-->Dienstag, den 28.01.2003
22.15 - 23.00
Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?
Feldzug gegen Babylon (2/4)
Im Irak wird sich erweisen, ob sich der Krieg gegen das Böse, den Präsident Bush gegen den weltweiten Terrorismus angekündigt hat, durch massives, blitzschnelles Zuschlagen entscheiden lässt, oder ob Amerika in einen endlosen Abnutzungskrieg verwickelt wird. Mit dem Diktator Saddam Hussein hat Washington eine alte Rechnung zu begleichen. Früher war er einmal der Verbündete der USA gegen den schiitischen Gottesstaat des Ayatollah Khomeini. Ist er heute wirklich in der Lage, die gesamte Welt mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen, wie im Pentagon behauptet wird?
Die Beseitigung dieses babylonischen Herrschers ist beschlossene Sache, aber der Verdacht drängt sich auf, dass es bei dieser Kampagne im wesentlichen um die gewaltigen Petroleumreserven der Arabischen Republik Irak geht.
Eine Chronik von Peter Scholl-Latour. (Teil 3 morgen um 22.15 Uhr)
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Wie oft ist mir die Frage nach diesem überstürzten Abbruch
der Feindseligkeiten am Morgen des 28. Februar 1991 gestellt
worden. General Schwarzkopf hätte doch höchstens zweier
zusätzlicher Tage bedurft, um in Bagdad einzumarschieren. Aus
der saudischen Wüste waren die Vorhuten - ohne auf
Widerstand zu stoßen - bis auf hundertfünfzig Kilometer an die
Hauptstadt herangerückt. Selbst die unzureichend gerüstete
französische Brigade »Daguet« rollte nach vorn, was die
Motoren ihrer Panhard-Straßenpanzer hergaben. Die Iraker
leisteten keinen Widerstand mehr und flüchteten in hellen
Scharen nach Norden. Der militärische Sieg der USA konnte
nicht kompletter sein. Der Untergang Saddam Husseins schien
besiegelt. Dennoch wurde das Unternehmen »Wüstensturm«
zum großen Arger des amerikanischen Oberbefehlshabers
Norman Schwarzkopf voreilig abgeblasen.
Die Erklärungen sind vielfältig und oft widersprüchlich. Der
damalige Stabschef der US-Streitkräfte, General Colin Powell,
der heutige Außenminister, wollte bei einer Besetzung
Mesopotamiens offenbar nicht in einen »protracted warfare«, in
einen »Quagmire«, so hieß es in Vietnam, verwickelt werden.
Häuserkämpfe in Bagdad hätten sehr blutig werden können,
nachdem bisher nur 126 Soldaten gefallen waren, darunter 79
Amerikaner. Diese Verluste waren zudem noch überwiegend
durch sogenanntes »friendly fire« oder Unfälle verursacht
worden. Die Scud-B-Raketen Saddam Husseins wurden erst
dann wirklich gefährlich, wenn sie von dem völlig
unzureichenden Abfangsystem »Patriot« zufällig getroffen
wurden und mit erhöhter Splitterkraft einschlugen.
Die offiziellen Sprecher des Weißen Hauses haben behauptet,
der Krieg und vor allem die Luftangriffe gegen die flüchtenden
Iraker seien eingestellt worden, um kein namenloses Gemetzel
beim Gegner anzurichten. Diese Darstellung, die von manchen
deutschen Kolumnisten nachgebetet wurde, kann niemanden
überzeugen, der amerikanische Bombardements am 17.
Breitengrad in Vietnam oder im Mekong-Delta miterlebt hat.
Die Schätzungen über die im Krieg getöteten Iraker schwanken
erheblich, variieren zwischen 85 000 und 150 000 Opfern. Aber
sie beziehen sich fast ausschließlich auf das gewöhnliche
Fußvolk, auf die Masse der schlecht ausgerüsteten Divisionen,
die im südlichsten Abschnitt von Kuweit und Umgebung
massiert waren und denen in den meisten Fällen kein Pardon
gegeben wurde. Die Eliteeinheiten des Regimes, die
»Republikanische Garde«, etwa 80 000 Mann mit ihren
modernen T-72-Panzern, waren auf Anordnung Saddam
Husseins in rückwärtigen Stellungen disloziert worden und
wurden von der US-Air Force aus mysteriösen Gründen
weitgehend verschont.
Eine andere offizielle Erklärung besagt, George Bush senior
habe vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen lediglich den
Auftrag zur Befreiung Kuweits und nicht zum Vormarsch auf
irakisches Territorium erhalten. Doch wer wäre schon dem US-Commando
in den Arm gefallen, als es um die Eliminierung des
»Kriegsverbrechers« Saddam ging, und seit wann scherte
Washington sich so skrupulös um UN-Resolutionen. Im
Gegenteil, es kam weltweite Enttäuschung auf, als sich
herausstellte, daß der Diktator von Bagdad sich an der Macht
behaupten würde. Schon bekamen die amerikanischen Strategen
den Vorwurf zu hören, den einst ein karthagischer Unterführer
an den siegreichen Feldherrn Hannibal gerichtet hatte, als dieser
sich nach einer Serie beispielloser Siege weigerte, ohne Verzug
zur Eroberung Roms auszuholen: »Vincere scis, Hannibal,
victoria uti nescis - zu siegen verstehst du, Hannibal, den Sieg
zu nutzen verstehst du nicht.«
Die wirklichen Überlegungen, die dem plötzlichen Stillhalten
der US-Streitkräfte zugrunde lagen, waren anderer Natur. Weder
die USA noch deren saudiarabische Verbündete besaßen
irgendein Interesse an der staatlichen Auflösung der irakischen
Republik. Eine entscheidende Schwächung der tyrannischen
Zentralgewalt in Bagdad hätte diversen separatistischen
Tendenzen freien Lauf gelassen. Die Bevölkerung des
Zweistromlandes setzt sich bekanntlich zu sechzig Prozent aus
Schiiten zusammen, die vor allem südlich der Hauptstadt und im
Umkreis von Basra eine erdrückende Mehrheit bilden. Die
Gründung eines schiitischen Gottesstaates im Südirak nach dem
Vorbild der Khomeini-Revolution wäre in Teheran zwar mit
Begeisterung aufgenommen worden, hätte jedoch beim
saudischen Königshaus die Befürchtung genährt, nun werde
diese religiöse Hochstimmung auch auf jene Schiiten
übergreifen, die in der saudischen Erdölprovinz El Ahsa stark
vertreten sind.
Im Norden wäre die Auflösung des Bagdader Staatsapparates
von den Kurden genutzt worden, um im Raum von Mossul,
Kirkuk, Suleimaniyeh eine souveräne Republik zu
proklamieren, was wiederum die türkische Regierung in Ankara
und die dortige Armeeführung, die in Ost-Anatolien einen
sporadischen Partisanenkrieg gegen die Rebellen der PKK
führen, zur militärischen Intervention, ja vielleicht zur
dauerhaften Okkupation der irakischen Nordprovinzen bewogen
hätte. Kurzum, die Erhaltung des territorialen Status quo
erschien den geopolitischen Planern in Washington als das
geringere Übel. Der Geheimdienst CIA ging im übrigen von der
Gewißheit aus, daß Saddam Hussein nach seiner schmählichen
Niederlage vom eigenen Offizierskorps gestürzt würde und daß
man sehr bald in Bagdad mit einem neuen Machthaber
verhandeln könne. Am Tigris ist mir versichert worden, der
irakische Staatschef habe höchstpersönlich das Gerücht dieses
unmittelbar bevorstehenden Militärputsches den amerikanischen
Agenten zuspielen lassen, um George Bush senior in Sicherheit
zu wiegen und sein eigenes Überleben zu ermöglichen. Der
babylonische Präzedenzfall des Frevlers Belsazar, den die Bibel
schildert und den Heinrich Heine in seiner Ballade
popularisierte, hat sich nicht wiederholt: »... Belsazar ward aber
in selbiger Nacht von seinen Knechten umgebracht.« Aus dem
Blitzsieg von »Desert Storm« war ein Pyrrhussieg geworden.
Daran konnte auch der römisch anmutende Triumphzug des
General Schwarzkopf an der Spitze seiner Soldaten auf der Fifth
Avenue von New York nichts ändern.
<ul> ~ Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?</ul>
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