-->Quelle:
»http://www.cash.ch/index.cfm?kat=5&id=23
<font size=5>Ungleichheit kommt vor dem Fall</font>
In den USA kompensiert der Kreditmarkt die steigende Ungleichheit der Einkommen.
iDie Vereinigten Staaten sind ein Land mit grossen Einkommensunterschieden. Punkto Konsum herrschen ZustÀnde fast wie im Sozialstaat. Doch die Umverteilungsmaschinerie der USA hat einen Haken - sie beruht weit gehend auf Krediten.
WERNER VONTOBEL
«Ja», meint Professor James K. Galbraith von der Texas University auf Anfrage, «man kann hier durchaus von Kreditsozialismus sprechen. Die KreditmĂ€rkte kompensieren die Ungleichheit im Konsum, doch dieses System hat einen wahrscheinlich tödlichen Mangel, es ist nicht nachhaltig.» Galbraith, einer der weltweit fĂŒhrenden Spezialisten auf dem Gebiet der Verteilung, ist umgekehrt ĂŒberzeugt, dass die USA in den letzten Jahrzehnten nur deshalb relativ hohe Wachstumsraten erzielen konnten, «weil die Markteinkommen in hohem Masse umverteilt werden».
60 Prozent der US-Haushalte schreiben tiefrote Zahlen
Die nackten Zahlen bestĂ€tigen dies eindrĂŒcklich. GemĂ€ss der Konsumstatistik von 2000 konsumieren die Ă€rmeren 60 Prozent der US-Haushalte GĂŒter und Dienstleistungen im Wert von 26 400 Dollar. Ihre durchschnittlichen Jahreseinnahmen betragen jedoch bloss 19 100 Dollar. Sie bestreiten also gut einen Drittel ihrer Ausgaben auf Pump oder aus dem Vermögen oder mit Hilfe von Zuwendungen von den reicheren 40 Prozent der Haushalte, die im Schnitt rund 21 000 Dollar mehr einnehmen, als sie fĂŒr Konsumzwecke ausgeben. WĂŒrde diese Umverteilung aus irgendeinem Grund gestoppt, so gingen der US-Wirtschaft mit einem Schlag gut zehn Prozent des gesamten Privatkonsums verloren. Eine tiefe Rezession wĂ€re die Folge.
Umso erstaunlicher ist es, dass diese Umverteilung Ă l'amĂ©ricaine bisher relativ wenig Beachtung gefunden hat. So weiss man beispielsweise nicht genau, wie denn die Ă€rmeren Haushalte die LĂŒcke zwischen Einnahmen und Ausgaben genau finanzieren. Offenbar spielen dabei sozialstaatliche Einrichtungen eine weit grössere Rolle, als in Europa gemeinhin angenommen wird. So schĂ€tzt etwa eine Studie aus dem Jahre 1997, dass von den jĂ€hrlichen Einkommensschwankungen der Haushalte im Schnitt etwa 10 Prozent durch staatliche Transfereinkommen und weitere rund 30 Prozent durch die zu- und abnehmenden Steuern ausgeglichen werden.
Schliesslich greifen die US-Haushalte in hohem Masse auf ihre Ersparnisse zurĂŒck, wenn die Einkommen aus irgendeinem Grund zurĂŒckgehen. 25 bis 40 Prozent der Einkommensschwankungen werden auf diese Weise kompensiert. Zu welchen Höchstleistungen die amerikanische Umverteilungsmaschinerie fĂ€hig ist, haben die Ă-konomen Dirk Krueger (Harvard) und Fabrizio Perri (New York University) in einer soeben veröffentlichten Langzeitstudie * festgestellt. Danach sind die Einkommensunterschiede zwischen den USA-Haushalten und gleichzeitig auch die Einkommensschwankungen der einzelnen Haushalte in den letzten 25 Jahren sehr viel grösser geworden. WĂ€hrend 1973 die reichsten zehn Prozent der Haushalte (ohne Rentnerhaushalte) noch fĂŒnfmal mehr verdienten als die (in jenem Jahr) zu den Ă€rmsten zehn Prozent gehörenden Haushalte, betrug das VerhĂ€ltnis 1998 bereits mehr als 9 zu 1. Betrachtet man jedoch statt der Einkommen den Konsum der gleichen Haushaltsgruppen, so stellt man fest, dass die Unterschiede erstens deutlich geringer waren - nĂ€mlich 3,1 zu 1 anno 1973 - und dass sich dieses VerhĂ€ltnis auch kaum verĂ€ndert hat. Es betrug 1998 «nur» 3,35 zu 1.
GemĂ€ss Krueger und Perri ist die immer grössere LĂŒcke zwischen Einkommen und Konsum zu einem grossen Teil durch eine Zunahme der privaten Bankkredite geschlossen worden. In der Tat: Mitte 2002 waren die privaten Haushalte mit insgesamt 8032 Milliarden Dollar verschuldet. Das sind 111 Prozent der jĂ€hrlichen Konsumausgaben. Anfang der Siebzigerjahre hat dieser Anteil noch 75 Prozent betragen, und er steigt dann ab Mitte der Achtzigerjahre steil an. Diese Kredite und insbesondere die Konsumkredite von zurzeit rund 1750 Milliarden Dollar beruhen auf der Hoffnung, dass die verschuldeten Haushalte irgendwann einmal wieder mehr verdienen, als sie ausgeben.
Nur das reichste FĂŒnftel kann noch Geld zur Seite legen
In der Tat schwanken die Einkommen der einzelnen Haushalte in den USA sehr stark, doch mittlerweile muss man schon zu den einkommensstĂ€rksten 20 Prozent der Bevölkerung gehören, um in nennenswertem Umfang Schulden aus dem laufenden Einkommen zurĂŒckzuzahlen.
Der Kreditsozialismus ist deshalb ein Modell auf Zeit. Sobald die Zinsen steigen, bricht das ganze Kartenhaus zusammen. Im Schnitt zahlen die US-Haushalte heute rund 14 Prozent (also fast zwei Monatslöhne) ihres verfĂŒgbaren Einkommens fĂŒr Zinsen auf Konsum- und Hypokrediten. Vor 22 Jahren waren es auch schon 13 Prozent. Diese 13 bis 14 Prozent dĂŒrften in etwa die Schmerzgrenze darstellen. Sie wird heute nur deshalb nicht deutlich ĂŒberschritten, weil die Zinsen auf einem historischen Tief liegen. Hypotheken kosten heute im Schnitt noch 6,3 Prozent. 1982 waren es noch gut 16 Prozent. Wer ein Auto kaufen will, erhĂ€lt den nötigen Kredit fast gratis, nĂ€mlich fĂŒr lĂ€cherliche 2,2 Prozent. Die RĂŒckzahlungsfrist betrĂ€gt fĂŒnf Jahre und die mittlere Belehnung 96 Prozent. (Man muss also gerade noch vier Prozent bar anzahlen.) All dies sind historische Tiefstwerte.
Wenn sich die Zinsen nach oben bewegen, wird man schon sehr bald feststellen, dass der echte Wohlfahrtsstaat doch nicht so viel schlechter war als der amerikanische Kapitalmarktsozialismus.
* Does Income Inequality Lead to Consumption Inequality? Evidence and Theory, Dirk Krueger, Fabrizio Perri, NBER Working Paper No. w9202, September 2002.
«Man kann von einem Kreditsozialismus sprechen. Doch dieses System hat wahrscheinlich einen tödlichen Mangel.
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