dottore
28.10.2002, 12:42 |
State of the Art beim Metall-Problem (1) Thread gesperrt |
-->Hi,
zum Metallproblem ist Einiges mitzuteilen, das die Archäometallurgie inzwischen ermitteln konnte. Dabei ist anzumerken, dass die Ergebnisse der Forschungen ganz neu sind und hier zum ersten Mal mitgeteilt werden, zumal sie sich z.T. auf noch unveröffentlichtes Material beziehen, insonderheit diverse Vorträge international führender Experten beim Anatolian-Metal-Congress in Bochum.
Die Fachwelt verblüfft sich dabei selbst durch ihre Ergebnisse. Sie wurden gewonnen durch Übersetzungen bisher unbekannter Urkunden (Keilschrift) aus diversen Archiven, speziell der Hethiter-Metropole Hatuscha sowie durch Ausgrabungen und Metallanalysen, die in dieser Form bisher noch nicht durchgeführt wurden, was vor allem für die frühesten Münzen gilt, die von P. Craddock (Scientific Examination and Replication of the Lydian Gold Refinery at Sardis), einem der Keeper of the Coins im Britischen Museum durchgeführt wurden (der Autor hatte gemeinsam mit Rammage die hier bereits bekannte große Untersuchung der Raffinerie des Kroisos in Sardeis publiziert und gilt als weltweit führender Experte speziell der Pb-Isotopen-Analysen der ältesten Münzen).
Im Überblick ist zu sagen, dass sich die von mir vertretenen Thesen vollumfänglich bestätigen, wie sich in den anschließenden Diskussionen gezeigt hat. J.G. Dercksen (Universität Leiden) wies darauf hin (Assyrische Texte aus Kültepe und Metallhandel), dass in Kürze eine Monographie erscheinen wird, welche die Abgabengeld-These ausführlich darstellt, wobei die Reihenfolge: Abgabe, danach erst Handel im gesamten vorderasiatischen Bereich zu finden ist. Aus dieser Gegend, wir sprechen von Zeiträumen, die im 5. und 4. Jt. BC beginnen, sind bekanntlich die ältesten Metallfunde in nennenswerten Umfang sowie Metallverarbeitungen und Metallnutzungen überhaupt überliefert.
Einige Highlights der Referate sollen hier in kurzer Form bzw. Stichworten vorgestellt werden und das in lockerer Folge. Überflüssig zu sagen, dass die Forscher sämtlich sog."vorgefasste Meinungen" (Tauschhandel, privates vor abgabeninduziertes Wirtschaften, Metallgeld usw.) nicht interessieren, da diese in Zeiten entwickelt wurden, als Ã-konomen und Sozialwissenschaftler keinerlei Kenntnisse von dem Material (Schriftquellen, Funde in situ usw.) und den Analysetechniken hatten (Dendrochronologie, C14-Datierungen, Spektralunetersuchungen), über welche die moderne Forschung inzwischen verfügt.
Die Experten halten es für ganz und gar unwissenschaftlich, mit ökonomischen Modellen zu arbeiten, die retroprojiziert sind und Vorgänge zu erklären vorgeben, die dann als"plausibel" vorgestellt werden, ohne jeglichen historisch fundierten Unterbau.
Nun zu den ersten Details:
Prof. Esin (Istanbul): Die ersten nachvollziehbaren Machtstrukturen (Assur) basieren auf Eisen bzw. Stahl (Näheres dazu später PD Yalcin, Bochum). Mit dessen Hilfe wurden Abgabensysteme entwickelt, wobei die Abgabenforderung in Form von Metall erfolgte.
Im assyrischen Raum entwickelt sich die erste ausgebildete Händlerschicht, deren Funktion es war, das geforderte Metall zu beschaffen. Der Weg des Metalls war eine Einbahnstraße, die in dem Herrschaftszentrum, der Sackgasse sozusagen, endete.
Die Weitergabe von Metall war in Assur in jeglicher Form verboten, außer beim Zinn (zur Herstellung von Zinn-Bronze unabdingbar), das auf zwei Wegen, zum einen über Kadesch (Ostanatolien) und Mari (irakisch-syrische Route) weiter geleitet werden durfte. Die innere Logik ist klar: Stahlwaffen (Assur) waren Bronzewaffen überlegen, so dass es kein Sicherheitsrisiko gab, zumal die anderen Zentren weit weg lagen (Mittelmeerraum, Zentralanatolien).
Das Zinn kam aus Zentralasien (Usbekistan, Tadschikistan), möglich auch Afghanistan. Die Nachfrage nach Zinn war - wie die Korrespondenz zwischen Assur und Hattuscha zeigt - eindeutig herrschaftliche Nachfrage.
Dies belegen für das Beispiel der Hethiter, des größten anatolischen Machtzentrums, die dort gefundenen Texte, die von Prof. Siegelova (Prag) seit Jahren übersetzt werden. Danach haben die im Herrschaftsraum der Hethiter, die selbst nie eine Händlerschicht entwickelt hatten, geltenden Abgabenvorschriften den sensationellen Befund erbracht, dass dort (!) Zinn (An-Na) als Abgabe erhoben wurde, obwohl es in diesem ganzen Großraum überhaupt nicht vorkam bzw. nirgends abgebaut wurde.
Die von den Hethitern zur"Zinnsteuer" gezwungenen Gebiete, die Rede ist von fünf Sub-Zentren, die bisher noch nicht mit Sicherheit lokalisiert werden konnten, mussten sich ihrerseits also das Zinn beschaffen, was wiederum zum Eintauschen von Zinn und damit der Ausbildung eines Fernhandels zwang.
Ähnliches dürfte für Kupfer gegolten haben, das ebenfalls Abgabengut war. Dabei wurde die Abgabe nicht in Barren geleistet wie offenbar bei Zinn (ein Zinnbarren wurde in dem berühmten Wracke von Bulu Gurum gefunden), sondern in Form von Beilen, Äxten und Sicheln aus Kupfer, deren Gewicht sämtlich auf zwei Minen geeicht war (1 Mine = ca. 1 Pfund). Es wurde streng nach dem Shekelstandard nachgewogen. Diese nach Gewicht standardisierten Metallabgaben waren ein Mal im Jahr zu leisten.
Die Abgaben wurden im Palast ("Oberstadt") gehortet und von dort dann zur Verarbeitung weiter geleitet.
In diesem Zusammenhang ist weiterhin bemerkenswert, dass niemals Bronze abgegeben wurde, sondern beide Metall (Cu, Sn) getrennt. Das Abgabenmetall wurde danach an die Palasthandwerker ausgegeben und zwar ebenfalls getrennt und nicht als Bronze.
Das Endprodukt waren immer Bronze-Waffen, die ausschließlich den Garden und Truppen vorbehalten war, Bronze-Gerätschaften für den"privaten" Gebrauch wurden niemals ausgeliefert, auch nicht gefertigt.
In hethitischen Gesetzestafeln sind auch die Metall-Relationen festgeschrieben: Cu / Ar = 160: 1, Cu / Au = 480: 1. Das Gold war dabei quasi der Libero, denn wir finden - umgerechnet über gleichförmige Ishtar-Statuen - sogar ein Verhältnis Ar / Au von 2: 1.
Der Standard war also ein Cu-Standard in den bekannten Formen, siehe oben, der sich wiederum auf eine Shekel-Gewichtsstandard reduzieren ließ, der von der Obrigkeit festgesetzt worden war.
Handel innerhalb des Reiches existierte nicht. Die Versorgung der Bevölkerung, die von der (offenbar um -2000 oder kurz danach als Eroberer eingefallenen oder als Machtusurpatoren aufgetretenen) Oberschicht in Abhängigkeit gehalten wurde, geschah über die bekannten Depots (in Boden eingelassene und versiegelte Großkeramik), die ihrerseits nicht über Abgaben, sondern über Direktbezug aus den Ländereien der Herrschaft, die sämtliches beackerbares Gebiet umfassten, gefüllt wurden.
Mit der Entwicklung des Stahl-Eisens änderte sich die Lage dann grundlegend. Dazu und zu anderem demnächst mehr.
Gruß!
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Wal Buchenberg
28.10.2002, 14:18
@ dottore
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Die wievielte Ankündigung des neuen Buches? |
-->Hallo dottore,
ich finde es prima, dass du dein neues Buchprojekt öffentlich auf immer neuen Stufen zur Diskussion stellst.
Zu deinen heutigen Enthüllungen:
Ich habe zu den heutigen Fakten und deinen Interpretationen keine grundlegenden Einwendungen.
Ich habe allerdings einzuwenden, dass die Gesellschaften, die du hier vorstellst, eben keine überwiegenden warenproduzierenden Gesellschaften waren. Was als Ware in diese Gesellschaften gelangte, nämlich das Metall, blieb unter Kontrolle des Staats. Angeeignet wurde dieses Metall durch Raub bzw. Krieg mit nachfolgender Tributzahlung.
Ähnliche Verhältnisse gab es in Peru, bei den Inkas im alten Indien und China etc.
Marx nannte diese Produktionsweise"asiatische Produktionsweise".
Die Schwierigkeit besteht aber darin, zu erklären, wie der Schritt von diesen"Staatshandelsnationen" mit hauptsächlich Staatseigentum zu den"Privathandelsnationen" mit hauptsächlich kleinem Eigentum verlaufen ist.
Diese"Lücke" füllst du mit deinen Hypothesen, da helfen keine Metallanalysen.
Die erste warenproduzierende Gesellschaft waren die alten Griechen. Die Athener importierten rund die Hälfte ihrer Lebensmittel - während die ganze Welt damals noch überwiegend Subsistenzwirtschaft war und (grob geschätzt) weniger als 10 Prozent des Produktenwerts in den Austausch ging.
Die Entwicklung der warenproduzierenden Produktionsweise muss m.E. an den alten Griechen studiert und begriffen werden.
Gruß Wal Buchenberg
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dottore
28.10.2002, 15:22
@ Wal Buchenberg
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Re: Abwarten, es war nämlich leider völlig anderes als Marx 'vermutete' |
-->>Hallo dottore,
>ich finde es prima, dass du dein neues Buchprojekt öffentlich auf immer neuen Stufen zur Diskussion stellst.
>Zu deinen heutigen Enthüllungen:
>Ich habe zu den heutigen Fakten und deinen Interpretationen keine grundlegenden Einwendungen.
>Ich habe allerdings einzuwenden, dass die Gesellschaften, die du hier vorstellst, eben keine überwiegenden warenproduzierenden Gesellschaften waren. Was als Ware in diese Gesellschaften gelangte, nämlich das Metall, blieb unter Kontrolle des Staats. Angeeignet wurde dieses Metall durch Raub bzw. Krieg mit nachfolgender Tributzahlung.
So war es eben nicht. Ägypten hat nie Cu aus Zypern geraubt. Der dortige Chef war auch nicht tributpflichtig, um nur ein Beispiel zu nennen.
>Ähnliche Verhältnisse gab es in Peru, bei den Inkas im alten Indien und China etc.
>Marx nannte diese Produktionsweise"asiatische Produktionsweise".
Hat der auch Ausgrabungen gemacht? Wäre mir neu. Ich finde es immer wieder bemerkenswert, dass die"klassischen" Ã-konomen (ob Smith, ob Galiani, ob Hume, ob Hayek, ob Marx, ob Schumpeter) schon vor Jahrhunderten bzw. Jahrzehnten alles ganz genau"gewusst" und ihre"Theorien" darauf aufgebaut haben, ohne irgendeine Kenntnis der tatsächlichen Abläufe bzw. Gegebenheiten gehabt zu haben wie sie erst jetzt rekonstruiert werden können, da man vor Ort (in situ) arbeitet und forscht. Es sei nur an die zahlreichen Keilschrift-Archive gedacht, von deren Existenz bis vor kurzem kein Mensch eine Ahnung hatte.
>Die Schwierigkeit besteht aber darin, zu erklären, wie der Schritt von diesen"Staatshandelsnationen" mit hauptsächlich Staatseigentum zu den"Privathandelsnationen" mit hauptsächlich kleinem Eigentum verlaufen ist.
Kommt noch, bitte um Geduld. Nur das vorweg: Wie sollte Assur eingeordnet werden? Eindeutige Militärdiktatur von Anfang an und daraus sich dann entwickelnder, die bekannte Welt umspannender Privathandel?
Das"kleine" Eigentum (jetzt an Grund und Boden) ist übrigens geradezu klassisch entstanden und zwar als ältester Beleg am Van-See (Ost-Anatolien) das Reich der"Ayanis". Von dort aus Richtung Westen (Dendrochronologie, von Prof. Kuniholm perfekt belegt).
Der Van-See-Ausgräber, Prof. Cilingiroglu (Izmir), hat die komplette Geschichte dargestellt, vgl. schon"Ayanis I", Rom 2002. Sie deckt sich haargenau mit den Vorgängen in der Ägäis: 1."Einwanderung", 2."Zitadellenbildung" (Akropolis mit danach wachsender"Unterstadt") 3."Big Event" (lass Dich überraschen) und 4."Entstehung von Privateigentum".
Aber Karl Marx hatte das alles sozusagen schon"vorher" gewusst? GAR NIX hat er gewusst.
>Diese"Lücke" füllst du mit deinen Hypothesen, da helfen keine Metallanalysen.
Nein, die Zeit der Hypothesen ist vorbei. Heinsohn war da schon auf der richtigen Fährte (die Katastrophisten nicht minder). Die Archäologen arbeiten nicht mit Hypothesen, sondern mit schieren Fakten. Schicht um Schicht.
>Die erste warenproduzierende Gesellschaft waren die alten Griechen. Die Athener importierten rund die Hälfte ihrer Lebensmittel - während die ganze Welt damals noch überwiegend Subsistenzwirtschaft war und (grob geschätzt) weniger als 10 Prozent des Produktenwerts in den Austausch ging.
Auch das ist falsch bzw. völlig frei erfunden. Die"alten" Griechen - wie"alt" setzt Du die denn? Lass Dich von Prof. Lohmann (Bochum) und seinen Studien zum Groß-Komplex Laurion überraschen ("Prähistorischer (sic!) und antiker Blei-Silberbergbau im Laurion").
>Die Entwicklung der warenproduzierenden Produktionsweise muss m.E. an den alten Griechen studiert und begriffen werden.
Waren wurden längst produziert, als von Griechenland der Klassik nirgends eine Rede sein kann, noch nicht mal von den großen Oikosherren ("Tyrannis"). Schon -1500 startet der wahrliche gigantische Cu-Bergbau in Zypern. 200.000 Tonnen danach insgesamt abgebaut (ausführlich G. Konstantini).
Und so heiter immer weiter.
Gruß!
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Galiani
28.10.2002, 18:06
@ dottore
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Re: State of the Art beim Metall-Problem (1) |
-->Hallo
Hochinteressante Ausführungen. Danke dottore.
Dennoch bin ich noch immer nicht ganz davon überzeugt, daß die Abgabe das Primäre war und der Handel erst hinterdrein erwachte. Denn"abgeben" kann man schließlich nur von etwas, was man zuvor schon hat; Abgaben werden von einem Substrat erhoben, das auf privater Basis bereits bestehen muß. Anders ausgedrückt: Der Herrscher sieht, daß seine Untertanen da etwas Wertvolles haben und damit umgehen/handeln. Er möchte daran partizipieren und sagt:"Jetzt entrichtet mir mal schön Abgaben von/mit dieser Sache!" Damit folgt also die Abgabe (zwar in sehr kurzem Abstand, aber doch) dem Handel; - nicht umgekehrt! Eine solche Abfolge der Ereignisse scheint mir nicht nur wahrscheinlich zu sein, sondern sie ist meiner Meinung nach durch noch so viele archäologische Funde auch überhaupt nicht zu widerlegen oder nachzuweisen.
Besonders deutlich scheint mir dieser wahrscheinlich zweistufige Vorgang vom privaten Eigentum/Handel zur Abgabe sichtbar zu werden, wo den Menschen, wie Sie schreiben, eine"Zinnsteuer" in Gebieten abgefordert wurde, in denen es gar kein Zinn gab: Irgendwie mußte dort der Herrscher dort doch erst überhaupt auf die Idee kommen, von seinen Untertanen gerade"Zinn" als Abgabe zu fordern. Wie sollte das denn anders zugegangen sein als eben dadurch, daß die Untertanen schon zuvor den privaten Fernhandel mit Zinn ausgebildet hatten, der Herrscher das sah und dann erst seine"Zinnsteuer" verlangte.
Nur ganz am Rande erlaube ich mir außerdem die Bemerkung, daß ein paar archäologische Befunde im Nahen Osten natürlich noch nicht ein ganzes Theoriegebäude, das Sie da errichten, stützen können.
Gruß
G.
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erhardbd
28.10.2002, 18:44
@ Galiani
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Stunde Null |
-->Hallo Galiani und dottore,
diese Frage beschäftigt mich auch schon seit längerem. Nach dottore sagt der Herrscher doch irgenwann mal: Künftig werden die Abgaben nicht mehr in Form von Naturalien erhoben, sondern in Form von"Geld". Dieses Geld habe ich vorbereitet hier in meiner Truhe.
Aber wie bekommt der Bauer das Geld für die Abgabe in die Hand? Muß der Herrscher zuerst beim Bauern einkaufen (tauschen?) damit dieser seine Abgabe leisten kann. Müssen die Abgaben quasi vom Herrscher vorfinanziert werden?
Gruss
>Hallo
>Hochinteressante Ausführungen. Danke dottore.
>Dennoch bin ich noch immer nicht ganz davon überzeugt, daß die Abgabe das Primäre war und der Handel erst hinterdrein erwachte. Denn"abgeben" kann man schließlich nur von etwas, was man zuvor schon hat; Abgaben werden von einem Substrat erhoben, das auf privater Basis bereits bestehen muß. Anders ausgedrückt: Der Herrscher sieht, daß seine Untertanen da etwas Wertvolles haben und damit umgehen/handeln. Er möchte daran partizipieren und sagt:"Jetzt entrichtet mir mal schön Abgaben von/mit dieser Sache!" Damit folgt also die Abgabe (zwar in sehr kurzem Abstand, aber doch) dem Handel; - nicht umgekehrt! Eine solche Abfolge der Ereignisse scheint mir nicht nur wahrscheinlich zu sein, sondern sie ist meiner Meinung nach durch noch so viele archäologische Funde auch überhaupt nicht zu widerlegen oder nachzuweisen.
>Besonders deutlich scheint mir dieser wahrscheinlich zweistufige Vorgang vom privaten Eigentum/Handel zur Abgabe sichtbar zu werden, wo den Menschen, wie Sie schreiben, eine"Zinnsteuer" in Gebieten abgefordert wurde, in denen es gar kein Zinn gab: Irgendwie mußte dort der Herrscher dort doch erst überhaupt auf die Idee kommen, von seinen Untertanen gerade"Zinn" als Abgabe zu fordern. Wie sollte das denn anders zugegangen sein als eben dadurch, daß die Untertanen schon zuvor den privaten Fernhandel mit Zinn ausgebildet hatten, der Herrscher das sah und dann erst seine"Zinnsteuer" verlangte.
>Nur ganz am Rande erlaube ich mir außerdem die Bemerkung, daß ein paar archäologische Befunde im Nahen Osten natürlich noch nicht ein ganzes Theoriegebäude, das Sie da errichten, stützen können.
>Gruß
>G.
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dottore
28.10.2002, 19:39
@ Galiani
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Re: State of the Art beim Metall-Problem (1) |
-->>Hallo
>Hochinteressante Ausführungen. Danke dottore.
>Dennoch bin ich noch immer nicht ganz davon überzeugt, daß die Abgabe das Primäre war und der Handel erst hinterdrein erwachte. Denn"abgeben" kann man schließlich nur von etwas, was man zuvor schon hat;
Nein, man kann zu Abgaben gezwungen werden, die zum Zeitpunkt der Festlegung der Abgabe überhaupt noch nicht physisch existiert haben. Man denke nur an Tempelsteuern oder das Osterlamm-Phänomen, die Abgaben der Bauern through the ages: konkret so und so viel fällig, aber die Saat war noch nicht mal im Boden, geschweige denn aufgegangen, geschweige denn geerntet, an die nächste Miete (ich habe doch jetzt noch nicht das Geld, was ich nächsten Monat schuldig bin), die Ratenzahlungen, und so weiter.
>Abgaben werden von einem Substrat erhoben, das auf privater Basis bereits bestehen muß. Anders ausgedrückt: Der Herrscher sieht, daß seine Untertanen da etwas Wertvolles haben und damit umgehen/handeln. Er möchte daran partizipieren und sagt:"Jetzt entrichtet mir mal schön Abgaben von/mit dieser Sache!" Damit folgt also die Abgabe (zwar in sehr kurzem Abstand, aber doch) dem Handel; - nicht umgekehrt!
Nein, die Folge ist schon so wie beschrieben. Sonst wär's Jahrtausende lang einfach und friedlich gewesen. Jeder bosselt so vor sich hin und muss dann halt a bisserl abgeben, nachdem das Resultat seiner Bosselei in der Scheuer war.
>Eine solche Abfolge der Ereignisse scheint mir nicht nur wahrscheinlich zu sein, sondern sie ist meiner Meinung nach durch noch so viele archäologische Funde auch überhaupt nicht zu widerlegen oder nachzuweisen.
Die Funde sind in diesem Fall konkrete Steuerlisten.
>Besonders deutlich scheint mir dieser wahrscheinlich zweistufige Vorgang vom privaten Eigentum/Handel zur Abgabe sichtbar zu werden, wo den Menschen, wie Sie schreiben, eine"Zinnsteuer" in Gebieten abgefordert wurde, in denen es gar kein Zinn gab: Irgendwie mußte dort der Herrscher dort doch erst überhaupt auf die Idee kommen, von seinen Untertanen gerade"Zinn" als Abgabe zu fordern.
Er wusste, dass er Zinn für Zinn-Bronze braucht. Diese wiederum brauchte er für seine Waffen.
Übertragen auf heute wäre das eine Abgabe in Form von 1000 Schuss Munition, die jeder Bürger zu leisten hat, damit Armee und Polizei auch wehrhaft bleiben.
>Wie sollte das denn anders zugegangen sein als eben dadurch, daß die Untertanen schon zuvor den privaten Fernhandel mit Zinn ausgebildet hatten, der Herrscher das sah und dann erst seine"Zinnsteuer" verlangte.
Nein, der Herrscher kam selbst aus dem Zinngebiet, hatte Bronzewaffen, zog los damit, eroberte friedliches Gebiet (bäuerliche Selbstversorgungsgemeinschaften) und ließ sich von deren Einwohner dann die weitere Zinnbeschaffung erledigen.
>Nur ganz am Rande erlaube ich mir außerdem die Bemerkung, daß ein paar archäologische Befunde im Nahen Osten natürlich noch nicht ein ganzes Theoriegebäude, das Sie da errichten, stützen können.
Es geht um das Theoriegebäude anderer. Die bringen diese"paar" Befunde zum Einsturz. Metallmacht-Abgabe-Wirtschaften - alles ohne Zweifel dort entstanden.
Es gibt keine früheren Kreditkontrakte als die assyrischen. Damals herrschte in Europa tiefe Steinzeit. Und dass der Kredit wirtschaftsessentiell ist, müssen wir nicht debattieren.
Gruß!
Gruß!
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Galiani
28.10.2002, 20:10
@ dottore
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Na ja, - viele Annahmen, wenig konkrete Belege. Dennoch Gruß (owT) |
-->
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Dimi
28.10.2002, 22:18
@ dottore
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Re: State of the Art beim Metall-Problem (1) - Vs. Großbergbau in der Steinzeit |
-->Lieber Dottore,
>Metallmacht-Abgabe-Wirtschaften [...]
>Damals herrschte in Europa tiefe Steinzeit.
unterschätze mir die Steinzeit nicht! Nur weil sich die Leute ohne Metall umbrachten und weil sie ihr Geschwätz nicht schriftlich festhielten, waren sie doch nicht auf den Kopf gefallen.
Haben die Leute, die an einem Ort mehrere hundert bis über tausend Steinbeile/Tag abbauten und erstellten (Schätzung), 'gewirtschaftet'?
Gruß, Dimi
Hier geht's in die Steinzeit ->
<ul> ~ http://www.archaeologie-online.de/magazin/thema/2001/02/b_1.php</ul>
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BillyGoatGruff
28.10.2002, 22:45
@ dottore
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Re: Paläo-Metallurgie in Südafrika. Vielleicht interessant. |
-->Hi dottore,
ich finde Ihr vorangehendes posting in hohem Masse interessant. Genuine Wissenschafter gehen unvoreingenommen ans Werk.
Hier könnte interessieren, dass es noch zu Apartheid's Zeiten an der Universität des Witwatersrand in Johannesburg ein kleines Departementchen gab, sogar mit einem kleinen Museum (etwa zwei kleine Zimmer), dass sich der Erforschung alter Metallgewinnung im Gebiet der RSA widmete. Ein Deutscher namens... Friede hatte das kleine Museum (nebst dem Mini-Naturreservat 'Melville's Kopje' in Johannesburg) gepflegt.
Entgegen der damaligen Staatsdoktrin, das Schwarzafrikaner 'zu dumm gewesen seien', um Metalle aus Erzen zu gewinnen, konnte das Institut diskret seinen Forschungen über 'vorgeschichtliche Metallgewinnung im südlichen Afrika' nachgehen. Aber was heisst dort vorgeschichtlich, wahrscheinlich vor 1600 n.Chr.
Es gibt auf jeden Fall eine grosse Zahl von Spuren alter Metallgewinnung und
-verarbeitung dort, Schmelzöfen und Ingots. Genaueres weiss ich leider nicht mehr, ausser dass versuchsweise ein solcher Ofen für (erfolgreiche) Schmelzversuche nachgebaut worden war. Auch die frühen christlichen Missionare sind auf Spuren früher Metallgewinnung in diesem Gebiet gestossen und haben dies rapportiert.
Gruss,
BillyGoat
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dottore
29.10.2002, 17:44
@ BillyGoatGruff
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Re: Vielleicht interessant. Ja sehr! Dazu: Bergbau mit Hilfe von Feuer |
-->Hi Billy,
die Metallgewinnungs- und - bearbeitungstechniken in Schwarzafrika entsprechen genau jenen, die als"paläo" im Nahen Osten usw. gefunden wurden.
Die Ã-fen lassen sich fast 1: 1 übertragen.
Eine weitere, extrem spannende Sache ist der Bergbau mit Hilfe von Feuer, das in den Minen entzündet wurde, um das Gestein mürbe zu machen und den Abbau zu erleichtern (darauf muss man erst mal kommen).
Bekannt dafür ist der Rammelsberg (Goslar). Genau so wurde aber auch in Melle (Poitou) abgebaut (mindestens"karolingisch", wenn nicht schon römisch).
Und, oh Überraschung, in der Nähe von Isfahan und dies datiert ins -2. Jt., wenn nicht noch älter.
Wir wissen, dass Bergleute eine extrem bewegliche Berufsgruppe waren (deren Wanderungen noch gesondert untersucht werden müsste, sehr bekannt ist der Bergbau in Spanien, der von Deutschen wieder belebt wurde, der erste Kupfer-Unternehmer auf Kuba war ein Deutscher, usw.).
Allerdings ist das bergbauliche und hüttentechnische Wissen kaum offen tradiert worden, aus naheliegenden Gründen. Wir haben aus der Antike nur mehr oder minder dunkle Schrifttradition und vor allem keine Zeichnungen.
Das Werk von Agricola (Mitte 16. Jh.) blieb bis fast ins 20. Jh. hinein Standardwerk, und Herbert Hoover (Bergbau-Ingenieur, später US-Präsident) hat die"Res metallica" vorbildlich ediert.
Wir haben also zwei Modelle zur Auswahl:
- Entweder sehr schnelle Ausbreitung (dann stimmen die Chronologien vorn und hinten nicht).
- Oder sehr langsame Ausbreitung dieses Wissens.
Dazwischen passt nichts so richtig.
Ich neige zur ersteren Variante, weil metallurgisches Wissen von allergrößter Wichtigkeit war, egal ob wir der privat- oder staatswirtschaftlichen These des Metalls anhängen.
Eine Parallele dazu sehr ich im Buchdruck. Obwohl das erste Buch, das das eigentliche Geheimnis Gutenbergs offen darstellte (nämlich das Handgießinstrument) erst um 1630 herum erschien, breitete sich die"schwarze" Kunst schon im 15. Jh. geradezu explosionsartig aus.
Hinzu kommt: Der Bergbau war, da nicht standortfest, wie Handwerk in Städten, nicht zünftisch zu organisieren.
Also nochmals besten Dank - the research goes on.
Gruß!
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BillyGoatGruff
29.10.2002, 21:57
@ dottore
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Re: Great Zimbabwe: Steinbrech-Arbeit mittels Feuer und Wasser. |
-->Das soll ziemlich sicher sein: das Material für die kleinen, rechteckigen Granitblöcke von sehr regelmässiger Grösse, welche das Baumaterial von Great Zimbabwe bilden, wurden durch Beheizen der domförmigen (halbkugeligen) Granithügel in der Umgebung mit Feuer und danach Abschrecken mit Wasser gewonnen.
Wie weit das 'untertags' funktionierte? Enormes Bewetterungsproblem, allerdings waren antike Schächte aus technischen Gründen nur von geringer Tiefe. Es könnte, obwohl äusserst gefährlich (Verbrennungsgas CO2 schwerer als Luft und absolut tödlich) funktioniert haben, wenn irgendeine antike Art der Zwangsbelüftung bekannt war.
Eine spannende Sache (für mich)!
Gruss,
billy
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