-->Was ist eigentlich so super an diesem Minister?
Wie Wolfgang Clement den Schein von Kompetenz erzeugt
Als Wolfgang Clement am 28. Mai 1998 Johannes Rau endlich beerben durfte, da wollte er, der nunmehr gewesene"ewige Kronprinz", gleich hoch hinaus. Ins neue"Stadttor" werde er, so seine erste Ankündigung als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, die Staatskanzlei verlegen und nahm, gleich nach dessen Fertigstellung Ende März 1999, in dem mächtigen, maßstabssprengenden High-Tech-Koloß am Südrand der Düsseldorfer Innenstadt Quartier. Sein Vorgänger, der Bescheidenheit auszustellen liebte, hatte Wert darauf gelegt, in der muffigen Horionvilla zu bleiben, während er den alten Landtag dem Verfall preisgab. Clements Umzugsbeschluß markierte einen Stilwechsel, der als Zeichen des Strukturwandels gedacht war: Transparent, ökologisch, kommunikativ, zukunftsweisend wie dieser kleine Arc de La Défense sollte die Politik sein und dem Landesvater, der im zehnten Stockwerk seine Kommandobrücke installierte, die allerbesten Aussichten bescheren."Hier kann man nur gute Laune haben", erklärte Clement denn auch frohgemut, dem der Landtag nun buchstäblich zu Füßen lag.
Architektur als imagebildende Maßnahme. Das neue Domizil, in dem Clement neben Unternehmensberatern und Anwälten, Telekommunikations- und Logistikexperten residierte, entsprach seinem Selbstverständnis als Vorstandsvorsitzender der NRW AG, und bei gutem Wetter konnte er den Kernbereich seines Konzerns, vom Kölner Dom im Süden bis zum Stahlwerk in Duisburg-Huckingen im Norden, in den Blick nehmen: Zur Stadt hin strecken sich Thyssen und Mannesmann, das dann bald Vodafone hieß, gen Himmel, und fast senkrecht unter ihm tummelt sich im Medienviertel am Hafen die"Meile der Kreativen". Von so weit oben betrachtet, hat das etwas von einer Lego-Landschaft, durch die der Politikmanager in zukunftsschwangeren Stunden wohl auch schon sein Lieblingsspielzeug"Clementino", wie Spötter den Metrorapid nennen, sausen sah. Schön klein und überschaubar nahmen sich von hier auch die Probleme des Landes aus, so klein, wie sie der Ministerpräsident im Parlament gerne redete.
Reden kann er
Insofern kam der Auftritt, den der neue"Superminister" für Wirtschaft und Arbeit letzte Woche im Deutschen Bundestag hatte, leidgeprüften NRW-Bürgern seltsam bekannt vor. Die Melodie klang vertraut: Die weltpolitische Lage ist schuld, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das Wichtigste, nur mehr Wachstum schafft mehr Beschäftigung, wir sind auf dem richtigen Weg, wenn auch noch nicht weit genug. Viele Gemeinplätze. Seelenmassage gegen"die negative Stimmungsmache". Die Schwierigkeiten werden nicht beim Namen genannt, die hausgemachten strukturellen Probleme nicht angesprochen, keine Ursachenforschung wird bei der Sozial- und Steuerpolitik betrieben. Statt dessen hingebogene Statistiken, die den Überhang aus der Zeit, als es der Wirtschaft noch besserging, einbeziehen und so tun, als sei es ein Verdienst der Bundesregierung, daß Porsche gute Autos baut. Von Konfliktbewußtsein ist wenig zu spüren: Die Gewerkschaften kommen nur ganz am Rande, gleichsam im Abspann, vor.
Es bedarf keiner wirtschaftspolitischen Kompetenz, um sie in Clements Rede zu vermissen. Fiel, was er zu sagen hatte, doch weit hinter den Stand der Diskussion zurück, die in den letzten Wochen geführt wurde. Hält der Superminister das Parlament und den Souverän, das Volk, für dumm? Oder ist das der Preis, den sein neuer Part ihm abverlangt? Schon Clements Gesicht und sein kontrolliertes Mienenspiel haben, so scheint es zumindest, den Ernst der Lage erfaßt und vermitteln Vertrauen. Korrekt, sachlich und seriös, wie er wirkt, ist er wie kein anderer geeignet, in der Regierung Schröder den Animateur zu geben, der ein kooperatives Klima herstellen und mit Absichtserklärungen und Aufforderungen für gute Laune sorgen soll. Werbewirksam schließt er seine Rede mit Appellen an die Solidargemeinschaft:"Wir brauchen eine wirkliche Allianz für Erneuerung. In dieser Allianz für Erneuerung müssen wir die umfassenden Reformen auf den Weg bringen, die notwendig sind, um unsere Volkswirtschaft weiterzuentwickeln und ihr auch in Zukunft eine Spitzenposition im globalen Wettbewerb der Standorte zu sichern. Daran mitzuwirken und diese Prozesse zu organisieren, darin sehe ich heute meine Hauptaufgabe. Und ich lade Sie herzlich ein, hierbei mitzuwirken." Jeder darf sich angesprochen fühlen und muß sich zugleich fragen, wer gemeint ist. Ob er sich damit an die Opposition oder nicht eher an die reformresistenten Kräfte in der eigenen Partei wendet, läßt Clement wohlweißlich offen. So klingen die Bekenntnisse eines PR-Manns, der Jura studiert und Journalismus gelernt hat.
Nach einem Wahlsieg, den die SPD, wie immer deutlicher wird, noch verfluchen wird, brauchte der angeschlagene Kanzler Clement aus mindestens zwei Gründen: um die Konflikte innerhalb der Partei zu schlichten und um jene"neue Mitte" zu halten, für die Schröder, nachdem er zunehmend in Abhängigkeit von den Gewerkschaften geraten ist, nicht mehr steht. Dafür bringt Clement ein Image mit, das mehr umfaßt als den Macher und Modernisierer. Ist er, der mit seiner"Lehrstellenaktion" wochenlang durchs Land tingelte, um für mehr Ausbildungsplätze zu werben, doch glaubwürdig und öffentlichkeitswirksam ein Mann des guten Willens.
"Konfession: römisch-katholisch". Das ist für den 1940 in Bochum geborenen und dort aufgewachsenen Vater von fünf Töchtern mehr als ein Eintrag auf der Lohnsteuerkarte. Clement ist - anders als die meisten Spitzengenossen - kein Materialist, auch kein Parvenü wie Schröder, kein Pharisäer wie Rau, kein Apparatschik wie Müntefering, kein Gewerkschaftler wie Scholz, sondern von seiner Disposition her ein Ethiker. Zu seinem Image gehört auch, daß er zu anständig und rücksichtsvoll ist, sich über widerstrebende Interessen hinwegzusetzen. Das macht ihn für die Rolle, die Schröder ihm zuweist, auf den ersten Blick so attraktiv wie auf den zweiten ungeeignet, da ihn, wie seine Bilanz in Nordrhein-Westfalen offenlegt, die anstehenden Aufgaben überfordern. Schröder braucht Clements Image, auch wenn es mit der Realität wenig zu tun hat, und Clement läßt sich für etwas einspannen, was er seinen Überzeugungen nach für falsch halten muß. Seine Ausstrahlung ist sehr viel höher als seine Kompetenz und trägt ihn, insofern einen perfekten Darsteller der Mediendemokratie, unbeschadet über seine politischen Niederlagen hinweg. Das ist Clements Kapital - und zugleich sein Problem.
"Du kannst mich doch jetzt nicht hängenlassen", soll Schröder ihn nach der Wahl gedrängt haben; Clement sei, so hohe Genossen in Düsseldorf,"regelrecht erpreßt" worden. Einer anderen Version zufolge war, was als Coup inszeniert wurde, schon vor der Wahl im kleinen Kreis eingestielt worden. Wie auch immer: Beide, der Kanzler und sein Superminister, haben Grund, dem jeweils anderen dankbar zu sein. Denn etwas Besseres als der Abgang nach Berlin konnte Clement gar nicht passieren: Sich nach oben zu entsorgen bot die einzige Möglichkeit, sich ohne großen Gesichtsverlust aus dem Staub zu machen, in den er sein Unternehmen sich hineinwirtschaften ließ. Zum"Bundesland Nr. 1" hat er Nordrhein-Westfalen machen wollen, dessen Probleme aber in seiner vierjährigen Amtszeit nicht in den Griff bekommen: In keinem anderen westdeutschen Bundesland, der Stadtstaat Bremen ausgenommen, ist die Arbeitslosenquote so hoch, der Anteil der Selbständigen und der Existenzgründer geht zurück, und die Haushaltslage spitzt sich dramatisch zu.
"Jetzt geht's los!" hatte Clement nach seinem knappen Wahlsieg 2000 noch einmal verkündet, doch von Aufbruch war nicht viel zu spüren. Seine ehrgeizigen Prestigeprojekte hat er, wenn sie überhaupt angegangen wurden, als Baustellen zurückgelassen: Das"Jahrhundertwerk" einer Verwaltungsreform, die die Landschaftsverbände und Regierungsbezirke in effiziente"regionale Dienstleistungszentren" überführen sollte, ist über die Ausgliederung des Straßenbaus in einen Landesbetrieb nicht hinausgekommen, das Oberhausener Trickfilmzentrum HDO, in dem mehr als fünfzig Millionen Euro an Wirtschaftsfördermitteln versickerten, hat nicht einmal zwei Dutzend Arbeitsplätze gebracht, und die Projekt Ruhr, eine landeseigene Gesellschaft, die die Verteilung von EU-Fördermitteln steuern soll, ist nicht in den Kommunalverband integriert, sondern neben ihm etabliert worden. Insbesondere im Revier ist der Dschungel von extrem verflochtenen und institutionell bewegungsunfähigen Zuständigkeiten noch dichter geworden.
Potemkinsche Leuchttürme
Clements Politik ist oft als journalistisch etikettiert worden. Daß"er eher in den Schlagzeilen des Tages als in den Linien der Zukunft denkt", wie ihm einer seiner Minister nachsagt, hat ihn immer wieder punktualistisch grundlegende Reformen, sogenannte"Leuchttürme", ankündigen und sie, sobald sie aus der öffentlichen Debatte verschwunden waren, nicht weiterverfolgen lassen. Den Journalisten gab er auch zu erkennen, als er, damals noch Superminister in Düsseldorf, die Medienindustrie zum"Motor des Strukturwandels" machen wollte. Doch selbst sein Plan, die Medienabteilungen aller Ministerien in der Staatskanzlei zu einer NRW-Medien GmbH zu bündeln, ging nicht auf, da kein Ressort bereit war, Kompetenz abzugeben. So wurde das in dreistelliger Millionenhöhe anberaumte Projekt blockiert und für den etwa zehnprozentigen Torso, der übrigblieb, ein Geschäftsführer geholt, der sich seinen Vertrag mit einem Jahresgehalt von 180 000 Euro plus Zulagen selbst entworfen hat.
Der Glaube, mit den Medien kreative Impulse setzen und die Welt verändern zu können, ist vielleicht der größte Trugschluß, dem Clement erlegen ist, eine Umkehrung der Kausalitäten, in deren Verblendungszusammenhang er sich perfekt zu bewegen versteht: Mit dem Image des Machers, Modernisierers und Manns des guten Willens erhält er eine Fiktion von Kompetenz aufrecht, die von seiner politischen Arbeit nicht annähernd gedeckt wird. Selbst aufmerksame Zeitgenossen lassen sich von der Wirkung"Seiner Effizienz", wie ihn Mitarbeiter titulieren, beeindrucken:"Er hat das Zeug zum deutschen Blair", hatte ihm schon 1996, und das war damals nur positiv gemeint, Hans-Olaf Henkel zugetraut.
"Woraus besteht Clements Verwaltungsreform?" fragt ein Witz, der seit seinem Abschied in den Düsseldorfer Ministerien Konjunktur hat:"Aus dem Umzug ins Stadttor." Seinem Nachfolger aber ist das Lachen bereits vergangen: In seiner Regierungserklärung hat Peer Steinbrück angekündigt, alle landeseigenen GmbHs zu überprüfen. Das Ansehen, das Clement genießt, bleibt davon unberührt, schon hat es sich so weit verselbständigt, daß sogar die relativ konkreten und weitverzweigten Filzvorwürfe, die nach seinem Abgang in Nordrhein-Westfalen aufkamen, ihm nichts anhaben konnten. Die Illusion, die sich mit Clement verbindet, könnte noch weitertragen. Schon wird er, da unbelastet von Wahlkampfversprechungen, im Falle einer großen Koalition nach CDU-Siegen in Hessen und Niedersachsen als Schröders Nachfolger gehandelt. Bevor er so hoch aufsteigt, wird Wolfgang Clement sich aber fragen müssen, ob er, der Gute, dem Land das wirklich antun will.
ANDREAS ROSSMANN
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.12.2002, Nr. 287 / Seite 33
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