-->19/03/2003 (11:49)
FEATURE-Flaggenboom in USA schwimmt auf Welle des Patriotismus
- Von Erik Kirschbaum -
Los Angeles, 19. Mär (Reuters) - Die USA gleichen an manchen Stellen einem einzigen Flaggenmeer: Millionen Fahnen mit den"Stars and Stripes" zieren Wohnhäuser wie Wolkenkratzer, Flughäfen und Bahnhöfe, Pullover oder Biergläser - selbst Jogger tragen US-Fähnchen an den Kopfhörern ihrer Walkmans und einige Frauen heften sich Fahnen auf ihre Bikinis am Strand. Auch viele TV-Moderatoren stecken sich wie der Präsident"Stripes"-Knöpfe ins Knopfloch ihrer Sakkos. Seit den Anschlägen vom 11.
September 2001 erfreuen sich die"Stars and Stripes" ungeahnter Popularität - die Irak-Krise gibt der Flaggenbegeisterung nun noch einen zusätzlichen Schub. Selbst einige Kriegsgegner zeigen demonstrativ Flagge.
"Wir zeigen unsere Fahne, weil wir stolz auf unser Land sind", sagt Patty Gmuer, eine 49-jährige Hausfrau."Wir wollen damit den Terroristen klar machen, dass wir keine Angst haben und alle bekämpfen, die uns unsere Freiheit nehmen wollen." Die Welle des Patriotismus treibt für Europäer bisweilen verrückte Blüten: Neben dem Luftwaffenstützpunkt Vandenberg in Kalifornien haben Amerikaner auf einer 2,7 Hektar großen Fläche zwei Millionen rote, weiße und blaue Blumen nach dem Bild einer US-Fahne gepflanzt. Andere Fahnen sind so groß wie ein Hochhaus.
Die Werbefirma Saatchi & Saatchi aus Los Angeles ließ sich auch dann nicht vom patriotischen Bekenntnis abbringen, als eine 27 mal 18 Meter große und 113 Kilogramm schwere Fahne vom Dach eines fünfstöckigen Hochhauses krachte und 45 Scheiben zu Bruch gingen - und ersetzte die Fahne durch ein Banner."Wir wollten ein Zeichen setzen, dass wir stolz sind, Amerikaner zu sein und uns nicht einschüchtern lassen", sagte Firmenchef Scott Gilbert.
KRITISCHE STIMMEN ZUM FAHNENKULT
Bei allem Fahnenkult verstummen aber auch kritische Stimmen nicht."Es stört mich, dass diejenigen, die nicht Flagge zeigen, wie ich und meine Kollegen, als nicht-patriotisch angesehen werden", sagte der in den USA angesehene Fernsehmoderator Ted Koppel in einer Talkshow des TV-Senders"ABC"."Ich würde keine Flagge tragen, weil das wie eine Uniform aussieht", ergänzte der Journalist David Martin. ABC-Nachrichtenchef David Westin sagt, er habe seinen Reportern untersagt, Fahnen zu tragen."Ich denke, unsere patriotische Pflicht ist es, unabhängig und objektiv zu sein." Dem hält aber der pensionierte General George Joulwan entgegen:"Ich denke, Fahnen sind ein Symbol für Einigkeit in unserem Land."
Selbst Kriegsgegner zeigen Flagge - allerdings aus anderen Gründen."Die Fahne wird missbraucht", begründet der angesehene Fernsehjournalist Bill Moyers vom öffentlich-rechtlichen PBS-Kanal ein Flaggenpin bei Sendungen zu tragen. Er zeige Flagge, um der vorherrschenden Auffassung zu widersprechen, alle ohne solches Bekenntnis seien unamerikanisch."Ich habe die Flagge angeheftet, um mich daran zu erinnern, dass nicht jeder patriotische Amerikaner glaubt, wir müssten den Menschen in Bagdad dasselbe antun, was Bin Laden uns angetan hat."
Millionen Amerikaner seien gegen den Irak-Krieg, sagte der"PBS"-Journalist in einem Kommentar. Es sei absurd, deswegen ihren Patriotismus in Frage zu stellen."Die Fahne gehört dem Land, nicht der Regierung." Es erinnere ihn daran, dass es nicht unamerikanisch sei, zu denken, dass ein Krieg - sofern nicht aus Selbstverteidigung - ein Scheitern moralischer Vorstellungen und Diplomatie sei."Gegen die Regierung Stellung zu beziehen, kann bedeuten, für sein Land Stellung zu beziehen."
Auch einige Amerikaner sind verängstigt."Das Flaggenwehen seit dem 11. September 2001 zeigt, wie effektiv die Regierung und die Medien Angst schüren", sagt die Großmutter Sylvia Anderson. Das Ergebnis sei ein Patriotismus, der die Regierung nicht in Frage stelle und den"Kampf gegen den Terrorismus" wie ein Footballspiel darstelle.
HERSTELLER REIBEN SICH DIE HÄNDE
Für die Fahnenhersteller hat sich die Welle des Patriotismus in jedem Fall gelohnt."Jeder Trottel hat sich für zehn Dollar eine Fahne für sein Auto gekauft und fährt damit herum wie ein Idiot", spottet Ingrid Grant aus San Pedro in Kalifornien.
"Einige Leute nutzen das aus und verkaufen alles, wo eine Fahne drauf ist." Die großen Einzelhändler Home Depot und Wal Mart, die in den ersten drei Tagen nach den Anschlägen des 11. September 450.000 US-Fahnen verkauft, haben stellen sich derweil auf einen neuen Verkaufsboom ein.
lae/ale
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