Aus der Neuen Solidarität Nr. 43/2000:
Kursrutsch nicht aufzuhalten -
Wir sind mitten drin im Finanzkrach
Wenn es an den Börsen kracht, geht"nur" Geld verloren; wenn aber die internationalen Finanz- und Zahlungssysteme zusammenbrechen,
drohen dramatische Störungen der realwirtschaftlichen Produktionsabläufe - und damit der Versorgung der Menschen. Nach dem
finanziellen Achterbahn-Chaos der letzten Tage muß jetzt durch die Macht der Regierungen der LaRouche-Plan eines Neuen Bretton
Woods umgesetzt werden.
Schon seit sieben Monaten befinden sich die Aktienkurse im Sinkflug, und ein Ende ist nicht in Sicht. Nur so viel kann man feststellen: Wenn der Salami-Crash im
gleichen Tempo anhält, dann hat der Index des Neuen Marktes in Deutschland in fünf Monaten nicht nur sämtliche"psychologisch" oder"chart-technisch"
wichtigen"Widerstandslinien" nach unten durchbrochen, sondern befindet sich sogar unterhalb der mathematisch besonders bedeutsamen Marke von Null
Punkten. Sporadische, mitunter durchaus fulminante, Erholungen der Kurse ändern nichts am Gesamtbild: der Mythos der"Neuen Wirtschaft" ist gebrochen, und
der Traum vom schnellen Reichtum an der Börse für Millionen Kleinanleger ausgeträumt.
Wer erinnert sich noch an die gebetsmühlenartig wiederholten Durchhalteparolen all der neuen Börsenmagazine - von n-tv über Börse Online bis zu Focus
Money - wonach spätestens in der übernächsten Woche ganz bestimmt die"Sommerrallye", später war es die"Herbstrallye", ausbrechen werde. Nachdem der
Nemax-50-Index des Neuen Marktes erst einmal seinen Höchststand von 9600 Punkten im März verlassen hatte, sahen Analysten, Börsenmagazine und andere
Berufseuphoriker in schöner Regelmäßigkeit extrem günstige"Kaufgelegenheiten", die sich für den, der darauf hereinfiel, dann fast immer als besonders effektive
Methode zur Geldvernichtung herausstellten. Mitte Oktober landete der Nemax-50 bei gerade noch 4000 Punkten, ein Kursrutsch um sage und schreibe 60%.
Bei den Vorgängen am Neuen Markt handelt es sich nicht um vorübergehende Panikreaktionen kleiner oder großer Anleger, sondern um die Nebenwirkung einer
sehr viel umfassenderen und gesetzmäßigen Entwicklung: Das gesamte Weltfinanzsystem ist durch gigantische Schieflagen, die sich über Jahrzehnte angehäuft
haben, außer Rand und Band geraten. Es hat sich eine tödliche Krankheit zugezogen, die weder durch Aderlässe an den Aktienmärkten noch durch
Aufputschmittel seitens der Notenbanken geheilt werden kann. Die Gesamtheit der finanziellen, monetären und wirtschaftlichen Krisenerscheinungen, die jetzt
geballt auf uns einstürzen - vom Crash der Technologieaktien über den Tiefflug des Euro bis hin zum plötzlichen Ausbruch der Preisinflation - sind jeweils nur
verschiedene Ausdrucksformen dieses Krankheitsverlaufs.
Ein namhafter deutscher Ã-konom, der hierzulande zu den besten Kennern der amerikanischen Wirtschaft zählt, betonte jüngst gegenüber dieser Zeitung, daß die
dramatischen Fehlentwicklungen und Ungleichgewichte weltweit - aber insbesondere in den USA - notwendigerweise in eine finanzielle Katastrophe münden
müssen, wofür die jetzigen Ereignisse an den Aktienmärkten nur einen relativ milden Auftakt darstellen. Angesichts des explosionsartigen Anstiegs des
US-Leistungsbilanzdefizits, einer nie dagewesenen Geldschöpfung und Kreditexpansion und einer nur durch statistische Manipulationen geschaffenen Illusionen
einer"Neuen Wirtschaft" wird diese unausweichliche Katastrophe in ihren Ausmaßen alle historischen Beispiele übertreffen, einschließlich das Beispiel des
Börsenkrachs von 1929. Im Vergleich mit dem heutigen Zustand war die US-Wirtschaft selbst 1929 noch relativ gesund und wies immerhin Überschüsse in der
Handelsbilanz auf. Die kommende Entladung der Ungleichgewichte, so der Ã-konom weiter, übersteige seine Vorstellungskraft und biete eine derart
erschreckende Perspektive, daß er es nicht wage, die Folgewirkungen in allen ihren Einzelheiten durchzudenken. Wer könne schon sagen, wie die Welt aussieht,
nachdem der US-Dollar auf weniger als ein Viertel seines jetzigen Wertes eingebrochen sei.
Natürlich sind die Aktienmärkte das nach außen hin sichtbarste Zeichen des umfassenden Zerfallsprozesses. Man muß sich hier wirklich noch einmal vor Augen
führen, welche Dimension der Crash bei den Technologieaktien schon angenommen hat. Vor 13 Jahren, im Oktober 1987, waren die Aktienkurse um gut 20%
eingebrochen, und man nannte dieses Ereignis einen Börsencrash. Aber wie soll man dann den 40-prozentigen Absturz der Nasdaq oder den 60-prozentigen
Absturz des Neuen Marktes im Jahre 2000 umschreiben?
Dabei gilt es festzuhalten, daß die Nasdaq heute nicht mehr ein exotischer Markt für kleinere oder mittlere Unternehmen ist. Vielmehr tummeln sich hier mit Intel,
Microsoft und Cisco die nach Börsenwert teuersten Unternehmen der gesamten Welt. Und selbst diese Werte sind zuletzt in beispielloser Weise unter die Räder
gekommen:
Intel-Aktien brachen seit Anfang September von 75 Dollar innerhalb von nur fünf Wochen auf weniger als die Hälfte, 35 Dollar, ein. Microsoft befand sich im
Dezember 1999 noch bei 120 Dollar, wovon am 17. Oktober 2000 gerade einmal noch 50 Dollar übrig waren. Im gleichen Zeitraum schmolz der Börsenwert des
Internetanbieters Yahoo auf ein Fünftel zusammen, von 250 auf 50 Dollar. Eines der Symbole des Internetzeitalter"Amazon.com", das weltgrößte
Internethandelsunternehmen, mußte zwischen Dezember 1999 und Mitte Oktober 2000 einen Kursrückgang von 113 auf 22 Dollar hinnehmen, das sind satte
80%. Die Aktienkurse des Computerherstellers Apple lagen Ende August noch oberhalb von 70 Dollar. Nach einer Gewinnwarnung Anfang September
kollabierte der Kurs innerhalb von drei Tagen auf weniger als ein Drittel dieses Wertes, um dann bis Anfang Oktober bis auf 13 Dollar abzurutschen. Dell
Computer stürzte von 60 Dollar im März auf 22 Dollar Mitte Oktober. Die Aktien des Softwareunternehmens Novell, im März noch bei 42 Dollar, sind jetzt schon
für 8 Dollar zu haben.
Alle genannten US-Unternehmen sind ausnahmslos Schwergewichte auf dem Aktienmarkt. Daneben gibt es unzählige kleinere Unternehmen, gerade im
Internetsektor, deren Kurse auf weniger als ein Zehntel ihres Wertes vom März diesen Jahres gefallen sind. Auch in Deutschland mußten Millionen Kleinanleger
mitansehen, wie der Kurs ihrer T-Aktien, den Werbeauftritten des sonst mit soviel Spürsinn ausgestatteten Fernsehkommissars Manfred Krug zum Trotz, von 105
auf 35 Euro gedrittelt wurden.
In Asien befinden sich alle großen Aktienmärkte wieder in der Nähe der Stände, die sie im Verlaufe der Asienkrise erreicht hatten. Der japanische Nikkei-Index
fiel Mitte Oktober auf den tiefsten Stand seit 19 Monaten. Ähnlich erging es Südkorea. In Taiwan sind die Aktienkurse gar auf den tiefsten Stand seit 54 Monaten
gefallen. Zugleich befinden sich die südostasiatischen Währungen erneut massiv unter Druck. Am 18. Oktober entschied die japanische Regierung überraschend,
die geplante Reform der Kapitalertragssteuern auf unbestimmte Zeit zu verschieben, weil sonst, wie die Financial Times hervorhob,"ein neuer Ausverkauf am
Aktienmarkt" gedroht hätte.
Auch der scheinbar unaufhaltsame Niedergang des Euro gehört hier ins Bild. Wie ein europäischer Bankeninsider am 19. Oktober betonte, lassen sich die
US-Aktienmärkte inzwischen nur noch dann aufrechterhalten, wenn zugleich der Euro in die Knie geht.
Ein weiteres Symptom der weltweiten finanziellen Zerrüttung ist die Pleitwelle bei Unternehmensanleihen. Die Rate der Zahlungsunfähigkeiten bei
hochverzinslichen Unternehmensanleihen, den sogenannten"Ramschanleihen" oder"junk bonds", ist inzwischen so hoch wie zuletzt vor zehn Jahren. Aufgrund
der Angst vor weiteren"Defaults" sind die von den Investoren verlangten Risikoaufschläge auf den Anleiherenditen wieder so groß wie nach dem russischen
Moratorium und dem Zusammenbruch des LTCM-Fonds im Herbst 1998.
William Gross, der Chefmanager des größten auf Anleihen spezialisierten Fonds der Welt, des Total Return Fund, warnte jüngst alle Anleger,
Unternehmensanleihen"um jeden Preis" zu meiden. Der amerikanischen Wirtschaft stünden möglicherweise turbulente Zeiten bevor. Um alle Anleihen, die keine
ausdrückliche Staatsgarantie vorweisen könnten, solle man in der kommenden Zeit einen großen Bogen machen. Für einige Großbanken kommen diese
Warnungen vermutlich zu spät, wie die weiter anhaltenden Berichte und Gerüchte über Milliardenverluste von Deutscher Bank, Credit Suisse und einer Reihe
amerikanischer Investmentbanken im Geschäft mit"Ramschanleihen" belegen.
Bis zum 7. November werden Alan Greenspan und Larry Summers alles Erdenkliche in die Wege leiten, um irgendwie die Fassade des Marktgeschehens
aufrechtzuerhalten. Der Vorsitzende der Federal Reserve hat in der Vergangenheit zur Genüge bewiesen, daß er notfalls nicht davor zurückschreckt, die
Geldschleusen in das Bankensystem weiter zu öffnen. Doch die Karten dieser Strategen sind zum größten Teil ausgespielt. Immer drohender hängt über der
US-Wirtschaft das Damoklesschwert eines Dollar-Crashs. Und für die Zeit nach dem 7. November sind alle Wetten offen.
Lothar Komp
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