-->SPIEGEL ONLINE - 23. Mai 2003, 9:26
Artikel
Terrorschutz
Amerikas virtuelles Wachbataillon
Von Marc Pitzke
Der US-Unternehmer Jay Walker, Gründer von Priceline.com, will ein Millionenheer privater Online-Spitzel für den Krieg gegen den Terror rekrutieren. Die virtuelle Bürgerwehr, deren Aufstellung Walker von Washington mitfinanzieren lassen möchte, soll Atomkraftwerke und Flughäfen überwachen. Nicht nur Datenschützer sind entsetzt.
AP
Nach eigenen Angaben von patriotischer Pflicht beseelt: Jay Walker
New York - Die Webseite strahlt in den amerikanischen Flaggenfarben weiß, blau und rot. Am rechten Rand lugt die Freiheitsstatue hervor."US HomeGuard", steht darunter."Die Bürgerwehr, die unser Land zu sichern hilft." Interessenten werden gebeten, sich mit Name und Anschrift anzumelden. Jeder, der sich online registriert erhält prompt eine elektronische Antwort:"Vielen Dank. Wir werden Sie bald über unseren Betriebsstand informieren."
Die ebenso karge wie kryptische Homepage mit der Internet-Adresse www.ushomeguard.org eröffnet eine neue Front im Krieg der USA gegen den Terror. Die Webseite soll ein Millionenheer ziviler Bürgerspione rekrutieren, auf dass diese für einen Billiglohn vom Wohnzimmer aus Attentate verhindern und Verdächtige aufspüren.
Ermöglicht würde ihnen das durch ein landesweites, computergestütztes Überwachungsnetz aus Digitalkameras, die ihre Bilder live in die angeschlossenen Privathaushalte beamen - ein virtuelles Wachbataillon fürs 21. Jahrhundert. Die fixe Idee der ferngesteuerten Big Brothers stammt von einem der umtriebigsten Unternehmer und Erfinder der USA: Jay Walker, Gründer des Internet-Schacherdienstes Priceline.com (Flüge, Mietwagen, Hotels) und hauptberuflich Chef einer Patentfirma.
Walkers Besessenheit von dem Terrorschutz begann am 11. September 2001, auf dem Weg zu einem Termin nicht weit vom World Trade Center. Als er die Jets in die Türme jagen sah, stellte er sich gleich die patriotische Frage:"Was kann ich zur nationalen Sicherheit beitragen?" Die Antwort: Online-Nachtwächter.
Terrorschutz als Niedriglohn-Job
Mit solch vaterländischem Pathos jedenfalls illustrierte Walker seinen Einfall kürzlich auf einer Konferenz der Technologie-, Unterhaltungs- und Designbranche im kalifornischen Monterey. Walkers Vortrag war streng vertraulich und"off the record", das Thema schließlich hoch brisant. Zumal der Daniel Düsentrieb des Internets seine Pantoffelhelden-Armee zuerst den obersten Terrorjägern in Washington schmackhaft machen will.
AP
Homeguard-Monitore: Immer auf der Suche nach Verdächtigem
Und zwar so: Technisches Rückgrat soll ein Netz aus zehn Millionen modernster Webcams sein, ausgerüstet mit Sensoren, Infrarotlinsen, Mikrofonen und Warnlautsprechern. Die digitalen Videokameras will Walker auf 47.000 potenzielle, weiche Terrorziele in den ganzen USA verteilen: Atomkraft- und Elektrizitätswerke, Flughäfen, Wasserspeicher, Stauseen, Gas- und Ã-lraffinerien.
Die Kameras leiten alle fünf Sekunden eine Momentaufnahme der Anlagen an ein Datenzentrum weiter. Dessen Software kann erkennen, ob sich im Visierkreis etwas Auffälliges bewegt - Eindringlinge, Saboteure, Unbefugte. Wenn der Computer etwas derartiges identifiziert, funkt er via Internet an die Heim-PCs der Laien-Aufpasser weiter. Bestätigen diese"Spotter" (Sichter) den Verdacht nach eigenem Augenschein, aktivieren sie per Knopfdruck das professionelle HomeGuard-Personal, welches seinerseits Polizeibeamte an Ort und Stelle alarmieren kann.
Seinen Zeitarbeitern, die in Tages- und Nachtschichten auf ihre Bildschirme zu starren haben, will Walker einen kurzen Trainingskurs im Terroristen-Erkennen verpassen, bevor er sie zum Stundenlohn von acht bis zehn Dollar auf Fernpatrouille schickt. Arbeitsgerät müssen sie selbst bereitstellen-schließlich ist die Hälfte aller US-Haushalte ans Internet angeschlossen. Damit keine Pannen passieren, wird jeder Computer-Schnappschuss von mindestens drei Spottern gleichzeitig inspiziert und von einer zweiten Garde noch einmal gegengeprüft.
Spott für die Spotter
US-Homeguard-Webseite: Nachtwächterjob für Sesselhelden
In den letzten Monaten hat Walker in Washington still die Runde gemacht, um politische und finanzielle Unterstützung für seinen Plan zu gewinnen. Die bisherigen eine Million Dollar Entwicklungskosten trägt er selbst, die Kosten eines ersten Feldversuchs, rund 40 Millionen Dollar, soll nach seinen Vorstellungen jedoch der Staat zahlen. Den Gesamtaufwand von schätzungsweise 12 Milliarden Dollar könnten aber die geschützten Einrichtungen ohne weiteres selbst tragen. Er selbst wolle mit der Sache am Ende kein Geld verdienen und der US-Regierung das Patent für einen Dollar verkaufen.
Über den Erfolg seiner Lobby-Arbeit bei Kongressabgeordneten und in der republikanischen Partei schweigt sich Walker aus. Eine einflussreiche Stimme hat er schon auf seiner Seite: Charles Boyd, ehemaliger Exekutivdirektor der Hart-Rudman National Security Commission. Dieses Expertengremium hatte schon ein Dreivierteljahr vor dem 11. September 2001 vor einem"massiven Terroranschlag" in den USA gewarnt."Ich fand die Idee interessant und ansprechend", erinnert sich Ex-General Boyd an sein Gespräch mit Walker."Ich mag innovatives Denken."
Kritiker warnen dagegen vor der Fehleranfälligkeit eines derart gigantischen Systems. Das könnten Terroristen leicht mit einem Computervirus lahm legen, sagt Ernst Volgenau, Chef der IT-Firma SRA International in Virginia. Internet-Sicherheitsexperte Elias Levy ergänzt, dass auch andere Viren, die nicht spezifisch auf HomeGuard zielten, verheerende Folgen haben und potenzielle Anschlagsziele schutzlos machen könnten.
Internet-Fans diskutieren sich in den Chatrooms über der Frage längst die Köpfe heiß. Dort ernten Walkers Spotter meist nur Spott."Schlechte Sicherheit, gutes Geschäft", höhnt ein Web-Blogger namens Aaron auf der Debattier-Seite kalilily.blogspot.com."Dies ist ein Omen, dass wir in eine reale Version von Orwells 1984 rasseln", schreibt ein anderer anonym."Ich glaube, ich besorge mir bei Priceline.com ein Flugticket, um nach Schweden zu fliehen."
Angst vor dem Überwachungsmonster
Auch als Walker seine Zukunftsvisionen auf der Konferenz von Monterey vorstellte, sollen einige Anwesende"entsetzt" nach Luft geschnappt haben. Zu sehr passt das Konzept in den"unerbitterlichen Trend zur Überwachungsgesellschaft", vor der nicht nur die US-Bürgerrechtsgruppe American Civil Liberties Union (ACLU) warnt."Ein Monster wächst in unserer Mitte", sagte ACLU-Direktor Barry Steinhardt erst am Dienstag dieser Woche vor dem Technologie-Unterausschuss des Repräsentantenhauses. Zu viele Fragen blieben offen: Funktionieren solche Programme wirklich? Wie hoch ist die Fehlerquote? Sind wir hinterher tatsächlich sicherer?
Zweifel entzünden sich auch an der Person Walkers selbst. Der Selfmade-Unternehmer (Motto:"Du brauchst kein Markenzeichen, um etwas Neues zu tun") wurde 1998 mit seiner Priceline-Idee, Flüge und Hotelzimmer per Online-Mindestangebot der Kunden zu versteigern, zum mehrfachen Aktienmilliardär - und verlor sein gesamtes Vermögen dann im Dotcom-Crash wieder. Ende 2000 trat er von seinen Ämtern bei Priceline.com zurück und widmet sich seither ganz seiner persönlichen Patentschmiede Walker Digital in Connecticut. Dort spuckt er Erfindungen am laufenden Band aus: Über 200 bisher, 500 weitere sind beim Patentamt angemeldet. Das Magazin"Forbes" nennt ihn den"Edison des Neuen Zeitalters".
Seine Gegner werfen ihm vor, oft die Einfälle anderer zu klauen oder zumindest lukrativ zu recyceln. Doch darin sieht Walker nur den Neid der Besitzlosen. Seine Erfindungen, erklärte er vor den Studenten seiner Alma Mater, der Cornell University, seien"nicht mehr aufzuhalten" - genau wie die gesamte virtuelle Zukunft. Denn:"Wenn sich das Network einmal bewegt, bewegen wir uns alle mit."
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>Amerikas virtuelles Wachbataillon
>Von Marc Pitzke
>Der US-Unternehmer Jay Walker, Gründer von Priceline.com, will ein Millionenheer privater Online-Spitzel für den Krieg gegen den Terror rekrutieren. Die virtuelle Bürgerwehr, deren Aufstellung Walker von Washington mitfinanzieren lassen möchte, soll Atomkraftwerke und Flughäfen überwachen. Nicht nur Datenschützer sind entsetzt. >
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>Nach eigenen Angaben von patriotischer Pflicht beseelt: Jay Walker > >
>New York - Die Webseite strahlt in den amerikanischen Flaggenfarben weiß, blau und rot. Am rechten Rand lugt die Freiheitsstatue hervor."US HomeGuard", steht darunter."Die Bürgerwehr, die unser Land zu sichern hilft." Interessenten werden gebeten, sich mit Name und Anschrift anzumelden. Jeder, der sich online registriert erhält prompt eine elektronische Antwort:"Vielen Dank. Wir werden Sie bald über unseren Betriebsstand informieren."
>Die ebenso karge wie kryptische Homepage mit der Internet-Adresse www.ushomeguard.org eröffnet eine neue Front im Krieg der USA gegen den Terror. Die Webseite soll ein Millionenheer ziviler Bürgerspione rekrutieren, auf dass diese für einen Billiglohn vom Wohnzimmer aus Attentate verhindern und Verdächtige aufspüren.
>Ermöglicht würde ihnen das durch ein landesweites, computergestütztes Überwachungsnetz aus Digitalkameras, die ihre Bilder live in die angeschlossenen Privathaushalte beamen - ein virtuelles Wachbataillon fürs 21. Jahrhundert. Die fixe Idee der ferngesteuerten Big Brothers stammt von einem der umtriebigsten Unternehmer und Erfinder der USA: Jay Walker, Gründer des Internet-Schacherdienstes Priceline.com (Flüge, Mietwagen, Hotels) und hauptberuflich Chef einer Patentfirma.
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>Zweifel entzünden sich auch an der Person Walkers selbst. Der Selfmade-Unternehmer (Motto:"Du brauchst kein Markenzeichen, um etwas Neues zu tun") wurde 1998 mit seiner Priceline-Idee, Flüge und Hotelzimmer per Online-Mindestangebot der Kunden zu versteigern, zum mehrfachen Aktienmilliardär - und verlor sein gesamtes Vermögen dann im Dotcom-Crash wieder. Ende 2000 trat er von seinen Ämtern bei Priceline.com zurück und widmet sich seither ganz seiner persönlichen Patentschmiede Walker Digital in Connecticut. Dort spuckt er Erfindungen am laufenden Band aus: Über 200 bisher, 500 weitere sind beim Patentamt angemeldet. Das Magazin"Forbes" nennt ihn den"Edison des Neuen Zeitalters".
>Seine Gegner werfen ihm vor, oft die Einfälle anderer zu klauen oder zumindest lukrativ zu recyceln. Doch darin sieht Walker nur den Neid der Besitzlosen. Seine Erfindungen, erklärte er vor den Studenten seiner Alma Mater, der Cornell University, seien"nicht mehr aufzuhalten" - genau wie die gesamte virtuelle Zukunft. Denn:"Wenn sich das Network einmal bewegt, bewegen wir uns alle mit."
[b]Hallo.
Seine Patente werde ich mir alle mal anschauen. Ich habe (kostenpflichtigen) Zugang zur besten digitalen Patentdatenbank, nämlich delphion.
mfg
Erich B.
<ul> ~ http://www.sensortime.com</ul>
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