-->„Ich habe Angst vor uns“
Der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace ist über sich und seine Landsleute verstört
Interviews gibt David Foster Wallace äußerst selten. Das folgende Gespräch hätte er am liebsten noch am Vortag abgesagt; auf den Vorschlag, ihn zu Hause zu treffen, reagiert er abweisend: unmöglich, seine beiden Hunde seien ausgesprochen bissig. Also findet das Interview in einem trostlosen Hotel statt, in dem Wallace nervös, aber pünktlich und schicksalsergeben erscheint. Der Rebell der amerikanischen Literatur zeigt sich - zum eigenen Entsetzen - fast altmodisch: ohne Zynismus und voller Angst vor einem Krieg mit dem Irak. Mit Wallace sprach Miriam Böttger.
DIE WELT: In Ihren Romanen und Kurzgeschichten geht es meist um Ihre eigene Generation. Was ist denn so besonders an ihr?
David Foster Wallace: Ich bin jetzt vierzig Jahre alt, bin also Anfang der Sechziger geboren. Das Problem meiner Generation ist, dass wir uns immer noch selbst als Kinder betrachten, als Kinder mit Eltern. Wir wollen einfach nicht erwachsen werden. Und unsere Kultur nutzt das aus und bedient genau das in uns, was Kind bleiben möchte, sie fördert alles an dir, was infantil, selbstsüchtig, und gierig ist.
DIE WELT: Das klingt als geschehe das mit System...
Wallace: Allerdings. Kinder in den USA lernen sehr früh, dass es nur darum geht, was man selbst will. Das ist die amerikanische Ethik, und man kann sich vorstellen, dass sie viel dazu beiträgt, die Konsum- und Unterhaltungsindustrie am Laufen zu halten. Diese Botschaft übt einen großen Reiz auf den Mensch als Individuum aus: „Es gibt kein höheres Gut als das eigene Wohl“ - das hört jeder gern. Natürlich nehmen dich deine Eltern nicht beiseite und sagen zu dir: „Also, Junge, denke in deinem Leben nur an dich.“ Das funktioniert viel subtiler. Aber de facto ist das, was unser System tausendmal am Tag sagt.
DIE WELT: Was ist so gefährlich daran?
Wallace: Die amerikanische Gesellschaft und Wirtschaft, die darauf gründen, ihren Bürgern Waren anzudrehen, versagen dann, wenn es darum geht, Kinder zu erziehen, oder den Menschen eine Ahnung von Glück zu geben - wenn dieses Wort überhaupt noch etwas bedeutet. Das ist doch kein Glück, wenn man jedem seiner Impulse blind folgen und jedes Verlangen befriedigen muss. Für mich ist das eine Art von Sklaverei. Aber niemand nennt es so, statt dessen hört man Schlagworte wie „Freiheit der Wahl“ und „Recht auf Konsum.“
Das Interessante ist doch: während ich hier sitze und über all diese Dinge rede, schäme ich mich gleichzeitig zu Tode, denn ich klinge wie mein eigener Großvater. Wie ein alter Mann, der moralische Vorträge hält, die keiner hören will. In Amerika macht einen so was leicht zur Witzfigur. Tatsächlich höre ich in meinem Kopf in diesem Moment eine Stimme, die sich über mich lustig macht. Und genau das ist die paradoxe Situation, in der man als halbwegs intelligenter Amerikaner steckt. Eigentlich weiß man, was gut und richtig ist, aber ständig gibt es da diese Ablenkungen, man sagt sich: Hey, sei doch kein Spielverderber.
DIE WELT: Haben Sie einen Fernseher?
Wallace: Nein, manchmal sehe ich bei Freunden fern. Aber wenn ich einen eigenen Fernseher hätte, dann wäre der Tag und Nacht in Betrieb und ich wäre für nichts anderes mehr zu gebrauchen. In dieser Beziehung bin ich kein Stück anders als die meisten Menschen. Ich bin genauso gierig nach allem, was das Auge reizt.
<ul> ~ Quelle --> Welt</ul>
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