stocksorcerer
19.06.2003, 14:08 |
Der Spiegel: Big Brother und kein Ende Thread gesperrt |
-->DDP
Einkaufsstraße unter Vollüberwachung: Beobachtete Passanten in Mannheim
SPIEGEL ONLINE - 19. Juni 2003, 11:02
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,253521,00.html
Trend zur Überwachung
Big Brother und kein Ende
Von Michael Voregger
Videoüberwachung steht nach dem Bombenfund im Hauptbahnhof von Dresden hoch im Kurs. Landesweit verkünden Politiker und Medien den Nutzen allgegenwärtiger Kamerasysteme. Eine günstige Gelegenheit wittert die SPD in NRW.
Die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen sind schon länger auf dem Weg, bürgerliche Grundrechte einzuschränken und sich dem Wahlvolk mit Videokameras zu nähern. Am letzten Wochenende sinnierten die Genossen auf einem Sonderparteitag auch über die Zukunft der rotgrünen Regierungskoalition. In einem Papier mit dem optimistischen Titel"Bündnis für Erneuerung - Aufbruch für NRW" benennt Ministerpräsident Peer Steinbrück die schmerzhaften Bruchstellen der bisherigen Zusammenarbeit.
Der alte Koalitionsvertrag wird aufgekündigt und der"Koalitionspartner" zur"Neujustierung" der Politik aufgefordert. Bei den rotgrünen Streitpunkten stehen Verkehrspolitik und der Metrorapid an erster Stelle, aber in dem Papier findet sich auch ein Absatz zur"Inneren Sicherheit". Wörtlich heißt darin:
"Wir werden die landesgesetzlichen Voraussetzungen für einen breiteren Einsatz von Videoüberwachung, Rasterfahndung und des Platzverweises schaffen und den Vorgaben der Rechtsprechung anpassen."
Vertreter von Bürgerechtsorganisationen, Datenschützer und Wissenschafter haben dazu eine gemeinsame Erklärung formuliert, in der die Verschärfungen polizeilicher
Grundrechtseingriffe durch Videoüberwachung und die Rasterfahndung abgelehnt werden.
"Nordrhein-Westfalen galt bisher als liberal und durchaus bürgerrechtsfreundlich. Die drohende Verschärfung des Polizeirechts ist nicht durch eine veränderte Sicherheitslage begründet", erklärt Dr. Thilo Weichert von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz."Es besteht leider die Befürchtung, dass Bündnis90/Die Grünen an dieser Stelle einknicken."
Zu den Erstunterzeichnern gehören neben Thilo Weichert auch Nils Leopold, Bundesgeschäftsführer der Humanistischen Union, Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte und der ehemalige Polizeipräsident Professor Hans Lüssken.
Widerstände: Bedenkliche Nebeneffekte
Die Unterzeichner wenden sich vor allem gegen die Ausweitung von Rasterfahndung und Videoüberwachung."Nach den Plänen der SPD soll die Videoüberwachung nunmehr nahezu schrankenlos ermöglicht werden. Die Beschränkung auf 'Straftaten von erheblicher Bedeutung' wird aufgegeben", heißt es in der Erklärung. Kritisiert wird die Überwachung als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte unbescholtener Bürger, die durch das allgegenwärtige Auge einem"Konformitätsdruck" ausgesetzt seien, der die Wahrnehmung von Grundrechten, wie zum Beispiel bei Demonstrationen, erschwere.
"In NRW ist die Gesetzeslage bisher noch akzeptabel, jedenfalls im Vergleich zu Thüringen, Sachsen, Bayern und inzwischen auch Hamburg, wo es im Sinne der Bürgerrechte katastrophale Regelungen gibt", sagt Thilo Weichert."Die SPD setzt jetzt ein paar markante Punkte in das Papier, die sich öffentlich gut verkaufen lassen. Ich glaube nicht, dass die Verantwortlichen sich mit den Hintergründen der Videoüberwachung beschäftigt oder zum Beispiel mit der Situation in England beschäftigt haben". Großbritannien zählt zu den Vorreitern der Kontrolle von ganzen Innenstädten in Europa.
Der Bombenfund im Dresdener Bahnhof hat die Befürworter der Überwachung auf den Plan gerufen, dabei ist auf Bahnhöfen die Überwachung durch den Bundesgrenzschutz bereits geregelt. Die Erfahrungen in England zeigen außerdem, dass die Aufzeichnungen nicht zwangsläufig zu besseren Ermittlungsergebnissen führen. Da man ohnehin nicht weiß, wo ein Sprengsatz abgelegt wird, müssten bundesweit alle Orte mit vielen Menschen überwacht werden.
Videoüberwachung: Viel Aufwand, wenig Sinn?
Es ist somit kein Wunder, dass die Vorhaben der sozialdemokratischen Landesspitze selbst bei den eigenen Genossen nicht unumstritten sind.
"Die Erfahrungen mit der Videoüberwachung aus der Vergangenheit rechtfertigen die Ausweitung bisher nicht", erklärt Markus Sondermann, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen."Als sozialdemokratische Juristen sehen wir natürlich schon die Notwendigkeit, politisch auf die subjektive Bedrohungssicht der Bevölkerung zu reagieren".
Das Videoüberwachung mehr Sicherheit für die Bürger mit sich bringt, ist bislang nicht nachgewiesen. Für die Politiker ist es ein sehr einfaches Mittel zu belegen, dass ihnen das Wohl des Wahlvolkes am Herzen liegt. Die Politik von Ministerpräsident Peer Steinbrück setzt auf oberflächliche Effekte, die in der Ã-ffentlichkeit bestehende Ängste anspricht und verzichtet auf eine gründliche Analyse der Problematik. Die Kosten werden dabei meist nicht diskutiert, aber Anschaffung, Wartung und Standleitungen summieren sich sehr schnell zu mehreren tausend Euro für eine Kamera.
"Eine englische Studie, also sozusagen aus dem Mutterland der Videoüberwachung, kam sogar zu dem Ergebnis, dass gute Straßenbeleuchtung Kriminalität besser verhindert als Videoüberwachung", sagt Bettina Sokol, die Landesbeauftragte für den Datenschutz in NRW. Für Deutschland liegen bisher keine validen Erkenntnisse über den Nutzen von Videoüberwachung vor.
Insbesondere ist unklar,"ob Videoüberwachung nicht ausschließlich dazu führt, dass die Kriminalität in einen Bereich außerhalb des Kamerafokus verdrängt wird". Selbst in Kreisen der Polizei wird der Nutzen von Videoüberwachung zur Verhinderung von Straftaten bezweifelt.
Die bündnisgrüne Landtagsfraktion hat sich bereits in der Vergangenheit an der Vorbereitung eines neuen Polizeigesetzes beteiligt und sieht die Bürgerrechte als Verhandlungsmasse, wenn das Gesamtergebnis rotgrüner Politik überzeugt. Erst die Parteibasis hat auf einer Landesdelegiertenkonferenz im Mai diesem Ansinnen eine Absage erteilt. Die zweite Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung und des Entwurfs der CDU-Fraktion ist für die erste Juliwoche vorgesehen. Auf welcher Seite der Regierungsbank die Grünen in die Debatte einsteigen und welche Positionen sie dann vertreten, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden.
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winkääää
stocksorcerer
<ul> ~ http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,253521,00.html</ul>
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Sascha
19.06.2003, 14:56
@ stocksorcerer
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Der Spiegel: Big Brother und kein Ende / Mannheimer Überwachung |
--> > Einkaufsstraße unter Vollüberwachung: Beobachtete Passanten in Mannheim > SPIEGEL ONLINE - 19. Juni 2003, 11:02 > URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,253521,00.html > Trend zur Überwachung
Ich bin zwar gegen einen Überwachunsstaat aber im Beispiel Mannheim finde ich die Kameras durchaus angebracht wenn man die Umstände beachtet.
Da ich nur rund 15 bis 20 Kilometer von Mannheim entfernt wohne kenne ich diese Kameras. Sie sind vor allem im Stadtzentrum (um den Paradeplatz, Wasserturm/Rosengarten, Richtung Neckarbrücke und Richtung Schloß) angebracht.
Die Kriminalität vor allem nachts an diesen Stellen war m.W. extrem hoch. Mittlerweile konnten der Drogenhandel, Überfälle, Diebstähle und vieles mehr durch diese Kameras aufgeklärt werden. Wichtiger ist aber der Abschreckungseffekt. Jeder weiß es.
Natürlich halten die Kameras insgesamt den Drogenhandel wohl kaum auf aber Taschendiebe haben es schwerer.
Viele Grüße
Sascha
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fridolin
19.06.2003, 15:17
@ Sascha
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Re: Der Spiegel: Big Brother und kein Ende / Mannheimer Überwachung |
-->Meinst Du nicht, daß Kriminalität (gerade solche Straßen- und Kleinkriminalität) am besten durch mehr uniformierte Fußstreifen der Polizei bekämpft werden kann, so wie in der"guten alten Zeit"? Es gibt jetzt teilweise auch schon Fahrradstreifen, mit demselben Effekt.
Ich habe gerade aufgrund der spezifisch deutschen Vergangenheit meine Verständnisschwierigkeiten, wenn der Staat den Bürger aus dem Verborgenen heraus überwacht - sei es in Zivil, sei es durch in irgendwelchen Winkeln angebrachte Kameras. Kann zwar sein, daß für die Aufklärung bestimmter Verbrechensarten solche Dinge wie Zivilpolizei notwendig ist. Das Auftreten der Polizei ohne Uniform (klar erkennbar für jedermann) sollte jedoch meiner bescheidenen Meinung nach der große Ausnahmefall sein.
Leider scheint es aber inzwischen auch so zu sein, daß das besagte Streifegehen von vielen Polizisten fast schon als Strafe empfunden wird.
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stocksorcerer
19.06.2003, 16:22
@ Sascha
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Mannheimer Überwachung ist nur ein winziger Aspekt des großen Ganzen |
-->Hallo Sascha,
leider ist Bekämpfung der Kriminalität gar nicht das Problem. Das wäre durch anonyme Streifen - wenn auch nur unregelmäßige Stichproben -, wie schon angemerkt wurde, auch zu bewältigen. Das Problem ist, dass"ALLE" überwacht werden, die diese Stellen passieren. Über einen langen Zeitraum dokumentiert und archiviert von jemandem für jemanden. Es sind also Menschen involviert, die alle Personen sehen können, die zum Zeitpunkt x irgendwo gewesen sind. Immense Sicherheitsrisikos für alle Menschen aus den Augen eines Datenschützers. Du schreibst:
Ich bin zwar gegen einen Überwachunsstaat aber im Beispiel Mannheim finde ich die Kameras durchaus angebracht wenn man die Umstände beachtet.
Da ich nur rund 15 bis 20 Kilometer von Mannheim entfernt wohne kenne ich diese Kameras. Sie sind vor allem im Stadtzentrum (um den Paradeplatz, Wasserturm/Rosengarten, Richtung Neckarbrücke und Richtung Schloß) angebracht.
Wenn die Technik weiter fortschreitet und Gesichtserkennung optimiert wird und auch andere Bürgermeister oder Innenminister an anderen Stellen solche Apparaturen für sinnvoll und zweckmäßig halten, könnte man irgendwann durch Datenbanken und Großrechner erreichen, dass eine Person X zum aktuellen Zeitpunkt lokalisiert wird. Rasterfahndung perfektioniert.
Man gibt einen Datensatz in"google" ein und zwei Minuten später weiß Schily, dass Sascha gerade Gold gekauft hat oder sein Nachbar Besuch von einer schnuckeligen Prostituierten hatte. Mir fällt da beispielsweise J.Edgar Hoover ein, der damals als FBI-Chef auch viel mehr Macht hatte, als er haben durfte. Aber niemand konnte ihn vom Sessel stoßen oder seine Macht kontrollieren, weil Hoover über alles und jeden Akten hatte. Bestechung oder Erpressung ist juristisch gesehen nur solange ein Verbrachen, solange es von jemandem angezeigt wird!
Überwachung für persönliche Sicherheit ist quatsch. Das"heute" läuft den oberen Nutzern der Systeme langsam aus dem Ruder. Politiker und andere Leute aus der sogenannten High Society sorgen vor. In Amerika und auch in Europa. Das ist Selbstschutz, was die Herren da durchziehen.
Im Zweifel verpaßt man sich noch schnell eine perfekte Rundum-Immunität, falls man selbst mal aufgenommen wird und - wie in Berlusconi´s Italien - paßt der Schuh wieder.
Und das wird kommen, weil es so gewollt ist. Totale Kontrolle ist super praktisch. Für den Staat. Für Konzerne. Für das neue Berufsfeld: Produkt-Überwachungs-Kontrolle. Du kannst am Ende jeden belasten und manipulieren, wenn Dir das in den Kram paßt, wie ich das letztens schon angemerkt habe... siehe Link.
Die Kriminalitätsbekämpfung wird vorgeschoben oder wichtigere Dinge werden außer Acht gelassen. In Wahrheit verlieren wir unsere Freiheit oder das bißchen, was von der Idealvorstellung noch übrig ist. Und das für ein vermeintlich bißchen mehr Sicherheit.
Viele Grüße
Sascha
<ul> ~ hier noch ein Kommentar dazu</ul>
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PuppetMaster
19.06.2003, 16:31
@ Sascha
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Re: Der Spiegel: Big Brother und kein Ende / Mannheimer Überwachung |
-->nachdem wir unsere innenstädte dem kommerz geopfert haben, ist diese entwicklung
nur logisch. statt sicherheitstechnisch aufzurüsten, müsste man um die wieder-
ansiedlung von menschen in solchen zonen besorgt sein. der rest erledigt dann
die"soziale kontrolle".
gruss
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Stephan
19.06.2003, 16:46
@ Sascha
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Re: Big Brother und kein Ende |
-->Hallo Sascha,
>Da ich nur rund 15 bis 20 Kilometer von Mannheim entfernt wohne kenne ich diese Kameras. Sie sind vor allem im Stadtzentrum (um den Paradeplatz, Wasserturm/Rosengarten, Richtung Neckarbrücke und Richtung Schloß) angebracht.
>Die Kriminalität vor allem nachts an diesen Stellen war m.W. extrem hoch. Mittlerweile konnten der Drogenhandel, Überfälle, Diebstähle und vieles mehr durch diese Kameras aufgeklärt werden. Wichtiger ist aber der Abschreckungseffekt. Jeder weiß es.
>Natürlich halten die Kameras insgesamt den Drogenhandel wohl kaum auf aber Taschendiebe haben es schwerer.
Das ist sehr schön. Nur: könnte es sein, daß die Kriminalität auf andere Plätzen übergeht? Mir fällt da der Zürcher Platzspitz ein, an dem es früher ein erhebliches offenes Drogenproblem gab. Für die Stadt war der Platzspitz eine offene Wunde. Also wurden die »Problemkinder« verscheucht. Das Problem an sich existierte aber noch weiter, hat sich aber von einer offenen, gut kontrollierbaren Szene in ein eher verdecktes, und weit verzweigtes Netzwerk verwandelt. [img][/img]
Soviel zu Sinnhaftigkeit von solchen Vertreibungsmaßnahmen
Gruß
Stephan
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