--><font size="5">Die Iraker haben es verdient, dass ein Befreiungskrieg für sie geführt wird</font>
von Hussain Al-Mozany
Der Autor ist Exil-Iraker und 1954 im südirakischen Amara geboren. 1978 ging er in den Libanon, 1980 wanderte er nach Deutschland aus.
Zuletzt erschien von ihm"Mansur oder Der Duft des Abendlandes" (Reclam, Leipzig, 271 S. 19,90 €)
In den südlichen Gebieten Iraks pflegen die Menschen einen interessanten Ritus: Wenn sie ein Grundstück erwerben oder um die Hand eines Mädchens anhalten wollen, dann nicht nur für sich selbst, sondern zum Nutzen oder zur Ehre des ganzen Stammes. Sprechen sie nun in einer solchen Angelegenheit bei einem anderen Stamm vor, so reden sie über alles mögliche - nur nicht über das eigentliche Anliegen. Es wird nur mit Anspielungen auf die erfragte Angelegenheit hingedeutet, aber sie wird nie direkt zum Ausdruck gebracht; dies würde ja bedeuten, dass man dem Gesprächspartner unterstellt, er habe das Nichtgesagte missverstanden. Noch wichtiger ist es, den Gesprächspartner nicht unter Zugzwang oder einer ablehnenden Entscheidung gegenüber zu stellen.
Überträgt man diese Verhandlungskunst auf die weltweit entflammte Diskussion um die Irakfrage und den drohenden Krieg, so muss man feststellen: Die Angelegenheit erscheint um so verschachtelter und mysteriöser, je länger man darüber redet. Die Beteiligten und - schlimmer noch - die Nichtbeteiligten verbreiten Nebel um sich und stiften Wirrwarr. In diesem nebulösen Umfeld bahnt sich zielgerichtet die amerikanische und britische Armada gemächlich ihren Weg durch die Gewässer, um endlich den Schurken Saddam Hussein und seine Gefolgsleute zu ergreifen und zu beseitigen.
Zwölf Jahre lang sprach der Weltsicherheitsrat über die Abrüstung Iraks und die Vernichtung seiner Massenvernichtungswaffen, an deren Ende die Aufhebung der Sanktionen stehen würden. Beides wurde nicht erfüllt. Was aber ununterbrochen und systematisch vor den Augen der Weltöffentlichkeit vor sich geht, ist die komplette Verwüstung des Landes und das Quälen seiner Menschen aufgrund verheerender doppelter Strafmaßnahmen - vom UNO-Sicherheitsrat einerseits und von Saddams Schergen andererseits. Das stillschweigende Hinschauen auf eine Katastrophe, die die älteste Kulturnation und eines der reichsten Länder dieser Erde heimsucht, kann man nur als Voyeurismus bezeichnen: als reine Lust am Zusehen der Tragödie der anderen.
Eine Welt, die es nicht fertig gebracht hat, einen millionenfachen Massenmörder aus dem Verkehr zu ziehen, die es trotz unzähliger Gelegenheiten nicht vermochte, eine rechtsstaatliche Ordnung zu errichten, die nicht einmal den richtigen Umgang mit einem Ungeheuer findet, das seine Schwiegersöhne und Enkel umbringt, sollte sich langsam Gedanken über die Rettung eines sterbenden Volkes machen.
Manche demokratische Staaten leisten ungewollt - vielleicht auch unreflektiert - politische und geistige Hilfe für Saddam. Ein blutiger Herrscher, dem es immer wieder gelang, die Welt zu spalten und aus der inneren Dynamik der westlichen Demokratien Vorteile und Überlebenschancen für sich zu herauszuschlagen, der sich die Großzügigkeit der Demokraten zunutze machte, um sein Volk hungern zu lassen, der es zu einem kollektiven Hungerkünstler im kafkaschen Sinne degradierte, fühlt sich noch sicherer und stärker innerhalb dieser bezeichnenden Teilnahmslosigkeit.
Saddam durfte Länder überfallen, Menschen aus rein rassistischen Gründen vertreiben, chemische Waffen einsetzen, spektakuläre - nach Saddams Sprachgebrauch: „demokratische“ - Exekutionen durchführen, an denen der gesamte Parteikader teilnahm, er durfte die Umwelt verseuchen, die ganze Region terrorisieren, die demokratische Weltordnung herausfordern, ja ihr sogar drohen, den fanatischen, religiös motivierten Gruppen den Nährboden bereiten - und doch kam er immer wieder ungeschoren davon, eben Dank der „nicht beabsichtigten“ Unterstützung demokratischer Staatsmänner.
Und jeder hat seinen Einwand parat: Man will kein Risiko eingehen. Wenn man interveniere, würde das Land, dessen Grenzen die Briten und nicht der Völkerbund festgelegt hatten, auseinanderfallen und ein neuer Diktator oder gar ein Schiit an seine Stelle rücken. Die Amerikaner schauten lediglich auf das für ihren motorisierten Lebensstil unentbehrliche Ã-l, sie hätten nichts anderes im Sinn als ihre geopolitischen Interessen, einschließlich der Sicherheit Israels. Die Opposition sei schwach, zerstritten, argumentiert man, aus diesen Gründen verbiete sich logischerweise ein Eingreifen. Die Iraker sollten ihre Sache lieber selber regeln.
Doch im Eifer der Argumentation vergessen die plötzlich aus dem Boden gestampften Pazifisten eine entscheidende Tatsache: Im Irak wüten die schlimmsten Sanktionen, welche die Vereinten Nationen jemals verhängt haben. Es handelt sich um eine vom höchsten internationalen Gremium legitimierte kollektive Bestrafung. Niemand wollte die Folgen dieser Maßnahmen auf sich nehmen. Wie dem auch immer sei: an dieser aussichtslosen Lage sind zwei Parteien beteiligt, ein entschlossener Saddam Hussein und der gespaltene Weltsicherheitsrat. Während der eine ausschließlich um seinen Kopf fürchtet, versucht die andere Seite mit Ausreden, diesen Kopf zu schonen. Dabei wäre es selbst bei einem normalen Verbrechen absurd, wenn man dem Mörder die Tatwaffe abnähme, ihn selbst aber freiließe.
Saddam war lange Zeit vor den Sanktionen Großverbrecher. Amerikaner und Europäer haben seine Taten ungeahndet hingenommen; sie haben ihm in seinem Krieg gegen den Iran sogar Hilfe geleistet. Die Geschichte wird ihnen diese mangelnde Courage und fehlende menschliche Solidarität nie verzeihen. Deshalb darf das auf der Basis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vereinigte Europa nicht noch einmal den verheerende Fehler begehen, einem blutigen Herrscher freie Hand zu lassen, ihm zu ermöglichen, unschuldige irakische Menschen zu schlachten, die Nachbarländer zu terrorisieren und die ganze Welt in Angst und Schrecken zu versetzen. Jede Sekunde im Leben der Bagdader Herrschaft bedeutet weiteres Elend für die Iraker und mehr Unsicherheit für die Welt.
Maßstab einer Völkergemeinschaft, die diesen Namen wirklich verdiente, ist es nicht allein, die Massenvernichtungsmittel eines Landes zu vernichten; sie muss die Verursacher dieses Übels ächten, isolieren und bekämpfen. Sie darf nur jenen Staaten eine Chance gewähren, die im eigenen Land die Menschenrechte achten. Nicht nur Paragraphen und Resolutionen sind wichtig (auch nicht die vom UNO-Sicherheitsrat beschlossenen), sondern auch der Gerechtigkeitssinn der Völkergemeinschaft. Denn den Irakern macht es keine Freude, jedes Mal mit anzuschauen, wie Saddam diese Resolutionen aus purem Überlebensinstinkt tüchtig unterschreibt, damit die Waffeninspekteure, die ja inzwischen zu makabren Weltstars avanciert sind, nach verbotenen Waffen suchen - während sie dafür mit ihrem eigenen Brot und eigener Medizin bezahlen.
Sie wollen eine Lösung, eine endgültige Entscheidung. Eine von Kriegen, Angst und Hunger gemarterte Bevölkerung mit der höchsten Kindersterblichkeit der Welt erwartet von der freien Welt ein gewisses Erbarmen, auch wenn dieses Wort viel von seiner Originalität eingebüßt hat. Die Deutschen müssen dabei wenigstens einen humanitären Beitrag leisten: nicht indem sie sich zu den amerikanischen Plänen querstellen, sondern indem sie den alltäglichen Krieg Saddams gegen die eigene Bevölkerung stoppen. Denn nur darauf kommt es an.
Die meisten hier in Deutschland vorgetragenen Argumente, die gegen eine militärische Intervention im Irak sprechen, sind leider hinfällig - trotz der guten Absichten, die dahinter stecken mögen. Die irakische Führung unter Saddam hat alles getan, um das Land schließlich vor diese einzige Möglichkeit zu stellen: den militärischen Einsatz.
Sie hält sich an kein internationales Abkommen, sie hat die Souveränität des Landes preisgegeben und de facto die Teilung des Landes in einen kurdischen und einen arabischen Staat ermöglicht, die konfessionelle Spaltung wiederbelebt, den Terror gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen wie die Schiiten, aber auch missliebige Militärangehörige betrieben und zuletzt den verbalen Krieg dahin gesteigert, dass der irakische Vizepräsident ganz offen davon spricht, Selbstmordkommandos nach palästinensischem Muster zu organisieren. Diese Auseinandersetzungen nahmen nun die Amerikaner zum Anlass, den bevorstehenden Krieg noch konsequenter durchsetzen zu wollen. Jetzt spricht Condoleezza Rice offen davon, den Irak nach dem Sturz Saddams unter direkte amerikanische Militärverwaltung zu stellen. Und genau diese Provokation beabsichtigt der irakische Despot.
In diesem Durcheinander sind keine klaren Positionen der Kriegsgegner zu erkennen, obwohl sie gerade jetzt gefragt sind, mäßigend auf die amerikanische Intervention zu wirken - vor allem in der Frage von Saddams Nachfolger.
Wenn die Iraker auch mit einem kurzen Militäreinsatz zum Sturz des „irakischen Revolutionsrates“ einverstanden wären, wird man doch keinen einzigen Iraker finden, der das Land unter der Obhut amerikanischer Gewalt sehen will - es sei denn für eine Übergangszeit. Die einzige Vision, die von der Mehrheit der irakischen Bevölkerung halbwegs akzeptiert werden kann, ist die, dass man den Irak unter ein direktes UNO-Mandat stellt, mit der Aussicht, gezielt und behutsam einen demokratischen Prozess einzuleiten, an dessen Ende eine gewählte irakische Regierung stehen wird.
Die Amerikaner haben oft bewiesen, dass gewaltsame Demokratisierung möglich ist. Man muss endlich über die Tragödie der Menschen im Irak sprechen. Wenn die Entschlossenheit der Amerikaner und ihrer Verbündeten auch reichlich spät kommt, lohnt es sich dennoch, dass man sich dafür einsetzt, das Elend der Iraker ein für allemal zu beenden, ihnen die Freiheit zu geben und sie in die Völkergemeinschaft zurückzuführen.
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