-->Hartnäckige Recherche gefragt / Verband der Wertpapierhändler ermittelt wegen illegaler Methoden
nks. NEW YORK, 23. August. Die größte Todsünde eines guten Analysten dürfte Gutgläubigkeit sein."Wenn ich ein Treffen bei einem Unternehmen hatte und die die Wahrheit gesagt haben, war ich angenehm überrascht", erinnert sich Sallie Krawcheck, die Vorstandschefin des auf Aktienanalyse spezialisierten Wertpapierhauses Sanford C. Bernstein.
Krawcheck war früher Analystin für Investmentbanken und galt in den späten neunziger Jahren als die Beste ihres Fachs. Gutgläubigkeit sagt ihr niemand nach. Einst hatte die Investmentbank Merrill Lynch Krawcheck in eine gutbesuchte Filiale des 1998 von Merrill gekauften japanischen Wertpapierhauses Yamaichi Securities eingeladen, um sie vom Sinn der Übernahme zu überzeugen. Krawcheck schaute sich aber auf eigene Faust noch andere Filialen an und bemerkte dort, daß das Geschäft nicht lief. Für Jubelarien, wie sie während des Börsenbooms üblich waren, war sie nicht zu haben. 2001 hat Merrill Yamaichi wieder aufgegeben.
Trotz unabhängiger Geister wie Krawcheck ist die Zunft der Analysten in Verruf geraten. Merrill Lynch mußte 100 Millionen Dollar Strafe zahlen, weil Analysten öffentlich Aktien empfahlen, die sie intern als"Ramsch" bezeichnet hatten. Die Investmentbank Salomon Smith Barney mußte 32 Millionen Dollar Abfindung zahlen, damit sie den zum PR-Desaster gewordenen Telekom-Analysten Jack Grubman loswurde. Der einst hochgelobte Grubman hatte mit engen Kontakten zu den Spitzenmanagern der Branche eine Zwitterrolle als Investmentbanker und Analyst gespielt und eine Reihe von Unternehmen empfohlen, die schließlich Konkurs anmelden mußten - wie die Telefongesellschaft Worldcom. Diese Woche entließ Merrill einen Analysten, der einzelnen Kunden vorab Informationen über die geplante Reduzierung seiner Prognosen gegeben haben soll.
Da Unternehmen seit Oktober 2000 marktrelevante Informationen auf Veranlassung der Börsenaufsicht SEC jedem Marktteilnehmer gleichzeitig zur Verfügung stellen müssen, ist das Geschäft für die Analysten härter geworden. Analysten, die mit unabhängigen und kritischen Bewertungen aus der Masse herausstechen wollen, müssen verstärkt eigene Nachforschungen anstellen. Allein auf die Informationen der Unternehmen, die sie bewerten, können sie sich nicht mehr verlassen. Daher berichten Analysten, die Trends im Einzelhandel aufspüren wollen, schon mal von einem eigenen Besuch im Einkaufszentrum.
Luftfahrt- und Rüstungsanalyst Steven Binder von der Investmentbank Bear Stearns hütet sorgsam eine Liste mit 250 Informanten, die ihm Informationen über Marktkonditionen zuspielen."Jeder glaubt, man muß mit dem Vorstandschef sprechen, um an Informationen zu kommen. Das ist Quatsch. Die informiertesten Leute sind die in der zweiten oder dritten Reihe", sagt Binder, dem der Ruf eines Detektivs vorauseilt.
Analyst Mark Friedman von Merrill Lynch, zuständig für den Bekleidungskonzern Gap, glaubt nicht der Werbung mit den dünnen jungen Models, um die Aussichten für die Herbstkollektion zu bewerten. Er ließ lieber eine normal geformte Kollegin eine neu entwickelte Jeans mit Hüftschnitt anprobieren. Erst als die Kollegin bestätigte, daß die neuen Gap-Jeans nicht wie andere dieser gerade modischen Hosen beim Hinsetzen nach unten rutschen, äußerte er Hoffnung auf steigende Umsätze.
Es gibt aber auch Analysten, die Recherche übertreiben. Die Vereinigung der Wertpapierhändler NASD ermittelt gerade gegen den Analysten David Risk vom kleinen Wertpapierhaus Sterling Financial in Florida, weil der selbst an einem klinischen Test für ein neues Medikament teilnehmen wollte. Risk wollte damit offensichtlich Kenntnisse über die Fortschritte der Tests erlangen. Aktiengeschäfte aufgrund dieser Informationen gelten allerdings als illegaler Insiderhandel, wenn der Analyst sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erworben hat. Risk hatte sich unter dem Vorwand, er leide an Schlaflosigkeit, für den Test angemeldet. Eingenommen hat Risk das Medikament nicht. Aber er veröffentlichte mit Hinweis auf Nebenwirkungen, von denen er dabei erfahren hatte, eine Verkaufsempfehlung für das Unternehmen Neurocrine Biosciences, das das Mittel entwickelt hat. Sterling suspendierte Risk daraufhin für 90 Tage vom Dienst.
Sofort entlassen wurde Analyst Jonathan Aschoff vom Wertpapierhaus Friedman, Billings, Ramsey Group, der ein ähnliches Vorgehen für angemessen hielt, um Informationen über einen klinischen Test zu erhalten. Aschoff spielte allerdings nicht Patient. Er gab sich als Arzt aus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.08.2002, Nr. 196 / Seite 19
|