dottore
11.10.2002, 20:20 |
Das eigentliche Staatsproblem - meine Position zum Wochenende (relativ kurz) Thread gesperrt |
-->Hi,
nach den sehr luziden und auch temperamentvollen Ausführungen zum Thema"Staat" oder"Nicht-Staat" möchte ich meinen Standpunkt zum Thema Wirtschaft und Staat oder Staat und Wirtschaft noch ein Mal darstellen. Und dies möglichst kurz:
1. Ich halte Wirtschaften ohne Termin für nicht definierbar.
2. In der menchlichen Natur existiert eine gewisse Termintoleranz sich selbst gegenüber, wiewohl es natürlich vorgegebene Maxima gibt, die nicht überschritten werden können (vgl. Krisenschaukel, das"Urschuld"-Problem).
3. Der Mensch selbst ist zweifelsfrei terminflexibel.
4. Eine Terminsetzung, die unverrückbar ist, kann daher nur mit Hilfe oder durch Gewalt und Zwang erfolgen. (Dies ist der Ansatz der"neuen" Fiskal- oder Machttheorie der Wirtschaft, wie schon seit längerem vorgestellt und diskutiert).
5. Die ersten Terminsetzungen in Form von Abgaben erfolgen"von oben", also per Zwang, Gewalt und Macht. (ich erinnere an das Kalender-Phänomen, usw.).
6. Dieser Terminsetzung versucht der Mensch durch produktiveres Wirtschaften, also Schaffung von neuen Terminspielräumen, zu entkommen. (Kickstarter des Wirtschaftens war m.E. historisch die Abgabe, die zur Surpluserzielung zwingt).
7. So ist der Anstoß zum Phänomen Wirtschaft der gesetzte Termin, aus dem sich alles weitere ergibt. Der Titel (Anspruch auf etwas, das wiederum nur als termingebunden definierbar ist), der Wert (Kurs, Preis) des Titels, damit auch als automatische Folgephänomene Geld und Zins. (Beim Zins mit der Unterscheidung von"census" und"usura").
8. In der sich daraus entwickelnden Wirtschaft muss mit derivativen Terminen gearbeitet werden (private Kontrakte mit Fälligkeiten usw. ohne die Kontrakte nicht definierbar sind).
9. Somit lässt sich auch privates Wirtschaften nur über den Termin, dessen Befolgung bzw. Inkaufnahme der Nichtbefolgung (Sanktionen, Vollstreckung usw.) definieren.
10. Dieses kann durchaus von"freiem", nicht termingebundenem Tun begleitet sein, wobei die Grenzen fließend werden können (Künstler, Erfinder arbeitet z.B. erst frei, dann im"Auftrag", also an Termin gebunden).
11. Zunächst also ist das private Wirtschaften sehr stringent terminorientiert, doch dieses kann sich lockern. (Zu den frühen Formen der Sanktionen bei Nichterfüllung zum Termin zählt u.a. die Schuldknechtschaft).
12. Je stärker die Terminlichkeit gelockert wird, desto weniger stark ist auch der Zwang, privat zu wirtschaften.
13. Der Staat, der selbst bei seiner Terminlichkeit bleibt (immer der vorrangig bediente bzw. bevorzugte Schuldner) übernimmt mehr und mehr die in Wegfall geratende Stringenz des Termins im privatwirtschaftlichen Bereich, d.h. er"lockert", schafft"soziale" Tatbestände, er entlässt also die Privaten aus der Terminstringenz zu seinen Lasten (Subventionen, Umverteilungen,"Be-Steuerung", usw.).
14. Immer stärker wird der Terminzwang im privaten Bereich ausgehöhlt, was natürlich Beifall findet ("Politik" in modernen Massendemokratien).
15. Die Legitimation für dieses Vorgehen schafft sich der Staat, indem er auf seinen ultimativen Terminzwang verweisen kann (Steuern), den er selbst jedoch ebenfalls immer weiter aushöhlt, um sich als"guter" Staat zu beweisen.
16. Dies geschieht vor allem durch das ideale"Vertagungs"- bzw. Prolongationsmittel: die Staatsverschuldung, in der - geführt als CpD-Konto (vgl."Aufwärts ohne Ende") - immer mehr Platz findet, was im"privaten", frei-marktwirtschaftlichen ("libertären") System sonst gescheitert wäre. (Mit der berühmten Chance zum"Neubeginn").
17. Dafür werden entsprechende Ideologien gebastelt ("hoheitliche Aufgaben","Infrastruktur""geht eben nur 'staatlich'","Fürsorgepflicht des Staates", usw.).
18. In einer längeren Auslaufphase, die unbezweifelbar begonnen hat (Japan!) wird zwar noch gewirtschaftet, dies aber mit abnehmender Intensität bei gleichzeitig zunehmenden Problemen (Verteilung, Globalisierung, usw.).
19. Dies ergibt sich zum einen aus dem immer größeren Umverteilungsmechanismus selbst, den der Staat inszeniert (der einzelne bezahlt über seine Steuern die Leistungen des Staates an sich selbst, vom Kindergeld, intergenerationell bis zur Rente, supragenerationell). Und zu anderen aus dem erlahmenden Leistungswillen, zumal selbst"geborene" Leistungsträger die Einforderung von Gegenleistung wegen des immer mehr schwindenden Termindrucks (und den daraus sich ergebenden Folgen bei Nichterfüllung) immer weiter entschwindet.
20. So dass wir am Ende zu einem immer mehr verfeinerten Vertagungssystem kommen müssen, das im sog."Geldsystem" bereits perfektioniert ist (es wird nur noch gezeigt, nicht mehr gezahlt, geschweige denn getilgt).
So weit meine Position.
Da dieser Prozess nicht"gleitend" und"schmerzfrei" in einen"Endzustand" (der dann obendrein auch noch"stabil" wäre und dies gar ohne zeitliche Begrenzung) überleiten kann, ist mit zweierlei zu rechnen:
a) extremen Volatilitäten aller möglichen Bereiche (auch geographisch), wobei die Volatilitäten sich vorrangig"sozial" zeigen werden.
b) hektischen Betriebssamkeiten aller Beteiligten in Staat und Wirtschaft, um im mehr und mehr termindruckfreien Wirtschaften doch noch so etwas wie den früheren"Drive" wieder zu erwecken.
Letzteres wird das allgemeine Dahinsiechen - nach kurzen Aufbäum-Phasen - allerdings nur beschleunigen.
Desungeachtet multipliziert sich die Zahl der"Schwachstellen", da der Termindruck nicht gleichermaßen und von allen genommen werden kann. Je mehr Personen und je höhere Summen das"rettende Ufer" erreichen, desto spitzer wird es für die in der tosenden Brandung des"eigentlichen" wirtschaftlichen Alltags Verbliebenen.
Dies bedeutet schlussendlich, dass mit jeder"Entspannungsmaßnahme" die Gefahr des unkontrollierten, weil letztlich auch schon wegen der ungeheuren Masse der weltweit Beteiligten und ihrer Risiken unkontrollierbaren Zusammenbruchs ("Crash" - nicht nur am Aktienmarkt) zunimmt, gegen die auch Massen neuer Gesetze und Vorschriften, die kommen werden (Tobinsteuer nur als Hinweis) nichts ausrichten können.
Ein wunderschönes und geruhsames Wochenende für alle, verbunden mit herzlichem Dank für die vielen ungemein anregenden Beiträge (aus allen möglichen Bereichen, und nicht etwa nur diesem einen hier) und Gruß!
PS: Werde versuchen, am Sonntag wieder reinzuschauen.
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chiquito
11.10.2002, 21:18
@ dottore
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Re: Das eigentliche Staatsproblem - mit Zirkelschluß |
-->Hallo,
zweifellos steckt hier ein Zirkelschluß in der Argumentation.
Zitat:
"6. Dieser Terminsetzung versucht der Mensch durch produktiveres Wirtschaften, also Schaffung von neuen Terminspielräumen, zu entkommen. (Kickstarter des Wirtschaftens war m.E. historisch die Abgabe, die zur Surpluserzielung zwingt)."
Mir scheint auf der Hand zu liegen, dass ein Staat, der Abgaben erzwingen kann, selbst schon ein Surplus voraussetzt, welches notwendige Voraussetzung dafür ist, dass"die Macht", der Staat also, einen Gewaltapparat zur Abgabenerzwingung überhaupt erhalten kann.
Das Surplus geht also meiner Ansicht nach dem Staat,"der Macht", historisch und logisch voraus.
Ein schönes Wochenende wünscht
chiquito
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susi
11.10.2002, 22:17
@ dottore
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Danke für Ihre Postings (owT) |
-->
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André
11.10.2002, 22:38
@ chiquito
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Re: Das Staatsproblem ist ohne Zirkelschluß |
-->chiquito,
es handelt sich NICHT um einen Zirkelschluss.
Die erste Abgabe (und in Wahrheit nicht nur die erste) wird nicht aus einem
Surplus erhoben, sondern aus einem Bestand.
Geld (=Vieh) oder Leben, heisst die originäre Devise (=Steuer), Basta.
Leider, denn es gilt: homo homini lupus. (Et angelus steht auf einer anderen Seite)!.
Deshalb kein Zirkelschluss, alles bereits diskutiert.
Alles in sich korrekt.
Offen in der Diskussion ist nur, ( für manche sogar ob) wieviel Staat wir brauchen und wie das Regelwerk in allen Lebensbereichen im Einzelnen zu gestalten sei, damit der individuelle wie gesellschaftliche Freiheitsspielraum maximiert werden kann ohne denjenigen Dritter einzuschränken. Und das vor allem - aber nicht nur - in ökonomisch/finanzwirtschaftlicher Sicht.
MfG
A.
>Hallo,
>zweifellos steckt hier ein Zirkelschluß in der Argumentation.
>Zitat:
>"6. Dieser Terminsetzung versucht der Mensch durch produktiveres Wirtschaften, also Schaffung von neuen Terminspielräumen, zu entkommen. (Kickstarter des Wirtschaftens war m.E. historisch die Abgabe, die zur Surpluserzielung zwingt)."
>Mir scheint auf der Hand zu liegen, dass ein Staat, der Abgaben erzwingen kann, selbst schon ein Surplus voraussetzt, welches notwendige Voraussetzung dafür ist, dass"die Macht", der Staat also, einen Gewaltapparat zur Abgabenerzwingung überhaupt erhalten kann.
>Das Surplus geht also meiner Ansicht nach dem Staat,"der Macht", historisch und logisch voraus.
>Ein schönes Wochenende wünscht
>chiquito
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Tiffy
12.10.2002, 00:27
@ dottore
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Leben vor und nach dem Termin gibt es nicht mehr, oder? |
-->Hi Dottore,
es gibt nur noch den homo öconomicus.
Genau den Menschen, welchen sich die Wirtschaftsexperten erdacht und erwünscht haben, oder?
Den Menschen, der für seinen Verein jedes Wochende kostenlos arbeitet als Trainer, Referent, Verkäufer,...., gibt/gab es in dieser Denke noch nie.
Mir graut vor dem Wissen der Wirtschaftsökonomen.
Eine geistig,moralisch Minderheit erhebt sich zum Trend-Setter.
Sie weist nicht, dass sie nichts weist.
Aber sie glaubt, dass sie es besser weist.
Ein Horrorfilm pur.
Trotzdem ist der Mensch nicht so, wie ihn manche sich denken und wünschen.
Man kann sich den Menschen denken und wünschen, aber nicht die Menschen.
Auch Wirtschaftswissenschaftler werden eines Tages ihre Lehren revidieren müssen.
Kopfschüttelnd, ahnungslos und mit einem Gruß aus der Tierwelt
Tiffy
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silvereagle
12.10.2002, 00:43
@ Tiffy
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@Tiffy |
-->Hi,
Abgesehen davon, dass sich Dein Vergleich"der Mensch" und"DIE Menschen" durchaus auch auf Deinen folgenden Satz anwenden lässt:
> Auch Wirtschaftswissenschaftler werden eines Tages ihre Lehren revidieren müssen.[wobei Du immerhin das"DIE" weggelassen hast ;-)]
..., so erscheint mir folgendes Zitat dazu einigermassen passend:
"Wirtschaftswissenschaft ist die einzige Disziplin, in der jedes Jahr auf die gleichen Fragen andere Antworten richtig sind." Danny Kaye
> Kopfschüttelnd, ahnungslos und mit einem Gruß aus der Tierwelt
Finde ich gegenständlich etwas zu hart, aber Deine Meinung ist nun mal Deine Meinung...
Gruß, silvereagle
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Tiffy
12.10.2002, 02:29
@ silvereagle
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Re: @Tiffy |
-->Hallo Silberadler,
als Maus bleibt mir der Flug des Adlers immer ein Warnsignal.
Wenn er fliegt, ist er auf Beuteschau.
Ich habe/hatte nicht die Absicht, Beute eines Greifs zu werden. Trotzdem ist die Freiheit des Adlers so viel wert wie die Freiheit einer Maus.
Regelmäßig sind meine Artgenossen Opfer deiner Überlebensstrategie geworden.
Diejenigen, welche bisher überlebt haben, verdanken ihre Existenz sicher nicht deiner"friedfertigen" Absicht.
Eher schon ihrer praktischen Erfahrung und den daraus entwickelten Überlebensstrategien.
Ich glaube schon, dass Mäuse und Adler zusammenleben könnten, aber nur, wenn die Bedingungen für beide Seiten annehmbare Bedingungen bieten.
Glaubst du, wir beide könnten sie aushandeln?
Oder sollten wir vorsichtshalber menschliche, studierte Ã-konomen als Vermittler einsetzen?
Die könnten uns auf jeden Fall erklären, was wir bisher in unserer Kommunikation falsch gemacht haben.
Wir Mäuse stellen ab jetzt ein gewisses Kontigent an Opfer/Nahrung/Mittel euch Adlern zur Verfügung, und im Gegenzug laßt ihr den Rest von uns in Ruhe.
Wäre doch die rational intelligenteste Lösung?
Abgesehen davon, dass eure Jungadler keinen Bezug zur Nahrungsbeschaffung mehr lernten und unsere Jungmäuse keine Verteidigungsstrategien, wäre das doch nett,oder?
Ach Silberadler,
stell dir eine vollkommen geregelte Welt vor, alle Mäuse und Adler wären friedlich, studierte Ã-konomen wissen mehr als der Rest von uns und regeln die Restrisiken.
Würde sie den jungen Adlern und Mäusen nicht recht schnell langweilig werden?
Wieviel Genrationen würden wir nach 2 Generationen brauchen, in unsere alten (geerbten?) Verhaltensmuster zurückzufallen, so wir sie"plötzlich" brauchen würden?
Das ich keine Geschichten, Parablen und andere wunderbare Dinge beschreiben kann, habe ich mit obigem Text bewiesen.
Ich will eigentlich nicht mit einem Silberadler diskutieren.
Ich will eigentlich schon länger nicht mehr diskutieren.
Diskutieren kann man, wenn man etwas verstanden hat.
Ich würde gerne mit Dottore diskutieren. Aber eigentlich will ich es nicht.
Ich würde eh verlieren. Ich würde eigentlich lieber fragen.
Antworten könnten mir helfen zu verstehen.
Aus Verstehen könnten sich Fragen entwickeln.
Aus Fragen entstehen Antworten.
Aus Antworten neue Fragen.
Und irgendwann hätte ich verstanden, was mein Antworter meint.
Ich könnte nochmal nachdenken und hätte neue Fragen.
Und eigentlich würde es von vorne anfangen.
Sei's drum, eigentlich müssen wir alle nicht Karusell fahren, wir tuen es trotzdem.
Aber was soll's, solange junge Adler hungrig sind und junge Mäuse Deckung suchen, spielen wir das Spiel der Spiele.
Ein Gruß in die Lüfte
Tiffy
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Tiffy
12.10.2002, 02:44
@ Tiffy
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PS |
--><cite>
Wirtschaftswissenschaft ist die einzige Disziplin, in der jedes Jahr auf die gleichen Fragen andere Antworten richtig sind." Danny Kaye
</cite>
Um mich nicht ganz des Vorwurfs der"Mäusestrategie" auszusetzen möchte ich zu deinem Zitat folgendes anmerken:
"Wo Menschen Recht haben, haben sie recht und das Karusell dreht sich weiter"
Rein als Maus gesehen ;-)))))
Tiffy
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silvereagle
12.10.2002, 08:02
@ Tiffy
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Message angekommen |
-->Hallo Tiffy,
bleib, wie Du bist. Mäusestrategie hat was. Hie und da weiterentwickeln kann auch belebend sein. ;-)
Lieben Gruß vom Silberadler
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Wal Buchenberg
12.10.2002, 10:48
@ dottore
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Platon: Der Zweck ist Anfang des Handelns. Dottore: Der Termin steht am Anfang. |
-->Hallo dottore,
Weisheit steckt in jeder Aussage. Deine Weisheit - soweit ich sie erkennen kann - ist direkt und ohne Umschweife von Platon genommen. Platon nimmt die Arbeit eines Handwerkers als Paradigma und kommt zu dem Ergebnis: Der Zweck bestimmt unser Handeln. Also steht der Zweck am Beginn.
Platon:
„Denn jeder Arzt, jeder kunstverständige Handwerker schafft alles wegen eines Zieles, und jedes Teil als auf das gemeinsame Beste hinstrebend, nicht aber das Ganze wegen des Teiles.“ Platon, Nomoi 903 c.
„Denkst du denn, daß die Menschen dasjenige wollen, was sie jedesmal tun, oder vielmehr jenes, um deswillen sie dasjenige tun, was sie tun? Wie etwa die Leute, die Arznei einnehmen von den Ärzten, denkst du, daß die dasjenige wollen, was sie tun, Arznei nehmen und Schmerzen haben, oder jenes, das Genesen, um deswillen sie sie nehmen. - Offenbar das Genesen. - So auch bei den Schiffahrttreibenden und denen, die auf anderes Gewerbe ausgehen, ist, was sie wollen, nicht dasjenige, was sie jedesmal tun. Denn wer will wohl zu Schiffe sein und in Gefahr schweben und Händel haben? Sondern jenes, denke ich, um deswillen sie zu Schiffe gehen, das Reichwerden; denn um des Reichtums willen gehen sie zu Schiffe.“ Platon, Gorgias 467 c - d.
(Platon macht allerdings den Fehler, dieses Zweckdenken auch auf Natur zu übertragen. Heute gehen wir nicht mehr davon aus, dass die Natur sich nach zuvor gesetzten Zwecken entwickelt.)
Du übernimmst das Zweck-Paradigma Platons (das innerhalb des einzelnen Arbeitsprozesses völlig zutreffend ist) und überträgst es auf die gesamte Volkswirtschaft:
Es muss ein Generalwille da sein, der den vielen, chaotisch handelnden Wirtschaftssubjekten einen Zweck setzt.
In deinen Augen ist das die Staatsmacht, die feste Termine für Abgaben usw. festsetzt.
Meine Position dazu habe ich schon mehrmals formuliert:
Das Wirtschaftshandeln des Einzelnen ist zwar rational und zweckgesteuert, der gesamte Wirtschaftsprozess läuft aber ähnlich ungesteuert ab wie Naturprozesse. Eine Ordnung entsteht spontan aus dem Chaos der widersprüchlichen Einzelinteressen. Die Staatsmacht steht nicht steuernd über diesem Prozess, sondern ist nur Teil der chaotischen Einzelfaktoren - quasi nur eine"Wirtschaftsbranche".
Gruß Wal Buchenberg
Gruß Wal Buchenberg
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Diogenes
12.10.2002, 12:58
@ dottore
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Re: Das eigentliche Staatsproblem - meine Position zum Wochenende (relativ kurz) |
-->Hallo dottore,
>1. Ich halte Wirtschaften ohne Termin für nicht definierbar.
Ich halte Wirtschaften ohne Bedürfnisse plus Knappheit nicht für definierbar. Die westentlichsten Termine werden von den Bedürfnissen gesetzt.
>2. In der menchlichen Natur existiert eine gewisse Termintoleranz sich selbst gegenüber, wiewohl es natürlich vorgegebene Maxima gibt, die nicht überschritten werden
>3. Der Mensch selbst ist zweifelsfrei terminflexibel.
Jepp. Vergl. Maslowsche Bedürfnispyramide. Je weiter oben das bedürfnis rangiert, desto flexibler der Termin.
Termintoleranz bei Essen = Größe der Fettpolster *g*
>4. Eine Terminsetzung, die unverrückbar ist, kann daher nur mit Hilfe oder durch Gewalt und Zwang erfolgen.
Ja. Der größte Zingherr ist die Natur selber. Friß oder stirb. Im schweiße deines Angesichts, sollst du dir dein Brot verdienen.
>5. Die ersten Terminsetzungen in Form von Abgaben erfolgen"von oben", also per Zwang, Gewalt und Macht.
Jein.
Die Termine sind uns durch uns selber vorgegeben. Da ergeht es"Oben" nicht anderst als"Unten". Aus den Bedürfnissen von"Oben" ergeben sich die Terminsetzungen für"Unten".
"Oben" wälzt lediglich via Steuer-Terminsetzung die Arbeit zur Erfüllung seiner Bedürfnisse nach"Unten" ab."Unten" übernimmt dan nicht freiwillig, deswegen Zwang.
>6. Dieser Terminsetzung versucht der Mensch durch produktiveres Wirtschaften, also Schaffung von neuen Terminspielräumen, zu entkommen.
Naja. Wenn mir der Staat 50 % meines Einkommens abzwackt, dann muß ich doppelt soviel arbeiten um meinen Lebensstandard zu halten. Produktivitätssteigerung, Soweit klar.
Allerdings: Will ich meinen Lebensstandard erhöhen, müßte ich auch mehr arbeiten. Hbe ich Kinder muß ich auch mehr schften.
Ergo: Mehrarbeiten/Produktivitätssteigerung kann verschiedene Ursachen haben. Steuern sind nur eine unter vielen.
Deine Terminspielräume sind nichts anderes als das gute alte Sparen. Und das wird der unsicheren Zunkunft wegen betrieben, mit Steuersytem oder ohne.
>7. So ist der Anstoß zum Phänomen Wirtschaft der gesetzte Termin, aus dem sich alles weitere ergibt.
Anderst gesagt: Wir wirtschaften um Bedürfnisse zu befriedigen. Die Bedrüfnisse sind er Anstoß zum Wirtschaften, sie setzen die Termine.
>8. In der sich daraus entwickelnden Wirtschaft muss mit derivativen Terminen gearbeitet werden (private Kontrakte mit Fälligkeiten usw. ohne die Kontrakte nicht definierbar sind).
Was braucht es den Staat dazu?
>9. Somit lässt sich auch privates Wirtschaften nur über den Termin, dessen Befolgung bzw. Inkaufnahme der Nichtbefolgung (Sanktionen, Vollstreckung usw.) definieren.
Ja. Aber Sanktionen können auch sozialer Natur sein. Wer sein Wort nicht hält, mit dem Treibt man keinen handel mehr. Er hat seinen Kredit verspielt. Das geht ohne Staatszwang.
>10. Dieses kann durchaus von"freiem", nicht termingebundenem Tun begleitet sein, wobei die Grenzen fließend werden können
Die Exaktheit der Termine, hängt von den Transportmittel und der Natur ab. Wo ist die Grenze zwischen termingebunden und terminfrei?
>11. Zunächst also ist das private Wirtschaften sehr stringent
terminorientiert, doch dieses kann sich lockern.
>12. Je stärker die Terminlichkeit gelockert wird, desto weniger stark ist auch der Zwang, privat zu wirtschaften.
Nein. Nicht selber arbeiten/wirtschaften kann ich mir nur leisten, wenn ich mich van-den-anderen ohne Gegenleistung bedienen lassen kann. Das heißt aber, daß andere dafür umso mehr leisten müssen.
Die Termine setzt letzendlich die Natur, daran kann keiner etwas"lockern".
Lockern kann man nur das Prinzip Leistung-Gegenleistung.
>13....er"lockert", schafft"soziale" Tatbestände, er entlässt also die Privaten aus der Terminstringenz zu seinen Lasten (Subventionen, Umverteilungen,"Be-Steuerung", usw.).
Nein. Er untergräbt das Prinzip Leistung für Gegenleistung. Könnte er Terminlichkeiten lockern, könnte er sich das"sozial" sparen.
Ein Beispiel dazu:
Untergrabung des Leitung-Gegenleistungprinzip: A Brot klauen (abbesteuern) um es B zu geben.
Lockerung des Termins wäre: Staat verfügt, B muß erst nächstes Jahr essen.
In den Punkten 14 - 18 stimme ich dir zu, wenn"Termin" durch Leistung-Gegenleistung ersetzt wird.
>18. In einer längeren Auslaufphase, die unbezweifelbar begonnen hat (Japan!) wird zwar noch gewirtschaftet, dies aber mit abnehmender Intensität bei gleichzeitig zunehmenden Problemen (Verteilung, Globalisierung, usw.).
Das Saatgut (Realkapital, Leistungswille) ist verfrühstückt.
>20. So dass wir am Ende zu einem immer mehr verfeinerten Vertagungssystem kommen müssen, das im sog."Geldsystem" bereits perfektioniert ist (es wird nur noch gezeigt, nicht mehr gezahlt, geschweige denn getilgt).
Wiederspruch. Ewig vertagen können wir nur in der fiktiven Spähre des Papiers. In der realen Spähre schlägt die Natur beinhart zu, was die fiktion zum Einsturz bringt. Deswegen kommt es ja zur Krise, oder besser: die verborgenen Kirse wird für alle sichtbar. Die Zeit kann man nicht beschwindeln.
Gruß
Diogenes
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Bob
12.10.2002, 13:11
@ Wal Buchenberg
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Re: Platon: Der Zweck ist Anfang des Handelns. Dottore: Der Termin steht am Anfang. |
-->>Hallo dottore,
>Weisheit steckt in jeder Aussage. Deine Weisheit - soweit ich sie erkennen kann - ist direkt und ohne Umschweife von Platon genommen. Platon nimmt die Arbeit eines Handwerkers als Paradigma und kommt zu dem Ergebnis: Der Zweck bestimmt unser Handeln. Also steht der Zweck am Beginn.
>Platon:
>„Denn jeder Arzt, jeder kunstverständige Handwerker schafft alles wegen eines Zieles, und jedes Teil als auf das gemeinsame Beste hinstrebend, nicht aber das Ganze wegen des Teiles.“ Platon, Nomoi 903 c.
>„Denkst du denn, daß die Menschen dasjenige wollen, was sie jedesmal tun, oder vielmehr jenes, um deswillen sie dasjenige tun, was sie tun? Wie etwa die Leute, die Arznei einnehmen von den Ärzten, denkst du, daß die dasjenige wollen, was sie tun, Arznei nehmen und Schmerzen haben, oder jenes, das Genesen, um deswillen sie sie nehmen. - Offenbar das Genesen. - So auch bei den Schiffahrttreibenden und denen, die auf anderes Gewerbe ausgehen, ist, was sie wollen, nicht dasjenige, was sie jedesmal tun. Denn wer will wohl zu Schiffe sein und in Gefahr schweben und Händel haben? Sondern jenes, denke ich, um deswillen sie zu Schiffe gehen, das Reichwerden; denn um des Reichtums willen gehen sie zu Schiffe.“ Platon, Gorgias 467 c - d.
>(Platon macht allerdings den Fehler, dieses Zweckdenken auch auf Natur zu übertragen. Heute gehen wir nicht mehr davon aus, dass die Natur sich nach zuvor gesetzten Zwecken entwickelt.)
>Du übernimmst das Zweck-Paradigma Platons (das innerhalb des einzelnen Arbeitsprozesses völlig zutreffend ist) und überträgst es auf die gesamte Volkswirtschaft:
>Es muss ein Generalwille da sein, der den vielen, chaotisch handelnden Wirtschaftssubjekten einen Zweck setzt.
>In deinen Augen ist das die Staatsmacht, die feste Termine für Abgaben usw. festsetzt.
>Meine Position dazu habe ich schon mehrmals formuliert:
>Das Wirtschaftshandeln des Einzelnen ist zwar rational und zweckgesteuert, der gesamte Wirtschaftsprozess läuft aber ähnlich ungesteuert ab wie Naturprozesse. Eine Ordnung entsteht spontan aus dem Chaos der widersprüchlichen Einzelinteressen. Die Staatsmacht steht nicht steuernd über diesem Prozess, sondern ist nur Teil der chaotischen Einzelfaktoren - quasi nur eine"Wirtschaftsbranche".
>Gruß Wal Buchenberg
>Gruß Wal Buchenberg
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Bob
12.10.2002, 13:34
@ Bob
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Vorstehendes Posting bitte ignorieren (bzw. löschen) - hier lesen |
-->>>Das Wirtschaftshandeln des Einzelnen ist zwar rational und zweckgesteuert, der gesamte Wirtschaftsprozess läuft aber ähnlich ungesteuert ab wie Naturprozesse. Eine Ordnung entsteht spontan aus dem Chaos der widersprüchlichen Einzelinteressen. Die Staatsmacht steht nicht steuernd über diesem Prozess, sondern ist nur Teil der chaotischen Einzelfaktoren - quasi nur eine"Wirtschaftsbranche".
eine etwas andere Akzentsetzung:
Der Einzelne ist irrational, erst die Organisation des Marktes macht, dass daraus es etwas Sinnhaftes entsteht. Der Markt"zwingt" dem Einzelnen ein rationales Zweckhandeln auf ("Rendite" im Falle des Wirtschaftsunternehmens).
Die Motivation des einzelnen Akteurs ist durchaus irrational. Was bewegt z.B. einen Menschen dazu, Bundeskanzler oder Wirtschaftsführer zu werden? das kann doch nur etwas Irrationales sein. Was bewegt eine Firma dazu, einen Sportwagen zu bauen?
Mein Plädoyer:
Das Individuum irrationalisieren, das System rationalisieren.
Aus Leidenschaften Geld machen.
bob
ps: zur Frage des Termins. In ursprünglichen gesellschaften diktierte wohl die Natur den Termin. (z.b. Nilüberschwemmung, Jahreszeiten). Dann kamen die Priester und beobachteten die Gestirne, was sie in die Lage versetzte, den termin"vorherzusagen". Dieses Wissen gaben sie demjenigen preis, der sie dafür bezahlte. Dieses Subjekt wurde schnell so reich, dass es eine Staatsmacht aufbauen konnte. D.h. die Terminsetzungsmacht ist eine aus natürlichen Vorgängen über die Vermittlung der Priester abgeleitete Staatsaufgabe.
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Saint-Just
12.10.2002, 15:03
@ Tiffy
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welch harmloser Nick, welch komplexer Verstand |
-->Mit Dir diskutiert es sich gewiss lohnend.
Respekt und Gruss!
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Zardoz
12.10.2002, 15:15
@ silvereagle
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Re: Message angekommen |
-->Da ihr ja nicht diskutiert, kann ich mich ja auch nicht einmischen...
> Mäusestrategie hat was.
... und widersprechen. Die Maus dient dem Adler nicht aus strategischen Gründen als Nahrung. Ebensowenig hat ein Adler die Wahl, Mäuse von seinem Speiseplan zu streichen. Dem Menschen dagegen - so er sich denn seines Menschseins bewußt ist - stehen Zeit seines Lebens alle Optionen zur Verfügung.
> Hie und da weiterentwickeln kann auch belebend sein. ;-)
So ist es wohl... ;-)
Nice weekend,
Zardoz
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netrader
12.10.2002, 20:14
@ dottore
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Re: Das eigentliche Staatsproblem - meine Position zum Wochenende (relativ kurz) |
--><font size="4"><font color="006600">Hallo dottore,
man sieht, dass hier lange nachgedacht worden ist.
Deshalb gerne folgende Anmerkungen aus dem Stegreif. Viele Gruesse, netrader.
</font>
Hi,
nach den sehr luziden und auch temperamentvollen Ausführungen zum Thema"Staat" oder"Nicht-Staat" möchte ich meinen Standpunkt zum Thema Wirtschaft und Staat oder Staat und Wirtschaft noch ein Mal darstellen. Und dies möglichst kurz:
1. Ich halte Wirtschaften ohne Termin für nicht definierbar.
2. In der menchlichen Natur existiert eine gewisse Termintoleranz sich selbst gegenüber, wiewohl es natürlich vorgegebene Maxima gibt, die nicht überschritten werden können (vgl. Krisenschaukel, das"Urschuld"-Problem).
<font size="4"><font color="006600">banales: Terminvorgaben für Wirtschaften erfolgen z.B. durch Witterungseinflüsse, Geburt, Tod, Unfälle und zahlreiche andere Natureinflüsse.</font>
3. Der Mensch selbst ist zweifelsfrei terminflexibel.
4. Eine Terminsetzung, die unverrückbar ist, kann daher nur mit Hilfe oder durch Gewalt und Zwang erfolgen. (Dies ist der Ansatz der"neuen" Fiskal- oder Machttheorie der Wirtschaft, wie schon seit längerem vorgestellt und diskutiert).
5. Die ersten Terminsetzungen in Form von Abgaben erfolgen"von oben", also per Zwang, Gewalt und Macht. (ich erinnere an das Kalender-Phänomen, usw.).
<font size="4"><font color="006600">Der Schritt 4-5 erscheint mir irgendwie sehr (zu)"plötzlich", hier müßte es m.E. eine historische Ableitung geben, deren Ursprung sich in Hand- und Spanndiensten für die Gemeinschaft und den Machtträger findet. Ohne einen gewissen wirtschaftshistorischen Hintergrund kann niemand"einfach so" Abgaben auferlegen. M.E. hat man irgendwann den segensreichen Einfluss von Hand- und Spanndiensten betr. den Abbau von Übervölkerung und betr. Wirtschaftswachstum entdeckt, insb. durch Großprojekte (Pyramidenbau, Osterinsel etc.), die man natürlich religiös begründen musste, m.a.W. durch Schüren von Ängsten. Abgaben lassen sich unter dieser Prämisse als Rechte Privilegierter begreifen, die ungeliebten Leistungs- und Lieferpflichten durch Abgaben (von Gold etc.) abzulösen, was dann allmählich zur Schaffung standardisierter Ablösungseinheiten (zB Großmünzen) geführte haben kann, in letzter Konsequenz zur reinen Geldabgabepflicht..</font>
6. Dieser Terminsetzung versucht der Mensch durch produktiveres Wirtschaften, also Schaffung von neuen Terminspielräumen, zu entkommen. (Kickstarter des Wirtschaftens war m.E. historisch die Abgabe, die zur Surpluserzielung zwingt).
7. So ist der Anstoß zum Phänomen Wirtschaft der gesetzte Termin, aus dem sich alles weitere ergibt. Der Titel (Anspruch auf etwas, das wiederum nur als termingebunden definierbar ist), der Wert (Kurs, Preis) des Titels, damit auch als automatische Folgephänomene Geld und Zins. (Beim Zins mit der Unterscheidung von"census" und"usura").
8. In der sich daraus entwickelnden Wirtschaft muss mit derivativen Terminen gearbeitet werden (private Kontrakte mit Fälligkeiten usw. ohne die Kontrakte nicht definierbar sind).
9. Somit lässt sich auch privates Wirtschaften nur über den Termin, dessen Befolgung bzw. Inkaufnahme der Nichtbefolgung (Sanktionen, Vollstreckung usw.) definieren.
<font size="4"><font color="006600">zu 8-9: Damit kein Missverständis aufkommt: Der Grundsatz der Fälligkeit von Leistungs- und Gegenleistungspflichten ist immer die sofortige Fälligkeit, wie zB beim klassischen Markthandel auftritt. Hinausgeschobene Fälligkeiten ergeben sich entweder aus der Natur der Sache, zB Zahlung bei Abnahme einer noch zu erbringenden Werkleistung, oder die Fälligkeiten müssen durch Kontrakt hinausgeschoben werden (Darlehenselement).</font>
10. Dieses kann durchaus von"freiem", nicht termingebundenem Tun begleitet sein, wobei die Grenzen fließend werden können (Künstler, Erfinder arbeitet z.B. erst frei, dann im"Auftrag", also an Termin gebunden).
11. Zunächst also ist das private Wirtschaften sehr stringent terminorientiert, doch dieses kann sich lockern. (Zu den frühen Formen der Sanktionen bei Nichterfüllung zum Termin zählt u.a. die Schuldknechtschaft).
12. Je stärker die Terminlichkeit gelockert wird, desto weniger stark ist auch der Zwang, privat zu wirtschaften.
<font size="4"><font color="006600">Hier dürfte das Thema der Pfändungsfreigrenzen untergebracht werden können; auch das Fluchtthema (zB durch Unterhaltsschuldner, die sich ins Ausland verdrücken).</font>
13. Der Staat, der selbst bei seiner Terminlichkeit bleibt (immer der vorrangig bediente bzw. bevorzugte Schuldner) übernimmt mehr und mehr die in Wegfall geratende Stringenz des Termins im privatwirtschaftlichen Bereich, d.h. er"lockert", schafft"soziale" Tatbestände, er entlässt also die Privaten aus der Terminstringenz zu seinen Lasten (Subventionen, Umverteilungen,"Be-Steuerung", usw.).
14. Immer stärker wird der Terminzwang im privaten Bereich ausgehöhlt, was natürlich Beifall findet ("Politik" in modernen Massendemokratien).
15. Die Legitimation für dieses Vorgehen schafft sich der Staat, indem er auf seinen ultimativen Terminzwang verweisen kann (Steuern), den er selbst jedoch ebenfalls immer weiter aushöhlt, um sich als"guter" Staat zu beweisen.
16. Dies geschieht vor allem durch das ideale"Vertagungs"- bzw. Prolongationsmittel: die Staatsverschuldung, in der - geführt als CpD-Konto (vgl."Aufwärts ohne Ende") - immer mehr Platz findet, was im"privaten", frei-marktwirtschaftlichen ("libertären") System sonst gescheitert wäre. (Mit der berühmten Chance zum"Neubeginn").
17. Dafür werden entsprechende Ideologien gebastelt ("hoheitliche Aufgaben","Infrastruktur""geht eben nur 'staatlich'","Fürsorgepflicht des Staates", usw.).
18. In einer längeren Auslaufphase, die unbezweifelbar begonnen hat (Japan!) wird zwar noch gewirtschaftet, dies aber mit abnehmender Intensität bei gleichzeitig zunehmenden Problemen (Verteilung, Globalisierung, usw.).
19. Dies ergibt sich zum einen aus dem immer größeren Umverteilungsmechanismus selbst, den der Staat inszeniert (der einzelne bezahlt über seine Steuern die Leistungen des Staates an sich selbst, vom Kindergeld, intergenerationell bis zur Rente, supragenerationell). Und zu anderen aus dem erlahmenden Leistungswillen, zumal selbst"geborene" Leistungsträger die Einforderung von Gegenleistung wegen des immer mehr schwindenden Termindrucks (und den daraus sich ergebenden Folgen bei Nichterfüllung) immer weiter entschwindet.
20. So dass wir am Ende zu einem immer mehr verfeinerten Vertagungssystem kommen müssen, das im sog."Geldsystem" bereits perfektioniert ist (es wird nur noch gezeigt, nicht mehr gezahlt, geschweige denn getilgt).
So weit meine Position.
Da dieser Prozess nicht"gleitend" und"schmerzfrei" in einen"Endzustand" (der dann obendrein auch noch"stabil" wäre und dies gar ohne zeitliche Begrenzung) überleiten kann, ist mit zweierlei zu rechnen:
a) extremen Volatilitäten aller möglichen Bereiche (auch geographisch), wobei die Volatilitäten sich vorrangig"sozial" zeigen werden.
b) hektischen Betriebssamkeiten aller Beteiligten in Staat und Wirtschaft, um im mehr und mehr termindruckfreien Wirtschaften doch noch so etwas wie den früheren"Drive" wieder zu erwecken.
<font size="4"><font color="006600">Ein großes Thema dürfte hier die allerorts feststellbare Rechtserosion sein, übrigens Thema für ein Buch, das auch noch geschrieben werden muss. Neben die ohnehin schon überzogenen Abgabenpflichten treten Rechtsgrundsätze (Gesetze und Urteile), wonach letztlich immer der verliert, bei dem was zu holen ist. Nur ein banales und altes Beispiel: In zahlreichen Unfallschadensprozessen wird das stattgebende Urteil maßgeblich dadurch beeinflusst, dass der Beklagte ja versichert ist. Der Gedanke wird tendenziell immer mehr ausgeweitet. Sog."Reiche" und"Besserverdienende" werden zunehmend Gefahr laufen, in planmäßig ausliegende Rechtsfallen zu tappsen.</font>
Letzteres wird das allgemeine Dahinsiechen - nach kurzen Aufbäum-Phasen - allerdings nur beschleunigen.
Desungeachtet multipliziert sich die Zahl der"Schwachstellen", da der Termindruck nicht gleichermaßen und von allen genommen werden kann. Je mehr Personen und je höhere Summen das"rettende Ufer" erreichen, desto spitzer wird es für die in der tosenden Brandung des"eigentlichen" wirtschaftlichen Alltags Verbliebenen.
Dies bedeutet schlussendlich, dass mit jeder"Entspannungsmaßnahme" die Gefahr des unkontrollierten, weil letztlich auch schon wegen der ungeheuren Masse der weltweit Beteiligten und ihrer Risiken unkontrollierbaren Zusammenbruchs ("Crash" - nicht nur am Aktienmarkt) zunimmt, gegen die auch Massen neuer Gesetze und Vorschriften, die kommen werden (Tobinsteuer nur als Hinweis) nichts ausrichten können.
Ein wunderschönes und geruhsames Wochenende für alle, verbunden mit herzlichem Dank für die vielen ungemein anregenden Beiträge (aus allen möglichen Bereichen, und nicht etwa nur diesem einen hier) und Gruß!
PS: Werde versuchen, am Sonntag wieder reinzuschauen.
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Aldibroker
12.10.2002, 21:01
@ dottore
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Die Aufhebung des existenziellen Zwangs |
-->Dottore,
4. Eine Terminsetzung ist zunächst im Rahmen menschlichen Ermessens nicht unverrückbar, sondern dem Naturell und Kalkül der Kontrahenten flexibel angepasst. Statt Kontaktzwang haben wir in Rechtsstaaten überwiegend Kontraktfreiheiten bei der Befriedigung unserer Konsum- und Investitionswünsche, soweit diese über natürliche immer zu erfüllende lebenserhaltende Grundbedürfnisse hinausgehen. Aber selbst bei diesen Bedürfnissen, haben wir die Freiheit, selbst anzubauen, bei Aldi oder... zu kontrahieren. Selbst in Gesellschaften, die weder rechtsstaatlich organisiert sind, noch über ausreichende Möglichkeiten verfügen, diese Grundbedürfnisse abzudecken, entstehen i.d.R. keine unverrückbaren Terminsetzungen mehr, denn ob der Abfalleimer heute oder morgen oder noch etwas später unentgeltlich etwas abwirft, ist nicht so lebensendscheidend, dass er etwas abwirft aber schon. Termine dennoch eher flexibel. (Dies ist demnach ein untauglicher Ansatz für"neue" Fiskal- oder Machttheorien der Wirtschaft).
5. Ob erste Abgaben-Terminsetzungen, also staatliche Zwangsabgaben, nun gerade besonders geeignet sind, dass erfolgreiche Wirtschaften in einer Gesellschaft oder im freien Handel am (Welt)Markt zu erklären, wage ich gerade aus Sicht der Verfechter einer steuer- und abgabenfreien Gesellschaft sehr zu bezweifeln.
6. Die Ur-Motivation zur Erzielung von Produktivitätsspielräumen oder Kickstarter des Wirtschaftens kann ohne Zweifel auch die Abgabe gewesen sein. Darüber hinaus werden auch Sorgen um die Länge/Härte des Winters, Vorsichtsmaßnahmen und negative Erfahrungen der Vorperioden... mit zur Vorratshaltung und Anwendung ökonomischer Prinzipien geführt haben. Selbst das Soziale im Menschen wird schon eine Rolle gespielt haben, denn wer freudig gibt, kann auch in der eigenen Not Hoffnungen hegen. Die erste soziale Gesellschaft, die über die Familie oder das Dorf hinausging, wird schon viele Tausend Jahre alt sein.
7. Der Anstoß zum Phänomen Wirtschaft kann u.a. der gesetzte Termin sein. Es ist möglich, vereinfachende Betrachtungen anzustellen, ob diese aber mehr als erklärenden Wert haben, ist zu bezweifeln, denn das Phänomen Wirtschaften ist komplexer und kann nicht nur auf Termin gesetzt werden. Es ist auch verkürzend, zu behauptet alles andere ergebe ich aus dem Termin. Dennoch kann man sinnvolle Ableitungen machen, was folgt, wenn der Termin das Initial gewesen wäre. Daraus folgt dann der Titel, der Wert, das Geld und der Zins. Wäre es da nicht besser, zu erläutern, dass die Schuld (Ur-Schuld) ein erklärbares wirtschaftliches Phänomen ist. Wirtschaften aber auch ohne Schuld (Ur-Schuld) theoretisch erklärbar bleibt und auch praktisch stattgefunden hat? Wer aber zu Geld und Zins will, muss dafür brauchbare Ketten formulieren, die zwangsläufig sind.
8. In der sich daraus entwickelnden Wirtschaft kann mit derivativen Terminen gearbeitet werden, um die Handelsmöglichkeiten auszuweiten.
9. Heutiges privates Wirtschaften lässt sich im wesentlichen nur über den Termin, dessen Befolgung bzw. Inkaufnahme der Nichtbefolgung (Sanktionen, Vollstreckung usw.) definieren.
14. Immer stärker wird der Terminzwang im privaten Bereich ausgehöhlt, was natürlich bei den Empfangenden und freudig Gebenden Beifall findet. Bei denen, die Staat, Steuer und Abgabe ablehnen aber auf Unverständnis stößt.
18. Die debitistische Erscheinung einer Überschuldung, Zunehmenden Umverteilung von Schuldnern auf Gläubiger, wird es auch ohne Staat geben. Ein kluger Staat könnte mit temporären Haushalsungleichgewichten durchaus leben und den Prozess der debitistischen Selbstzerstörung über viele Generationen oder sogar theoretisch sogar unendlich strecken, wenn er bei den Gläubigervermögen und Erträgen zugreift und den sonst Überschuldeten neue Kontrahierungsmöglichkeiten schafft. Das Libertäre System wird durch eine soziale Komponente gerettet, solange der Staat Kontrahierungszwänge nicht ganz auslöst. Staatsvertrauen ohne eigene Anstrengungen im Rahmen des Möglichen darf es nicht geben.
19. Wie viel Staat nützlich oder schädlich ist, lässt sich nicht mathematisch bestimmen, denn ob hohe oder niedrige Staatsquoten existieren. Es gibt reale Wirtschaftskreisläufe, die mit hohen Staatquoten besser funktionieren, als solche mit niedrigen, aber auch Gegenbeispiele. Ein funktionierendes Beispiel ohne Umverteilung gibt es dagegen sicher nicht! Verteilungen an die Personen, die auch zahlen, sind bürokratisch und unsinnig und verstellen die Optik für das Notwendige und Leistungsfördernde.
[b]Die Flexibilität der menschlichen Natur und sein Einfallsreichtum führen so immer wieder zu besseren Lebensumständen und Aufhebung des existenziellen Zwangs. Immer wenn die Not am größten ist, wird der Mensch menschlich und besonders ideenreich. Er hat eine große Zukunft und Lösungskompetenz auch in wirtschaftlichen und sozialen Fragen.
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---- ELLI ----
13.10.2002, 11:41
@ dottore
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Re: Das eigentliche Staatsproblem/eRKa: bitte in die dottore-Sammlung (owT) |
-->
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dottore
13.10.2002, 12:12
@ Aldibroker
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Re: Abgabe, Termin und Titel |
-->Hi Aldibroker,
schönen Dank für die ausführlichen Kommentierungen. Ich darf returnieren:
>Dottore,
>4. Eine Terminsetzung ist zunächst im Rahmen menschlichen Ermessens nicht unverrückbar, sondern dem Naturell und Kalkül der Kontrahenten flexibel angepasst.
So scheint es nur zu sein. Selbst bei nicht mit Kontrakten arbeitender Produktion (Familein, Stämme), kommt es zu Terminsetzungen (Ernte verfault sonst, Früchte sind reif, Winter steht vor der Tür). Allerdings sind diese einzelwirtschaftlichen Termin etwas flexibel.
Sobald kontrahiert wird (arbeitsteiliges Wirtschaften), tritt zumindest auf einer Seite ein Termin auf, sonst käme es niemals zu einem Kontrakt, sondern zu dessen permanenter Vertagung. Dass es den Termin gibt, zeigt die Tatsache, dass gewählt wird (und zunächst werden kann, da sich sonst keinerlei Arbeitstelung entwickelt) zwischen Kontraktpartnern. Derjenigen, der zum"passenderen" Termin anbietet, erhält den Zuschlag.
Wäre es anders, würden auch bei unendlich vielen Anbietern und Nachfragern auf beiden Seiten niemals Kontrakte entstehen, da es keinerlei Präferenzen geben könnte (Warum den nehmen und nicht einen anderen).
Aus Polypolen werden immer am Ende bilaterale Monopole (ein Anbieter, ein Nachfrager), wobei bei definitionsgemäß gleichem Angebot (Quantität, Qualität, Preis) der Termin entscheidet, der sich letztlich aus einem Zeitabgleich ergibt. Die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Terminen engt sich im Zeitablauf immer stärker ein.
Zum Schluss wird doch kontrahiert (zwischen zwei Marktteilnehmern) und das immer zu einem ganz konkreten Termin. (Man muss nur an das Phänomen Frisörtermin denken: irgendwann wird doch ein Frisör gewählt, auch wenn alle gleich gut und gleichpreisig sind; allein die Tatsache, dass diese Entscheidung fällt, setzt den Termin in die Welt und damit den beidseitigen Erfüllungszwang, der überhaupt zu Wirtschaften - Leistung / Gegenleistung - führt).
>Statt Kontaktzwang haben wir in Rechtsstaaten überwiegend Kontraktfreiheiten bei der Befriedigung unserer Konsum- und Investitionswünsche, soweit diese über natürliche immer zu erfüllende lebenserhaltende Grundbedürfnisse hinausgehen.
Das ist unstreitig, sofern es den Konsum betrifft. Denn bei diesem schließe ich sozusagen einen Kontrakt (termindehnbar) mit mir selber. Bei Investitionen sieht das aber anders aus. Sobald die Entscheidung getroffen wurde, ist der Termin in der Welt. Investitionen sind Arbeitsteilung schlechthin und ein Termin ergibt sich aus dem anderen.
>Aber selbst bei diesen Bedürfnissen, haben wir die Freiheit, selbst anzubauen, bei Aldi oder... zu kontrahieren.
Die Freiheit bis zum Abschluss ja. Danach steht der Termin, obwohl noch nichts geleistet wurde. Das schafft den Druck, die Leistung zu erbringen. Wir müssen immer den Kontrakt als terminschaffend vorweg sehen. Der ist beim Alltagseinkauf sehr kurzfristig, aber er existiert doch. Sobald ich an der Kasse stehe, muss der Kontrakt erfüllt werden (oder die Ware wandert zurück ins Regal, was aber nicht der Regelfall ist, sonst käme nie ein Einkaufswagen an der Kasse schließlich vorbei).
>Selbst in Gesellschaften, die weder rechtsstaatlich organisiert sind, noch über ausreichende Möglichkeiten verfügen, diese Grundbedürfnisse abzudecken, entstehen i.d.R. keine unverrückbaren Terminsetzungen mehr, denn ob der Abfalleimer heute oder morgen oder noch etwas später unentgeltlich etwas abwirft, ist nicht so lebensendscheidend, dass er etwas abwirft aber schon. Termine dennoch eher flexibel. (Dies ist demnach ein untauglicher Ansatz für"neue" Fiskal- oder Machttheorien der Wirtschaft).
Nochmals: die Termine sind bei Grundbedürfnissen flexibel. Aber sind sie einmal kontrahiert, muss es zu Leistung / Gegenleistung kommen (man kann ins beim McDrive vorbeifahren oder hungrig ins Bett; hat man aber bestellt, ist man zur Abnahme und zur Gegenleistung verpflichtet: beim McDrive erst die Gegenleistung - zahlen -, dann weiter fahren zum Abholschalter).
>5. Ob erste Abgaben-Terminsetzungen, also staatliche Zwangsabgaben, nun gerade besonders geeignet sind, dass erfolgreiche Wirtschaften in einer Gesellschaft oder im freien Handel am (Welt)Markt zu erklären, wage ich gerade aus Sicht der Verfechter einer steuer- und abgabenfreien Gesellschaft sehr zu bezweifeln.
Das ist eigentlich mein Reden: In steuer- und abgabenfreien Gesellschaften haben wir diese präzisen Termine nicht. Ergo auch keine Terminerfüllungsprobleme, ergo keine Titel, ergo weder Geld noch Zins. Sobald der Termin kontrahiert ist, tritt eben das Novum in die Welt: der Titel. Dieser entwickelt sofort ein Eigenleben, er kann zediert, beliehen, diskontiert usw. werden.
Also: Abgabe --> Termin --> Titel --> Geld usw.
>6. Die Ur-Motivation zur Erzielung von Produktivitätsspielräumen oder Kickstarter des Wirtschaftens kann ohne Zweifel auch die Abgabe gewesen sein. Darüber hinaus werden auch Sorgen um die Länge/Härte des Winters, Vorsichtsmaßnahmen und negative Erfahrungen der Vorperioden... mit zur Vorratshaltung und Anwendung ökonomischer Prinzipien geführt haben.
Diese"Vorsichtsmaßnahmen" gibt es selbstverständlich. Aber sie führen nicht zum Titel. Sonst wäre dies (auf den einzelnen bezogen) so etwas wie ein Sola-Wechsel ohne Ausfertigung.
>Selbst das Soziale im Menschen wird schon eine Rolle gespielt haben, denn wer freudig gibt, kann auch in der eigenen Not Hoffnungen hegen. Die erste soziale Gesellschaft, die über die Familie oder das Dorf hinausging, wird schon viele Tausend Jahre alt sein.
Dies"über... hinaus" bestreite ich. Ich finde dafür keine historischen Belege. Sonst wäre die ganze Welt in der Geschichte über Familien / Stämme friedlich"zusammen gewachsen", was definitiv nicht der Fall war. (Man denke nur an den"Nationalstaat" und die Probleme, die lächerlichen 0,75 % vom BIP Entwicklungshilfe zusammenzukriegen).
>7. Der Anstoß zum Phänomen Wirtschaft kann u.a. der gesetzte Termin sein. Es ist möglich, vereinfachende Betrachtungen anzustellen, ob diese aber mehr als erklärenden Wert haben, ist zu bezweifeln, denn das Phänomen Wirtschaften ist komplexer und kann nicht nur auf Termin gesetzt werden.
Vielleicht eine Definitionsfrage. Ich möchte das termindruck- und titelfreie Wirtschaften als"Produzieren" bezeichnen (siehe auch HS). Sobald es mit Terminen und ergo Titeln los geht, haben wir"Wirtschaft".
>Es ist auch verkürzend, zu behauptet alles andere ergebe ich aus dem Termin. Dennoch kann man sinnvolle Ableitungen machen, was folgt, wenn der Termin das Initial gewesen wäre. Daraus folgt dann der Titel, der Wert, das Geld und der Zins. Wäre es da nicht besser, zu erläutern, dass die Schuld (Ur-Schuld) ein erklärbares wirtschaftliches Phänomen ist.
Damit war ich bis vor kurzem auch zufrieden. Da die"Urschuld" aber terminlich gestretcht werden kann, erscheint sie mir jetzt nicht mehr als stringent genug. Der Übergang von der Urschuld zur Kontraktschuld ist für mein Gefühl inzwischen zu"beliebig".
Knappheit und Knappheitsbeseitigung bedeutet sicher auch"Zwang". Aber ein mit Termin plus Titel ausgestatteter Zwang ist"zwingender" und erklärt die erstaunlichen Ergebnisse der Geschichte (Großbauten, Militäranlagen, Tempel, Paläste usw.) besser.
>Wirtschaften aber auch ohne Schuld (Ur-Schuld) theoretisch erklärbar bleibt und auch praktisch stattgefunden hat? Wer aber zu Geld und Zins will, muss dafür brauchbare Ketten formulieren, die zwangsläufig sind.
Die Zwangsläufigkeit, sozusagen das Missing Link, ist der Titel. Dieser ist ohne konkreten Termin nicht vorstellbar. Terminfreie Titel gibt es nicht.
>8. In der sich daraus entwickelnden Wirtschaft kann mit derivativen Terminen gearbeitet werden, um die Handelsmöglichkeiten auszuweiten.
Jeder Handel ist ebenfalls terminbewehrt. Der Handel ist immer eine Kette, in der überall Termine liegen, schon zwischen Produzent und Händler.
>9. Heutiges privates Wirtschaften lässt sich im wesentlichen nur über den Termin, dessen Befolgung bzw. Inkaufnahme der Nichtbefolgung (Sanktionen, Vollstreckung usw.) definieren.
>14. Immer stärker wird der Terminzwang im privaten Bereich ausgehöhlt, was natürlich bei den Empfangenden und freudig Gebenden Beifall findet. Bei denen, die Staat, Steuer und Abgabe ablehnen aber auf Unverständnis stößt.
>18. Die debitistische Erscheinung einer Überschuldung, Zunehmenden Umverteilung von Schuldnern auf Gläubiger, wird es auch ohne Staat geben.
Überschuldung einzelner gewiss. Aber die Überschuldung einer ganzen"Gemeinschaft" ("Staatsvolk") ist ein Novum. Das Sonderkonto"Staat" hat - im Gegensatz zu früher - nicht einen Souverän (König usw.) auf der Schuldnerseite (wie noch eindeutig bis ins 18. / 19. Jh.), sondern jetzt"alle", womit Gläubiger und Schuldner zusammenfallen.
>Ein kluger Staat könnte mit temporären Haushalsungleichgewichten durchaus leben und den Prozess der debitistischen Selbstzerstörung über viele Generationen oder sogar theoretisch sogar unendlich strecken, wenn er bei den Gläubigervermögen und Erträgen zugreift
Genau das wird geschehen. Der Staat wird irgendwie seine Gläubiger dadurch bedienen, dass er ihnen erklärt, das sie Schuldner ihrer selbst sind. Das bedeutet dann das Ausbuchen (Crash oder Hyperinfla) der"Geldvermögen", die in Form von Forderungen der Gemeinschaft gegen sich selbst existieren.
>und den sonst Überschuldeten neue Kontrahierungsmöglichkeiten schafft. Das Libertäre System wird durch eine soziale Komponente gerettet, solange der Staat Kontrahierungszwänge nicht ganz auslöst. Staatsvertrauen ohne eigene Anstrengungen im Rahmen des Möglichen darf es nicht geben.
Sehr einverstanden. Aber ich habe da keinerlei Hoffnung.
>19. Wie viel Staat nützlich oder schädlich ist, lässt sich nicht mathematisch bestimmen, denn ob hohe oder niedrige Staatsquoten existieren.
Sicher richtig. Es geht aber um die Veränderung der Staatsquoten und die haben sich (die off-balance-eschichten, wie Schulden, Rentenverpflichtungen usw.) in den letzten 50 Jahren grosso modo verdreifacht.
Ich wüsste nicht, wie die Staatsquote konstant gehalten werden könnte (in Demokratien schon gar nicht). Darauf hatte schon Adolph Wagner im 19. Jh. hingewiesen ("Gesetz der steigenden Staatsaufgaben bzw. -ausgaben").
>Es gibt reale Wirtschaftskreisläufe, die mit hohen Staatquoten besser funktionieren, als solche mit niedrigen, aber auch Gegenbeispiele. Ein funktionierendes Beispiel ohne Umverteilung gibt es dagegen sicher nicht! Verteilungen an die Personen, die auch zahlen, sind bürokratisch und unsinnig und verstellen die Optik für das Notwendige und Leistungsfördernde.
Ja. Aber es läuft in genau diese Richtung.
>Die Flexibilität der menschlichen Natur und sein Einfallsreichtum führen so immer wieder zu besseren Lebensumständen und Aufhebung des existenziellen Zwangs. Immer wenn die Not am größten ist, wird der Mensch menschlich und besonders ideenreich. Er hat eine große Zukunft und Lösungskompetenz auch in wirtschaftlichen und sozialen Fragen.
Wäre zu wünschen, kann ich aber nirgends sehen. Die besseren Lebensumstände"heute" werden mit enorm verschlechterten Lebensumständen"morgen" erkauft, siehe Jugendarbeitslosigkeit.
Aus der Jugend erwächst dann das"revolutionäre Potenzial", das immer wieder historisch belegt ist.
Vermutlich wird es zu einem sehr unangenehmen Bruch zwischen den Generationen kommen. Die Alten in der Gläubigerposition (und Inhaber der Befehlsgewalten) und die Jungen, die sich eine Zukunft schaffen wollen - und sei es mit Gewalt.
Gruß mit nochmaligem Dank!
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dottore
13.10.2002, 12:29
@ netrader
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Re: Das eigentliche Staatsproblem - meine Position zum Wochenende (relativ kurz) |
-->><font size="4"><font color="006600">Hallo dottore,
>man sieht, dass hier lange nachgedacht worden ist.
>Deshalb gerne folgende Anmerkungen aus dem Stegreif. Viele Gruesse, netrader.
></font>
Hi netrader,
auch an Dich sehr herzlichen Dank. Und meine Anmerkungsversuche:
><font size="4"><font color="006600">banales: Terminvorgaben für Wirtschaften erfolgen z.B. durch Witterungseinflüsse, Geburt, Tod, Unfälle und zahlreiche andere Natureinflüsse.</font>
Ja. Aber diese Terminvorgaben ergeben sich erst ex post des Ereignisses. Die mir vorschwebenden Terminvorgaben sind ex ante. Sie sind also nicht Ereignis, sondern Kontrakt.
Und aus dem Kontrakt erwächst der Titel, der zu seiner Erfüllung führen muss. Es geht also um den Titel, aus dem wiederum (siehe Posting an Aldibroker) Geld, Zins, Wirtschaften usw. folgen.
Der erste Titel ist nach meiner Meinung der auf terminlich fixierte Abgaben (die ersten"Großkredite" waren durchgehend solche an die Herrschaft, besichert mit deren Einkünfte, sehr schön im 16. Jh. zu bestaunen).
><font size="4"><font color="006600">Der Schritt 4-5 erscheint mir irgendwie sehr (zu)"plötzlich", hier müßte es m.E. eine historische Ableitung geben, deren Ursprung sich in Hand- und Spanndiensten für die Gemeinschaft und den Machtträger findet.
Die Hand- und Spanndienste kann ich nicht als"für die Gemeinschaft" interpretieren; sie waren für den Grundherrn zu leisten.
>Ohne einen gewissen wirtschaftshistorischen Hintergrund kann niemand"einfach so" Abgaben auferlegen. M.E. hat man irgendwann den segensreichen Einfluss von Hand- und Spanndiensten betr. den Abbau von Übervölkerung und betr. Wirtschaftswachstum entdeckt, insb. durch Großprojekte (Pyramidenbau, Osterinsel etc.), die man natürlich religiös begründen musste, m.a.W. durch Schüren von Ängsten. Abgaben lassen sich unter dieser Prämisse als Rechte Privilegierter begreifen, die ungeliebten Leistungs- und Lieferpflichten durch Abgaben (von Gold etc.) abzulösen, was dann allmählich zur Schaffung standardisierter Ablösungseinheiten (zB Großmünzen) geführte haben kann, in letzter Konsequenz zur reinen Geldabgabepflicht..</font>
Im wesentlichen Zustimmung. Die"Angst" ist das Schlüsselwort. Auch Angst zwingt.
><font size="4"><font color="006600">zu 8-9: Damit kein Missverständis aufkommt: Der Grundsatz der Fälligkeit von Leistungs- und Gegenleistungspflichten ist immer die sofortige Fälligkeit, wie zB beim klassischen Markthandel auftritt. Hinausgeschobene Fälligkeiten ergeben sich entweder aus der Natur der Sache, zB Zahlung bei Abnahme einer noch zu erbringenden Werkleistung, oder die Fälligkeiten müssen durch Kontrakt hinausgeschoben werden (Darlehenselement).</font>
Auch hier ist die Brücke der Titel. Bei beidseitiger sofortiger Fälligkeit erscheint er zunächst nicht. Sollte aber eine Seite die sofortige Fälligkeit versäumen, ist der Titel da (Tauschrecht = Kaufrecht = Schuldrecht und Schuld ist immer ein Titel).
><font size="4"><font color="006600">Hier dürfte das Thema der Pfändungsfreigrenzen untergebracht werden können; auch das Fluchtthema (zB durch Unterhaltsschuldner, die sich ins Ausland verdrücken).</font>
Ja, ganz richtig.
><font size="4"><font color="006600">Ein großes Thema dürfte hier die allerorts feststellbare Rechtserosion sein, übrigens Thema für ein Buch, das auch noch geschrieben werden muss.
Sehr wichtiger und richtiger Hinweis!
>Neben die ohnehin schon überzogenen Abgabenpflichten treten Rechtsgrundsätze (Gesetze und Urteile), wonach letztlich immer der verliert, bei dem was zu holen ist. Nur ein banales und altes Beispiel: In zahlreichen Unfallschadensprozessen wird das stattgebende Urteil maßgeblich dadurch beeinflusst, dass der Beklagte ja versichert ist. Der Gedanke wird tendenziell immer mehr ausgeweitet. Sog."Reiche" und"Besserverdienende" werden zunehmend Gefahr laufen, in planmäßig ausliegende Rechtsfallen zu tappsen.</font>
Ganz meine Meinung!
Ich sehe also, dass wir doch gut vorankommen und dafür danke ich sehr.
Gruß!
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dottore
13.10.2002, 12:42
@ Diogenes
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Re: Das eigentliche Staatsproblem - meine Position zum Wochenende (relativ kurz) |
-->>Hallo dottore,
>>1. Ich halte Wirtschaften ohne Termin für nicht definierbar.
>Ich halte Wirtschaften ohne Bedürfnisse plus Knappheit nicht für definierbar. Die westentlichsten Termine werden von den Bedürfnissen gesetzt.
Hi Diogenes,
herzlichen Dank! Plus meine Anmerkungen:
Die sind flexibler als öffentlich-rechtliche Terminsetzungen. Der"Stern der Knappheit" strahlt immer und über allen.
>>2. In der menchlichen Natur existiert eine gewisse Termintoleranz sich selbst gegenüber, wiewohl es natürlich vorgegebene Maxima gibt, die nicht überschritten werden
>>3. Der Mensch selbst ist zweifelsfrei terminflexibel.
>Jepp. Vergl. Maslowsche Bedürfnispyramide. Je weiter oben das bedürfnis rangiert, desto flexibler der Termin.
>Termintoleranz bei Essen = Größe der Fettpolster *g*
Ja, hat was.
>>4. Eine Terminsetzung, die unverrückbar ist, kann daher nur mit Hilfe oder durch Gewalt und Zwang erfolgen.
>Ja. Der größte Zwingherr ist die Natur selber. Friß oder stirb. Im schweiße deines Angesichts, sollst du dir dein Brot verdienen.
Richtig, aber es muss nicht das heutige Brot sein. Das Getreide muss aber heute abgeliefert werden.
>>5. Die ersten Terminsetzungen in Form von Abgaben erfolgen"von oben", also per Zwang, Gewalt und Macht.
>Jein.
>Die Termine sind uns durch uns selber vorgegeben. Da ergeht es"Oben" nicht anderst als"Unten". Aus den Bedürfnissen von"Oben" ergeben sich die Terminsetzungen für"Unten".
Unsere"eigenen" Termine lassen sich strecken. Aber die Terminsetzungen"von oben" nicht.
>"Oben" wälzt lediglich via Steuer-Terminsetzung die Arbeit zur Erfüllung seiner Bedürfnisse nach"Unten" ab."Unten" übernimmt dan nicht freiwillig, deswegen Zwang.
Ja. Der"intensivere" Zwang.
>>6. Dieser Terminsetzung versucht der Mensch durch produktiveres Wirtschaften, also Schaffung von neuen Terminspielräumen, zu entkommen.
>Naja. Wenn mir der Staat 50 % meines Einkommens abzwackt, dann muß ich doppelt soviel arbeiten um meinen Lebensstandard zu halten. Produktivitätssteigerung, Soweit klar.
>Allerdings: Will ich meinen Lebensstandard erhöhen, müßte ich auch mehr arbeiten. Hbe ich Kinder muß ich auch mehr schften.
>Ergo: Mehrarbeiten/Produktivitätssteigerung kann verschiedene Ursachen haben. Steuern sind nur eine unter vielen.
>Deine Terminspielräume sind nichts anderes als das gute alte Sparen. Und das wird der unsicheren Zunkunft wegen betrieben, mit Steuersytem oder ohne.
Die Zukunft war immer unsicher. Es heißt aber so schön:"Nur zwei Dinge sind sicher - der Tod und die Steuern."
>>7. So ist der Anstoß zum Phänomen Wirtschaft der gesetzte Termin, aus dem sich alles weitere ergibt.
>Anderst gesagt: Wir wirtschaften um Bedürfnisse zu befriedigen. Die Bedrüfnisse sind er Anstoß zum Wirtschaften, sie setzen die Termine.
Flexible. Und vor allem solche ohne Titel.
>>8. In der sich daraus entwickelnden Wirtschaft muss mit derivativen Terminen gearbeitet werden (private Kontrakte mit Fälligkeiten usw. ohne die Kontrakte nicht definierbar sind).
>Was braucht es den Staat dazu?
Er setzt die ersten Termine. Unverrückbare.
>>9. Somit lässt sich auch privates Wirtschaften nur über den Termin, dessen Befolgung bzw. Inkaufnahme der Nichtbefolgung (Sanktionen, Vollstreckung usw.) definieren.
>Ja. Aber Sanktionen können auch sozialer Natur sein. Wer sein Wort nicht hält, mit dem Treibt man keinen handel mehr. Er hat seinen Kredit verspielt. Das geht ohne Staatszwang.
Ja. Es geht mir um die Sanktionen, die aus nicht erfülltem Titel kommen.
>>10. Dieses kann durchaus von"freiem", nicht termingebundenem Tun begleitet sein, wobei die Grenzen fließend werden können
>Die Exaktheit der Termine, hängt von den Transportmittel und der Natur ab. Wo ist die Grenze zwischen termingebunden und terminfrei?
Ich kann mich bei Zahlungsterminen nicht auf"besondere Umstände" oder"höhere Gewalt" berufen.
>>11. Zunächst also ist das private Wirtschaften sehr stringent
>terminorientiert, doch dieses kann sich lockern.
>>12. Je stärker die Terminlichkeit gelockert wird, desto weniger stark ist auch der Zwang, privat zu wirtschaften.
>Nein. Nicht selber arbeiten/wirtschaften kann ich mir nur leisten, wenn ich mich van-den-anderen ohne Gegenleistung bedienen lassen kann. Das heißt aber, daß andere dafür umso mehr leisten müssen.
Ja. Das wurde im Folgenden ausgeführt. Diejenigen, die noch arbeiten müssen, kommen immer stärker unter Druck - Alltagserfahrung weltweit.
>Die Termine setzt letzendlich die Natur, daran kann keiner etwas"lockern".
>Lockern kann man nur das Prinzip Leistung-Gegenleistung.
Im privaten Kontrakt gelegentlich, was aber sofort den nächsten Termin zur Folge hat. Aber irgendwann ist doch Termin, spätestens beim Vollstreckungs-Urteil.
>>13....er"lockert", schafft"soziale" Tatbestände, er entlässt also die Privaten aus der Terminstringenz zu seinen Lasten (Subventionen, Umverteilungen,"Be-Steuerung", usw.).
>Nein. Er untergräbt das Prinzip Leistung für Gegenleistung. Könnte er Terminlichkeiten lockern, könnte er sich das"sozial" sparen.
Dann wäre entweder die Leistung oder die Gegenleistung entwertet.
>Ein Beispiel dazu:
>Untergrabung des Leitung-Gegenleistungprinzip: A Brot klauen (abbesteuern) um es B zu geben.
>Lockerung des Termins wäre: Staat verfügt, B muß erst nächstes Jahr essen.
>In den Punkten 14 - 18 stimme ich dir zu, wenn"Termin" durch Leistung-Gegenleistung ersetzt wird.
Leistung / Gegenleistung jeweils Kurs 100 zum vereinbarten Termin. Falls dieser verändert wird, entstehen automatisch neue Kurse.
>>20. So dass wir am Ende zu einem immer mehr verfeinerten Vertagungssystem kommen müssen, das im sog."Geldsystem" bereits perfektioniert ist (es wird nur noch gezeigt, nicht mehr gezahlt, geschweige denn getilgt).
>Wiederspruch. Ewig vertagen können wir nur in der fiktiven Spähre des Papiers.
Ja, genau das war gemeint. Papier = der vertagte Titel.
>In der realen Spähre schlägt die Natur beinhart zu, was die fiktion zum Einsturz bringt. Deswegen kommt es ja zur Krise, oder besser: die verborgenen Kirse wird für alle sichtbar. Die Zeit kann man nicht beschwindeln.
Richtig.
Dank und Gruß - ins Fass, wo schon mal jemand lag, der seine Termine nicht halten konnte und ergo als Bankier pleite ging...
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Popeye
13.10.2002, 17:27
@ dottore
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Economic Time - is a device invented to keep everything from happening at once |
-->>1. Ich halte Wirtschaften ohne Termin für nicht definierbar.
Grüße Popeye
<ul> ~ http://www.levy.org/docs/wrkpap/papers/255.html</ul>
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