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Die Krise im Nahen Osten könnte zum Stolperstein für die Wirtschaft am Bosporus werden
von Nando Sommerfeldt
Berlin - Es kann der Nachbar nicht in Frieden leben... Umso schwerer, wenn es sich dabei um Saddam Hussein handelt. Mit dieser Tatsache dürfte das derzeitig schlechte Befinden des türkischen Kapitalmarktes zu erklären sein. Keine andere Volkswirtschaft ist so unmittelbar in den Irak-Konflikt verwickelt wie der Türkei. Ein Blick auf die Entwicklung des Aktienindex im Vergleich zu anderen Emerging Markets bestätigt das. Allein in den vergangenen Monaten hat der ISE 100 fast ein Drittel an Wert verloren.
„Es gibt zu viele Risiken“, sagt Tolga Ediz, Analyst von Lehman Brothers. Mit dem Irak fällt ein wichtiger Außenhandelspartner weg. Hier sind deshalb kurzfristig unmittelbare Einbußen zu erwarten. „Als Nachbarland ist die Türkei um ein vielfaches betroffen“, sagt Manfred Zourek, Fondmanager des ESPA Stock Istanbul. „Ein langer Konflikt würde zum Beispiel für die Reise- und Tourismusbranche in diesem Jahr einen Totalausfall bedeuten.“ Die neuen Probleme kommen äußerst ungelegen. Denn die Türkei war gerade wieder auf dem Weg der Besserung. Nach dem Krisenjahr 2001, hatte sich die Wirtschaft zuletzt wieder deutlich erholt. „Das Land ist nach der schlimmsten Finanzkrise der Nachkriegsgeschichte wieder auf dem richtigen Weg“, sagt Mike Bayer, Fondsmanager des Türkei 75 Plus. „Alle Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wurden locker erfüllt.“ Die Inflationsrate ist von 70 auf rund 30 Prozent im Jahr 2002 zurückgegangen. Gleichzeitig steigerte sich das Wirtschaftswachstum von minus zehn auf plus sechs Prozent. Auch die im November neu gewählte Regierung hatte für neuen Optimismus gesorgt.
Trotzdem kam es in den vergangenen Monaten zu einem „Ausverkauf“, wie es die Analysten von Salamon Smith Barney bezeichnen. Positiv: Die US-Banker sehen inzwischen wieder erste Chancen für lohnende Investments. Fast alle Werte notieren deutlich unter Buchwert und haben einstellige KGV’s. Einziges Manko ist der Irak-Konflikt. „Der ist für die Börse wie ein Klotz am Bein. Ohne diese Belastung, könnten sich die guten fundamentalen Zahlen besser durchsetzen“, sagt Fondsmanager Zourek. Doch da ein Krieg unausweichlich erscheint, hoffen die Experten auf eine schnelles Ende der Auseinandersetzung. „Dann könnte die türkische Wirtschaft sogar als Gewinner dastehen“, meint Türkei-Experte Bayer. „Es gibt Gerüchte, wonach die US-Regierung bereits einige Milliarden US-Dollar an Kriegsentschädigung zugesichert hat.“ Die Summe schwankt zwischen fünf und 15 Mrd. Dollar. Damit nicht genug, auch die türkische Bauindustrie kann mit großen Aufträgen bei Wiederaufbau im Irak rechnen.
Nach Bayers Meinung stehen türkische Aktien auf der Wunschliste vieler Investoren. „Aber so lange noch die Kriegsgefahr über dem Nahen Osten schwebt, wird niemand im großen Stil türkische Aktien kaufen.“ Für den deutschen Anleger eignet sich ein Direktinvestment ohnehin nicht. Der Handel mit türkischen Aktien ist in Deutschland nicht liquide, und außerdem sind die Papiere hochspekulativ. Geeigneter ist deshalb ein Fonds. Auch hier ist die Auswahl allerdings sehr begrenzt. Mike Bayer setzt in seinem Fonds Türkei 75 Plus vor allem auf die Indexschwergewichte. So sieht er die Großbank Akbank und den Telekomriesen Türkcell als aussichtsreichste Titel. „Dennoch“, so schränkt er ein, „eigenen sich diese Fonds nur als Beimischung fürs Depot. Denn die kurzfristigen Schwankungen sind noch immer sehr beträchtlich.“
Nach Meinung von Fondsmanager Zourek bracht sich der türkische Aktienmarkt nicht hinter der Konkurrenz aus Europa nicht zu verstecken. Wenn da nur nicht das Problem mit dem ungeliebten Nachbarn wäre.
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