-->Transatlantischer Wirtschaftskrieg: Die USA attackieren Europa. Doch dieses ist stÀrker, als die Welt glaubt.
Von Harald Fritschi, Mitarbeit: Stefan Barmettler
Armes «altes Europa». Nach dem schnellen Sieg im Irak-Krieg zeigen die USA ihre Muskeln. Mit aggressiver Rhetorik waschen die ReprÀsentanten der Administration Bush, wo immer sie auftreten, den EuropÀern die Kappe. Wie frostig das Klima ist, zeigte eine Kurzvisite von US-Aussenminister Colin Powell beim deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder am letzten Freitag in Berlin. Mit steinernen Mienen traten die beiden nach einer halben Stunde vors Mikrofon und sonderten einige nichts sagende Floskeln ab. Mit den Franzosen reden die Amerikaner schon gar nicht mehr.
Doch die SchwĂ€che der Alten Welt und die StĂ€rke der Neuen könnte ein trĂŒgerisches Vexierbild sein. Europa ist vitaler, als die US-Propaganda-Maschinerie der Welt weismachen will. Und es hat seinem transatlantischen Widersacher unausgesprochen den Krieg erklĂ€rt - den Wirtschaftskrieg. Und «champs de bataille» sind sĂ€mtliche MĂ€rkte - die Devisen-, Finanz-, Waren- und Dienstleistungs-MĂ€rkte. Auf wechselnden Kampffeldern fĂŒhren die beiden Blöcke erbitterte Gefechte. GekĂ€mpft wird um internationale Finanz- und Handelsströme, um DevisenmĂ€rkte und Rohstoffe, eingesetzt wird die neuste Technologie wie Abhöranlagen im Weltraum und das Internet. «In der Wirtschaft herrscht Krieg», sagt Christian Harbulot, der 1997 die Pariser Ecole de Guerre Economique grĂŒndete.
Mit allen Mitteln versuchen die USA, einen Spaltkeil in die EU zu treiben. Sie hofieren dem spanischen MinisterprĂ€sidenten JosĂ©-MarĂa Aznar, der keine Gelegenheit auslĂ€sst, sich zur «Koalition der Willigen» zu bekennen. Und Beitrittskandidat Polen liess sich seinen Dolchstoss am «alten Europa» gar mit Dollar-Milliarden vergolden.
«Europa wird bĂŒssen mĂŒssen», sagte Colin Powell vor kurzem. Die politische und wirtschaftliche Hegemonie der USA scheint unbestritten. In der Tat: Steigt an der Wallstreet die Börse, dann klettern die Kurse auch in England, Deutschland, Hongkong und Japan hoch - und umgekehrt. Als ausgemacht in der Wirtschaftswelt gilt auch, dass die USA bei der Weltkonjunktur stets den Takt angeben. Die US-Notenbank beeinflusst weit gehend das internationale Zinsniveau, und der Dollar bestimmt das globale WĂ€hrungsgeschehen. Europa kann laut vorherrschender Meinung nur nachvollziehen, was Amerika diktiert.
Doch Europa verliert seine Beisshemmung - mit guten GrĂŒnden. Die Idee einer EuropĂ€ischen Union ist aller HĂ€me zum Trotz so attraktiv wie eh und je, was die bevorstehenden zehn Neuaufnahmen mit 40 Millionen Einwohnern unterstreicht. Der Euro widerspiegelt diese Anziehungskraft. Er ist mit einem Kurs von 1.17 gegen den Dollar so stark wie noch selten, seit es ihn gibt. Ăhnlich der Franken. In den letzten Monaten hat sich der Dollar von 1.50 auf 1.29 Franken abgeschwĂ€cht - ein Niveau, das er letztmals im November 1996 hatte. Der Dollar hat das Vertrauen der FinanzmĂ€rkte verloren. «Die Investoren haben eine optimistische EinschĂ€tzung von Europa», sagt Klaus Wellershoff, Chefökonom der UBS, «sie orientieren sich weg vom Dollar, hin zum Euro.»
Auch als LeitwÀhrung und Rohstoffhandels-Devise grÀbt der Euro dem Dollar das Wasser ab. Eine zunehmende Zahl von LÀndern schichten ihre WÀhrungsreserven von Dollar zu Euro um. «Diese Umschichtungen schwÀchen den Dollar», sagt Jan A. Poser, Devisenspezialist bei der Bank Sarasin. Auch Erdölkontrakte werden vermehrt in Euro abgeschlossen, was dem Dollar weiter zusetzt. Von der wirtschaftlichen StÀrke der EU zeugt zudem, dass sie die grösste Exporteurin von Waren mit einem Volumen von 940 Milliarden Dollar (USA: 690) und auch von Dienstleistungen ist.
Die Aufholjagd Europas verursacht in New York und Washington zunehmend Nervenflattern. Seit drei Jahren leidet die US-Wirtschaft an extremer AnĂ€mie - trotz rekordtiefer Zinsen. Diese hĂ€tten der US-Wirtschaft schon lĂ€ngst wieder Wachstum bescheren sollen. Doch die Konjunktur serbelt auf allen Ebenen: Die Firmen investieren nicht, die GĂŒterproduktion lĂ€uft nicht an, die Arbeitslosigkeit ist auf sechs Prozent gestiegen, und den Konsumenten ist das Geld ausgegangen.
Die grösste Gefahr indessen geht laut Spezialisten vom Doppeldefizit von Staatshaushalt und Aussenhandel in den USA aus. Die gigantische Schuldenwirtschaft könnte nicht nur die USA in eine tiefe Krise reissen, sondern auch die globalen FinanzmĂ€rkte ins Trudeln bringen. Doch das Dilemma ist hausgemacht: Die FinanzmĂ€rkte haben sich ein gefĂ€hrliches Klumpenrisiko aufgehalst, als sie jahrelang MilliardenbetrĂ€ge in Richtung USA ĂŒber den Atlantik pumpten.
Damit ist vorerst Schluss, die Euros bleiben hier. Doch nun haben die USA den transatlantischen Grabenkrieg auf ein neues Feld verlegt und versuchen, Europa in die Dollar-Falle zu treiben. Der Angriff wurde auf zwei Ebenen lanciert. Die Notenpresse im US-Schatzamt lĂ€uft wie geschmiert. Die anhaltende Geldschwemme treibt den Dollar auf immer neue TiefststĂ€nde. Und US-Finanzminister John Snow erklĂ€rte, er habe keine MĂŒhe mit dem schwachen Dollar, er helfe den US-Exporteuren.
Resultat ist, dass die europĂ€ischen Ausfuhren in einer ohnehin schwachen Weltwirtschaft einbrechen. Die WĂ€hrungsspezialisten von UBS Warburg befĂŒrchten, dass der Euro im Herbst bei 1.20 zum Dollar stehen wird. Mit dieser Entwicklung konfrontiert dĂŒrfte die EuropĂ€ische Zentralbank an ihrer Juni-Sitzung gezwungen sein, zwecks Ankurbelung der Binnenwirtschaft die Leitzinsen von derzeit 2,5 auf 2 Prozent zu senken und damit den Euro etwas abzuschwĂ€chen.
Der Kampf der beiden Mammut-WĂ€hrungen dĂŒrfte so bald nicht zu Ende sein. Der transatlantische Wirtschaftskrieg wird aber auch auf weiteren Kampffeldern verstĂ€rkt ausgetragen:
Boykotte sind vor allem in den USA ein probates Mittel, wirtschaftliche Gegner in die Knie zu zwingen. GemĂ€ss einer Umfrage ist jeder vierte Amerikaner gewillt, französische Ware zu boykottieren. Etwas weniger kocht die Volksseele gegen Deutschland. Jeder FĂŒnfte ist entschlossen, Schröders Volkswirtschaft mit einem Kaufstreik abzustrafen. Die Wut der US-Kundschaft hat hauptsĂ€chlich in den BĂŒchern französischer Firmen tiefe Spuren hinterlassen. Auf 650 Millionen Franken schĂ€tzt die französische Regierung die Kosten, die dem Land durch seine Haltung im Irak-Krieg entstanden sind. Pinguley-Haulotte beispielsweise, Hersteller von HebebĂŒhnen, ist in den USA der ganze Markt weggebrochen. Verluste befĂŒrchten aber auch deutsche Vorzeigefirmen wie BMW, Siemens oder Krauss-Maffei, die schon einen Grossauftrag vom Pentagon verloren hat.
Die Welthandels-Organisation WTO ist schon seit Jahren Austragungsort von transatlantischen Attacken und Gegenattacken. WTO-Beobachter befĂŒrchten das Schlimmste. «Das Ende der Globalisierung ist da», warnt Harold James, Wirtschaftshistoriker in Princeton, USA. Er sieht ZustĂ€nde wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts heraufziehen, als der Welthandel praktisch zum Erliegen kam. Die Welthandels-Organisation ist seit Seattle paralysiert, und wenn sich im September die internationalen Handelsvertreter zur nĂ€chsten WTO-Runde im mexikanischen CancĂșn treffen, dĂŒrfte der Krieg der Worte zwischen den USA und EU-Vertretern verschĂ€rft weitergehen.
Dabei haben die StreithĂ€hne schon genug offene Rechnungen untereinander. Die USA belegen europĂ€ischen Stahl mit Strafzöllen, und die EU verbietet die Einfuhr von gentechnologisch verĂ€nderten Nahrungsmitteln. Die USA subventionieren ihre Exportindustrie mit vier Milliarden Dollar, und die EU verhindert die Einfuhr unerwĂŒnschter Bananen aus dem US-Einflussbereich. «In der WTO», sagt ETH-Professor Thomas Bernauer, «existieren viele ungelöste Konflikte, die in den kommenden Monaten eskalieren könnten.»
Bei der Wirtschaftsspionage haben die Amerikaner zweifellos die Nase vorn, weil sie die modernste Technologie einsetzen. Das System Echelon hört ungefiltert den gesamten E-Mail-, Telefon-, Fax- und Telexverkehr ab, der weltweit ĂŒber Satelliten abgewickelt wird. Ein globales Netz von Empfangsanlagen unter anderem im deutschen Bad Aibling schickt die Daten zur Auswertung in ein riesiges Computer-System in der NĂ€he von Washington. Die EU hegt schon seit Jahren den Verdacht, dass die Betreiberin, die National Security Agency (NSA), Echelon gezielt zur Aushorchung europĂ€ischer Firmen einsetzt. Eine eigens darauf angesetzte Untersuchungkommission konnte indessen keine schlĂŒssigen Beweise liefern.
Es sind aber mindestens zwei FĂ€lle bekannt, die den Verdacht amerikanischer Industrie-Spionage untermauern. 1994 jagte Boeing dem Airbus-Konsortium in letzter Minute einen Milliarden-Auftrag in Saudi-Arabien ab. Ein anderes Mal zog der französische RĂŒstungskonzern Thomson-CSF gegen das US-Unternehmen Raytheon ĂŒberraschend den KĂŒrzeren, als Brasilien ein Radarsystem kaufte. Bis 2008 will die EU nun nachziehen und mit dem Satelliten-Navigationssystem Galileo mit gleich langen Spiessen spionieren.
Auch per Internet findet das Hickhack ĂŒber den Atlantik statt. Es ist das perfekte Medium, um gezielt Falschmeldungen oder GerĂŒchte ĂŒber missliebige Konkurrenten zu verbreiten. So geschehen im Fall Alcatel: Vom 29. bis 31. September 2000 kam in London der Börsenkurs der Firma massiv unter Druck und verlor bis zu zehn Prozent. Auslöser war ein GerĂŒcht «aus US-Kreisen», dass Alcatel-Chef Serge Tchuruk demissioniert und den Quartalsumsatz aufgeblĂ€ht habe. Ein anderer Fall war der «Skandal» um das Medikament Lipobay des deutschen Pharma-Konzerns Bayer. Vor zwei Jahren musste die Firma den Cholesterin-Senker wegen TodesfĂ€llen in den USA vom Markt nehmen. Es hagelte Klagen, die sich spĂ€ter als haltlos herausstellten. Doch der Ruf des Medikaments war ruiniert - die Konkurrenz sahnte ab. Vielleicht stimmt also, was der Franzose Christian Harbulot sagt: «Der Wirtschaftskrieg ist ein Informationskrieg, der sich gegen den direkten Konkurrenten richtet.»
FACTS 21/2003, 22.5.03
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