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SPIEGEL 2/2003 - 06. Januar 2003
URL:Â http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,230169,00.html
USA
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<font size="+3">"Bis über den Kopf im Morast"</font>
Der Politologe Charles Kupchan über den drohenden Krieg gegen den Irak, das
heraufziehende Ende der amerikanischen Vorherrschaft und den Aufstieg Europas
zum einzigen Gegenspieler
SPIEGEL: Die Vereinigten Staaten befinden sich in einer Phase
unbestrittener globaler Dominanz. Wie lange kann die noch anhalten?
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<td><font size="-2">Kupchan,
44, lehrt Politische Wissenschaften an der Washingtoner
Georgetown-Universität.
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</td>
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</td>
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</td>
</tr>
</tbody>
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Kupchan: Nach vorherrschender Meinung bis weit über die Mitte dieses
Jahrhunderts. Viele Amerikaner glauben sogar auf ewig. Einige, darunter auch
ich, entdecken allerdings erste Anzeichen eines Abstiegs.
SPIEGEL: Welche denn?
Kupchan: Die USA kommen schon jetzt nicht mehr mit so vielen Dingen
durch, wie sie es gewohnt waren. Grund dafür sind die immer deutlicher
aufbrechenden Differenzen mit der Europäischen Union.
SPIEGEL: Ausgerechnet das militärisch schwache, politisch uneinige
und wirtschaftlich angeschlagene Europa soll die USA herausfordern können?
Kupchan: Gemessen am Wohlstand, an der hohen Bevölkerungszahl und am
diplomatischen Einfluss gibt es nur eine Staatengruppe in der Welt, die gegenüber
Amerika ihre Stellung behaupten kann - eben die EU. Und Europa ist immer häufiger
dabei, genau das zu tun.
SPIEGEL: Zumindest Ihr Verteidigungsminister Donald Rumsfeld scheint
davon nicht viel zu halten. Für ihn ist Europa ein zu vernachlässigender
Kontinent, dem jede gemeinsame Identität fehlt.
Kupchan: Eine solche Haltung ist nicht nur falsch, sondern sogar gefährlich.
Sie vertieft die transatlantische Kluft. In dem Maß, in dem die Vertreter
dieser Position Europäer für ängstliche Bremser und Feiglinge halten, schüren
sie anti-amerikanische Vorbehalte in der Alten Welt und fördern deren
Zusammenschluss gegen die Weltmacht. So könnte paradoxerweise die Regierung von
George W. Bush das Beste sein, was Europa derzeit widerfährt.
SPIEGEL: Wird der jetzt drohende Krieg im Irak das Auseinanderdriften
der transatlantischen Partner verstärken?
Kupchan: Dafür spricht einiges. Dabei geht es weniger um die Frage,
ob es zum Krieg kommt, als darum, wie diese Entscheidung getroffen wird. Die USA
müssen die europäische Ã-ffentlichkeit von der Notwendigkeit eines Waffengangs
überzeugen. Legen sie dafür keine schlagenden Beweise vor, werden sie allein
oder nur mit den Briten in die Wüste marschieren. Damit jedoch wäre das
amerikanisch-europäische Verhältnis irreparabel beschädigt.
SPIEGEL: Laufen die Europäer nicht Gefahr, wie begossene Pudel
dazustehen, sollte es den USA gelingen, nach einem schnellen Sieg unter dem
Jubel einer befreiten Bevölkerung in Bagdad einzuziehen?
Kupchan: Kein Zweifel, den Krieg werden wir gewinnen, nicht aber den
Besatzungsfrieden danach. Bush überschätzt maßlos, was militärische Macht
erreichen kann. Wir können die politische Zukunft eines Landes nicht mit
unseren Bajonetten formen. Schon möglich, dass Iraker in den Straßen tanzen -
vielleicht 48 Stunden lang oder sogar 48 Tage, aber kaum sehr viel länger.
SPIEGEL: Was dann?
Kupchan: Einen Monat oder auch ein Jahr nach einem Sieg droht ein gefährlicher
Rückschlag. Dann werden die Iraker nicht mehr Blumen werfen, sondern mit Kugeln
auf amerikanische Soldaten zielen. Wenn die ersten GIs in Leichensäcken
heimkehren, werden auch treue Republikaner revoltieren und auf Abzug drängen.
Die meisten Bush-Wähler sind keine Interventionisten. Sie folgen der Außenpolitik
ihres Präsidenten vor allem wegen des patriotischen Overdrives, den wir seit
dem 11. September eingelegt haben.
SPIEGEL: Wird dieses Risiko in Washington nicht gesehen?
Kupchan: Dort herrscht noch immer die naive Vorstellung, wir besetzen
den Irak, und umgehend entfalten sich im gesamten Nahen Osten die Blüten von
Liberalismus und Demokratie - als ob sich dann die gefräßige Raupe des
militanten Islam in einen bunten Schmetterling verwandeln würde, der nur noch
friedliche Glaubensbotschaften in die Welt trägt. Die Bush-Administration
glaubt in ihren Träumen ganz fest daran, gewissermaßen im Handstreich auch
tief verwurzelte Langzeitprobleme lösen zu können. Wenn die Träumer
aufwachen, werden sie feststellen, dass sie bis über den Kopf im Morast
stecken.
SPIEGEL: Ist Europas Diplomatie demgegenüber realistischer oder
einfach nur zaudernder?
Kupchan: Die Differenzen resultieren aus einem unterschiedlichen Verständnis
der internationalen Ordnung. Washington sieht derzeit internationale
Organisationen vor allem als eine Beeinträchtigung der amerikanischen Souveränität.
Für die Europäer sind sie unverzichtbare Instrumente zur Gestaltung des
internationalen Systems. Während es Europa also mehr um Regeln des globalen
Miteinanders geht, ist die Regierung Bush vor allem an der Verteilung von Macht
interessiert. Inzwischen hat sich der Präsident ganz der neokonservativen
Vision verschrieben, dass aus einer Welt, die sich in Gut und Böse teilt - und
in der wir natürlich die Guten sind -, das Böse mit aller Macht vertrieben
werden muss.
SPIEGEL: Militärisch, wirtschaftlich und in der Ausübung politischer
Macht ist Amerika dem Rest der Welt weit enteilt. Wie kann Europa da dem großen
Bruder noch in den Arm fallen?
Kupchan: Niemand wird die USA überholen. Aber darum geht es auch gar
nicht, sondern um die Frage, ob diese amerikanische Vorherrschaft konkurrenzlos
bleibt. Und das bleibt sie auf Dauer eben nicht. Das Erstarken Europas bringt
den alten Kontinent zwar nicht auf die Überholspur, verleiht ihm aber schon
jetzt so viel zusätzliches Gewicht, dass er abweichende Meinungen gegen die USA
durchsetzen kann. Denken Sie nur an die Irak-Resolution 1441. Die hat der
Sicherheitsrat zwar einstimmig verabschiedet, aber erst nachdem die Europäer in
einem achtwöchigen Ringen wesentliche Änderungen des amerikanischen Entwurfs
erreicht hatten...
SPIEGEL: ... ohne damit letztlich Washington von einem Alleingang
abhalten zu können, sollte sich Bush dazu entschließen. Lassen sich die USA überhaupt
noch einbinden in das System internationaler Organisationen?
Kupchan: Ich kann den Europäern nur raten, ihre gegenwärtige
Position zu halten. Zurzeit ist die Welt durch die übermächtigen USA aus dem
Gleichgewicht geraten. Auch innenpolitisch fehlt bei uns angesichts der
Vorherrschaft der Neokonservativen in Regierung und Kongress und der schwächelnden
Demokraten jedes Gegengewicht. Dazu kann derzeit weltweit nur die EU
heranwachsen.
SPIEGEL: Aber Europa ist noch weit davon entfernt, mit einer Stimme zu
sprechen, und hat sich bei internationalen Krisen - etwa auf dem Balkan und in
Afghanistan - nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
Kupchan: Auf dem Balkan und bei der Friedenstruppe in Afghanistan
stellen die Europäer bereits weitaus mehr Soldaten als die USA. Schon möglich,
dass der technologische Vorsprung der US-Streitkräfte uneinholbar bleibt.
Dennoch kann ein gestärktes Europa dazu beitragen, dass sich die
internationalen Beziehungen nicht weiter militarisieren, die Bedeutung
bewaffneter Macht also abnimmt.
SPIEGEL: Was raten Sie denn Ihrer Regierung, die die heraufziehende
Konkurrenz aus Europa nicht gerade zu fürchten scheint?
Kupchan: Jetzt hat sie noch die Chance, der ganzen Entwicklung eine
freundschaftlich-friedliche Richtung zu geben. Steckt sie jedoch weiterhin den
Kopf in den Sand, kann sich aus fruchtbarem Wettbewerb schnell ein feindliches
Gegeneinander entwickeln.
SPIEGEL: Hat es denn je eine Großmacht gegeben, die ihren Rang
freiwillig geräumt hätte?
Kupchan: Durchaus. Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Briten sich
aus ihren Weltmachtpositionen zu verabschieden. Sie haben diese den
aufstrebenden Amerikanern überlassen, ohne dass darüber ein Schuss gefallen
oder auch nur Feindschaft entstanden wäre. Damals haben wir gesagt: Mach Platz,
Europa. Nun ist Europa wieder da, und es ist an uns, Raum zu geben.
SPIEGEL: Haben Sie schon irgendwelche Anzeichen für eine solche
Haltung bei der gegenwärtigen Regierung entdecken können?
Kupchan: Die Regierung Bush scheint fest davon überzeugt, auf ewig
die einzige Supermacht zu bleiben. Ihre Strategie zielt nur darauf, diesen
Zustand zu erhalten und jeden potenziellen Aufsteiger mit aller zur Verfügung
stehenden Macht unter dem Daumen zu halten.
Wenn ich Recht habe damit, dass der Wandel gleichwohl bereits in vollem Gang
ist, dann ist dies genau die falsche Strategie. Mein praktischer Rat an Präsident
Bush würde daher lauten: Tue genau das Gegenteil von dem, was du heute tust -
übe Zurückhaltung, und gehe auf keinen Fall auf eigene Faust vor. Denn wenn
sich der Eindruck verstärkt, dass die USA kein freundlicher Riese, sondern ein
räuberischer Gigant sind, wächst der Widerstand, und wir geraten in ein gefährliches
Fahrwasser.
<font size="-2">INTERVIEW: SIEGESMUND VON ILSEMANN, ROMAIN LEICK</font>
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