll und was nicht. Es stimmt schon, daß sich die gesetzgebende Versammlung ihren eigenen Regeln zufolge bildet. Was aber, wenn
diese Regeln für weite Teile der Bürger nicht hinnehmbar sind? Es gibt keine be-
friedigende Weise, diese Frage zu beantworten, weil hier kein eindeutiger Locus von Eigentumsrechten vorhanden ist. Um es anders auszudrücken: Im Fall der Zeitung oder des Radioprogramms ist es klar, daß der Briefschreiber oder Sprecher in spe die Antragsteller sind und daß der Verleger bzw. der Produzent die Eigentümer sind, die die Entscheidung fällen. Doch im Fall der gesetzgebenden Versammlung wissen wir nicht, wer der Eigentümer sein könnte. Der Mensch, der in einer Gemeindeversammlung gehört zu werden verlangt, behauptet ein Anteilseigner zu sein, und doch hat er keine Art von Eigentum durch Kauf, Erbschaft oder Entdeckungen begründet, wie es die Eigentümer in allen anderen Bereichen tun.
Um auf den Fall der Strafen zurückzukommen: Es gibt andere vielumstrittene
Probleme, die in einer liberalen Gesellschaft, in der alles Eigentum privat ist und sich in eindeutigem Besitz befindet, schnell bereinigt werden würden. In der gegenwärtigen Gesellschaft besteht beispielsweise ein anhaltender Konflikt zwischen dem"Recht" der Steuerzahler auf Zugang zu staatlichen Straßen und dem Wunsch von benachbarten Anwohnern, sich solche Leute vom Halse zu halten, deren Ansammlung auf den Straßen sie als „unerwünscht" ansehen. In New York City etwa wird heutzutage hysterischer Druck von Anwohnern verschiedener Staddtviertel ausgeübt, um zu verhindern, daß Filialen von McDonald's in ihrer Gegend eröffnen, und in vielen Fällen haben sie die Amtsgewalt der örtlichen Verwaltung nutzen können, um die Filialen vom Zuzug abzuhalten. Das sind natürlich eindeutige Verletzungen des Rechts von McDonald's auf das von dieser Firma erworbene Eigentum. Doch die Anwohner haben ein gutes Argument: den herumliegenden Abfall und die Anlockung „unerwünschter" Elemente, die von McDonald's,,angezogen" und sich davor ansammeln würden - auf den Straßen. Kurzum, worüber die Anwohner sich in Wirklichkeit beschweren, ist nicht so sehr das Eigentumsrecht von McDonald's als vielmehr das, was sie als „schlechten" Gebrauch der staatlichen Straßen ansehen. Sie beschweren sich kurz gesagt über das „Menschenrecht" bestimmter Leute, sich nach Belieben auf staatlichen Straßen zu bewegen. Doch als Steuerzahler und Bürger haben diese „Unerwünschten" sicherlich das „Recht", sich auf den Straßen zu bewegen, und wenn sie es wünschten, könnten sie sich natürlich an Ort und Stelle ansammeln, ohne von McDonald's angezogen zu werden. In der liberalen Gesellschaft jedoch, in der sich die Straßen allesamt in Privatbesitz befinden würden, könnte der ganze Konflikt gelöst werden, ohne irgendjemandes Eigentumsrechte zu verletzen: Denn dann hätten die Eigentümer der Straßen das Recht, zu entscheiden, wer Zugang zu jenen Straßen haben soll, und sie könnten „Unerwünschte" fernhalten, wenn sie dies wünschten.
Natürlich würden jene Straßenbesitzer, die sich dazu entschlössen, „Unerwünsch-
te" fernzuhalten, den Preis dafür zu entrichten haben - sowohl die anfallenden
Überwachungskosten, als auch die Geschäftseinbuße für die Händler in ihrer Straße
und den geringeren Besucherstrom zu ihren Wohungen. Unzweifelhaft würden sich
in einer freien Gesellschaft verschiedene Zugangsmodelle herausbilden: Einige
Straßen (und folglich Nachbarschaften) stünden allen offen, während der Zugang zu
anderen in verschiedenem Maße eingeschränkt wäre.
In ähnlicher Weise würde pivates Eigentum an allen Straßen das Problem des
"Menschenrechts" auf Einwanderungsfreiheit lösen. Ohne Frage ist es eine Tatsa-
che, daß die bestehenden Einwanderungshemmnisse nicht so sehr ein"Menschen-
recht" auf Einwanderung einschränken, als vielmehr das Recht von Eigentümern,
Eigentum an Einwanderer zu vermieten oder zu verkaufen. Es kann kein Menschen-
recht auf Einwanderung geben, denn auf wessen Eigentum hat jemand das Recht herumzutrampeln? Kurzum können wir nicht sagen, daß, wenn „Primus" nun von
irgendeinem anderen Land nach Deutschland ziehen möchte, er das absolute Recht
hat, sich in diesem Gebiet anzusiedeln. Denn was ist mit jenen Eigentümern, die ihn auf ihrem Eigentum nicht wünschen? Hingegen mag es andere Eigentümer geben (und unzweifelhaft gibt es sie), die die Gelegenheit ergreifen würden, Eigentum an Primus zu vermieten oder zu verkaufen, und die heutigen Gesetze verletzen ihre Eigentumsrechte, indem sie sie davon abhalten.
Die liberale Gesellschaft würde die gesamte „Einwanderungsfrage" auf der
Grundlage absoluter Eigentumsrechte lösen. Denn Menschen haben lediglich das
Recht, zu denjenigen Anwesen und Ländereien zu ziehen, deren Eigentümer an sie
vermieten oder verkaufen möchten. Zunächst hätten sie das Reiserecht in der freien Gesellschaft nur auf denjenen Straßen, deren Eigentümer damit einverstanden sind, und dann hätten sie das Recht, Unterkünfte von willigen Eigentümern zu mieten oder zu kaufen. Wiederum würde - ganz wie im Fall tagtäglicher Bewegungen auf Straßen - ein verschiedenartiges und sich wandelndes Muster des Wanderungszugangs entstehen.
* Im angelsächsischen Sprachgebrauch hat sich die Bedeutung des Wortes „liberal" seit der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert geändert. Bezeichnete es zuvor die Gegnerschaft zu übermäßigen Staatsbetätigungen, so bringt es heute die Befürwortung staatlicher Eingriffe zur Verwirklichung von „Bürgerrechten" oder „Menschenrechten" zum Ausdruck, d.h. eine nach europäischen Maßstäben sozialdemokratische Position. Zur Abgrenzung von dieser Position nennen
sich die Liberalen der angelsächsischen Länder heute Libertarians". In der vorliegenden Übersetzung wird „libertarian" als „Liberaler" wiedergegeben, während die Sozialdemokraten wie im amerikanischen Original „Liberals" heißen. Anm. des Übers.
[166] Siehe die Erörterung in Rothbard, Power and Market. S. 238-240. Siehe auch Rothbard, For a New Liberty, S. 42-44.
[167] Ein besonders reines und widersprüchliches Beispiel bietet Professor Peter Singer, der ausdrücklich verlangt, für die persönliche Freiheit den Begriff des Rechts zu erhalten, während er in wirtschaftlichen Angelegenheiten und im Bereich von Eigentum dem Utilitansmus anhängt. Peter Singer, „The Right to Be Rieh or Poor", New York Revicw ofBooks, 6. März 1975.
[168] Rothbard, Power and Market, S. 238f.
[169] Zum Holmes-Diktum siehe Rothbard, For a New Liberty, S. 43f; sowie Power and Market, S. 239f. Eine vernichtende Kritik von Holmes' ungerechtfertigtem Ruf als bürgerlicher Liberaler findet sich bei Mencken, Crestomathy, S. 258-264.
[170] Zudem ist die Ansicht, das Rufen von „Feuer" verursache eine Panik, deterministisch und eine weitere Version des oben erörterten „Hetzreden-Irrtums". Es ist Sache der Leute im Theater, die ihnen zukommenden Informationen abzuwägen. Sonst wäre nämlich zu fragen, warum es kein Vergehen wäre, eine echte Feuerwamung abzugeben. Denn auch dies könnte zu einer Panik führen. Die mit einem fälschlichen Rufen von „Feuer" einhergehende Unterbrechung ist nur strafbar als eine Verletzung von Eigentumsrechten dergestalt, wie es im nachstehenden Text erläutert wird. Für diesen Punkt bin ich Dr. David Gordon zu großem Dank ver-
pflichtet.
[171] Irving Dillard, Hg., One Man s Stand for Freedom, New York, Knopf, 1963,S.477f.
[172] Bertrand de Jouvenel, „The Chairman's Problem", American Political Science Review. Juni 1961, S. 368-372. Der Kerm der folgenden Kritik an de Jouvenel erschien in einem in italienischer Sprache veröffentlichten Aufsatz: Murray N. Rothbard, „Betrand de Jouvenel e i diritti di proprietä," Biblioleca della Liberia, 1966, Nr.2, S. 41-45.
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