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Aus der FTD vom 9.5.2003 www.ftd.de/berlusconi
Silvio Berlusconi - Auf Biegen und Brechen
Von Thomas Fromm, Mailand
Silvio Berlusconi muss fürchten, wegen Korruption ins Gefängnis zu wandern. Um das zu verhindern, versucht der Regierungschef nun, das italienische Justizsystem in aller Eile umzubauen.
Geduldig hat Piero Ricca am Montag vor dem Mailänder Gerichtssaal gewartet - gemeinsam mit Schaulustigen, die einmal den Ministerpräsidenten sehen wollen, und Kameraleuten, die auf gute Nachrichtenbilder hoffen. Drinnen erklärt der wegen Korruption angeklagte Silvio Berlusconi seit einer Stunde seine Unschuld. Dann öffnet sich die Tür. Ein sichtlich erschöpfter Regierungschef tritt heraus. Die Kameras zoomen heran und plötzlich ist Ricca im Bild. Er brüllt so laut, dass man es später in den TV-Nachrichten deutlich hören kann:"Vollidiot, verantworte dich vor Gericht, sonst ergeht’s dir wie Ceausescu!"
Vieles hat Berlusconi schon einstecken müssen - aber der Vergleich mit dem rumänischen Diktator, der 1989 gestürzt und zusammen mit seiner Frau hingerichtet wurde, bringt ihn in Rage:"Identifiziert diesen Mann", ruft Berlusconi und zeigt mit dem Finger auf Ricca. Später zeigt er ihn wegen Verleumdung an.
Die Nerven des italienischen Ministerpräsidenten liegen blank. Seit vorige Woche sein langjähriger Intimus und Anwalt Cesare Previti in erster Instanz zu elf Jahren Haft verurteilt wurde, weiß Berlusconi: Auch er muss die Justiz fürchten. Es wird immer wahrscheinlicher, dass er noch diesen Sommer zu einer Haftstrafe verurteilt wird - kurz bevor Italien die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Die politische Karriere Berlusconis wäre am Ende, sein Firmenimperium in Gefahr. Um einer Verurteilung zu entgehen, versucht der bedrängte Ministerpräsident nun, das Justizsystem umzubauen, wo er nur kann.
Berlusconi gab Drängen nach
Der smarte Mailänder droht über den letzten großen Prozess zu fallen, der gegen ihn anhängig ist: Die Ermittler wollen Berlusconi nachweisen, dass er Mitte der 80er Jahre bei der Privatisierung der staatlichen Lebensmittelkette SME Richter bestochen hat, um selbst zum Zuge zu kommen. Am Montag erklärte Berlusconi den Mailänder Richtern großspurig, der damalige Iri-Präsident und heutige EU-Kommissionschef Romano Prodi habe die SME zu einem"Schleuderpreis" abgeben wollen. Nur auf Drängen des damaligen Staatspräsidenten Bettino Craxi habe er sich eingeschaltet - um dem Staat zu höheren Einnahmen zu verhelfen.
Wie angespannt der 67-jährige Milliardär ist, lässt sich nicht übersehen. Immer öfter rastet der Medienprofi in diesen Wochen vor laufenden Kameras aus oder vergreift sich vor Radiomikrofonen im Ton. Die mit seinen Fällen betrauten Richter nannte er kürzlich ein"Putschregime". Vor einigen Tagen legte er nach:"In keiner Demokratie auf dieser Welt werden Politiker von Richtern politisch verfolgt, nur hier in Italien."
Journalisten beschimpft der Regierungschef als"Propagandainstrumente der Linken". Auf die Opposition drischt er ein, weil sie ihn"nicht in Ruhe arbeiten" lasse."Berlusconi macht mit seinem Größenwahn Angst", schreibt der Mailänder Publizist Giorgio Bocca. Mit lauten Tönen versucht er jene einzuschüchtern, die seiner politischen Karriere ein jähes Ende setzen könnte."Wer einmal von Berlusconi gebürstet wurde, ist ruhig gestellt", weiß ein Insider in Rom.
Immunität soll wieder eingeführt werden
Darauf allein mag der Regierungschef in seiner prekären Lage nicht vertrauen. Schon jetzt hat der Regierungschef angekündigt, er werde alles daransetzen, die im Zuge der Korruptionsprozesse der 90er Jahre abgeschaffte Immunität für Parlamentarier im Eiltempo wieder einzuführen. Damals hatten die Bürger in einem landesweiten Referendum für die Abschaffung der Immunität gestimmt.
Dem Ministerpräsidenten schweben zwei Initiativen vor: Eine erste soll die Inhaber der fünf höchsten Staatsämter vor Strafverfahren schützen. Mit Hilfe einer weiteren sollen sich auch die Abgeordneten der Justiz entziehen können. Die politische Mehrheit im Parlament hätte er für seine Vorstöße. Die Opposition ist entrüstet:"Eine Wiedereinführung der Immunität wäre die Mutter aller Schanden", empört sich Francesco Rutelli vom Parteienbündnis Margherita. Die Amnestie wäre für Berlusconi, dem die Nummer zwei der sizilianischen Mafia, Antonio Giuffré, beste Kontakte zur italienischen Unterwelt nachgesagt hat, die eleganteste Lösung, einer Haftstrafe zu entgehen.
Scheitert seine Initiative und wird er verurteilt, will sich der Regierungschef der Justiz trotzdem nicht beugen. Er wird den Richterspruch vermutlich nicht akzeptieren und einfach im Amt bleiben. Im schlimmsten Fall müsste er sich Neuwahlen stellen:"Nur das Volk kann über Berlusconi entscheiden", sagt Justizminister Roberto Castelli.
Erneuter Husarenstreich
Die verwegenen Pläne des Ministerpräsidenten erinnern an den Rundumschlag zu Beginn seiner Amtszeit 1994, als er sich mit seinem über Nacht zusammengewürfelten Wahlverein Forza Italia zum Regierungschef küren ließ. Zuvor war der frühere sozialistische Ministerpräsident Bettino Craxi wegen Korruption zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt worden. Damals spekulierten die politischen Beobachter: Was würde der arrivierte Unternehmer Berlusconi tun, jetzt, da sein Mentor weg war, der jahrelang die schützende Hand über ihn gehalten hatte? Zahlreiche Verfahren waren gegen den Firmengründer anhängig: wegen Richterbestechung, Steuerhinterziehung, Bilanzfälschung. Berlusconi tat, was er tun musste: Er ging selbst in die Politik.
Zunächst lief alles nach Plan: Der Mailänder zog mit Hilfe seiner satten Parlamentsmehrheit eine juristische Reform nach der anderen durch. Er ließ die Gesetze zur Bilanzfälschung ändern und stufte das Delikt zu einer Ordnungswidrigkeit herab. Die neuen Regeln galten rückwirkend - über Nacht hatte sich der Regierungschef eine ganze Reihe von Problemen vom Hals geschafft.
Berlusconi ging noch weiter, um seinen Kopf aus der Schlinge ziehen: Besteht gegenüber einem Richter der Verdacht der Befangenheit, kann nunmehr der Angeklagte beantragen, den Prozessort zu verlegen. Hat er Erfolg, muss das Verfahren komplett neu aufgerollt werden. Die Verjährungsfristen verlängern sich in diesem Fall allerdings nicht. Prozesse können Experten zufolge bis zur Verjährung beliebig verzögert werden."All diese Reformen wurden gemacht, um einem zu helfen: Berlusconi", kritisiert der frühere Mailänder Starermittler Antonio di Pietro, einer der Hauptfeinde des Polit-Unternehmers.
Justizpolitik beherrscht Tagesordnung
Die Gestaltung des Rechtssystems nimmt die Regierung Berlusconi immer stärker in Anspruch."Es geht nicht mehr um dringende Sach- und Reformthemen wie Renten oder Gesundheit, Innenpolitik findet nicht mehr statt", sagt der Journalist einer großen römischen Tageszeitung,"alles, was geschieht, dreht sich nur noch um Berlusconis private Justizprobleme. Er hat sie zur Sache des ganzen Staates und aller gemacht."
Die Agonie des Regierungschefs alarmiert sogar Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi:"Diese ganzen Streitereien blockieren Italien." In den ausländischen Vertretungen stöhnt man, die Regierung Berlusconi sei mit den Vorbereitungen ihrer sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli beginnt, schwer im Verzug."Bei all den brennenden juristischen Problemen hat der Ministerpräsident schlichtweg keine Zeit für europäische Themen", heißt es in Diplomatenkreisen.
Berlusconis Auftritt auf dem europäischen Parkett könnte im Debakel enden - nicht zuletzt wegen der jüngsten Verbalattacke gegen Kommissionschef Prodi, die das Verhältnis zwischen den beiden endgültig zerrüttet hat."Rings um sich herum hinterlässt der Zerstörer Berlusconi nur noch Wüste", sagt der Publizist Bocca.
Missverständnis
Einen Achtungssieg gegen den Regierungschef erzielte der Mailänder Zwischenrufer Ricca. Er gab nach seinem Auftritt am Montag zu Protokoll, er sei in der Menschenmenge falsch verstanden worden. Nicht"Buffone" - Vollidiot - habe er gerufen, sondern"Puffone". Das heißt wörtlich übersetzt in etwa"fetter Schlumpf". Eine Bezeichnung, die den kleinwüchsigen, aber eitlen Berlusconi vermutlich noch härter trifft als der Vergleich mit Ceausescu.
© 2003 Financial Times Deutschland, © Illustration: AP
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