Wal Buchenberg
04.09.2002, 08:18 |
FTD: Berlusconi und Mussolini Thread gesperrt |
-->Berlusconi und Mussolini
Von Christoph Keese (Financial Times Deutschland)
„Seit dem Amtsantritt Silvio Berlusconis als Ministerpräsident Italiens ziehen Presse und Politiker im restlichen Europa Parallelen zu Benito Mussolini.
Berlusconi selbst nährt den Faschismusvorwurf: Er beflügelt einen neuen Kult um den Duce, lässt zu, dass in Predappio nordöstlich von Florenz eine Ehrenwache dessen Sarkophag bewacht, Jubelfeiern stattfinden und überall im Land Faschismus-Devotionalien boomen - vor allem"fasci", stilisierte Getreidebündel mit einem Beil an der Seite, die im alten Rom den Liktoren als Insignien der Macht dienten und zum Symbol der Faschisten wurden. Das ist etwa so, als würde Deutschland heute von Hakenkreuzen überschwemmt und die Regierung täte nichts dagegen.
Bereits zum zweiten Mal koaliert Berlusconi mit der Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini, einer Partei, die sich selbst"postfaschistisch" nennt, in Wahrheit aber neofaschistisch ist. (...)
Je offener Berlusconi den Faschisten hofiert und Mussolinis Rehabilitation betreibt, desto stärker polarisiert er. Einerseits ruft er Sorgen in Europa hervor und weckt den Widerstand von Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Bürgerrechtlern. Andererseits bewundern viele Wähler seine Stärke und nehmen dankbar das Angebot zur Versöhnung mit ihrer Geschichte an."Hitler war ein Verbrecher, aber Mussolini war ein Ehrenmann", sagte einer der Fasci-Devotionalienhändler. Auch Berlusconi steht hinter dieser Formel. Obwohl er sie nie in den Mund nimmt, kann er doch breite Schichten dahinter versammeln.
Politikwissenschaftler warnen davor, Berlusconi mit Faschisten gleichzusetzen. Die Analogie von"Berlusconismus" und"Mussolinismus" sei eine paradoxe Variante des historischen Revisionismus, die den geschichtlichen Faschismus bagatellisiert, schrieb Gian Enrico Rusconi, Professor für Politik an der Universität Turin im"Tagesspiegel"."Das Regime Mussolinis war eine institutionell antidemokratische und freiheitsraubende Diktatur, die Presse- und Meinungsfreiheit negierte", so Rusconi."Der Berlusconismus dagegen ist besessen von der Zustimmung der Wähler, die täglich von Demoskopen gemessen wird und durch mediale Hyperkommunikation erhalten bleiben soll."
Ohne Frage fehlen Berlusconis Partei und Regierung wesentliche Elemente des historischen Faschismus: paramilitärische Organisation, eigene Uniformen, offenes Bekenntnis zum Recht des Stärkeren, parteieigene Schlägertrupps, expansive Außenpolitik, Bejahung von Krieg und Gewalt. Auch Exzesse der deutschen Faschisten wie Judenverfolgung, Konzentrationslager, Massenmord, Überfälle auf Nachbarländer und Nerobefehle sind aus Italien nicht zu befürchten. Trotzdem kommt Berlusconi zwei Arten des Faschismus immer näher: dem italienischen Ur-Faschismus vom Anfang des 20. Jahrhunderts und dem Neofaschismus seiner Partner.
Beide Typen richten ihre Kraft auf folgende Ziele: Aufweichung der Gewaltenteilung, Schwächung der Justiz, Stärkung der Exekutive, Antiparlamentarismus, Unterdrückung Andersdenkender, Missbrauch von Polizeigewalt, Gleichschaltung der Medien, Fremdenfeindlichkeit, Führerprinzip, Verherrlichung nationaler Helden, Überbetonen der Nation, Verachtung internationaler Organisationen, Verabsolutieren der nationalen Interessen. So differenziert man Berlusconis Politik auch betrachtet, diese Absichten und Methoden teilt sie mit den Faschisten.
Während des Gipfels von Genua ließ Berlusconi zu, dass Fini faktisch die Leitung der dortigen Polizei übernahm. Die schmuggelte Provokateure unter die Demonstranten und löste Straßenschlachten aus, um die Sache des politischen Gegners zu diskreditieren. Sie fälschte Beweise, überfiel nachts unschuldige Demonstranten in einer Schule, schlug viele krankenhausreif und vertuschte ihre Taten.
Berlusconi bestach Beamte und änderte Gesetze zu seinem persönlichen Vorteil. Er schwächt systematisch Parlament und Justiz und brüskiert die Europäische Union, sooft es geht. Seine Medienpolitik ist auf Gleichschaltung gerichtet. Das Entstauben Mussolinis soll einen nationalen Helden entstehen lassen. Mit dem Verkauf antiker Baudenkmäler beweist er die typisch faschistische Verachtung des humanistischen Erbes.
Unter Silvio Berlusconi bewegt sich Italien am Rand der europäischen Wertegemeinschaft und womöglich über darüber hinaus. Da eine offene Intervention kontraproduktiv wäre, bleibt Europa nichts anders übrig, als das Land noch mehr einzubinden als bisher - und ansonsten das Beste zu hoffen.“
Aus: Financial Times Deutschland 2.9.2002
<font color=red>Anmerkung: In Italien ist unsere Zuschauerdemokratie (Parlamentarismus) noch stärker in der Krise als in Deutschland. Wir können also in Italien studieren, welchen möglichen Ausweg aus der politischen Krise die Machthaber in Deutschland suchen:
Nicht Selbstentscheidung des Volkes, nicht Selbstverwaltung, sondern Scheinbeteiligung des Volkes - manipulierter Umfragendemokratismus („Populismus“) statt Parlamentarismus.
Diese „charismatische“ Herrschaftsform basiert weniger auf rechtlichen Grundlagen als auf Medienshow: Ein beliebiges Problem wird aufgegriffen, erst kommen „Betroffene“ zu Wort, dann wird eine scheinbar unbürokratische Lösung propagiert.
Es ist ein Staatsapparat organisiert wie das Pleiteunternehmen Enron: mit Betrug, Manipulation, Bestechung, Drohung und Schikane.
Wal Buchenberg, 3.9.2002</font>
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Badland Warrior
04.09.2002, 09:17
@ Wal Buchenberg
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Re: FTD: Berlusconi und Mussolini |
-->Hallo, Wal!
In Abwandlung des Faust-Zitates kann ich da nur sagen:"Silvio, mir graut vor dir!" Das könnte Generalstreiks und Bürgerkrieg geben. Der Berlusconi, der bei mir damals Punkte machte als er sagte dass das Abendland dem Islam kulturell überlegen sei, ist bei mir unten durch. Tändelt mit der Mafia, betrügt und fälscht, dass einem schlecht werden kann.
Ist die Alleanza Nazionale diejenige Partei, wo auch Alessandra Mussolini, die Enkelin des Duce, die sich Anfang der Neunziger als Wahlkampfgag oben ohne fotografieren ließ, mitmischt? Bei den ganzen italienischen Parteien habe ich nicht so den Durchblick (Forza Italia, Lega Nord, Partita Radicale...)
Badland Warrior
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silvereagle
04.09.2002, 13:08
@ Badland Warrior
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Berlusconi und Islam |
-->Hallo Badland Warrior,
> Der Berlusconi, der bei mir damals Punkte machte als er sagte dass das Abendland dem Islam kulturell überlegen sei, ist bei mir unten durch.
Hatte mich damals auch blenden lassen. Heute verabscheue ich diese Aussage, es ist nichts anderes als dialektische Hetze. Man wird sehen, wieweit diese Saat noch aufgehen wird. Viel Grund zum Feiern würde es dann freilich nicht mehr geben...
Gruß, silvereagle
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PuppetMaster
04.09.2002, 14:44
@ Wal Buchenberg
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Re: FTD: Berlusconi und Mussolini / Das futuristische Manifest |
-->>Trotzdem kommt Berlusconi zwei Arten des Faschismus immer näher: dem italienischen Ur-Faschismus vom Anfang des 20. Jahrhunderts
Das futuristische Manifest
Von Filippo Tomaso Marinetti
Italien/Frankreich 1909
1.
Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit.
2.
Mut, Kühnheit und Auflehnung werden die Wesenselemente unserer Dichtung sein
3.
Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Ekstase und den Schlaf gepriesen. Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag.
4.
Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie grosse Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen... ein aufheulendes Auto, das auf Kartäschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake
5.
Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, die selbst auf ihrer Bahn dahinjagt.
6.
Der Dichter muss sich glühend, glanzvoll und freigiebig verschwenden, um die leidenschaftliche Inbrunst der Urelemente zu Vermehren.
7.
Schönheit gibt es nur im Kampf. Ein Werk ohne agressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein. Die Dichtung muss aufgefast werden als ein heftiger Angriff auf die unbekannten Kräfte, um sie zu zwingen, sich vor dem Menschen zu beugen.
8.
Wir stehen auf dem äussersten Vorgebirge der Jahrhunderte!... Warum sollen wir zurückblicken, wenn wir die geheimnisvollen Tore des Unmöglichen aufbrechen wollen? Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen.
9.
Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt - den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.
10.
Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören und gegen den Moralismus, den Feminismus und gegen jede Feigheit kämpfen, die auf Zweckmässigkeit und Eigennutz beruht.
11.
Wir werden die grossen Menschenmengen besingen, die die Arbeit, das Vergnügen oder der Aufruhr erregt; besingen werden wir die vielfarbige, vielstimmige Flut der Revolutionen in den modernen Hauptstädten; besingen werden wir die nächtliche, vibirierende Glut
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Badland Warrior
04.09.2002, 15:19
@ silvereagle
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Re: Berlusconi und Islam |
-->Hi, silvereagle!
Ich stehe weiterhin dazu, weil der Satz inhaltlich richtig ist, meines Erachtens. Aber Berlusconi hat damals wahrscheinlich nur aus Opportunismus diese Aussage gebraucht, um dem Gorge W. Bush in die Mokkahöhle zu kriechen. Ansonsten habe ich bezüglich berlusconi eigentlich noch nie etwas Gutes gelesen oder gehört, und da ist noch sehr viel mehr mindestens zweifelhaft an dem Menschen..
Badland Warrior
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