-->ist von Dezember 98 und aus heutiger Sicht erstens noch hochaktuell und zweitens bemerkenswert in vielen Grundsatzfeststellungen zu Liquiditätsfalle, Deflation etc.:
Von der Schwierigkeit, die Nachfrage zu stärken
Von Paul Krugman
Im Frühjahr 1931 stand die größte österreichische Bank, die Credit Anstalt, am Rande des Zusammenbruchs. Die österreichische Regierung konnte nicht tatenlos zusehen, wie die Bank kollabierte, und kam ihr zu Hilfe mit großen Summen frisch gedruckten Geldes. Das aber führte zu Kapitalflucht und zu einem Schwund der österreichischen Bestände an Gold und ausländischen Währungsreserven. Die Lösung dieses Problems hätte darin gelegen, den Goldstandard aufzugeben und die Währung floaten zu lassen; diese Lösung aber war unakzeptabel, einmal, weil eine Abwertung des Schillings die Schulden hätte anwachsen lassen, die in ausländischer Währung zu zahlen waren, zum anderen aber deshalb, weil eine Abwertung ein schwerer Schlag für das Vertrauen in ein Land gewesen wäre, dessen Erinnerung an die Hyperinflation der Nachkriegszeit noch frisch war. Ã-sterreich entschied sich deshalb, die Hilfe seiner Nachbarn und der gerade gegründeten Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel in Anspruch zu nehmen. Aber diese Unterstützung war zu gering und kam zu spät. Die Regierung entschloß sich schließlich zur Einführung von Kapitalverkehrskontrollen.
Klingt diese Geschichte nicht erstaunlich aktuell? Wenn dies historische Beispiel auch nicht genau auf eine der heutigen krisengeschüttelten Volkswirtschaften zutrifft, so scheint die Ähnlichkeit mit den Ereignissen der jüngsten Zeit in Indonesien oder Brasilien doch sehr stark zu sein. Der Hauptunterschied liegt aber darin, daß finanzielle Hilfen der internationalen Organisationen zur Routine geworden sind: Wenn heutzutage ein Land in Schwierigkeiten gerät, erscheint alsbald ein Sonderkommando des IWF oder des US-Schatzamtes am Tatort. Nehmen wir einmal an, der IWF hätte eine Zeitmaschine und könnte seine besten Notärzte in jenes wienerische Frühjahr schicken, aber ohne die Möglichkeit wie es selbst heute allzu normal geworden ist einen großen, sofort verwendbaren und nicht an Bedingungen geknüpften Betrag anzubieten. Was würden die heutigen Experten sagen? Was könnten sie den Ã-sterreichern erzählen, was diese nicht schon wüßten?
Die Mehrzahl der heutigen Ã-konomen betrachten die große Wirtschaftskrise, soweit sie überhaupt über sie nachdenken, als eine sinnlose und unnötige Tragödie. Sie glauben also, daß das, was eine mehr oder weniger normale, rasch vergessene Rezession hätte sein können, aufgrund der Dummheit oder zumindest der Ignoranz der politischen Führung zu einer alptraumartigen Depression wurde.Wenn die österreichische Zentralbank nicht voll damit beschäftigt gewesen wäre, den Goldstandard zu verteidigen, statt sich um die Realwirtschaft zu kümmern, wenn Herbert Hoover eine expansive Fiskalpolitik verfolgt hätte, statt zu versuchen, das Budget auszugleichen, und wenn die Politik nicht überhaupt von einer liquidationistischen Philosophie beherrscht gewesen wäre, nach der ein kurzfristiger ökonomischer Schmerz ein Fegefeuer für vorangegangene Exzesse ist, dann hätte, so glauben die meisten von uns, die Katastrophe leicht vermieden werden können. Und da wir es heute besser wissen, kann dies nicht wieder passieren.
Oder vielleicht doch? Vor knapp zwei Jahren war ich, wie die meisten meiner Kollegen, völlig zuversichtlich, daß, während die Welt zweifellos weiterhin unter vielen ökonomischen Schwierigkeiten litt, diese Schwierigkeiten nicht viele Ähnlichkeiten mit jenen der dreißiger Jahre haben würden. Denn die Ã-konomen und die Politiker hatten die Lektionen jenes Jahrzehnts gelernt: Niemals wieder würden sie angesichts einer Rezession die Geld- und Fiskalpolitik drosseln. Sicher, Mexiko hatte 1995 eine schwere Krise mitgemacht, und die japanische Wirtschaft stagniert seit 1991. Aber dies schienen Sonderfälle, und sie konnten leicht als Resultat einer ziemlich fehlgeleiteten Politik erklärt werden.
Vielleicht hätten wir es besser wissen sollen: Wir hätten uns zum Beispiel klarmachen sollen, daß das Dilemma, in welches Ã-sterreich 1931 geraten war, ohne weiteres auch heute auftreten kann und daß es heute wie damals keine einschlägigen Antworten gibt. Auf jeden Fall aber gibt es kein Mißverständnis über die Lektion der erschreckenden ökonomischen und finanziellen Ereignisse der letzten zwei Jahre: Die wirtschaftliche Krise in Asien und ihre Ausbreitung nach Lateinamerika, die Verstärkung der Depression in Japan und die kurze Panik, die die Wertpapier-Märkte im vergangenen Herbst wie ein dunkles Vorzeichen erfaßte. Tatsache ist, daß die Weltwirtschaft ein viel gefährlicherer Platz ist, als wir glaubten, ein Ort, an dem Probleme, von denen wir glaubten, sie kurieren zu können, sich erneut als unbehandelbar zeigen, wie zeitweilig unterdrückte Bakterien, die eine Resistenz gegen die Standard-Antibiotika entwickeln. Genauer gesagt, das Problem der Gesamtnachfrage die Leute dazu zu bekommen, genügend Geld auszugeben, um die wirtschaftlichen Kapazitäten auszulasten ist nicht immer, wie wir vielleicht geglaubt haben, ein leicht zu lösendes Problem. Während es für Staaten, insbesondere große, politisch stabile und relativ autarke Volkswirtschaften wie die der Vereinigten Staaten oft möglich ist, Rezessionen einfach dadurch zu bekämpfen, daß sie mehr Geld drucken, treffen wir heute eine wachsende Zahl von Fällen, in denen Staaten entweder auf diese Medizin nicht zurückgreifen können oder in denen diese Medizin nicht wirksam ist. Es liegt, kurz gesagt, ein Hauch von 1930 in der Luft.
Das soll nicht heißen, daß all die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Volkswirtschaften notwendigerweise schlimmer werden. Es gibt eine echte Chance, daß sich die asiatische Wirtschaft 1999 wieder regeneriert, wenn es auch nicht unbedingt der Beginn eines wirklichen Wiederaufstiegs zu ökonomischer Stärke sein wird. Durch rasche Hilfe der Zentralbank (und Glück) gelang es den Vereinigten Staaten im letzten Herbst, eine Börsenpanik zu verhindern. Und vielleicht wird es ihr auch ein zweites Mal gelingen. Selbst Japan könnte es im kommenden Jahr besser machen als im vergangenen. Aber auch wenn wir alle derzeitigen Krisen überstehen, allein die Tatsache, daß sie eintreten können und die Art, wie sich konventionelle politische Antworten immer wieder entweder als uneffektiv oder als unflexibel erwiesen haben ist eine ernstzunehmende Warnung.
Meiner Meinung nach ist das eigentlich Verwirrende an der gegenwärtigen Lage nicht so sehr die Möglichkeit, daß sie zu einer Weltwirtschaftskrise ausarten könnte eine Entwicklung, die nach wie vor unwahrscheinlich ist und in den letzten Monaten tatsächlich ein wenig geringer geworden ist als vielmehr die einfache Tatsache, daß die Welt zum ersten Mal seit den 1930ern an der offensichtlichen Unfähigkeit von Regierungen leidet, Wege zu finden, die Nachfrage zu stärken.
In den 60er Jahren, als das Bretton-Woods-System der festen Wechselkurse, das die Weltfinanzgeschäfte seit Ende des Krieges geregelt hatte, Zeichen der Überforderung zu zeigen begann, fingen eine Reihe von Ã-konomen an zu argumentieren, daß es im Zentrum der internationalen Finanzgeschäfte ein fundamentales Dilemma gibt oder, um genauer zu sein, ein Trilemma. Drei Ziele der Wirtschaftspolitik haben diese sogenannten internationalen Finanzarchitekten bewegt, die sich gegenseitig ausschließen, weshalb man sie gelegentlich das"magische Dreieck" nennt. Erstes Ziel: Die Staaten wollen eine unabhängige Geldpolitik durchführen. Das heißt, sie wollen die Zinsen senken, um Rezessionen zu bekämpfen oder sie anheben, um der Inflation Herr zu werden. Zweites Ziel: Die Staaten wollen mehr oder weniger stabile Wechselkurse haben, um erratische Ausschläge ihrer Währungen zu verhindern. Drittes Ziel: Die Staaten wollen volle Konvertibilität der Währungen, um der Wirtschaft versichern zu können, daß Geld sich frei in das Land hinein und aus dem Land heraus bewegen kann, und sei es nur, um Bürokratie, Formularkram und Gelegenheiten zur Korruption zu vermeiden, die unausweichlich mit jedem Versuch von Kapitalverkehrskontrollen verbunden sind.
Nun, diese Ziele sind in der Tat unvereinbar. Das eiserne Gesetz der internationalen Finanzgeschäfte lautet, daß allenfalls zwei dieser Ziele zugleich erreichbar sind.Das Trilemma der internationalen Finanzgeschäfte zwingt die Staaten, zwischen drei möglichen Wechselkursregimen zu wählen: Flexible Wechselkurse, die völlig freien Kapitalverkehr erlauben und dem Staat die Möglichkeit geben, Rezessionen mit den Mitteln der Geldpolitik zu bekämpfen, aber doch starken Schwankungen unterliegen können; feste Wechselkurse, die Stabilität auf Kosten der monetären Unabhängigkeit bringen; oder ein Regime, das von Kapitalverkehrskontrollen unterstützt ist, die es erlauben, einen re lativ stabilen Wechselkurs mit einer einigermaßen unabhängigen Geldpolitik zu verbinden, freilich unter Inkaufnahme anderer Probleme. Aber als allgemeine Regel ist die von den meisten Ã-konomen bevorzugte Alternative die flexibler Wechselkurse.
Das Problem ist, daß, obwohl flexible Wechselkurse für manche Länder ziemlich gut funktionieren, es für andere Länder keine brauchbare Alternative ist. Eine der Hauptlektionen der letzten paar Jahre scheint zu zeigen, daß Entwicklungsländer nicht dasselbe Spiel spielen können. Versuche, eine Währung moderat abzuwerten, sind wiederholt fehlgeschlagen, denn die anfängliche Abwertung setzt einen Teufelskreis in Gang, in dem Erwartungen größerer Abwertungsschritte sich selbst bestätigen.
Nehmen wir einmal den Fall Mexiko, das im Dezember 1994 versuchte, moderat abzuwerten. Viele Ã-konomen, ich selbst eingeschlossen, glaubten, daß der Peso überbewertet sei und daß diese Überbewertung einer der wichtigsten Gründe dafür war, warum, wie Rüdiger Dornbusch es 1993 sagte, Mexikos Leistung in"Stabilisierung, Reform und Stagnation" bestand. Dasselbe hätte man freilich von Großbritannien im Sommer 1992 sagen können; und man hätte abwarten können, daß Mexikos Entscheidung, seine Währung abzuwerten, dieselben wohltätigen Erfolge gezeitigt hätte wie Großbritanniens Entscheidung zwei Jahre vorher. Aber während Investoren das schwache Pfund als eine Kaufgelegenheit betrachteten, geriet der mexikanische Peso in eine Abwärtsspirale und wurde erst stabilisiert, als er nur noch seinen halben Wert besaß. Das alles nicht nur zum Preis von 50 Milliarden Dollar internationaler Hilfsgelder, sondern auch eines Anwachsens der Zinsen auf mehr als 75 Prozent. Damals schien dieses katastrophale Ergebnis der Abwertung als ein Sonderfall. Aber im Lichte der folgenden Ereignisse darf die sogenannte Tequila-Krise nicht als Ausnahme betrachtet werden, sondern als Beispiel für eine neue Regel, die von Washingtoner Politikern mit dem Slogan"Für Entwicklungsländer gibt es keine kleinen Abwertungsschritte" zusammengefaßt wurden.
Nach der Abwertung des thailändischen Baht im Juli 1997 sah sich ein asiatisches Land nach dem anderen gezwungen, die Zinsen stark anzuheben, um die Abwertung ihrer Währungen aufzuhalten. Die Kombination von hohen Zinssätzen und Währungsabwertung welche die Auslandsschulden aufblähte rief eine Finanzkrise und eine schwere Wirtschaftskrise hervor. Ã-konomische Lehrbücher würden vorschlagen, daß Staaten, die die Zinssätze aus welchem Grund auch immer anheben müssen, die Wirkung auf die Nachfrage neutralisieren können, wenn sie expansive Fiskalpolitik betreiben also ihre Staatsausgaben steigern oder ihre Steuern senken. In der Praxis jedoch hat die Notwendigkeit, das Vertrauen des Marktes wiederzuerlangen, die Staaten, die von Spekulationsattakken bedroht waren, in die entgegengesetzte Richtung gezwungen. Die IWF-Programme verlangten anfangs von den asiatischen Ã-konomien fiskalische Sparmaßnahmen. Später gestand der IWF stillschweigend ein, daß dies ein Fehler gewesen war und lokkerte die Anforderungen, aber die Länder blieben trotzdem zurückhaltend bei der Nachfragepolitik.
Es ist nicht auszuschließen, daß die schlimmsten Auswirkungen falscher makroökonomischer Politik Zinsen heraufzusetzen, Steuern anzuheben und Staatsausgaben zu kürzen angesichts einer Rezession schon hinter uns liegen. Während ich dies schreibe, haben die asiatischen Staaten ihre Wechselkurse einigermaßen überzeugend stabilisiert, so daß die Zinssätze wieder auf dem Vorkrisen-Niveau angekommen sind und es Anzeichen dafür gibt, daß der Niedergang von Produktion und Beschäftigung seinen tiefsten Punkt erreicht hat. Die Kombination einer restriktiven Geld- und Fiskalpolitik scheint noch immer eine ernste Rezession in Brasilien zu garantieren, und zumindest einen starken Rückgang in Mexiko, aber vielleicht wird der Schaden nicht ganz so groß, wie manche von uns befürchten.
Glücklicherweise haben sich entwickelte Länder nicht in der gleichen Situation befunden. Sie haben sich offensichtlich die Fähigkeit erhalten, Rezessionen zu bekämpfen, anstelle sie zu verstärken. Sie begegnen einer ökonomischen Krise mit niedrigeren Zinssätzen und höheren Staatsausgaben. Aber in einigen Ländern scheint diese Politik unwirksam zu werden ein weiteres alarmierendes Echo aus den 30er Jahren.
Ein Land, das seine Währung nicht verteidigen muß, kann Rezessionen leicht bekämpfen, indem es die Zinssätze soweit wie nötig senkt bis gegen Null. Aber was ist, wenn ein Zinssatz von null Prozent nicht niedrig genug ist? Wenn die Unternehmen, auch bei einem Zins von null Prozent, nicht soviel investieren wollen, wie die Konsumenten sparen wollen? Dies ist die gefürchtete Liquiditätsfalle, in der die Geldpolitik handlungsunfähig ist, denn Versuche, die Wirtschaft anzukurbeln durch Ausweitung von Krediten, greifen nicht, weil Banken und Konsumenten es vorziehen, sicheres, flüssiges Bargeld zu halten, statt in riskante, weniger flüssige Anlagen und Aktien zu investieren.
Anscheinend befanden sich die amerikanische und die britische Wirtschaft in den Dreißigern in oder nahe an der Liquiditätsfalle. Aber die allgemeine Ansicht im Jahre 1990 lautete, daß es keine Liquiditätsfalle geben kann, nicht gegeben hat und nicht geben wird.
Dann kamen die Probleme Japans. Nach dem Einbruch der"Seifenblasenökonomie" zögerten die japanischen Behörden erst einmal, die Zinssätze zu senken aus Furcht, die Seifenblase wieder aufzublasen. Seit 1996 jedoch sind die kurzfristigen Zinsen gut unter einem Prozent: Momentan liegen sie bei 0,25 Prozent. Aber auch dies reichte nicht aus, das Abrutschen in die Rezession zu verhindern, ganz zu schweigen von einem Aufbruch aus der Stagnation, die die japanische Ã-konomie seit 1992 kennzeichnete.
Es fällt freilich allzu leicht, nachhaltige Rezessionen aufgrund inadäquater Nachfrage als eine fundamentale Verlangsamung des ökonomischen Wachstumspotentials mißzuverstehen. In dem Augenblick, in dem die Erwartungen beginnen zu sinken, wird die expansive Fiskalpolitik entsprechend uminterpretiert als unverantwortlich, und Politiker sehen sich unter Druck gesetzt,"gesunde" Politik zu verfolgen, die jede mögliche Erholung, die sich angedeutet haben mag, zum Erliegen bringt.
Die japanische Erfahrung zeigt also nicht nur, daß entwickelte, moderne Ã-konomien in die Liquiditätsfalle geraten können, sondern auch, daß die einfache Annahme, daß eine solche Volkswirtschaft fiskalpolitische Instrumente benutzen kann oder will, um aus der Falle herauszukommen, allzu optimistisch ist. Wir können die japanischen Verantwortlichen dafür tadeln, daß sie nicht entschieden gehandelt haben; aber man kann sich auch gut vorstellen, daß die Vereinigten Staaten oder (besonders) Europa dieselben Fehler machen könnten.
Es ist nicht so, daß ökonomische Einbrüche, die scharfe Zinssenkungen erforderlich machen würden, momentan kaum vorstellbar wären. Bis vor kurzem konzentrierten sich die meisten Szenarien einer möglichen ökonomischen Krise im Westen auf die Möglichkeit eines Zusammenbruchs der völlig überhöhten Aktienpreise. Aber im Herbst 1998 breitete sich in den Vereinigten Staaten eine völlig unerwartete Panik aus, die in kurzer Zeit viele der finanziellen Mechanismen der Nation lähmte, und viele gewöhnlich optimistische Beobachter sprachen plötzlich von einer unvermeidlichen Rezession.
Wie so manches, was in der letzten Zeit passierte, war die Finanzkrise vom Herbst eine Art Stimme aus der Vergangenheit. Bis zu den dreißiger Jahren war eine Bankenpanik in welcher die Konteninhaber ihr Vertrauen in das System verloren und in welcher ihr Sturm auf die Bankschalter erst die Krise hervorbrachte, die ihre Panik wiederum als berechtigt erscheinen ließ ein gewöhnliches Ereignis. Aber in der modernen Ã-konomie sind die Banken vor einer solchen Panik doppelt gesichert zum einen durch eine explizite Versicherung der Kontenbestände durch den Staat und durch den erwarteten Willen der Zentralbank, mit soviel Bargeld auszuhelfen wie nötig. So hielt man die Bankenpanik für eine antiquierte Sorge.
Es scheint aber so, daß eine Bankenpanik nicht nur für Banken denkbar ist. In den Vereinigten Staaten sind viele Investitionen durch innovative Verträge finanziert, die den Investoren gestatten, liquides Kapital zu halten, auch wenn die zugrunde liegende Basis dieser Anlagen gänzlich illiquide ist. Dieses Modell ist gut, solange stets einige Leute kaufen, wenn andere Leute verkaufen; wenn aber jeder zum gleichen Zeitpunkt verkaufen will, fallen die Preise und eine sich selbst verstärkende Panik ist nicht ausgeschlossen. Und für ein paar Wochen im letzten Herbst sah es genau so aus, als ob eine solche Panik aufgekommen wäre. Eine rasche Reaktion der Federal Reserve Bank stellte die Ruhe an den Märkten wieder her.
Das soll nicht unbedingt heißen, daß uns bald eine größere Finanzkrise droht, die Europa oder die Vereinigten Staaten in eine Krise nach japanischem Muster stürzen würde. Aber während wir vor zwei Jahren die Vorstellung, daß andere entwickelte Länder sich in einer der japanischen ähnlichen Liquiditätsfalle wiederfinden könnten, unbegreiflich fanden, können wir es uns heute durchaus vorstellen und die japanische Erfahrung zeigt auch, wie schwer es sein kann, wenn man einmal in einer solchen Falle steckt, wieder aus ihr herauszukommen.
Warum jetzt?
Wenn es stimmt, daß die Geister von 1930 wieder auf der Erde wandeln, wenn auch in abgemagerter Gestalt, dann fragt man sich: Warum nach all diesen Jahren?
Um es ganz deutlich zu sagen: Die krisengeschüttelten asiatischen Ã-konomien weisen eine Menge politischer und ökonomischer Schwachstellen auf. Aber wenn Amerika oder Europa im nächsten Jahr in Schwierigkeiten geraten sollten, können wir jetzt schon mit Sicherheit sagen, daß die Analysten in ihrer Rückschau ebenfalls vernichtende Urteile über westliche Werte und Institutionen finden werden. Im übrigen aber ist es sehr schwer nachvollziehbar, daß asiatische Politik in den 90er Jahren in irgendeiner Weise schlechter gewesen ist als in den vorangegangenen Dekaden: Warum also ging jetzt so vieles schief?
Ich biete folgende These an: Die Welt wurde anfällig für ihre derzeitigen Wehen, nicht weil die Wirtschaftspolitik nicht reformiert worden ist, sondern gerade weil sie reformiert wurde. Die Staaten der ganzen Welt reagierten auf die tatsächlichen Schwächen der Politik, die als Antwort auf die große Depression entwickelt worden war, indem sie zu einem System zurückkehrten, das viele der Tugenden der Ära vor der Weltwirtschaftskrise enthielt. Während wir aber die Tugenden des althergebrachten Kapitalismus zurückholten, brachten wir auch seine Laster wieder, darunter eben auch seine Anfälligkeit für Instabilität und dauerhafte ökonomische Rezessionen.
Sehen wir uns drei Arten der politischen Reformen etwas näher an. Erstens ist da die Liberalisierung des Welthandels. In den dreißiger und vierziger Jahren führten Erfahrungen, wie diejenigen Ã-sterreichs zum Aufbau von Kapitalverkehrskontrollen. Das Bretton-Woods-System war in seiner ursprünglichen Konzeption in Wahrheit sogar direkt abhängig von solchen Kontrollen, weil sie eine Möglichkeit schufen, die Erstarrung der Wechselkurse aufgrund von Drohungen spekulativer Attacken zu verhindern. Im Lauf der Zeit jedoch wurden die Devisenkontrollen nicht nur als Belastung empfunden, sondern als Quelle größeren Mißbrauchs erkannt von Anreizen zu Verzerrungen bis zur Korruption. Daher gingen zunächst die entwickelten Länder, dann viele Entwicklungsländer zur vollen Konvertibilität ihrer Währung und freiem Kapitalverkehr über und machten sich so erneut verwundbar für destabilisierende Spekulationsattacken.
Die zweite Reform betrifft die Liberalisierung inländischer Finanzmärkte. Im Schatten der Dreißiger schufen fast alle Länder streng geregelte und mit großen Sicherheiten ausgestattete Banksysteme. Diese Systeme neigten dazu sicher, aber ineffizient zu sein. Im Lauf der Zeit machte ein Verlust der Regelungen die Finanzsysteme wettbewerbsfähiger und effizienter aber im selben Zusammenhang entstand die Möglichkeit destabilisierender Börsenpanik aufs neue.
Drittens haben wir eine Rückbesinnung zur Preisstabilität. In der Nachkriegszeit erlebten die meisten Länder mehrmals schwere Inflationen. Diese Inflation mußte unter Kontrolle gebracht werden, und das wurde erreicht. Es zeigt sich jedoch, daß die Inflation auch Vorteile hätte. So könnten Staaten, die einen Überhang interner Schulden haben, diese Schulden einfach weginflationieren. Wichtiger noch ist aber, daß ein Staat mit einer Inflation von 5 Prozent und, sagen wir, acht Prozent Zinsen, viel mehr Gestaltungsfreiheit hat, um die Zinsen zu senken angesichts einer Rezession, als ein Land mit stabilen Preisen und drei Prozent Zinsen: die Anfälligkeit von entwickelten Staaten für Liquiditätsfallen wäre viel geringer, wenn sie in den Achtzigern nicht so sehr um die Preisstabilität bemüht gewesen wären.
Kurz gesagt, der Grund, daß die ernste Gefahr einer Depression jetzt wieder aufgetaucht ist, ist nicht, daß die Regierungen nicht das Richtige getan haben, sondern, daß sie es taten. Es stimmt, keine gute Tat bleibt unbestraft.
Einer der ermutigenden Aspekte der gegenwärtigen Situation im Vergleich zu der von 1930 ist, daß viele Verantwortliche sich sowohl der Gefahr bewußt sind und gleichzeitig relativ flexibel denken. Während die liquidationistische Rhetorik in den Zeitungen ziemlich normal ist und japanische Beamte manchmal einen starken Yen mit einer starken Ã-konomie verwechseln, geht der Druck im allgemeinen in Richtung Reflation. Die Frage ist, ob die Maßnahmen, die jetzt als akzeptabel gelten Zinsvergünstigungen zur Unterstützung von Entwicklungsländern, Steuersenkungen und Bankenreform, um Japan wieder beweglich zu machen, ad hoc Bürgschaften für Hedge Fonds ausreichend sind.
Die Antwort ist, wahrscheinlich nicht. In einer Welt mit hoher Kapitalmobilität wären unwahrscheinlich hohe Kreditlinien für Entwicklungsländer nötig, um sie gegen private Kapitalflucht zu immunisieren. Wäre ein solcher Kredit überhaupt zusammenzubekommen? Es scheint kaum glaubwürdig, daß Geberländer mit Vergnügen Kapitalflucht finanzieren; aber das bedeutet, daß kein realistisches Kreditprogramm groß genug sein würde, um das Politikdilemma von Staaten zu lösen, die es nicht wagen, ihre Währung freizugeben.
Es sieht auch im Moment nicht so aus, als ob eine Bankenreform und eine herkömmliche Fiskalpolitik reichen würden, um Japan aus seiner Rezession herauszuführen. Und es wäre einfältig, sich vorzustellen, daß es keine Finanzkrisen in den USA und Europa mehr geben kann, oder anzunehmen, daß der moderate Gestaltungsraum, den der Westen jetzt für Zinssenkungen hat, ausreichen wird, um allen solchen Ereignissen zu begegnen.
Was ist die Alternative? Im Moment gibt es eine Art rätselhafter Inkonsistenz in der Haltung der Verantwortlichen in bezug auf Kapitalverkehrskontrollen und Inflation. Fast alle sind sehr froh darüber, daß nicht alle Entwicklungsländer ihren Kapitalverkehr liberalisiert haben, bevor die Krise 1997 ausbrach insbesondere China. Aber der malaysische Typus der Rückkehr zu Kapitalverkehrskontrollen wird gleichzeitig mit Abscheu betrachtet. Alle fühlen sich wohler bei dem Gedanken, daß die Vereinigten Staaten zwei Prozent Inflation haben und Zinssätze von fünf Prozent, nicht jedoch stabile Preise und Zinssätze von drei Prozent. Aber Vorschläge, Japan solle drei oder vier Prozent Inflation als Ziel anstreben, sind noch immer tabu.
Folglich ist es kaum vermeidbar, daß wir früher oder später die Uhr zumindest ein Stück zurückdrehen müssen: Den Kapitalverkehr in Staaten zu begrenzen, die weder für Währungsvereinigungen in Frage kommen noch für freien Devisenverkehr, die Finanzmärkte bis zu einem gewissen Maße erneut zu regulieren. Es ist besser, niedrige, aber nicht zu niedrige Inflationsraten anzustreben, anstatt Preisstabilität. Wir müssen die ökonomische Lektion aus der Weltwirtschaftskrise lernen, andernfalls werden wir gezwungen sein, sie noch einmal am eigenen Leibe zu erfahren.
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