-->Oder besser wäre vermutlich die Überschrift gewesen:"Wettlauf am Kaspischen Meer"
Hallo zusammen,
denn auch hier zeigt sich wieder einmal, dass nicht nur der Besitz von wichtigen Rohstoffen sondern auch die Nähe - also die territorial-strategisch-politische Ausrichtung wichtig ist. Und das nicht bloß dür die USA, die nebenan ihre Pipelines verlegen, sondern auch in der ehemaligen Sowjetrepublik, die seit Mitte der 90er Jahre aus Unabhängigkeitsbestrebungen mit Moskau im Clinch liegt. Und wenn ich schon lautstark gegen Amerikas Politil in Sachen Irak wettere, dann ist es bloß gerecht, wenn ich auch dort auf eine Lösung dränge. Vermutlich ist das ungleich schwieriger, weil nicht nur die Pipelines und der Konkurrenzkampf mit der USA sondern auch noch der Fakt ins Spiel kommt, dass Tschetschenien seit Peter dem Großen dem russischen Reich einverleibt ist. Das heißt also, die Bevölkerung ist mit abstämmigen Tschetschenen und abstämmigen Russen quer durchmischt, was die Sache ganz sicher nicht einfacher macht. Wie wird der Krieg und die Geiselnahme in Moskau hier bewertet? Würde mich mal interessieren....
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SPIEGEL ONLINE - 24. Oktober 2002, 17:49
URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,219695,00.html
Tschetschenien
Was aus Jelzins kleinem Krieg wurde
Von Lutz C. Kleveman
Russlands Präsident Putin lässt seit über einem Jahr keine Gelegenheit aus, der Welt zu versichern, dass in Tschetschenien Frieden herrsche. Aber diese Illusion haben die tschetschenischen Geiselnehmer mit ihrem waghalsigen Coup in Moskau zerschlagen.
Nur zu gerne wollten die russische Ã-ffentlichkeit und der Westen Wladimir Putin glauben und den schwelenden Konflikt in der kleinen Kaukasusrepublik vergessen. Doch vor die Fernsehkameras, die der Kreml über Jahre so geschickt aus dem Kriegsgebiet rausgehalten hat, bringen die Rebellen jetzt die ignorierte Wahrheit: In Tschetschenien tobt der Krieg, nach wie vor. Neue Brisanz erhält er dadurch, dass sich die Kämpfe erstmalig auch in benachbarte Republiken und nach Georgien ausweiten.
Gerade in den vergangenen vier Monaten sind wieder heftige Gefechte zwischen Rebellen und russischen Sicherheitskräften aufgeflammt. Im Juli griff ein Trupp von etwa 60 Kämpfern russische Stellungen in Tschetschenien an, Dutzende starben. Einen Monat später wurde über dem russischen Militärhauptquartier in Khankala ein MI-26-Helikopter abgeschossen, fast alle der 120 Soldaten an Bord fanden den Tod.
Vor wenigen Wochen trugen die Mudschahidin den Kampf erstmalig in die winzige Nachbarrepublik der mit den Tschetschenen verwandten Inguschen, die sich bislang aus dem Geschehen herauszuhalten versucht hatten. Wieder schossen sie Hubschrauber ab, mehr als 100 russische Soldaten und ihre Feinde kamen bei erbitterten Schusswechseln ums Leben. Zugleich wurde die tschetschenische Hauptstadt Grosny von einer Serie von gewaltigen Bombenattentaten erschüttert, denen besonders mit Moskau kollaborierende Tschetschenen zum Opfer fielen.
So sieht der grausige Alltag in Tschetschenien aus, seit der damalige russische Präsident Boris Jelzin im November 1994 die russische Armee in den ersten Feldzug gegen die seit dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 abtrünnige Republik schickte. Der"kleine siegreiche Krieg", den Jelzin sich wünschte, kostete 6000 russische Soldaten und etwa 50.000 tschetschenischen Zivilisten das Leben und endete mit einer schmachvollen Niederlage Moskaus und dem Abzug der geschlagenen Truppen im Sommer 1996. Die russische Militärelite akzeptierte die Niederlage allerdings nie und sann auf Rache.
Die Gelegenheit dazu kam Ende 1999, als Unbekannte in Moskau mehrere blutige Bombenattentate verübten. Die neue Putin-Regierung bezichtigte tschetschenische Terroristen der Taten und griff die de facto die unabhängige Republik ein zweites Mal an. Wieder starben Zehntausende, aber dieses Mal gewannen die besser vorbereiteten russischen Truppen gegen die Rebellen die Oberhand. Sie mussten aus dem restlos zerbombten Grosny in die Kaukasusberge flüchten. Moskau erklärte die Republik offiziell für befriedet.
Dass sich das Blatt nun wieder zu wenden scheint, hat drei Ursachen: Zum einen sind nach dem siegreichen Feldzug der USA gegen das afghanische Taliban-Regime viele tschetschenische Kämpfer aus dem Land am Hindukusch heimgekehrt. Diese Radikal-Islamisten haben den Widerstand, der unter dem als eher weltlich geltenden Rebellenführer Aslan Maschkadow den Charakter eines patriotischen Freiheitskampfs hatte, wieder verstärkt unter das Banner des Dschihads, des Glaubenskriegs, gebracht.
Ein zweiter Grund für die Erfolge der Rebellen liegt darin, dass sie erstmalig vermehrt über Boden-Luft-Raketen verfügen. Diese Waffen, mit denen bereits die afghanischen Mudschahidin die sowjetischen Invasoren in den achtziger Jahren in die Knie zwangen, nehmen den Russen ihre bisherige Lufthoheit; und das letzte sichere Fortbewegungsmittel. Tatsächlich werden die meisten Truppen mittlerweile per Hubschrauber transportiert. Zu häufig geraten russische Konvois auf den Straßen in Hinterhalte oder Minenfallen.
Entsprechend niedrig sind Moral und Disziplin der Truppe, zumeist blutjunge Rekruten aus der Provinz. Viele sind alkoholabhängig und haben seit Monaten keinen Sold erhalten. Das verleitet die Soldaten dazu, ihre Waffen an die Rebellen zu verkaufen. Tatsächlich sind korrupte russische Offiziere - und nicht Sympathisanten im Ausland, etwa Georgien - die größten Waffenlieferanten für die tschetschenische Sache.
Die dritte und vielleicht wichtigste Ursache für den erstarkten Rebellen-Widerstand ist das rücksichtslose Vorgehen der russischen Einheiten gegen tschetschenische Zivilisten. Seit Jahren prangern Menschenrechtler die als"Bezbredil" bekannte russische Taktik an, Dörfer im Morgengrauen zu umstellen und nach verdächtigen Männern zu durchkämmen. Immer wieder sollen bei diesen Razzien unschuldige Zivilisten misshandelt, gefoltert und ermordet worden sein. Viele Fälle sind bekannt, in denen Jugendliche zum angeblichen Verhör verschleppt und so langen gefoltert wurden, bis Verwandte sie für 1000 Dollar pro Kopf freikauften. Die wenigsten unter ihnen werden je Kinder zeugen können.
Die russische Regierung hat Menschenrechtsverstöße eingeräumt. Vor wenigen Monaten sagte Generalleutnant Wladimir Moltenskoi, Kommandeur der russischen Truppen in Tschetschenien:"Es ist Fakt, dass unschuldige Menschen während spezieller Einsätze, vielleicht durch das Verschulden individueller Kommandeure, verschwinden." Dennoch hielt Moltenskoi an den Razzien, vielfach"Säuberungsaktionen" genannt, fest - immerhin wurde Arbi Barajew, berüchtigter Kidnapper und Onkel des Geiselnehmer-Anführers in Moskau, im Sommer bei einer"Bezbredil" erschossen. Zugleich verstärkt das grausame Vorgehen der Russen die Kampfesentschlossenheit der Tschetschenen.
Ihr tief sitzender Hass auf Russen geht auf die Kaukasuskriege Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, als der dagestanische Fürst Imam Shamil einen 25 Jahre währenden Kampf gegen die Zarenarmeen anführte. Hundert Jahre später erlitt das Verhältnis von Russen und Tschetschenen den endgültigen Bruch: Unter dem Vorwand, mit der deutschen Wehrmacht sympathisiert zu haben, ließ Josef Stalin im Februar 1944 die gesamte Bevölkerung Tschetscheniens und Inguschiens, knapp 500.000 Menschen, in Viehwagen verladen und in die kasachische Steppe deportieren. Der langsame Völkermord, bei dem Hunderttausende verhungerten oder erfroren, fand erst im Jahre 1957 ein Ende, als Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow den Deportierten die Rückkehr in ihre Heimat erlaubte. Dennoch hat kein Tschetschene das Verbrechen Moskaus je vergessen.
Erstmalig droht jetzt die Gefahr, dass der Tschetschenien-Krieg nach dem Intermezzo auf inguschischem Territorium auch in das südliche Nachbarland Georgien überschwappt. Moskau beschuldigt die Regierung unter Präsident Eduard Schewardnadse, tschetschenischen Rebellen auf georgischem Staatsgebiet Zuflucht zu gewähren. Gemeint ist das Pankisi-Tal im Kaukasus, das lange von Banditen der tschetschenischen Volksgruppe der Kis kontrolliert wurde. Von dort, so behauptet Moskau, gelangen Waffen und Kämpfer über die Bergpässe nach Tschetschenien.
Seit Monaten droht die Putin-Regierung damit, nach dem Vorbild des US-Feldzugs in Afghanistan militärisch gegen tschetschenische"Terroristen" auf georgischem Boden vorzugehen. Im August flogen russische Kampfflugzeuge - von Moskau dementierte - Angriffe auf Dörfer in Pankisi. Mit einem Ultimatum Moskaus konfrontiert, schickte Schewardnadse kurz danach georgische Sicherheitskräfte nach Pankisi. Dennoch beschuldigt Moskau die Georgier weiter, nicht gegen Rebellen vorzugehen, und droht mit Krieg.
Die USA haben heftig gegen das russische Säbelrasseln im Kaukasus protestiert, und Beobachter sehen die vielgelobte"neue strategische Partnerschaft" zwischen Washington und Moskau im Kampf gegen den Terror erstmals ernsthaft gefährdet. Zwar verschaffte Putins pragmatische Kooperation mit den USA nach dem 11. September 2001 der russischen Armee zeitweilig eine Carte Blanche in Tschetschenien, doch gleichzeitig versucht Washington, Georgien dem Einfluss Moskaus zu entziehen. Im Mai schickte die US-Regierung 500 Elite-Soldaten in die ehemalige russische Kolonie.
Die strategische Bedeutung des Kaukasus liegt in seiner Nähe zu den weltweit größten unerschlossenen Vorkommen an Erdöl und Gas am Kaspischen Meer, deren Volumen auf bis zu 110 Milliarden Fass geschätzt wird. Um das Ã-l an westliche Märkte zu bringen, baut British Petroleum seit kurzem im Verbund mit anderen Ã-lkonzernen eine von den USA politisch stark unterstützte Pipeline von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Die Route der 1750 Kilometer langen Röhre führt quer durch Georgien - und umgeht so, wie von Washington befürwortet, russisches Territorium.
Moskau besteht darauf, dass die kaspischen Ã-lpipelines wie zu Sowjetzeiten über den Nordkaukasus bis zum russischen Schwarzmeerhafen Noworissijsk führen, und hat mehrfach sein großes Missfallen über die Baku-Ceyhan-Pipeline erklärt. Viele Georgier glauben daher, dass Moskau die mutmaßlichen tschetschenischen Rebellen im Pankisi-Tal zum Vorwand nimmt, den Südkaukasus zu destabilisieren und so Investoren abzuschrecken. Die Tausenden russischen Truppen, die in Armenien und in der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien stationiert sind, lassen an Moskaus Fähigkeit dazu keinen Zweifel.
Gleichzeitig dreht sich auch der Krieg in Tschetschenien selbst nicht zuletzt um Ã-l und Pipelines. Die Leitung, durch die die Russen das kaspische Ã-l pumpen möchten, führt quer über tschetschenisches Territorium.
Lutz C. Kleveman ist Autor des Buchs"Der Kampf um das Heilige Feuer. Wettlauf der Weltmächte am Kaspischen Meer", das im Rowohlt-Verlag erschienen ist.
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