-->Aus der FTD vom 10.3.2003
www.ftd.de/versicherung
Pflegekassen sprengen den Etat-Rahmen
Von Philipp Jaklin, Berlin
Die gesetzliche Pflegeversicherung hat im vergangenen Jahr den bislang größten Verlust seit ihrer Gründung erwirtschaftet. Die Gründe: mehr Pflegebedürftige und Arbeitslose.
"Die Ausgaben sind 2002 um 501 Mio. Euro gestiegen, die Beitragseinnahmen aber um 90 Mio. Euro gesunken", sagte der Präsident des Bundesversicherungsamts, Rainer Daubenbüchel, der FTD. Das daraus resultierende Defizit in Höhe von 400 Mio. Euro sei die"bisher größte Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben".
Das Rekordminus erhöht den Druck auf Rot-Grün, die seit 1995 existierende Pflegeversicherung nachhaltig zu reformieren. Die Experten der Rürup-Kommission diskutieren gerade verschiedene Reformmodelle, die bis hin zur Abschaffung der Versicherung reichen. Derzeit liegt der Beitragssatz bei 1,7 Prozent.
Ein bedeutender Grund für das Defizit: Immer mehr ältere Menschen müssen gepflegt werden. Daubenbüchel zufolge ist die Zahl der Pflegefälle von 1,547 Millionen im Jahr 1996 auf 1,840 Millionen im Jahr 2001 gestiegen. Zugleich brechen wegen der hohen Arbeitslosigkeit und des wachsenden Rentneranteils die Beiträge weg. Besonders kostenträchtig ist der Trend, dass Familien ihre Angehörigen nur mehr ungern zu Hause versorgen wollen. Die Zahl der stationären Pflegefälle explodierte zwischen 1996 und 2001 geradezu: von 385.000 auf 578.000. Nur gering wuchs die Anzahl ambulanter Pflegefälle auf 1,26 Millionen.
In wenigen Jahren könnte es eng werden
Noch haben die Pflegekassen ihre Finanzen wegen des gesetzlich vorgeschriebenen Polsters im Griff. Die Rücklagen stiegen 2002 sogar leicht auf 4,86 Mrd. Euro - allerdings nur, weil der Bund ein Darlehen zurückzahlte und den Verlust damit ausglich. Schon binnen weniger Jahre könnte es jedoch eng werden."Jetzt kommen allmählich die geburtenstarke Jahrgänge ins pflegebedürftige Alter", warnt Daubenbüchel. Sollte der Trend anhalten, hätten die Rücklagen beim Bonner Aufsichtsamt in fünf Jahren ihre Untergrenze erreicht.
"Bei Beibehaltung des jetzigen Rechts ist der Beitragssatz weit über 2010 hinaus gesichert", hält das Sozialministerium dagegen. Eine Zuversicht, die der renommierte Ã-konom Bernd Raffelhüschen nicht teilt. Der Experte der Rürup-Kommission erwartet, dass der Beitrag spätestens ab 2006 steigen muss. Bis zum Jahr 2055 könne der Satz im ungünstigsten Fall auf 6,6 Prozent hochschnellen, so seine Prognose.
© 2003 Financial Times Deutschland
<ul> ~ Pflegekassen sprengen den Etat-Rahmen </ul>
|