-->Hier also der Beitrag über die Umpolfreudigkeit des Erdmagnetfeldes im historischen Umfeld der Erforschung der Tiefsee.
Wer direkt zur Dynamik des Magnetfeldes der Erde vordringen möchte, wähle die Absätze
MAGNETISCHE ANZIEHUNGSKRAFT,
NORDEN IST SÜDEN,
EINE RADIKALE HYPOTHESE oder
NEUES BEWEISMATERIAL
Der Text ist frisch gescannt und leicht durchkorrigiert. Hoffentlich hat es keinen Tüddel unter den 23 Seiten gegeben ;-)
TIEFSEE
Ein seltsames Merkmal der Erdoberfläche ist die Tatsache, daß zwei unterschiedliche Niveaus bestehen. Während die Landoberfläche im Mittel einige hundert Meter über dem Meeresspiegel liegt, reicht der etwa zwei Drittel der Erdoberfläche einnehmende Meeresboden bis mehrere Kilometer unter Meeresniveau.
In den vergangenen rund 50 Jahren begannen Wissenschaftler mit der Erforschung dieser ausgedehnten Region. Sie entdeckten, daß sich unter den Meereswellen eine von der Erdoberfläche völlig verschiedene Landschaft ausbreitet und wiesen eine langgestreckte Bergkette nach, die um die ganze Erde verläuft. Durch das Auseinanderdriften der Erdoberfläche wird hier ständig neuer Meeresboden gebildet
EIN GIGANTISCHES PUZZLE
Edward Bullard von der Universität Cambridge löste 1965 mit Hilfe von Computern ein schwieriges Puzzle: Er hatte nach Übereinstimmungen zwischen der Westküste Afrikas und der Ostküste Südamerikas gesucht. Der Computer testete mehrere Möglichkeiten, die Kontinente zusammenzusetzen, und suchte die Kombination mit den wenigsten Überlappungen und Lücken. Am naheliegendsten war es, Brasilien an den westafrikanischen Bogen anzulegen, und tatsächlich fand Bullard die Übereinstimmungen überaus zufriedenstellend.
Zwar gab es im Bereich der Nigermündung einige Überlappungen, aber die Abweichungen waren insgesamt gering. Die gleiche Technik verwendete er für den Vergleich der Küsten Nordamerikas mit Grönland und Europa. Auch hier fand er zahlreiche Übereinstimmungen zwischen der Ostküste Grönlands und Skandinavien sowie Großbritannien; auch die grönländische Westküste wies zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Nordkanada auf. Grundlage der Untersuchungen Bullards war allerdings, daß er die Erdoberfläche gewissermaßen umgestaltete - und den Atlantik entfernte.
Bullards geometrische Spielereien markierten den Höhepunkt der über mehr als 50 Jahre angestellten geologischen Spekulationen über die Bewegung der Kontinente. Die Geologen waren in zwei Lager gespalten: Eine Gruppe vertrat die Auffassung, daß sich die Kontinente schon immer an ihrer gegenwärtigen Stelle befanden, während die andere Gruppe davon ausging, daß die Kontinente über die Erdoberfläche driften. Es überrascht nicht, daß Vertreter der zweiten Gruppe milde belächelt wurden. Welcher Mensch mit klarem Verstand würde solch eine Aussage treffen? Sir Harold Jeffreys, ein herausragender Geophysiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hielt die Bewegungstheorie für abwegig. Aufgrund seiner Beobachtungen der Reaktion der Erde auf Erdbeben hielt er das Erdinnere
für zu fest, als daß Bewegungen an der Oberfläche möglich schienen. Vertreter der Drifttheorie konnten diesen Einwand nicht entscheidend widerlegen.
Offensivster Vertreter derjenigen, die von einer Drift der Kontinente ausgingen, war der 1880 geborene deutsche Geowissenschaftler Alfred Wegener. In seiner Jugend hatte er sich für die Meteorologie und die Erforschung Grönlands begeistert. Angeblich hatte er bei einem Aufenthalt dort angesichts der treibenden gewaltigen Eisschollen die Vorstellung driftender Kontinente entwickelt. Eisschollen, die nach dem Abbruch von einem Eisschelf im Wasser treiben, entsprechen in mancher Hinsicht Kontinenten auf der Erdoberfläche. Von dieser Idee begeistert, begann Wegener, zur Untermauerung seiner Theorie alle auffindbaren Hinweise zusammenzutragen.
1915 veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Arbeit in seinem Buch »Die Entstehung der Kontinente und Ozeane«. Darin stellte Wegener die Hypothese auf, daß in früheren Zeiten alle Kontinente zusammenhingen und einen Superkontinent bildeten, den er Pangäa (griechisch für »alles Land« ) nannte. Nach dessen Auseinanderbrechen drifteten die einzelnen Teilkontinente bis zum Erreichen ihrer gegenwärtigen Lage voneinander weg. In den dazwischen auftretenden Lücken entstanden die Ozeane.
Wegeners Theorie stützte sich auf zwei wesentliche Beweisketten: Zum einen war das die Ähnlichkeit bestimmter Merkmale auf verschiedenen Kontinenten. Er verglich sein Vorgehen mit dem Wiederzusammensetzen einer zerrissenen Zeitung, wobei man darauf zu achten habe, daß die gedruckten Linien zueinander paßten. Wegener wies darauf hin, daß, wenn man von der einstigen Existenz eines Superkontinents Pangäa ausgehe, die Ausprägung von Gesteinsformationen, von Flora und Fauna, Naturräumen und Klimazonen auf weit voneinander entfernten Kontinenten identisch oder zumindest sehr ähnlich sein und ein vergleichbares Alter aufweisen müsse.
Tatsächlich finden sich zum Beispiel die fossilen Überreste einer vor circa 270 Millionen Jahren blühenden Farnart (Glossopteris) in Südamerika, Südafrika, Indien und Australien. Wegeners Theorie zufolge war diese Farnart einst in einer einzigen ausgedehnten Region verbreitet.
Wegener ging davon aus, daß sich die Kontinente auch heute noch bewegen. Er zeigte sich von den Ergebnissen einer 1906 in Grönland durchgeführten Expedition beeindruckt, denen zufolge sich die Insel seit der Messung von 1870 um mehrere hundert Meter von Dänemark weg nach Westen bewegt haben mußte. Dieses Resultat schien die Kontinentaldrift zu bestätigen. Doch die Meßergebnisse erwiesen sich als falsch. Weitere, zwischen 1927 und 1948 angestellte Messungen konnten derart starke Bewegungen nicht bestätigen. Bei seinem Tod im Jahr 1930 galt Wegeners Theorie aufgrund solch falscher Meßergebnisse, der mangelhaften Genauigkeit der damals erhobenen Daten und des Fehlens einer plausiblen Erklärung für die Kräfte, die die Kontinentaldrift auslösen, als höchst unwahrscheinlich.
Auch in den folgenden Jahren nahmen führende Geophysiker die Vorstellung von sich bewegenden Kontinenten nicht sonderlich ernst. Die Argumente für und gegen die Kontinentaldrift bezogen sich auf das Land, wohingegen Wegeners Theorie auch die Entstehung von Ozeanen zwischen den Bruchstücken von Pangäa mit einschloß. Das änderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg - und damit fand Wegener die ihm gebührende Anerkennung.
REISE INS UNBEKANNTE
In den 1950er Jahren begann die Zeit des Kalten Krieges. Die Rivalität zwischen den USA und der Sowjetunion machte die Weltmeere zu möglichen Schlachtfeldern für neu entwickelte Waffen, untermeerische Nuklearraketen mit großer Reichweite. Die US-Marine benötigte daher umfangreiche Informationen über die Meere. Für die Navigation unter Wasser waren präzise Karten des Meeresbodens notwendig. Außerdem benötigten sie genaue Informationen über die verschiedenen Gravitationsfelder über den Ozeanen, um die Flugbahnen der Raketen exakt berechnen zu können, sowie nähere Angaben zu den relativ isoliert liegenden Pazifischen Inseln, die sich als Standorte für Atombombentests anboten. Geld spielte dabei kaum eine Rolle. Für die Meeresforscher tat sich eine Goldgrube auf: Zwischen 1948 und 1958 erhöhte die US-Regierung die Fördergelder für die Erforschung der Ozeane um das Zehnfache.
Wissenschaftliches Arbeiten auf See war jedoch ein riskantes Geschäft. Die Ozeanographen mußten auf ihren Hochseeschiffen mit schweren, oft hochexplosiven Geräten arbeiten. Es gab zahlreiche Unfälle - Forscher gingen bei Unwettern über Bord oder wurden von nicht ausreichend gesicherten Maschinenteilen eingeklemmt. Ihre Angehörigen lebten in ständiger Sorge. Aber viele Wissenschaftler verfolgten ihre Tätigkeit geradezu fanatisch. Eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern dominierte die Forschung, deren Namen - Maurice Ewing, Bruce Heezen und Bill Menard - in den wichtigsten Publikationen der 1950er Jahre vielfach auftauchten.
Das Jahrzehnt begann mit einer Forschungsexpedition im Auftrag des Scripps Oceanographic Institute an der Westküste der USA. Die Ergebnisse dieser als MidPac-Expedition bezeichneten Unternehmung enttäuschten viele Erwartungen. Damals herrschte die Vorstellung vor, daß der Meeresboden eine ausgedehnte glatte Fläche sei, die lediglich von einigen submarinen Hügeln und Inseln gegliedert wurde. Dieses Bild basierte auf den Ergebnissen, die in den 1870er Jahren vom Forschungsschiff HMS Challenger erzielt worden waren. Auf deren Fahrten hatte man versucht, die Formationen am Meeresgrund mittels mühevoller Auslotungen zu ermitteln: Vom Schiff aus hatte man ein an einem Kabel befestigtes Gewicht ins Wasser gelassen.
Die Challenger-Expedition hatte jedoch bereits die Erkenntnis erbracht, daß die Tiefsee nicht unmittelbar an die Küste anschließt. Das von relativ seichtem Wasser eingenommene, bis etwa 200 Meter tiefe Gebiet um die Ränder der Kontinente bildet den Kontinentalschelf; er erstreckt sich über mehrere hundert Kilometer vor der Küste. Meerwärts des Schelfs erreicht das Wasser dagegen Tiefen von mehreren tausend Metern. Da die Ozeane im Verhältnis zu ihrer Tiefe enorme Flächen einnehmen, werden die Karten des Meeresbodens stark überhöht dargestellt. Dabei erscheint der Rand des Kontinentalschelfs als gigantisches untermeerisches Gebirge.
In Wirklichkeit neigt sich der Meeresboden meist nur sehr leicht; dennoch gibt es markante Höhenunterschiede. Die bedeutendsten Abhänge finden sich in den als mittelozeanische Rücken bezeichneten Bergketten. Ein solcher rund 2500 Meter hoher Rücken durchzieht den Atlantik auf einer Breite von rund 1000 Kilometern. In einigen Ozeanen sind meist nahe der Küstenschelfs Gräben entwickelt. Diese bis zu etwa 100 Kilometer breiten Rinnen bilden die tiefsten Bereiche der Erdoberfläche. Die tiefste Stelle mit mehr als 11 000 Metern unter dem Meeresspiegel befindet sich im Marianengraben im westlichen Pazifik.
Den Ozeanographen war es gelungen, die Gestalt des Meeresbodens nachzuvollziehen. Die Geologen jedoch interessierten sich für die Gesteine, aus denen der Meeresboden beschaffen ist. Die meisten von ihnen vermuteten, daß er den Kontinenten ähnelte, daß er also aus dicken Schichten von Sedimentgesteinen bestand, die zum Teil erhitzt, gekippt und von ehemals geschmolzenen Massen von Granit durchdrungen worden waren. Die Datierung radioaktiver Elemente ergab, daß Teile der Kontinente mehrere Milliarden Jahre alt sind. Demnach mußten auch die Ozeane sehr alt sein. Es gab sogar die Theorie, daß der Pazifik vor mehreren Jahrmilliarden durch das Abbrechen eines gewaltigen Teilstücks der Erdoberfläche entstanden war, das sich später zum Mond entwickelt haben sollte. Lange Zeit ging man davon aus, daß der auf den Kontinenten erodierte Schutt ins Meer gelangt sei und nach Ablagerung auf dem Meeresboden eine bis etwa 5000 Meter mächtige Sedimentschicht mit einer im wesentlichen glatten Oberfläche gebildet habe.
Die MidPac-Expedition arbeitete mit einem hochpräzisen Gerät, dem Echolot. Zum ersten Mal wurde solch ein Verfahren in der Tiefsee praktiziert. Im Zweiten Weltkrieg hatte man die Geräte zum Aufspüren von U-Booten verwendet, indem in regelmäßigen Abständen akustische Impulse ausgesendet wurden. Diese Impulse gelangen vom Schiff auf den Meeresboden und werden von dort reflektiert und auf dem Schiff registriert. Da man die Geschwindigkeit kannte, mit der sich der Schall im Wasser fortpflanzt, ließ sich die Wassertiefe aus dem zeitlichen Abstand zwischen Aussenden und Empfang der akustischen Impulse errechnen. Die ermittelte Tiefe wird in Karten eingezeichnet, und mit der Zeit entsteht eine Darstellung des Meeresbodens entlang der Schiffsroute. Ein U-Boot in unmittelbarer Nähe würde als markante Untiefe erscheinen. Die Echolot-Messungen ergaben ein überraschend stark gegliedertes Relief des Ozeanbodens, das nicht der Vorstellung eines alten Beckens mit einer mächtigen Sedimentschicht und einer relativ glatten Oberfläche entsprach. Dies war der erste Beweis, daß Ozeanböden nicht so alt sind, wie ursprünglich angenommen wurde.
Noch präzisere Echolote wurden für Untersuchungen im Meeresboden verwendet. Durch künstlich ausgelöste Explosionen erzeugten die Forscher der MidPac-Expedition Signale, die tief in den Ozeanboden eindrangen und danach reflektiert wurden. Die zurückgeleiteten Signale wurden von hochsensiblen Mikrophonen aufgezeichnet, die von den Schiffen mitgezogen wurden. Die Geschwindigkeit konnte durch Ermittlung des Zeitraums zwischen der Explosion und dem Ankommen der Signale errechnet werden. Sie hängt maßgeblich von der Gesteinsart ab. Eine ähnliche Technik hatte man an Land eingesetzt, um die Grundstruktur der Kontinente zu erforschen. Hier breiteten sich die Signale bis in eine Tiefe von 35 Kilometern sehr langsam aus; darunter stieg die Geschwindigkeit. Geologen bezeichneten den Bereich langsamer Ausbreitung der Schwingungen als Erdkruste, den darunterliegenden Teil als Erdmantel. Die MidPac-Forscher ermittelten unter dem Pazifik eine Krusten- und eine Mantelschicht. Die ozeanische Kruste war jedoch wesentlich dünner als die kontinentale; ihre Mächtigkeit betrug nahezu konstant 7 Kilometer.
Die Wissenschaftler der Expedition gewannen aus ihren seismischen Untersuchungen ein viel genaueres Bild der ozeanischen Kruste. Im etwa 1 Kilometer mächtigen oberen Teil der Kruste breiteten sich die Signale überaus langsam aus. Die Forscher deuteten dies als Sedimentbedeckung, die jedoch dünner war als erwartet. Zum damaligen Zeitpunkt war die Zusammensetzung der restlichen Erdkruste nicht bekannt. Dieses Rätsel wurde erst viele Jahre später gelöst. Aber der MidPac-Besatzung gelang es schließlich, dem Ozeanboden Gesteinsproben zu entnehmen. Mit einem Metallgefäß, das an einem langen Kabel hing, konnten aus einer Tiefe von mehreren Kilometern einzelne Bruchstücke fossiler Korallen gefördert werden. Paläontologen ermittelten, daß die Korallen vor etwa 100 Millionen Jahren im Flachwasserbereich in ausgedehnten Korallenriffen gelebt hatten. Seit jener Zeit mußte der Meeresboden auf seine gegenwärtige Tiefe gesunken sein. Dies war ein weiterer Hinweis darauf, daß tiefe Ozeane ein relativ junges Element der Erdoberfläche sein mußten - viel jünger als die Milliarden von Jahren, von denen zahlreiche Wissenschaftler ausgingen. Weitere Forschungsreisen in den frühen 1950er Jahren bestätigten die Ergebnisse der MidPac-Expedition: Demnach weisen weite Teile des Bodens von Atlantik und Pazifik ähnliche Merkmale auf - und beide haben eine wesentlich dünnere Erdkruste als die Kontinente.
Der US-Amerikaner Bill Menard, schon bei MidPac dabei, ermittelte im Rahmen einer späteren Forschungsreise zur Pazifikinsel Midway mit einem Echolot etwa 2000 Meter hohe stufenartige Erscheinungen auf dem Meeresboden. Das Kreuzen über dieser Stelle gab Klarheit darüber, daß sich diese Struktur über mehr als 1000 Kilometer in West-Ost Richtung erstreckte. Somit hatte Menard eine neue Form von untermeerischen Bergketten entdeckt. Bis 1953 konnte er weitere solche Bergketten nachweisen; die längste davon erstreckte sich im östlichen Pazifik über fast 5000 Kilometer. In vielen Fällen nahm die Höhe der Stufe in einer Richtung fortschreitend ab. Menard bezeichnete diese Phänomene als Verwerfungszonen, da sie gewaltigen Brüchen oder Verwerfungen im Meeresboden ähneln.
Bruce C. Heezen und Marie Tharp arbeiteten am Lamont Doherty Observatory nahe New York. 1956 erstellten sie mit Hilfe der großen Datenmenge aus Tiefseemessungen die erste genaue Karte der Topographie des Meeresbodens. Diese Karte zeigt Ozeane mit einer mittleren Tiefe von rund 4 000 Metern; in den zentralen Teilen - im Bereich der mittelozeanischen Rücken sind sie dagegen flacher. Die Gipfel der Rücken liegen etwa 2 500 Meter unter dem Meeresspiegel. Weite Teile des Meeresbodens sind uneben; parallel zu den mittelozeanischen Rücken existiert eine Struktur, die von langgestreckten Hügeln geformt wird. Nur am Fuße des Steilabfalls der Kontinentalabhänge ist der Boden relativ glatt. In diesen Bereichen wird er von Sedimentschichten bedeckt, deren Material von Flüssen in den Ozean getragen und hier abgelagert wurde.
Bei der Erstellung der Karte erkannten Heezen und Tharp eine Besonderheit. Die mittelozeanischen Rücken bilden quasi eine zusammenhängende untermeerische Gebirgskette, die sich als längstes Gebirge der Erde rund um den Planeten schlängelt. Sie weist eine Reihe von besonderen Merkmalen auf. Über weite Strecken verläuft im zentralen Teil ein Tal; es ähnelt dem Talsystem im Ostafrikanischen Graben, wo die Erdkruste auseinander bricht. Bill Menards Verwerfungszonen markieren ein weiteres lineares System, das im rechten Winkel zu den mittelozeanischen Rücken verläuft. Zu diesen wurden häufig auch die Berge an den Verwerfungszonen gezählt. Im Jahr 1958 wurde dann jedoch der Nachweis erbracht, daß die Rücken zwischen Verwerfungszonen in einzelne Segmente zerlegt waren.
MAGNETISCHE ANZIEHUNGSKRAFT
Je mehr der Kalte Krieg an Schärfe gewann, desto häufiger tauchten vor der Küste US-amerikanischer Häfen sowjetische U-Boote auf. Um deren Motorengeräusche aufzunehmen, installierte die US-Marine in den 1950er Jahren in den küstennahen Bereichen Mikrophone. Die empfangenen Signale wurden jedoch durch den Widerhall an untermeerischen Hügeln verfälscht. Die Marine benötigte dringend äußerst exakte Karten über die Meerestiefen bis etwa 600 Kilometer vor der Westküste Nordamerikas. Im Jahr 1955 wurde daher eine genaue Untersuchung des Meeresbodens vorgenommen. Das Projekt umfaßte Tiefenmessungen mit Hilfe eines Echolots, die ein Schiff durch Hin- und Herfahren auf eng benachbarten Abschnitten durchführen sollte. Die Marine bot den Forschern an, dabei auch eigene Untersuchungen anzustellen. Daraufhin wurde beschlossen, ein Instrument, das die Stärke des Erdmagnetfeldes maß, hinter dem Schiff mitzuziehen. Da manche Gesteine magnetisch sind, gingen die Wissenschaftler davon aus, daß von Abweichungen im Magnetfeld in den Ozeanen auf die Gesteine des Meeresbodens geschlossen werden könne. Sie ahnten jedoch nicht, zu welchen Erkenntnissen sie gelangen würden.
Die geowissenschaftlichen Forschungsarbeiten vor der Westküste Nordamerikas wurden von Arthur Raff geleitet. Zur präzisen Messung des Magnetfeldes verwendete er ein neu entwickeltes Gerät - ein sogenanntes Protonen-Magnetometer. Das Magnetfeld der Erde ist an verschiedenen Stellen unterschiedlich groß. Leichte Abweichungen der Stärke des Magnetfeldes von den Polen zum Äquator waren in ihrem Ausmaß ziemlich genau bekannt. Die Wissenschaftler suchten nach Schwankungen der Feldstärke in kleinerem Maßstab. Für diese Schwankungen, die von der erwarteten schwachen Variation abweichen, wurde der Begriff der magnetischen Anomalien kreiert.
Beim Kreuzen des Schiffes in parallelen Routen zeichnete Raff diese Anomalien akribisch auf. Er ermittelte, daß die Anomalien eine wellenförmige Struktur mit Wellengipfeln und Wellentälern aufwiesen, die einen Bereich von weniger als 10% der gesamten Feldstärke ausmachten. Einzelne bei einer Fahrt ermittelte Anomalien konnten im Gebiet nebeneinander liegender Schiffsrouten nachvollzogen werden.
Raff entdeckte beim Verbinden der Meßwerte der verschiedenen Routen markante Übereinstimmungen. Damit konnte er eine Karte der magnetischen Anomalien des Meeresbodens erstellen. Bei Markierung der Wellengipfel beziehungsweise -täler der magnetischen Anomalien in Weiß und Schwarz erscheint auf der Karte eine zebraähnliche Struktur mit parallelen Streifen, die eine Breite von bis zu mehreren zig Kilometern haben. Ein ähnliches Muster konnte für das Festland nicht beobachtet werden. Dort bilden die Anomalien aufgrund der unregelmäßigen Verteilung magnetisierter Gesteine ein Wirrwarr unterschiedlich hoher Feldstärken.
Raffs parallele Streifen erschienen so ausgeprägt, daß viele seiner Kollegen davon ausgingen, daß seine Meßinstrumente nur mangelhaft funktioniert hatten. Raff hingegen war von deren Genauigkeit überzeugt. Er bemerkte auch, daß die Anomalien parallel zu den mittelozeanischen Rücken verliefen. Diese Beobachtung schien zunächst von entscheidender Bedeutung, war aber bei der Publikation der Karte im Jahr 1958 nur noch bloße Kuriosität. Klar war jedoch, daß das Muster magnetischer Anomalien sehr vielfältig war. Zu beiden Seiten gigantischer Bruchzonen im östlichen Pazifik wurden identische Strukturen ermittelt.
In den späten 1950er Jahren beschäftigten sich die Forscher mit den Ursprüngen der magnetischen Streifen. Auf dem Festland ergeben sich magnetische Anomalien aus der Verteilung der Gesteine. Besonders stark ist das Magnetfeld in Gebieten mit hohen Anteilen magnetischer Gesteine. Es schien jedoch nicht plausibel, daß der gesamte Meeresboden, der beinahe zwei Drittel der Erdoberfläche bedeckt, aus wechselnden Streifen aus unterschiedlichen Gesteinen aufgebaut sein sollte. Allem Anschein nach waren die Gesteine des Meeresbodens sehr gleichförmig aufgebaut und von etwa konstanter Mächtigkeit.
NORDEN IST SÜDEN
In den 1920er Jahren beschäftigte sich der japanische Wissenschaftler Motonari Matuyama mit dem Magnetismus von Gesteinen. Es war bekannt, daß manche Gesteine eisenhaltige Minerale wie Magnetit und Hämatit enthalten. Der Magnetismus dieser Minerale weist bestimmte Eigenschaften auf. Wenn zum Beispiel Magnetit über eine kritische Temperatur - die sogenannte Curie-Temperatur - erhitzt wird (etwa 500 Grad), verliert es seine dauermagnetischen Eigenschaften. Kühlt das Gestein dann wieder unter die entsprechende Temperatur ab, erlangt es seine magnetischen Eigenschaften wieder und speichert dabei die magnetischen Eigenschaften des Feldes, das zu dieser Zeit besteht. Danach verhalten sich die Gesteine, die magnetische Minerale enthalten, wie ein einfacher Magnetstreifen, etwa wie eine Kompaßnadel, die sich jeweils zum magnetischen Nordpol hin ausrichtet. Matuyama untersuchte in seinem Labor an der kaiserlichen Universität von Kyoto einige vulkanische Gesteine, die er in Japan gesammelt hatte.
Er erwartete natürlich, daß sich alle Gesteine zum magnetischen Nordpol hin ausrichten würden, doch einige Proben taten das Gegenteil und orientierten sich in die entgegengesetzte Richtung, zum magnetischen Südpol. Diese Gesteine stammten von Vulkanen, die älter waren als die Steine, die sich zum magnetischen Nordpol ausrichteten. Eine einfache Erklärung dafür schien, daß das Magnetfeld der Erde sich vor ein paar Millionen Jahren umgekehrt haben mußte. Die älteren vulkanischen Gesteine unterlagen somit einer nach Süden gerichteten Magnetisierung, da sie zu einer Zeit auskristallierten, als sich der magnetische Nordpol tatsächlich nahe dem Südpol befand.
Bemerkenswert ist, daß Matuyamas Kollegen diesen Gedanke nicht verwarfen, als er seine Ergebnisse 1929 publizierte. Niemand wußte, warum die Erde ein magnetisches Feld hatte, und wo die Pole lagen schien daher eher sekundär. Zu Beginn der 1960er Jahre gelangten immer mehr Wissenschaftler zu der Überzeugung, daß sich das Magnetfeld der Erde in der Vergangenheit tatsächlich periodisch umgekehrt hatte.
Edward Bullard fand auch eine Erklärung dafür, wie das Magnetfeld der Erde entstanden sein könnte. Zunächst einmal setzte er voraus, daß der äußere Kern flüssig war, und stellte dann die folgende Überlegung an: Die Fließbewegungen des äußeren Kerns konnten bewirken, daß sich der äußere Kern wie ein Dynamo verhielt, der bei der Erzeugung von Strom ja ebenfalls ein leichtes Magnetfeld bildet.
In diesem Modell schien es sehr gut möglich, daß sich beim Wechsel der Fließbewegungen auch die Richtung des Magnetfeldes umkehrt. Stimmte diese Annahme und hatte sich das Magnetfeld der Erde in der Vergangenheit tatsächlich umgekehrt, dann mußten gleich alte vulkanische Gesteine auf der ganzen Welt die gleiche magnetische Ausrichtung aufweisen.
Um diese Theorie zu überprüfen und zu belegen, war es jedoch nötig, die untersuchten Gesteine exakt zu datieren.
Wie so oft in der Wissenschaftsgeschichte erforderte die Lösung dieses Problems eine ganz neue wissenschaftliche Methode: die Datierung von Gesteinen mit Hilfe der Zerfallszeiten von radioaktivem Kalium, einem in vulkanischen Gesteinen häufig vorkommenden Mineral, zum Gas Argon. Solange vulkanische Gesteine noch nicht auskristallisiert sind, kann das durch den Zerfall von Kalium entstandene Gas Argon entweichen. Nach der Verfestigung des Gesteins aber ist das Argon eingeschlossen, und sein Gehalt im Gestein steigt an. Damit läßt sich am Argongehalt das Alter des Gesteins ablesen. Allerdings ist der Anteil des Gases überaus gering. Außerdem verfügte in den frühen 1960er Jahren nur die Berkeley University in Kalifornien über die Ausrüstung, um präzise Messungen vorzunehmen.
Die mit der Untersuchung des Magnetismus von Gesteinen befaßten Wissenschaftler benutzten für die Datierung ihrer Proben die Kalium-Argon-Methode. Wie Matuyama schon in den 1920er Jahren vermutet hatte, bestand tatsächlich ein Zusammenhang zwischen dem Alter der vulkanischen Gesteine und deren magnetischer Ausrichtung. Dies bestätigte die Theorie der Dynamik des Magnetfeldes der Erde; die Umkehrungen schienen immer nach etwa einer Million Jahren zu erfolgen. Damit war die Bühne frei für die Lösung des Rätsels der Meeresböden.
EINE RADIKALE HYPOTHESE
Harry Hess, der an der Princeton University lehrte, veröffentlichte 1960 eine aufsehenerregende Arbeit, in der er sich mit dem Ursprung der Meeresböden auseinander setzte. Der ehemalige Offizier der Navy hatte während seines Dienstes auf See jede Gelegenheit wahrgenommen, mit dem neu entwickelten Echolot Daten über den Meeresboden zu erheben. Danach verfolgte er mit gespanntem Interesse die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die immer häufiger durchgeführten Forschungsfahrten erbrachten. Hess erkannte, daß die Gesteine des Meeresbodens eine andere Zusammensetzung aufweisen mußten als die Gesteine des Festlands - da sie viel tiefer lagen als die kontinentalen Gesteine, mußten sie deutlich dichter sein. Seine Argumentation basierte auf dem Prinzip der sogenannten Isostasie; sie besagt, daß sich die äußere Kruste der Erde wie ein Schiff auf dem flüssigeren Inneren bewegt. Die dichteren Gesteine am Meeresgrund sinken also tiefer in die Erde als die leichteren Gesteine der kontinentalen Kruste. Hess vermutete, daß der Meeresboden unter der dünnen Sedimentschicht aus dem gleichen Material wie der Erdmantel aufgebaut ist, mit etwa der gleichen hohen Dichte. Da, wo das Material jedoch mit Meereswasser in Berührung kam, entstände das Mineral Serpentin.
Hess entwickelte auch eine Theorie zur Entstehung der mittelozeanischen Rücken. Messungen hatten einen Anstieg der Temperatur in den obersten Metern der mittelozeanischen Rücken ergeben. Daraus wurde gefolgert, daß die Gesteine in einigen Kilometern Tiefe ungewöhnlich heiß sind. Die höheren Temperaturen führen zu verstärkter Ausdehnung und Verringerung der Dichte der Gesteine sowie zur Hebung des Meeresbodens. War das der Grund für die Existenz der mittelozeanischen Rücken? Sie könnten dort entstehen, wo heißere und weniger dichte Bereiche des Erdinneren zur Oberfläche aufsteigen.
Hess ging noch einen Schritt weiter. Eine seiner Entdeckungen, die er während des Zweiten Weltkrieges mit einem Echolot im Pazifik gemacht hatte, beschäftigte ihn besonders:
Er hatte am Meeresboden seltsam abgeflachte, kreisförmige Berge nachgewiesen, die er als Guyots bezeichnete. Sie erinnerten stark an flache Inseln im Pazifik, die durch marine Abrasion abgeflacht worden waren aber die Guyots befanden sich mehrere tausend Meter unter der Meeresoberfläche. Ihre Höhenlage über dem umgebenden Meeresboden ist auffallend konstant. Mit dem Sinken des Ozeanbodens geht somit auch ein Sinken der Guyots einher. Hess zufolge könnte der Meeresbodens ständig weitersinken. Die Guyots wären demnach ehemalige Inseln, die unter den Meeresspiegel absanken und dann immer weiter in die Tiefe gerieten. Wie aber paßte das mit der Vorstellung zusammen, daß die mittelozeanischen Rücken aus dem Erdmantel aufsteigen? Hess fand eine ganz einfache Antwort:
Der Meeresboden ist gewissermaßen ein Teil eines gigantischen Fördersystems der Erdoberfläche. Dabei steigt zunächst Mantelmaterial zu den Kämmen der mittelozeanischen Rücken auf und bildet dort neuen Meeresboden. Anschließend bewegt sich das Material zur Seite und kühlt langsam ab. Aufgrund der Abkühlung zieht es sich zusammen und sinkt demzufolge zunehmend ab. Auf diese Weise gerieten auch die abgeflachten Berge unter Meeresniveau und entwickelten sich zu Guyots.
Zur Beschreibung des von Hess entdeckten Fördermechanismus bürgerte sich rasch der Begriff seafloor spreading (Ausbreitung des Meeresbodens) ein. So radikal diese Theorie war, erklärte sie doch eine ganze Reihe von Phänomenen. Sie setzte voraus, daß der Meeresboden geologisch jung war worauf ja bereits die Ergebnisse der MidPac-Expedition hindeuteten. Die seitwärts gerichtete Bewegung des Meeresbodens weg von den mittelozeanischen Rücken würde erklären, warum der Hauptkamm der Rücken oft wie eine gigantische Spalte in der Erdkruste aussieht: Hier bricht der Meeresboden auseinander. Und schließlich steigt die Sedimentmächtigkeit auf dem Ozeanboden mit zunehmender Entfernung von den Rücken an, einfach weil der Grund dort älter und damit der Zeitraum für die Ansammlung von Sedimenten länger ist.
Im Jahr 1962 wurde Hess von den Geologiestudenten der englischen Cambridge University eingeladen, um über seine Theorie zu referieren. Fred Vine, einer der Studenten, war von seinen Ausführungen so beeindruckt, daß er nur ein Jahr später die Ergebnisse einer kurz zuvor durchgeführten magnetischen Untersuchung im Indischen Ozean nahe dem Carlsberg-Rücken zu analysieren begann. Dabei griff Vine einen Aspekt des Meeresbodens auf, den Hess nicht erklärt hatte: die geheimnisvolle Struktur der magnetischen Anomalien.
Es war bekannt, daß die meisten Inseln vulkanischen Ursprungs waren. Und Hess hatte mit der Entdeckung der Guyots Reste vieler untermeerischer Vulkane aufgespürt. Nahe dem Carlsberg-Rücken wurden zwei konische Berge untersucht, die Fred Vine ebenfalls für erloschene Vulkane hielt. Über einem der beiden Berge war das Magnetfeld jedoch viel stärker als über dem anderen. Vine fand folgende einleuchtende Erklärung für diesen Umstand: Der eine der Berge entstand, als das Magnetfeld der Erde umgekehrt war und die abkühlenden Lavamassen daher einer umgekehrten Magnetisierung unterlagen, während der andere sich bildete, als das Erdmagnetfeld die aktuelle Polarität hatte. Die jeweilige Magnetisierung der submarinen Berge addiert beziehungsweise subtrahiert sich mit dem Magnetfeld der Erde, und so entstehen die beobachteten deutlichen Unterschiede.
Vine kam zu dem Schluß, daß vielleicht der gesamte Meeresboden unterhalb einer dünnen Sedimentschicht aus vulkanischem Gestein aufgebaut ist, das aus dem Erdmantel ausgeworfen wird. Hess hatte dagegen nur gefolgert, daß der Meeresboden aus Mantelmaterial besteht, das durch den Kontakt mit Wasser chemisch verändert wurde. Fred Vine und Drummond Matthews stellten nun eine Verbindung zwischen der von Hess entwickelten Theorie des seafloor spreading, den Untersuchungsergebnissen am Carlsberg-Rücken und der Beobachtung der streifenförmigen Anordnung der magnetischen Anomalien parallel zu den mittelozeanischen Rücken her. Sie entwickelten eine Theorie, die durch ihre Einfachheit bestach und 1963 in der wissenschaftlichen Zeitschrift »Nature« veröffentlich wurde.
Vine und Matthews folgten den von Hess entwickelten Gedanken, daß sich der Meeresboden zu beiden Seiten der mittelozeanischen Rücken ähnlich wie ein Förderband nach außen bewegt. Die dabei entstehende Lücke wird ständig durch vulkanische Eruptionen aufgefüllt, bei denen neuer Ozeanboden entsteht. Das vulkanische Gestein wird beim Abkühlungsvorgang dem Magnetfeld entsprechend magnetisiert. Der neu gebildete Ozeanboden bewegt sich im Zuge des seafloor spreading vom mittelozeanischen Rücken weg. Wenn sich das Erdmagnetfeld umkehrt, wird der neue Meeresboden in entgegengesetzter Richtung magnetisiert. Auf diese Weise entsteht auf dem Meeresboden die Struktur wechselseitig magnetisierter Streifen, die sich in Karten zebraähnlich darstellt. Vine zeigte auf, daß die magnetische Anomalie entlang der Hauptachse des Rückens darauf schließen läßt, daß die Gesteine dem gegenwärtigen Magnetfeld entsprechend ausgerichtet wurden. Dies entspricht genau seinem Modell der Entstehung neuen Meeresbodens entlang der Achse des untermeerischen Rückens.
NEUES BEWEISMATERIAL
Man könnte annehmen, daß die Fülle von Beweismaterial für die Gedanken von Harry Hess und Fred Vine erdrückend sein mußte, da so viele Fragen beantwortet schienen. Dies entspricht jedoch nicht der damaligen Wahrnehmung. Die Theorien der beiden Geologen erschienen den Zeitgenossen so außergewöhnlich, ja bizarr, daß sie von ihnen genauestens unter die Lupe genommen und geprüft wurden. Und die sehr kritischen Wissenschaftler deckten in den Beweisen von Hess und Vine mehr Lücken auf, als es diesen lieb sein konnte - zu viele, um die akademische Welt zu überzeugen. Tatsächlich gab es einfach noch zu wenig verfügbare Daten.
Im Jahr 1965 besuchte J. Tuzo Wilson, ein Geophysiker von der University of Toronto, Fred Vine in Cambridge, um sich mit diesem über dessen Untersuchungsergebnisse und den sich daraus ergebenden Folgerungen auseinander zu setzen. Wenn die Ozeane durch Ausbreitung an den mittelozeanischen Rücken entstehen und wechselseitig magnetisierter Meeresboden gebildet wird, dann sollte zu beiden Seiten der Rücken die gleiche Struktur magnetischer Anomalien auftreten. Im folgenden Jahr wurde dafür der erste Beweis erbracht. Das US-Forschungsschiff Eltanin stellte im Pazifik nahe der Osterinsel im Bereich des mittelozeanischen Rückens in einer etwa 4000 Kilometer breiten Zone magnetische Messungen an.
Das ermittelte Profil zeigte zu beiden Seiten des Rückens über je rund 2000 Kilometer eine nahezu symmetrische Struktur magnetischer Anomalien. Beim Falten der angefertigten Karte und dem Übereinanderlegen beider Teile zeigt sich eine verblüffende Übereinstimmung. Alle Umkehrungen des Erdmagnetfeldes, die sorgfältig an Land ermittelt worden waren, entsprachen den magnetischen Anomalien des von der Eltanin erhobenen Profils.
Wilson beschäftigte sich auch mit der ungegliederten Struktur der Verwerfungszonen und mit den mittelozeanischen Rücken. Er behauptete, daß der Hauptkamm eines Rückens und die Verwerfungszonen eine im Zickzack verlaufende Grenze zwischen zwei sich voneinander entfernenden Teilen der ozeanischen Kruste bilden. Bei der Seitwärtsbewegung vom Rücken weg gleitet Meeresboden entlang der Verwerfungszonen - auch an benachbarten Teilen vorbei. Dies zeigt sich auch nach dem Auseinanderreißen eines Blattes in zwei Teile entlang einer im Zickzack verlaufenden Linie. Wenn man beide Teile auf einer flachen Oberfläche zusammensetzt und sie parallel zu Abschnitten des Risses ein wenig verschiebt, ist das Prinzip der Verwerfungszonen nachvollziehbar.
Rücken bilden sich entlang der anderen Abschnitte, wo die Bewegung rechtwinklig zum Riß erfolgt. Wilson sah voraus, daß die Bewegung an Verwerfungszonen auf Bereiche beschränkt ist, die Abschnitte an Rücken verbinden - diesen Verwerfungstyp nannte er Transformstörung. Teile des Ozeanbodens zu beiden Seiten der Verwerfungszone gleiten aneinander vorbei. Bewegungen an den Verwerfungen der Erdkruste lösen Erdbeben aus. Als Wissenschaftler mit der genauen Lokalisierung von Erdbeben in Ozeanen begannen, ermittelten sie eine unregelmäßig verlaufende Linie, die - wie Wilson behauptet hatte - sowohl den Hauptkämmen der mittelozeanischen Rücken als auch den Transformstörungen folgt. Somit waren auf einen Schlag die vielschichtigen Fragen bezüglich des Meeresbodens beantwortet.
Mit Hilfe der mühsam ausgearbeiteten zeitlichen Einordnung der Umkehrungen des Erdmagnetfeldes konnten Geophysiker den fast zwei Drittel der Erdoberfläche bedeckenden Meeresboden mit einer Exaktheit kartieren, die für die Darstellung der Kontinente noch lange nicht erreicht war. Die magnetischen Anomalien zeigen, daß kein Gestein des Ozeanbodens älter als etwa 200 Millionen Jahre ist. Kontinente sind durchschnittlich um das Zehnfache älter als die gegenwärtigen Meeresbecken. Der gesamte, innerhalb eines Jahres an den mittelozeanischen Rücken neu gebildete Meeresboden hat eine Fläche von durchschnittlich 3,5 Quadratkilometern.
BOHRUNG IM MEERESBODEN
Seit es die Wissenschaft der Ozeanographie gibt, sind die Wissenschaftler frustriert darüber, daß sie nicht die Möglichkeit haben, den Meeresboden gewissermaßen mit Händen zu greifen. Immerhin hatten viele von ihnen als Geologen angefangen, Feldforschung betrieben und zu Beginn ihres Berufslebens häufig mit einem Hammer Gesteinsbrocken aus den Felsen geschlagen und sie dann ins Labor geschleppt. Die Meeresgeologie dagegen muß weitgehend in großem Abstand zum untersuchten Medium mit Hilfe von Geräten der Fernerkundung betrieben werden: mit Echoloten, durch Messungen des Magnetismus und der Schwerkraft.
Mitte der 1960er Jahre wurde ein Schiff mit einer Bohrausrüstung bestückt - damit war es das höchstentwickelte Forschungsschiff der Welt. Von ihm aus konnten Löcher in den Meeresboden gebohrt werden; die zylinderförmigen Bohrkerne wurden nach oben gezogen. Das Schiff erhielt den Namen Glomar Challenger - nach der Produktionsfirma (Global Marine Company) und dem Schiff, das in den 1870er Jahren die erste große Forschungsfahrt auf dem Ozean unternommen hatte (HMS Challenger). Die von Bord der Glomar Challenger aus unternommenen Arbeiten zählen zu den bedeutendsten Untersuchungen in der Geschichte der Erforschung der Erde.
Die 18 Monate dauernde Fahrt der Glomar Challenger bestätigte 1968 zweifelsfrei die Theorie des seafloor spreading. Während des dritten Abschnitts der Reise wurden neun Löcher in den Boden des Südatlantik zwischen Südamerika und dem südlichen Afrika gebohrt, in Meerestiefen zwischen 2 000 und 4 500 Metern. Die Bohrungen drangen im Meeresboden mehr als 100 Meter bis zu vulkanischem Basalt vor. Damit war der Beweis erbracht, daß der Meeresgrund unter den Sedimentschichten tatsächlich vulkanischen Ursprungs ist. Oberhalb des Basalts zeigten die Bohrkerne Ablagerungen von Tiefseesedimenten, die zahlreiche Spuren kleinster Organismen enthielten, die durch den Vergleich mit Organismen terrestrischer Gesteine bekannten Alters datiert werden konnten. Wenn die Theorie der Bildung von Meeresboden durch seafloor spreading zutraf, so mußten sich die Sedimente bald nach dessen Entstehung auf der ozeanischen Kruste ablagern. Demnach wären die ältesten Organismen in den Sedimentschichten der Bohrkerne nahezu gleich alt wie die darunterliegende ozeanische Kruste und würden mit zunehmendem Abstand vom mittelozeanischen Rücken ein immer höheres Alter aufweisen. Diese Annahme wurde durch die Ergebnisse der Bohrungen bestätigt.
Tatsächlich verhielt sich das Alter der Organismen proportional zur Entfernung vom mittelozeanischen Rücken - dies entsprach der Annahme, daß sich der Meeresboden mit konstanter Geschwindigkeit ausdehnt. Für den Südatlantik konnte für die Ausbreitung des Meeresbodens von den mittelozeanischen Rücken aus eine mittlere Rate von 4 Zentimetern pro Jahr ermittelt werden. Südamerika und Afrika driften also in dieser Geschwindigkeit auseinander. Rechnet man nun von der Ausbreitung des Meeresbodens im Atlantik zurück, ergibt sich, daß Afrika und Südamerika vor etwa 125 Millionen Jahren zusammenhingen. Als die ältesten Teile des südatlantischen Meeresbodens gebildet wurden, müssen die Ränder der Kontinente Afrika und Südamerika einander berührt haben (dabei entsprechen die Ränder nicht den Küstenlinien, sondern den Grenzen der Kontinentalschelfe zu den Kontinentalabhängen).
Kein Wunder, daß sich die Ränder beider Kontinente ähneln - sie hingen früher zusammen und drifteten auseinander. Dies entsprach der von anderen Wissenschaftlern nicht anerkannten Theorie, die Alfred Wegener 1915 aufgestellt hatte. Und es entsprach auch dem Computermodell, das Edward Bullard 1965 präsentiert hatte. Nun war der Nachweis erbracht - nicht durch Funde an Land, sondern durch Bohrungen mitten im Ozean. Doch die Bohrungen im Ozeanboden erbrachten noch mehr. Die Sedimentfolge auf der vulkanischen Kruste dokumentiert die Entstehungsgeschichte des Atlantiks von dem Zeitpunkt an, als sich - ähnlich dem Ostafrikanischen Graben - eine schmale Spalte zwischen zwei Kontinenten auftat, die schließlich zu einem mehrere Kilometer tiefen Ozean wurde.
Gegen Ende der 1960er Jahre hatten Geologen ausreichende Kenntnisse über den Meeresboden erlangt, um Bereiche ausfindig zu machen, die im Laufe der Zeit über Meeresniveau gehoben worden waren. So ist die Insel Island im Nordatlantik ein oberirdischer Teil des mittelozeanischen Rückens. Fortwährende vulkanische Aktivität und Erdbeben zeugen hier von der Ausbreitung der Erdkruste. Bei vulkanischen Eruptionen öffnen sich Spalten, in denen flüssiges Magma freigesetzt wird. Der Mechanismus der Ausbreitung des Meeresbodens ist offensichtlich, auch wenn die Kruste in Island wesentlich dicker ist als in den Ozeanen. In anderen Gebieten der Erde wurden in Gebirgsketten Basalt und Meeressedimente gefunden. Wie sie dorthin kamen, ist noch umstritten. Trotzdem liefern sie den besten Einblick in die Gestalt der Erdkruste unterhalb des Meeresbodens. Ein herausragendes Beispiel ist die Wüste in Oman, wo Ophiolithe gefunden wurden. Sie lassen sich als Überreste unterschiedlicher Niveaus untermeerischer Vulkane interpretieren, die im Bereich der mittelozeanischen Rücken ausbrachen.
Ein typischer Ophiolith besteht in den obersten Lagen aus mehrere hundert Meter mächtigem, kieselsäurehaltigem Gestein, das durch die Verfestigung silikatreichen Schlamms entstand. Die Sedimente lagern auf Basalt, der eine für Unterwassereruptionen typische Kissenform hat. Unter der sogenannten Pillow-Lava erstrecken sich Basaltdecken, die in gigantischen Spalten auskristallisierten. Dies ist ein eindeutiger Beweis für die Bewegung des Meeresbodens und für den Aufstieg flüssigen Magmas, das die Klüfte ausfüllte. Noch tiefer erstreckt sich eine Schicht basaltähnlicher Zusammensetzung dort, wo sich flüssiges Magma ansammelte und auskristallisierte. All diese Lagen bilden eine rund 7 Kilometer mächtige Kruste, die auf dem Erdmantel sitzt. Durch Messung der Geschwindigkeit seismischer Wellen in den Gesteinen konnten Geologen die Gesteinsproben des Meeresbodens mit terrestrischen Gesteinen vergleichen.
MODELL DES MEERESBODENS
Eine wichtige Frage konnte die Theorie des seafloor spreading bis Mitte der 1980er Jahre nicht beantworten: Warum schmilzt das aufsteigende Mantelmaterial, das die Vulkane bildet, die wiederum die ozeanische Kruste bilden. Geophysikern war schon lange bekannt, daß der Erdmantel fest ist; bei Erdbeben »schwingt« er wie eine Glocke. Der Aufstieg des Materials unterhalb der mittelozeanischen Rücken erfolgt in einer Art »festem Fließen«; diese Bewegung vollzieht sich sehr langsam und ähnelt dem Verhalten von Blei oder Glas, wenn diese Materialien lange genug liegen. Zwar ist der Erdmantel sehr heiß, doch wegen des großen Gewichts der darüberliegenden Gesteine herrscht ein gewaltiger Druck, der dafür verantwortlich ist, daß die Gesteine fest bleiben. Dan McKenzie, ein Geophysiker der Cambridge University, erkannte, daß der Druck im heißen Mantelmaterial beim Aufsteigen mit zunehmender Annäherung an die Oberfläche abnimmt. Schließlich ist der Druck so niedrig, daß das Material seine Festigkeit verliert und schmilzt. Die geschmolzenen Massen werden dann in der Zentralspalte der mittelozeanischen Rücken ausgestoßen und bilden neue ozeanische Kruste. Da die ozeanische Kruste überall durch die gleichen Vorgänge gebildet wird, ist ihre Dicke annähernd konstant.
Das seafloor spreading beschränkt sich jedoch nicht auf die ozeanische Kruste. Auch der darunterliegende Mantel bewegt sich horizontal von den mittelozeanischen Rücken weg. Der Erdmantel wird wie andere geologische Strukturen ebenfalls mit abnehmender Temperatur immer dichter. Unterhalb einer kritischen Temperatur ist er sogar dichter als alle anderen Bereiche, aus denen die Erde aufgebaut ist. Dieser dichteste Bereich wird als Lithosphä-
re bezeichnet. Sie erstreckt sich in der Regel bis in Tiefen, in denen Temperaturen von etwa 1300 Grad herrschen.
Unter der Lithosphäre befindet sich die Asthenosphäre - hier ist der Erdmantel heißer und weniger dicht (astheno bedeutet schwach). Der Meeresboden ist durch den Kontakt mit dem kalten Wasser recht kühl, er weist eine Temperatur von etwa 0 Grad auf. Der Mantel unterhalb der Hauptachse der mittelozeanischen Rücken ist hingegen sehr heiß - die Temperatur liegt nahe am Schmelzpunkt von Basalt, der die ozeanische Kruste bildet. Bei der Bewegung von den Rücken weg kühlt auch das Mantelmaterial ab. Am Hauptkamm der mittelozeanischen Rücken ist die Lithosphäre meist nur sehr dünn; vereinzelt reicht die Asthenosphäre bis nahe an die Oberfläche. Mit zunehmender Entfernung von den Rücken wird die Lithosphäre mächtiger und erreicht an den ältesten Stellen des Meeresgrundes eine maximale Dicke von 120 Kilometern.
Die Tatsache, daß der Meeresboden mit zunehmender Entfernung von den mittelozeanischen Rücken mächtiger wird, hängt damit zusammen, daß sich die Lithosphäre bei Abkühlung zusammenzieht. Je niedriger die Temperatur, desto stärker verdichtet sich das Material. In den 1960er Jahren errechneten Wissenschaftler, daß sich die Mächtigkeit des Meeresbodens proportional zur Quadratwurzel seines Alters verhält. Mit dieser mathematischen Beziehung läßt sich der Aufbau weiter Teile des Meeresbodens vorhersagen, was ebenfalls die Theorie des seafloor spreading belegt.
REISE ZUM MEERESBODEN
In den 1970er Jahren wurde es zu einem Hauptanliegen der Meeresgeologie, zu den mittelozeanischen Rücken zu gelangen, da diese Gebiete im wahrsten Sinn des Wortes die Wiege weiter Teile der Erdoberfläche sind. Bis dahin hatte man den Meeresgrund mit Hilfe akustischer Geräte sehr präzise kartiert. Diese waren so konstruiert, daß sie hinter Schiffen knapp über den Meeresboden gezogen wurden und seitlich hochfrequente akustische Signale abstrahlten. Computer setzten die gesammelten Informationen dann in ein dreidimensionales Bild um, das einer etwas unterbelichteten Fotografie ähnelt.
Die Wissenschaftler, die erstmals die Computerkarten des Meeresbodens auswerteten, fühlten sich vermutlich wie Astronauten, die Satellitenaufnahmen eines fremden Planeten sahen. Die Zeit war reif für eine Reise - nicht in die Tiefen des Alls, sondern in die der Ozeane. Es bedeutete, in Tiefen von mehr als 3 000 Metern hinabzutauchen, wo ein Druck von mehr als 300 Atmosphären herrscht. Um einem solchen Druck standzuhalten, bedurfte es spezieller Unterseeboote: Bis heute gibt es weltweit nur ein halbes Dutzend solcher Spezialboote, die
russischen MIR-U-Boote sowie die französischen und US-amerikanischen U-Boote Nautile und Alvin.
In diesen U-Booten braucht man etwa zwei Stunden, um bis zum Meeresboden vorzudringen - in dieser Zeit legt das U-Boot auf einem spiralförmigen Kurs die über 3 000 Meter zurück. Die Titanhülle hält dem Druck stand, während im Inneren ein der Erdoberfläche vergleichbares Druckniveau herrscht. Die Position des Schiffes wird mit Ortungsgeräten verfolgt. Kurz vor Erreichen des Meeresbodens werden Gewichte abgeworfen, damit das U-Boot seine Schwimmkraft erhält. Von da an wird es durch einen Elektromotor betrieben. Die Wissenschaftler an Bord beobachten den durch Lampen ausgeleuchteten Meeresboden durch Spezialkameras oder die kleinen Fenster. Ein Tauchgang dauert etwa vier
Stunden. Danach werden weitere Metallgewichte abgeworfen, um dem U-Boot den etwa zweistündigen Aufstieg zum Versorgungsschiff zu ermöglichen. Die ersten Tauchfahrten bestätigten, daß es am Hauptkamm der mittelozeanischen Rücken eine intensive vulkanische Aktivität gibt. Überall fanden sich Beweise für junge Lavaströme, die wie Zahnpasta aus der Tube austraten und die typische röhren- und kissenförmige Unterwasserlava bildeten.
An einer Stelle im Pazifik entdeckten die Wissenschaftler Anzeichen für eine Eruption kurz vor dem Tauchgang - Wasser schimmerte über der noch warmen Lava. Temperaturproben zeigten gelegentlich, daß Wasserkörper, die in Klüften der Lava aufstiegen, höhere Temperaturen aufwiesen als das im allgemeinen 0 Grad kalte Tiefseewasser. Im Jahr 1979 entdeckte eine französisch-amerikanische Expedition während eines Tauchgangs zu einem mittelozeanischen Rücken im Pazifik etwas Unerwartetes: eine schwarze Wolke, die vom Ozeanboden emporschwebte.
Ein in diese Wolke eingebrachtes Thermometer schmolz sofort, was an Bord großes Entsetzen auslöste, da das Thermometer auf maximal 300 Grad ausgelegt war - etwa die Temperatur, der die Plexiglasfenster des U-Boots gerade noch widerstehen konnten.
Dabei wäre die Besatzung des U-Boots beinahe mitten durch die schwarze Wolke gefahren! Schließlich gelang es doch noch, die Temperatur zu ermitteln: Sie betrug 350 Grad. Die Wolke wurde als block smokers (schwarzer Raucher) bezeichnet, und seither wurde diese Erscheinung noch viele weitere Male entlang der mittelozeanischen Rücken entdeckt.
Block smokers sind der sichtbare Beweis für das Strömen von Wasser durch die ozeanische Kruste. Dieses Phänomen existiert auch in Entfernungen von bis zu 1 500 Kilometern von den mittelozeanischen Rücken. Die Erscheinung ist von fundamentaler Bedeutung sowohl für die Abkühlung des Meeresbodens als auch für die chemische Zusammensetzung der Ozeane. Kaltes Meerwasser dringt durch Risse tief in die ozeanische Erdkruste vor. In größeren Tiefen wird es durch Kontakt mit heißen Gesteinen aufgeheizt. Das sehr heiße Wasser, das viel leichter ist als das kalte Wasser des Ozeans, steigt schnell auf und tritt wieder aus der Erdkruste aus.
Schätzungen zufolge fließt das gesamte Wasser der Ozeane innerhalb einiger zehn Millionen Jahre durch die Risse im Meeresboden. Das zirkulierende Meerwasser wird dabei aufgeheizt, während die umgebenden Gesteine abkühlen; außerdem reagieren die chemischen Stoffe im Gestein und im Wasser miteinander. So verändert sich das vulkanische Gestein, und es kommt zur Entstehung neuer Minerale, die auch Wasser enthalten. Im Ozean gelöste Salze werden gebunden, während andere Substanzen aus dem vulkanischen Gestein gespült werden. Wo das heiße Wasser den Meeresboden erreicht, lagert es einen Teil der ausgespülten Substanzen dort ab. Tatsächlich ergaben die Tauchgänge, daß es auf dem Meeresboden einen sagenhaften Reichtum an mineralischen Ablagerungen gibt. Diese chemischen Austauschprozesse gleichen aber auch die Zufuhr von Salzen und anderen von Flüssen fortwährend in die Ozeane eingebrachten Verbindungen aus. Wäre dies nicht der Fall, wären die Meere schon seit langer Zeit zu salzig und alkalisch für den Fortbestand von marinem Leben.
LEBEN IN DER TIEFSEE
Die Entdeckung der block smokers fiel mit einem weiteren außergewöhnlichen Fund zusammen: Am Sockel der heißen Austrittsstellen existieren zahlreiche Lebewesen unter für die meisten Organismen extrem lebensfeindlichen Bedingungen. Inzwischen hat man Hunderte von bis dahin unbekannten Arten ausgemacht, unter anderem Muscheln, Garnelen und Röhrenwürmer. Einige Arten sind blind, verfügen aber über Wärmesensoren, und manche der Wurmarten können einige Meter lang werden. Interessanterweise können einige der an den Sockeln der black smokers eingesammelte Garnelen, die normalerweise bei einem Druck von 300 Atmosphären existieren, auch in den Labors an der Erdoberfläche ohne jeden Druckausgleich überleben.
Als diese Tierwelt entdeckt wurde, rätselten Wissenschaftler über deren Überlebensfähigkeit. Untersuchungen ergaben, daß es neben größeren Lebewesen auch Einzeller gibt. Sie bilden die Basis der Nahrungskette und schweben entweder im Wasser oder leben auf Gesteinen nahe den Austrittsstellen. Sie ertragen höhere Temperaturen als die meisten anderen Organismen - sogar Wassertemperaturen von 100 Grad, dem Siedepunkt bei atmosphärischem Druck, was ihnen die Bezeichnung Hyperthermophile (Hitzeliebende) eintrug. Ihre Energie erhalten sie aus Verbindungen von Wasserstoffsulfiden der black smokers mit im Meerwasser gelöstem Kohlendioxid und Sauerstoff; diese Form der Ernährung wird als Chemosynthese bezeichnet.
Die unerwartete Entdeckung von derartigen Symbiosen an den mittelozeanischen Rücken eröffnete eine verlockende Aussicht. Die Rücken waren demnach nicht nur Ursprungsorte der ozeanischen Kruste, die weite Teile der Erdoberfläche bedeckt, sondern auch Ursprungsorte des Lebens. Genetische Studien an Hyperthermophilen ließen den Schluß zu, daß diese Lebewesen den Beginn der Evolution des Lebens markieren. Dafür spricht auch, daß die ältesten bekannten Fossilien Überreste von Einzellern sind, die in der Nähe heißer Quellen verbreitet waren.
Der Meeresboden ist beileibe nicht alt oder leblos; er erweist sich vielmehr als eine der dynamischsten Regionen der Erde, die großen Einfluß auf unsere eigene Lebenswelt hat.
Soweit der Text zu TIEFSEE und „dem darin enthaltenen Magnetismus“.
[ Hier schließt nahtlos das Kapitel 3 RING OF FIRE an, der im Beitrag Nr. 119309 zu den Goldigen Geysiren ab dem Absatz RING OF FIRE dargelegt ist. Die dort schon erwähnten black smokers habe ich oben belassen, damit der Beitrag um das Kapitel 2 abgerundet bleibt.
Quelle wiederum
ex: Earth Story, 1998, Buchbegleitung zur Fernsehserie des BBC; deutsch
Die Erdgeschichte Eine Spurensuche durch Jahrmillionen, Simon Lamb & David Sington gesehen; Printed in China, ISBN 3-8290-5026-7, Lieferzeit: vergriffen]
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