-->Auch Andre Kostolany hat mehrfach darüber geschrieben, u.a. in"Die Kunst über Geld nachzudenken":
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Die Tulpenkatastrophe im 17. Jahrhundert
Es ist eine Ironie des Schicksals, daß eine zarte Blume, die
Tulpe, das klassische Symbol für Boom und Krach geworden
ist. Sie sollte für unerfahrene Börsenspieler, Geldmanager und
Anlageberater noch heute ein Memento sein. Diese Blume hat
die aufstrebende Wirtschaft eines sonst so nüchternen Landes -
das Holland des 17. Jahrhunderts - fast erschüttert. Das kam
folgendermaßen: Ein gewisser Herr Busbeck, Gesandter des
deutschen Kaisers in der Türkei, konnte sich an einer Blume -
von den Türken »Turban« genannt - nicht satt sehen. Die
Exzellenz brachte sie in den Westen mit, wo ihr Name sich zu
»Tulipan« wandelte. Bald konnte man sie in den Gärten der
Fugger in Augsburg bewundern. Den Botanikern gelang es, den
zarten Körper der Blume an das rauhe Klima des Nordens zu
gewöhnen, doch dauerte es noch viele Jahre, bis die Holländer
sich närrisch in sie verliebten und dabei den Kopf verloren.
Jahrelang war die Tulpe nichts als ein Farbfleck in ihren
Bürgerhäusern. Dann wurde sie allmählich ein Beweis des
sozialen Aufstiegs. Die eleganten Damen suchten sich sorgfältig
die Tulpe aus, die zu den Farben ihrer Toiletten passte. Die
Blütenteppiche ihrer Villen übertrafen an Farbenpracht die des
Orients. Man fuhr in tulpengeschmückten Kutschen spazieren,
es gab täglich Blumenfeste, einen Wettstreit der Eleganz. Es
gehörte zum guten Ton, seltene Tulpen zu sammeln, die der
Nachbar noch nicht hatte. Sie wurden ein Statussymbol wie
heute eine Sammlung moderner Bilder.
Ein reicher Reeder, der seinen Konkurrenten imponieren und
von sich reden machen wollte, kam auf die Idee, seiner Tochter
als Hochzeitsgabe nicht einen besonders schönen Diamanten,
sondern eine höchst seltene Tulpenzwiebel zu schenken.
Nachdem er seine Freunde eingeladen hatte, das »Juwel« zu
bewundern, ließ er einen besonderen Tisch herrichten. Die
Zwiebel wurde auf seinem schönsten Delfter Teller in die Mitte
gestellt. Während er sich mit seinen Gästen noch im Garten
erging, betrat ein Fremder, ein Seemann, das Haus; er war noch
ein Neuling in der Liebe zu den Tulpen. Gerade war er dabei,
einen Hering mit einem Stück Brot zu verzehren, da fiel sein
Blick auf die Zwiebel, und er dachte, sie müßte doch prächtig
dazu schmecken. Er griff nach ihr und verspeiste sie mit Haut
und Haar. Der Herr des Hauses kam zurück. Ach, es war zu
spät, das Hochzeitsgeschenk war vor der Unterzeichnung des
Ehekontrakts aufgegessen worden. Es ist nicht überliefert, ob
der gute Bürger vor Kummer oder Ärger starb, aber es ist sehr
wahrscheinlich!
Die Tulpenhysterie dauerte einige Jahre. Nachdem die Bürger
reich geworden waren, wollten sie immer höher und höher auf
der sozialen Rangleiter klettern - und dies mit Hilfe der Tulpen.
Snobs äfften die Narrheiten des Adels aus Den Haag nach.
Während ihre Gärten von Tulpen prangten, begannen die Preise
zu steigen. Die Nachfrage ging weiter und erreichte Ausmaße,
die der heimische Boden nicht mehr befriedigen konnte.
Langsam, aber sicher zogen die Preise weiter an, besonders von
Juli bis September, als die Tulpenzwiebeln in den Handel
kamen. Bald witterten raffinierte Geldleute die Chance, sie
legten ihr Geld in Zwiebeln an. Der Markt erreichte die dritte
Phase. Große Umsätze lockten weitere Spieler aller Art an, die
sich bislang an der Amsterdamer Börse mit Aktien befasst
hatten. Die Preise für Tulpenzwiebeln explodierten.
Dann aber kam 1637 der Nadelstich, der fatale Knall. Ein
großer Kunde mußte bei seinem Tulpenlieferanten feststellen,
daß alle ihm präsentierten dreihundertfünfzig Sorten schon in
großen Mengen auf dem Markt waren und den Reiz der Rarität
verloren hatten. Und plötzlich erkannten auch die Spekulanten
die Tulpeninflation. Erleben wir Ähnliches nicht momentan am
Neuen Markt mit täglich neuen Emissionen?
Das Ende kam, wie es kommen mußte. Ein Spekulant ruft:
»Feuer!«, und alle stürzen zum Notausgang. Jeder will jetzt
verkaufen, aber es gibt keine Käufer mehr. So platzte auch der
Tulpenballon, und Tulpenzwiebeln waren plötzlich nicht mehr
wert als gewöhnliche Zwiebeln. Die Spekulanten, gestern noch
Millionäre, waren nur noch Habenichtse, »Ritter von der
traurigen Gestalt«. Das war der Börsenkrach. Der aufgeblasene
Ballon war geplatzt, er hinterließ Zusammenbrüche, Kummer
und Schmerzen.
Das unvernünftige Spiel mit dem »Wertlosen« ist geradezu
ein Symptom für das Ende großer wirtschaftlicher Booms, für
die letzte Phase der Prosperität und die dritte Phase des
Bullenmarktes, wo das Geld in Strömen fließt. Und dieses
Phänomen kehrt immer wieder zurück. Eine Haussebewegung
bleibt anfangs im klassischen Rahmen, dann greift sie auf die
fragwürdigen Werte über. Durch eine langsame Infektion führt
sie zu einer unvernünftigen Übersteigerung mittelmäßiger
Aktien. Schließlich erfasst diese Aufwärtsbewegung eine große
Zahl von Unwerten, ja, von Antiwerten. Der Zustrom von
frischem Kapital mußte das Gleichgewicht von Angebot und
Nachfrage zerstören. Alle Welt wollte verdienen und bezahlte
unglaubliche Preise. Glücksritter aus ganz Europa kamen nach
Holland, um Tulpen zu erwerben, die ja im Preis steigen
mussten. Ähnlich wie heute kleine Sparer jeden Preis für
Internet-Aktien bezahlen. Und als die Kassen endgültig leer
waren, kaufte man auf Kredit. Warum auch nicht? Es war doch
ein sicherer Coup. Im holländischen Kreislauf der Hausse
wanderten die Tulpen von Hand zu Hand. Einen Tag wurden
rote Tulpen gesucht, am nächsten stieg der Preis der gelben, und
so fort. Es folgten Exemplare in Rosa oder Schwarz. Auch wie
heute. Einen Tag stürzen sich die Spekulanten auf die Hightech-
Werte, am nächsten auf die Banken.
Die Tulpe war längst keine Blume mehr, sondern nur noch ein
Spekulationsobjekt. Man brachte immer mehr Sorten auf den
Markt, neue Tulpen-Emissionen, und so entstand die
gefährlichste Situation: die Inflation in Nonvaleurs - sie ist stets
ein Vorläufer des Börsenkrachs.
Man lockte die kleinen, durch die steigenden Preise
verblendeten Sparer in ein halsbrecherisches Börsenspiel. Die
Preise stiegen nicht dank eines reellen Wertzuwachses, sondern
dank einer gewissenlosen Propaganda. Die Warnungen stießen
bei den kleinen Spielern nur auf taube Ohren. Auch sie wollten
bei diesem Börsenspiel dabei sein. Nicht einen Augenblick
dachten die Tulpenspekulanten daran, daß die Produktion den
Verbrauch weit überschreiten oder daß Holland mit
ausländischen Tulpen überschwemmt werden könnte. Der
Spekulationsballon war bis zum Zerreißen aufgeblasen.
Die Geschichte läuft schnell, die wirtschaftlichen Änderungen
der vergangenen Jahre sind ungeheuer. Aber die Zellen der
Börse bleiben unverändert wie die der Menschen. Ob es sich um
eine Börse aus dem 17. Jahrhundert oder eine von heute handelt,
ob es die berühmte Wall Street ist oder die winzige Börse eines
kleinen Landes - die Reaktionen bleiben immer die gleichen.
Ergebnisse von Experimenten an Mäusen oder Fröschen können
eben auch der Behandlung von Elefanten dienen...
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Mathematik brach Frankreich das Genick
Leere Staatskassen verhalfen Frankreich im 18. Jahrhundert
zu einem unvergessenen Börsenkrach. Der Regent und Onkel
des noch minderjährigen Ludwig XV. grübelte darüber nach,
wie die Staatskassen wieder zu füllen seien, als er von einem
gewissen John Law erfuhr. Dieser war ein für das Rechnen
bemerkenswert begabter Schüler, und als großer Spieler und
großer »Kombinator« hatte er in den verschiedensten Ländern,
in denen er sich umtat, überaus gut verdient. In Paris galt er als
ein auf dem Gebiet der Bankgeschäfte, des Handels und der
Währung überaus erfahrener Mann, und dies erweckte den
Wunsch des Regenten, ihn kennen zu lernen. Vielleicht konnte
dieser schlaue und liebenswürdige Schotte, der, wie die Damen
bei Hofe sagten, schöner war, als einem Mann eigentlich erlaubt
ist, Frankreich aus der Misere helfen. Der Regent und der
Schotte wurden die besten Freunde. Nachdem John Law durch
königlichen Erlass unbeschränkte Vollmacht für die Emission
von Schuldverschreibungen erhalten hatte, gründete er die
Nationalbank, die erste französische Bank im heutigen Sinne des
Wortes. Dann wandte er sich der Hochfinanz zu und rief die
Mississippi-Gesellschaft ins Leben, die sich mit der
Kolonisation von Louisiana, mit Handelsgeschäften und der
Ausbeutung von Bodenschätzen befasste.
Neben seinen theoretischen Fähigkeiten als Finanzmann war
Law ein hervorragender Psychologe, der es verstand, die Lust
am Gewinn zu wecken. Er war der Erste, der begriff, wie man
ein Nichts in Erfolg verwandelte, wie man alle Schichten des
Volkes dafür gewinnt, große Mengen von Wertpapieren zu
zeichnen.
Langsam heizte Law die Spekulationen an, bis sie den
Siedepunkt erreicht hatten und über jede Kontrolle
hinwegsprudelten. In den Werbeschriften der Mississippi-
Gesellschaft waren die Reichtümer dieser neuen Gebiete
überaus anziehend beschrieben: Berge von Gold und Silber in
idyllischen Landschaften. Kolorierte Stiche zeigten, daß der
Traum des harmlosen Eingeborenen lukrative Wirklichkeit
geworden war: Gegen einen Schluck Schnaps oder drei
Glasperlen tauschten die Wilden ganze Klumpen feinen Goldes
ein.
Diese meisterhaft dirigierte Werbekampagne hatte einen
Strom von Kapital in die Rue Quincampoix geleitet, in der seit
Beginn des 18. Jahrhunderts die Bankiers ihre Kontore
eingerichtet hatten. Die Kompanie legte immer neue Aktien auf,
die Hoffnung auf eine Hausse wurde sorgsam und ständig
genährt. Die Plätze in den Postkutschen nach Paris, wo man die
Aktien des Monsieur Law kaufen konnte, wurden schon Monate
im Voraus bestellt. Ein kleiner Buckliger verdiente ein
Vermögen damit, daß er seinen Höcker als Schreibunterlage
anbot. Einige Damen am Hofe schreckten nicht vor den
ungewöhnlichsten Mitteln zurück, um Aktien zu erhalten.
Innerhalb von drei Wochen wurden 300 000 Aktien auf den
Markt geworfen, und sie waren vergriffen, bevor die Tinte
getrocknet war. War es nicht dasselbe bei vielen Neuemissionen
der letzten Jahre? Die Dividenden, welche Laws Papiere
einbringen konnten, waren uninteressant, jeder rechnete nur mit
dem Kursgewinn, der bis zum Zwanzigfachen des
Emissionspreises betrug. Im Dezember 1719 wurde der Rekord
gebrochen. Die Aktien erreichten den Kurs von 18 000 Pfund,
was dem Sechsunddreißigfachen ihres Nominalwertes
entsprach. Ganz Europa blickte gespannt auf dieses aufregende
Schauspiel. In gelehrten Abhandlungen diskutierte man über
Laws System, das sich aber in nichts auflöste, bevor alle
Überlegungen zu Ende gedacht waren. Es genügte außerdem,
einen Bleistift zur Hand zu nehmen und die Dividenden
auszurechnen oder sich die Frage zu stellen, ob es überhaupt
eine Aussicht auf Dividenden oder Jahresgewinne gab. Wer aber
nimmt schon einen Bleistift in die Hand? Die Hartgesottenen!
Da und dort wurden ein paar Verkäufe getätigt, und schon
begann die Auflösung. Trotz seiner verzweifelten Bemühungen
gelang es Law nicht, die Panik aufzuhalten. Die Aktien
rutschten unaufhaltsam ab. Ein alter Spruch an der Wiener
Börse lautete: Eine Hausse kann auch ein Rothschild machen,
eine Baisse aber nie verhindern. Im Oktober 1720 hatten sich die
18 000-Pfund-Aktien festgefahren, sie waren unverkäuflich
geworden und auf 40 Pfund gefallen. Noch immer stand man
den ganzen Tag hindurch in der Rue Quincampoix Schlange.
Jetzt aber, weil man sein Geld zurückhaben wollte. Dramatische
Szenen lösten den Jubel ab.
»Alle, die vor sechs Wochen reich waren, sind heute arm.
Law hat den Staat umgestülpt wie ein Kleiderhändler einen
Mantel«, schrieb Montesquieu schockiert über den Skandal.
Eine Pariser Zeitung verfasste folgenden Spottvers auf John
Law:
»Hier ruht Schottlands berühmter Sohn,
der rechnete ohnegleichen schon,
und durch seine geniale Mathematik
brach er Frankreich das Genick.«
Als gebrochener Mann und mit leeren Taschen mußte John
Law Paris bei Nacht und Nebel verlassen, denn es bestand die
Gefahr, daß die Menge ihn lynchen würde. In größter Armut
und verlassen ist er 1729 in Venedig gestorben. Seine Gebeine
wurden rund 100 Jahre später von seinem Neffen in die Kirche
San Moisé gebracht, wo sie noch heute unter einem Stein liegen.
Ich versäume nie, wenn ich mich dort befinde, auf sein Grab ein
kleines Blumensträußchen zu legen.
John Law war sicherlich ein Spekulant und Spieler großen
Stils, aber ein Betrüger war er nicht. Er ist das Opfer seines
Freundes, des Regenten, geworden, der für seinen Haushalt
immer mehr Geld forderte, das er liefern mußte. Der typische
Fall der Banknoteninflation, wenn die Regierung von der
Notenbank ungedeckte Kredite fordert. Der gigantische
Börsenskandal wirkte noch lange nach. Die Folge war eine tiefe
Abneigung gegen die Spekulation, gegen Aktien, die fast ein
halbes Jahrhundert anhalten sollte.
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1929: Der Inbegriff des Börsenkrachs
Wie die Entdeckung Amerikas oder die französische
Revolution hat die amerikanische Wirtschaftskatastrophe von
1929 das Gesicht der westlichen Welt und ihre soziale Struktur
vollständig verändert. Sie geistert noch heute wie ein Gespenst
durch unser Leben. Für eine ganze Generation wurde das Jahr
1929 zur Wendemarke. Jahrzehntelang hörte man in
Unterhaltungen die Redewendung: »Das war, erinnern Sie sich,
vor ™29« oder »nach 1929.«
Doch vor dem schwarzen Donnerstag im Oktober hatte es
viele rosige Wochen und glückliche Jahre gegeben, in denen es
sich gut leben ließ. »God™s own country«, »Gottes eigenes
Land«, Amerika, strotzte vor Kraft im wieder gefundenen
Paradies der Prosperität. Aus einem Schuldnerstaat, wie vor dem
Ersten Weltkrieg, waren die Vereinigten Staaten zum Gläubiger
der ganzen Welt geworden. Die industrielle Produktion wuchs
ständig, der Verbrauch ebenfalls, beide aufgeputscht durch eine
Wunderdroge: Kredit. Alle landwirtschaftlichen oder
industriellen Rohstoffe, alle Wertpapiere stiegen unablässig. Die
Fernschreiber an der Wall Street spuckten in einem betäubenden
Rhythmus kilometerlange weiße Papierstreifen aus. Alle
Amerikaner, der Mittelstand, die kleinen Leute, die kaum in
Ellis Island gelandeten Einwanderer, alle ahmten die
Spekulation der Geldaristokratie nach. Der Markt befand sich
längst in der dritten Phase der Aufwärtsbewegung. Doch das
Gerüst der Spekulation ruhte auf einem Koloss mit wackligen
Füßen. Wenig Leute waren sich darüber im Klaren. Das Leben
war doch so schön!
Henry Ford I. erprobte seine neuen Modelle. Nachts
applaudierte man im Ziegfeld-Theater den Dolly Sisters. Mit
Paul Witheman folgte man den Melodien von George Gershwin,
der später mit der »Rhapsody in Blue« zum größten
Komponisten jener Zeit wurde. Dieser Sohn armer jüdischer
Einwanderer war der Ehrengast auf den glanzvollen Partys der
Aristokratie der Fifth Avenue. Jean Harlow beherrschte die
Filme der Warner Brothers. Mit ihren hellblauen Augen, den
Platinhaaren und den geschmeidigen Bewegungen war sie das
»Glamour Girl Nr. I« von Hollywood. Es war die heroische
Epoche der Prohibition und der »Speakeasies« (wo man Alkohol
trank). Im berühmten »Twenty One« (Nr. 21 auf der 52. Straße
West) lauschte man hingerissen den Schallplatten von Al
Johnson und Eddie Cantor, während man aus Teetassen
Whiskey schlürfte. Die Extravaganzen und Eroberungen des
schönen John Barrymore lieferten den Gesprächsstoff. Die
unsichtbaren Drahtzieher dieser betäubenden Show, die
professionellen Geldleute der Wall Street (heute die
Fondsmanager und Investmentbanker), hüteten sich, auch nur
den Anschein einer Gefahr ahnen zu lassen. Präsident Calvin
Coolidge, sein Nachfolger Herbert Hoover und sein
Finanzminister Mellon erklärten mit der ganzen Autorität der
amerikanischen Regierung öffentlich, es bestünde kein Grund,
daß all dies eines Tages aufhören würde.
Nach den Darstellungen vieler Historiker und
Nationalökonomen muß ich nicht unterstreichen, daß das Jahr
1929 die größte finanzielle Katastrophe der Weltgeschichte
gebracht hat. Sie platzte urplötzlich wie eine Naturkatastrophe
mitten in eine Atmosphäre wirtschaftlicher Euphorie, die
teilweise von der amerikanischen Regierung unter Präsident
Hoover künstlich aufrechterhalten wurde. Angelsächsische
Wirtschaftswissenschaftler bemühen sich, die Krise von 1929
aufzuklären, indem sie ihr, je nach dem eigenen Standpunkt,
eine andere Erklärung zugrunde legen. Einige meinen, die
Diskontsatzerhöhung der Bank von England sei das auslösende
Moment gewesen. Andere bestreiten dies, da die Federal
Reserve Bank ihren Zinssatz schon mehrmals erhöht hatte und
die Wall Street trotz Wind und Wetter weiter blühte. Manche
glauben, die allgemeine Vertrauenskrise sei durch den Krach der
Photomaton-Aktien in London ausgelöst worden. Das war mehr
als ein Finanzkrach, es war ein Skandal, der erste seit dem Krieg
1914-1918. Man nannte Clarence Hatry, den Chef der
Photomaton, einen Betrüger. Dieses Wort sollte später noch
allzu häufig auf andere Börsengrößen angewandt werden.
Die psychologischen Rückwirkungen des Hatry-Skandals im
September 1929 waren äußerst gefährlich. Das Vertrauen war
mit einem Schlag zerstört. Man stellte Fragen: Waren die neuen
Industrien nicht auch betrügerisch aufgebaut? Radio,
Kunstseide, Autos, all diese Industrien, die sich so schnell
entwickelt hatten, würden sie nicht eines Tages mit Verlust
arbeiten? (Vielleicht wird man sich die gleiche Frage
irgendwann zum Internet stellen.) Man begann, an der
Rentabilität der Konzentration großer Kapitalien zu zweifeln,
das heißt an der Ehrlichkeit der Trusts und
Holdinggesellschaften. Schon damals standen diese Verfahren
der Mischkonzerne und Investmentfonds in voller Blüte. (Die
meisten Holdinggesellschaften mussten viele Jahre später unter
Präsident Franklin Roosevelt aufgelöst werden.) Die
Muttergesellschaften brüteten Tochterunternehmen aus, die
dann die Aktien der Ersteren aufkauften. Man wusste nicht
mehr, wer die Tochter und wer die Mutter war. Nur eines war
klar: Die Aktien stiegen, berechtigt oder unberechtigt, mit oder
ohne Gewinn der Gesellschaften. Denn wie heute konnte man
dem Publikum alles versprechen. Nichts ist leichter, als den
Leuten Wertpapiere zu verkaufen, deren Kurs schon gestiegen
ist. Ebenso schwer ist es, das Publikum für Aktien zu
interessieren, wenn die Kurse schon gefallen sind oder sehr tief
stehen, denn die Laune des Publikums folgt den Launen der
Kurse. Die Masse kauft nur bei steigenden Preisen, die dadurch
noch weiter in die Höhe getrieben werden.
Am 22. Oktober kam dann der Zusammenbruch. Gestern
stand das Barometer noch auf schön, und heute blitzte und
donnerte es aus heiterem Himmel. Für einige erfahrene
Börsianer war es keine Überraschung. Es kam wie schon so oft
in der Finanzgeschichte: Der Börsenboom schwillt mit den
zufließenden Geldern und Krediten zu einem Riesenballon an,
der dann durch einen Nadelstich platzen kann - und dieser Stich
kommt unfehlbar. Ich wiederhole: kein Börsenkrach, dem nicht
ein Börsenboom vorangegangen ist, kein Boom, der nicht mit
einem Krach endet. Die Ereignisse überstürzten sich.
22. Oktober: Eine große Verkaufswelle und steigende
Nervosität bestimmen die Wall Street.
23. Oktober: Die Börse bleibt flau, nur ein paar
Gelegenheitskäufer wollen von den gesunkenen Kursen
profitieren.
24. Oktober: Zuerst herrschte Ruhe vor dem Sturm, dann
brach er los wie ein Weltuntergang. Eine Lawine von
Verkäufern, die ohne Käufer blieben, verschlang die Wall Street
mit Haut und Haaren.
Zufällig beobachtete ein berühmter Besucher, Winston
Churchill, von der Galerie aus, wie eine Panik das Publikum
ergriff. Geschrei stieg von der Broad Street herauf, aufgeregte
Menschenmassen rotteten sich zusammen und ließen sich von
der Polizei nicht zerstreuen.
Ohne Hut und Regenschirm eilte Charles Mitchell, Präsident
der National City Bank, der wichtigste Drahtzieher der Wall
Street, im Laufschritt zur Wall Street Nr. 23, in J. P. Morgans
schallgedämpftes Büro. Es lag in einem zweistöckigen Palais
zwischen Wolkenkratzern, auf dem teuersten Grund und Boden
der Welt. Vor dem atemlosen Besucher bewahrte John Pierpont
Morgan II seine Ruhe. Er dachte an seinen Vater, John Pierpont
Morgan I, der bereits im Jahre 1907 die Wall Street vor der
Katastrophe gerettet hatte. Und nun, zweiundzwanzig Jahre
später, kam man wieder Hilfe rufend zu den Morgans.
»Es muß etwas geschehen, oder alles geht zugrunde«, sagte
Mitchell, das Orakel der Börse, mit zittriger Stimme.
»Berufen wir doch gleich eine Konferenz aller Bankiers ein«,
antwortete J. P. Morgan.
Man war sich des ganzen Ausmaßes dieses Dramas noch nicht
bewusst. Am nächsten Morgen schrieb das Wall Street Journal
verblendet und noch immer vertrauensvoll: »Es handelt sich nur
um eine gesunde und natürliche Reaktion der Börse. Gewisse
Wertpapiere erreichten übersteigerte Preise, eine Korrektur war
notwendig.« Das alles zeugte von unsinniger Naivität, und ich
getraue mich, das offen auszusprechen. Wie immer fing es mit
der Korrektur an, aber nach der Korrektur kommt die zweite und
die dritte Phase, wie schon beschrieben.
Die fünfgrößten New Yorker Bankiers trafen sich zu einer
improvisierten Konferenz im Büro von J. P. Morgan. Es galt,
keine Zeit mehr zu verlieren. Die Panik (der psychologische
Faktor) mußte eingedämmt werden. So schnell wie möglich
mußte das Heilmittel gefunden werden: Geld. Der strategische
Plan wurde in einer knappen Stunde entworfen. Die Bankiers
verpflichteten sich, die für die damalige Zeit gigantische Summe
von 240 Millionen US-Dollar einem Stützungsfond zur
Verfügung zu stellen, um die Wall Street durch Aufkäufe wieder
flott zu machen. Der Vizepräsident der New York Stock
Exchange, Richard Withney, wurde beauftragt, die
Rettungsaktion zu leiten. Er erschien persönlich im großen Saal
der Börse und erteilte mit lauter Stimme, damit ihn jeder hörte,
Kaufaufträge zu Kursen, die man den ganzen Tag über nicht
gehört hatte: 1000 Aktien »Steel« zum Kurs von 205, nachdem
dieses Papier schon bei 190 keine Käufer gefunden hatte.
Aber es war zu spät, und die Bluttransfusion reichte nicht aus.
Von grenzenlosem Optimismus verfiel man in grenzenlosen
Pessimismus. In den kommenden Tagen stürzten die Kurse unter
einer Flut von Angeboten, und die sinkenden Preise lösten noch
weitere Verkäufe aus, genauso wie im Jahr zuvor die steigenden
Preise immer neue Kaufaufträge gebracht hatten.
Die Gebäude in der Wall Street blieben auch nachts hell
erleuchtet und voller Aktivität, weil die Angestellten die Höhe
der Garantiedepots der Kunden nachprüfen mussten. In aller
Eile ließen die Makler Rundschreiben drucken, mit denen neues
Geld für Garantien angefordert wurde. Die Telegramme
überstürzten sich: »Bitte Deckung überweisen.« Aber in den
Umschlägen, die daraufhin kamen, waren keine Schecks,
sondern nur Aufträge: »Alles verkaufen!« Das flüssige Geld war
verschwunden.
Am 19. Oktober 1929 fand eine neue Konferenz, diesmal
geheim, in den Souterrain-Räumen der Börse statt. Würde man
die Börse schließen? Auch das würde nichts nützen, es war zu
spät, wie die Bankiers niedergeschlagen feststellten. Die
Verluste waren entsetzlich. Der Aktienmarkt hatte einen
verhängnisvollen Schlag erhalten, der das Wirtschaftsleben von
Grund auf erschütterte. Um wenigstens etwas zu retten,
versuchte man, mit Worten das Vertrauen wieder herzustellen
und die wundervolle »prosperity« zurückzubringen. Eine
Pressekampagne, offizielle Erklärungen mit hoffnungsvollem
Unterton, Aufforderungen, die Ruhe zu bewahren - alles war
vergebens. Spekulanten und Publikum hatten den Kopf verloren
und konnten den Nervenschock nicht überwinden. Für schöne
Reden war es zu spät: Die öffentliche Meinung war völlig
umgeschlagen. Allgemeine Hoffnungslosigkeit breitete sich
genauso aus wie vorher der tolle Rausch. Es war nicht nur eine
Nervenkrise, sondern ein schnell um sich greifender Bazillus.
Eine Begleiterscheinung der immensen Börsenverluste war
die täglich schlimmer werdende Lähmung der Kaufkraft. Die
auf Kredit gekauften Wohnungen, Autos, Radios und
Kühlschränke waren vor allem vom Boom an der Wall Street
abhängig. Der kleinste Angestellte hatte nicht gezögert, sein
Budget zu überschreiten, weil er sicher glaubte, aus seinen
Börsengewinnen die Ratenzahlungen leisten zu können. All das
war vorbei. Und vom Verbraucher übertrug sich die Krise auf
die Produktion. Vom leichten Leben, von der guten Stimmung
blieb nichts als ein Aschehäuflein übrig. »Betteln werden wir«,
sagten die Optimisten. »Aber bei wem?«, lautete die Antwort
der Pessimisten.
Hunderte Anekdoten geben mit Galgenhumor die Atmosphäre
dieser trüben Jahre wieder: Ein Spekulant kommt eilig in ein
Restaurant in der Wall Street, bestellt Austern, eine Suppe, ein
Steak, Gebäck und Kaffee. Da es ihm zu lange dauert, bis der
Kellner die Austern geöffnet hat, läuft er schnell weg, um einen
Blick auf den Ticker zu werfen.
»Bestellen Sie die Austern ab!«, brüllt er.
Er rennt wieder zum Ticker - die Baisse verstärkt sich.
»Bestellen Sie die Suppe ab!«
Er dreht sich wieder zum Ticker -
»Bestellen Sie das Steak ab!«
So geht es weiter bis zum Kaffee. Statt zu Mittag zu essen,
muß der arm gewordene Spekulant den Kellner bitten, ihm ein
Glas Wasser und ein Aspirin zu bringen.
Die Wolkenkratzer standen leer, Symbole des Reichtums von
gestern. Die Zahl der Selbstmorde wuchs unablässig. Als ein
Engländer in einem New Yorker Hotel ein Zimmer in einer der
oberen Etagen verlangte, um die Aussicht besser genießen zu
können, wurde er gefragt: »Wollen Sie da schlafen oder
herunterspringen?«
Die Amerikaner, die in guten wie in schlechten Zeiten eine
Schwäche für Statistiken haben, versäumten nicht, das Ausmaß
der Katastrophe in Zahlen festzuhalten: 123 884 erfolglos reiche
Spekulanten, die vorher mit einem Cadillac in die Wall Street
gefahren waren, mussten nun zu Fuß gehen. 173 397
verheiratete Männer mussten ihre Geliebten verlassen, die sie
sich jetzt nicht mehr leisten konnten, und zu ihren angetrauten
Ehefrauen zurückkehren. Die Münze prägte 111 835 248
Nickels (Fünf-Cent-Münzen) für die Leute, die nie vorher mit
der U-Bahn gefahren waren und sie jetzt benutzen mussten.
Die soziale Hierarchie zerfiel. Millionäre von gestern
verkauften Äpfel an den Straßenecken. Die Einwanderer
verloren alles, was sie besaßen - bis auf ihren Akzent. Eine
Fabrik nach der anderen mußte die Arbeit einstellen, und viele
Millionen von Arbeitslosen forderten Unterstützung von der
machtlosen Regierung. Die Deflation drohte die Vereinigten
Staaten immer mehr zu ersticken. Und es gab nicht den kleinsten
Hoffnungsschimmer am Horizont. Überall krachte es. Die
Politiker, die Leute von Theater und Film, alle bis hin zu den
Superhellsehern bemühten sich vergeblich, das Ende des
Albdrucks vorauszusagen. Sogar auf den Brettln sang man: »Es
kommen bessere Zeiten, Prosperity ist auf dem Weg.« Die Tiefe
des Abgrunds lässt sich am besten an Zahlen abmessen:
Gesellschaft Aktienkurse in Dollar 1929 1932
Radio Corporation (Elektroindustrie) 115 3½
New York Central (Eisenbahnen) 256 5
Chrysler (Automobil) 135 5
General Motors (Automobil) 92 4½
General Electric (elektrische Apparate) 220 20
Montgomery Ward (Warenhaus) 70 3
United Steel (Stahlwerk) 375 22
In diesen dunklen Tagen brachten die Wahlen vom November
1932 einen von der Vorsehung auserwählten Mann ins Weiße
Haus: Franklin Delano Roosevelt. Er allein trug die
Verantwortung für die Zukunft, für die Rettung eines Kontinents
und des kapitalistischen Systems. Als Roosevelt die Regierung
übernahm, hatte die Panik ihren Höhepunkt erreicht. Als Erste
schlossen die Banken des Staates Michigan aufgrund des
Kassensturms. Ihnen folgten die Banken der siebenundvierzig
anderen Staaten. (Damals hatte die amerikanische Flagge nur
achtundvierzig Sterne.) Man fragte sich, was aus der Wall Street
werden sollte. Roosevelt berief sofort eine Konferenz ein. Es
wurde der New Deal geschmiedet, aus dem unzählige
wirtschaftliche, finanzielle und soziale Reformen folgten. So
wurde das Trennbankensystem eingeführt, um die Spekulation
auf Kredit zukünftig zu vermeiden. Banken konnten entweder
im Wertpapierhandel oder im klassischen Kreditgeschäft tätig
sein, beides gleichzeitig aber war fortan verboten. Seit einigen
Jahren kämpfen die amerikanischen Banken für eine Aufhebung
des Trennbankensystems, da sie ihre internationale
Wettbewerbsfähigkeit gefährdet sehen.
Doch für das Durchbrechen der deflationären Abwärtsspirale
war vor allem eine Maßnahme entscheidend: Roosevelt riss den
Dollar vom Goldstandard los, wie es England mit dem Pfund
bereits zwei Jahre zuvor getan hatte. Der Dollar wurde um 40
Prozent abgewertet, und diese Maßnahme stellte die
Wettbewerbsfähigkeit der Vereinigten Staaten wieder her, die
durch die vorherige Abwertung des Pfundes stark gelitten hatte.
Die Federal Reserve verteilte frisches Geld an alle Banken, und
die Schalter wurden wieder geöffnet. Die Leute rannten früh
morgens zu den Banken, um schnell ihr Geld abzuheben. Es
bildeten sich lange Warteschlangen. Doch als sie sahen, daß die
Banken jeden Betrag auszahlten, trat Beruhigung beim
Publikum ein, und am Abend waren mehr Guthaben auf der
Bank als vor der Schalteröffnung.
Man stand am Beginn einer neuen Ära. Es folgte ein großer
Wirtschaftsaufschwung, und aus einem kranken, sehr kranken
Land wurde ein neuer aufblühender Staat. Der Mann, den die
Wall-Street-Krise für vierzehn mühevolle Jahre an die Macht
gebracht hatte, hat sich einen Ehrenplatz in der amerikanischen
Geschichte erobert.
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Inhalt.................................................................................................... 2
Vorwort............................................................................................... 5
Die Faszination des Geldes.............................................................. 11
Geld und Moral............................................................................... 11
Geld - der Wertmaßstab der freien Welt........................................ 13
Wie viel Geld braucht man, um Millionär zu sein?........................ 17
Das richtige Verhältnis zum Geld.................................................. 19
Millionär in kurzer Zeit.................................................................. 22
Eine Kunst, und keine Wissenschaft.............................................. 23
Spekulant, das bin und bleibe ich................................................... 24
Mein Börsenzoo................................................................................ 27
Spekulation - so alt wie die Menschheit!....................................... 27
Spekulieren oder nicht spekulieren?............................................... 31
Makler: Nur der Umsatz zählt........................................................ 34
Money-Manager: Herrscher über Milliarden................................. 35
Finanziers: Die großen Macher...................................................... 36
Arbitrageure: Eine aussterbende Spezies....................................... 37
Börsenspieler: Die Hasardeure der Börse....................................... 40
Anleger: Die Marathonläufer der Börse......................................... 44
Spekulanten: Strategen auf lange Sicht.......................................... 46
Spekulieren! aber womit?................................................................ 51
Eine Frage von Chance und Risiko................................................ 51
Anleihen: Ein bedeutenderes Spekulationsobjekt als man denkt... 52
Devisen: Früher interessanter als heute.......................................... 57
Rohstoffe: Spekulant gegen Spekulant........................................... 65
Sachwerte: Sammler oder Spekulant?............................................ 69
Immobilien: Nur was für große Spekulanten................................. 71
Aktien: Das Spekulationsobjekt an sich......................................... 74
Die Börsen - Nervensystem der Marktwirtschaft?....................... 76
Die Geburtsstunde.......................................................................... 76
Nervensystem des Kapitalismus..................................................... 83
Treffpunkt der Börsenteilnehmer................................................... 86
Spiegel der Weltgeschichte............................................................ 88
Thermometer der Wirtschaft?......................................................... 89
Was die Kurse bewegt...................................................................... 91
Die Logik der Börse....................................................................... 91
Das Postulat von Angebot und Nachfrage...................................... 93
Die langfristigen Einflussfaktoren.................................................. 95
Moll oder Dur?............................................................................... 95
Der Friede ist das Wichtigste.......................................................... 96
Die wirtschaftliche Entwicklung auf lange Sicht........................... 98
Die mittelfristigen Einflussfaktoren.............................................. 108
Geld plus Psychologie gleich Tendenz......................................... 108
Die Konjunktur: Unwichtig für die mittelfristige Börsentendenz 111
Inflation: Nur der Kampf gegen sie ist schädlich......................... 114
Deflation: Die größte Katastrophe für die Börse.......................... 117
Notenbanken: Die Diktatoren der Zinsen..................................... 118
Anleihen: Die Konkurrenten der Aktie........................................ 124
Devisen: Und was macht der Dollar?........................................... 127
Die Psychologie der Massen........................................................ 130
Die Börsenpsychologie.................................................................... 132
Zittrig oder Hartgesotten? - das ist hier die Frage....................... 132
Geld.............................................................................................. 133
Gedanken...................................................................................... 136
Geduld.......................................................................................... 140
Glück............................................................................................ 142
Das Ei des Kostolany.................................................................... 144
Boom und Krach: Ein unzertrennliches Gespann......................... 161
Die Tulpenkatastrophe im 17. Jahrhundert................................... 162
Mathematik brach Frankreich das Genick.................................... 166
1929: Der Inbegriff des Börsenkrachs.......................................... 170
»Antizyklisch« lautet das Erfolgsrezept....................................... 179
Eine Frage der Charakterstärke.................................................... 183
Haussier oder Baissier? - Keine Prinzipienfrage......................... 186
Im Informationsdschungel............................................................. 201
Informationen: Das Handwerkszeug des Spekulanten................. 201
Das Phänomen des Fait accompli................................................ 203
Die Informationsgesellschaft........................................................ 211
Tipps, Empfehlungen und Gerüchte............................................. 213
Börsengurus: Vom Wunderrabbiner bis zum Mathematiker........ 216
Insider-Informationen................................................................... 223
Stockpicking.................................................................................... 226
Von der Aktienbörse zur Börse von Aktien................................. 226
Wachstumsbranchen: Die Chance, reich zu werden..................... 228
Der faire Preis einer Aktie............................................................ 230
Turnaround-Werte: Der Phönix aus der Asche............................ 232
Das unsinnige Vokabular der Analysten...................................... 234
Charts: Gewinnen kann man, verlieren muß man........................ 236
Die Geldverwalter........................................................................... 241
Spekulanten auf fremde Rechnung............................................... 241
Investmentfonds: Der Autobus für viele Anleger......................... 243
Hedge-Fonds: Bereits der Name ist Betrug.................................. 245
Anlageberater: Ihre Freud ist des Kunden Leid............................ 248
Vermögensverwalter: Die Maßschneider unter den Geldverwaltern
...................................................................................................... 250
An den, der es wagen will............................................................... 251
Verlieren gehört dazu................................................................... 251
Keine Frage der Zeit..................................................................... 254
Der Nimbus hat Folgen................................................................ 255
Börse und Liebe und die Liebe zur Börse.................................... 257
ZEHN GEBOTE........................................................................... 265
ZEHN VERBOTE........................................................................ 266
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-->Andre Kostolany schreibt darüber in"Kostolanys beste Geldgeschichten":
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Ein Reicher unter Armen und die Kreuger−Tragödie
Ich war bekanntlich Anfang der dreißiger Jahre, zur Zeit der großen Wirtschaftskrise, eingefleischter Baissier − eine
Angelegenheit, die sich als sehr lukrativ erwies. Ich war von meinen Erfolgen wie berauscht. Nicht so sehr von dem
Geld wie von der Bestätigung meiner Voraussagen. Meine Kollegen besuchten mich. Sie sahen in mir geradezu einen
Propheten, der die Entwicklung − gegen die allgemeine Meinung — richtig beurteilt hatte. »Wie konnte
dies nur geschehen?« fragten sie mich. »Alles ist möglich an der Börse, sogar das, was logisch ist« war meine Antwort.
Denn für mich war der Zusammenbruch der Oustric−und Devilder−Spielsyndikate genauso logisch, ja fast
selbstverständlich, wie vierzig Jahre später der Zusammenbruch von IOS, Gramco etc. Das einzige, was mich erstaunte,
war das Erstaunen der anderen.
Da ich jetzt die Mittel dazu hatte, wollte ich auch die Annehmlichkeiten des Lebens genießen. Dabei machte ich aber
eine peinliche Entdeckung. Mein philosophischer Rationalismus und mein Börsenspürsinn hatten dazu geführt, daß ich
viel verdiente, während die anderen verloren. Ein Vers von Wilhelm Busch kam mir damals oft in den Sinn: »Höchst
fatal, bemerkte Schlich, hebe − aber nicht für mich.« Mein Wunsch war in Erfüllung gegangen, aber das Schauspiel, das
ich vor Augen hatte, betrübte mich aufs höchste.
Meine Freunde, meine Kameraden, alle, die ich gern hatte, waren ruiniert. Sie hatten in dieser Krise entweder ihr Geld
oder ihre Stellung verloren und wußten nicht, was ihnen die Zukunft
bringen würde. Ich hingegen konnte mir jetzt jeden Luxus leisten und jedes Vergnügen, von dem ich je geträumt hatte.
Die eleganten Hotels und Restaurants standen mir offen, denn meine Brieftasche war gefüllt, aber − und jetzt kommt
das große Aber: Die anderen waren nicht dabei. Die gute Atmosphäre war dahin, das fröhliche Lachen verklungen, an
seine Stelle waren Verbitterung und schlechte Laune getreten. Ich war allein, allein mit mir selbst. Überall wurde etwas
zum Verkauf angeboten, aber ich hatte keinen Spaß mehr am Kaufen. Ich begriff, daß Champagner und Kaviar kein
Vergnügen machen, wenn die Freunde sich mit einer Tasse Kaffee begnügen müssen.
Ich wagte nicht, glücklich zu sein, und konnte es auch gar nicht. Ich kam mir schlechter vor, als ich war.
Eine Idee drängte sich mir auf. Wäre es nicht schöner, gleichzeitig mit den anderen zu verdienen − natürlich immer
etwas mehr als die anderen −, aber doch im gleichen Strom zu schwimmen wie sie? Mein Erfolg bedrückte mich
beinahe. Ich begann an meiner Baisse−Philosophie zu zweifeln. Man kann nicht immer nur lachen, wenn die anderen
weinen. »Der Baissier wird von Gott verachtet, weil er nach fremdem Gelde trachtet«, heißt es im Börsenkatechismus.
Und eines Tages trat das fatale Ereignis ein, das mich völlig verwandelte. Es war eine Tragödie, bei deren Schluß sich
die Schauspieler nicht mehr erheben konnten.
Es war an einem Samstagnachmittag. In tiefem Ernst hatten sich die Pariser zum Staatsbegräbnis für Aristide Briand
(der große Freund Stresemanns) auf den Champs−Elysees eingefunden. Nach der Zeremonie zerstreute sich die
Menge. Ich wußte nicht recht, was anfangen, und um die Zeit zu vertreiben, ging ich zum Plaudern in das Büro eines
Freundes, eines amerikanischen Börsenmaklers. Natürlich warf ich einen Blick auf die letzten Börsenkurse.
Damals gab es an Samstagen nur eine sehr kurze Nachmittagsbörse − zwei Stunden. Bei einem sehr ruhigen Markt hatte
sich jedoch etwas Merkwürdiges ereignet. Ein einziger Wert war
Gegenstand riesiger Transaktionen. Hunderttausende von Kreuger&Toll−Aktien des großen schwedischen
Streichholztrusts wurden gehandelt − während der ganzen Börsenzeit zu ein und demselben Kurs, dem gleichen wie
am Vorabend. Ich war sofort neugierig, da ich mit Kreuger−Aktien auf Baisse spekuliert hatte.
Die Idee von lvar Kreuger, dem schwedischen Streichholzkönig, war ebenso einfach wie gescheit.
Die mittel− und osteuropäischen Länder brauchten Geld, und Kreuger war bereit, es ihnen zu besorgen. Als Entgelt ließ
er sich das Streichholzmonopol einräumen, das ihm einen interessanten Gewinn sicherte. Nur besaß Kreuger nicht die
großen Summen, die zum Beispiel Deutschland brauchte.
So emittierte seine Firma Anleihen, und den Gegenwert stellte er den kapitalbedürftigen Ländern zur Verfügung. Der
größte Teil dieser Anleihen wurde in den Vereinigten Staaten gezeichnet − oder hätte gezeichnet werden sollen.
Kreuger wollte nicht an den Differenzen im Zinssatz zwischen dem verliehenen und dem geborgten Geld, sondern
lediglich an den Gewinnen aus der Streichholzfabrikation verdienen. Die Methode war nicht neu, sie war die große
Spezialität der Fugger im 16. Jahrhundert gewesen, nämlich die Gewährung von Krediten im Austausch gegen ein
Monopol.
Die Fugger hatten den in Schwierigkeiten geratenen Fürsten Geld geliehen und dafür das Privileg eines Handels oder
die Ausbeutung von Bodenschätzen erhalten. Der König von Portugal räumte ihnen eine Zeit lang das Monopol des
Pfefferhandels ein, und der spanische König überließ ihnen die Ausbeutung seiner Silber−und Kupferminen.
Kreuger hatte dieses System wieder aufgegriffen und es der modernen Zeit angepaßt. Er bediente sich der Effekten, der
Inhaber−Obligationen, um amerikanisches Kapital nach Mittel−und Osteuropa zu schleusen.
Die Schuldnerländer waren Ungarn, Rumänien, Deutschland, Jugoslawien, Polen und einige südamerikanische
Staaten. Zu den Gläubigern gehörten in erster Linie die Vereinigten Staaten, die
Niederlande, die Schweiz, Großbritannien, Frankreich, also die kapitalkräftigen Länder des Westens.
Die Sache schien vernünftig und auch durchführbar. Sie hätte es sein können, wenn die Schuldnerländer solvent
geblieben wären. Zum Zusammenbruch führte sicherlich keine Unanständigkeit lvar Kreugers; die für Mitteleuropa
ungünstigen politischen Ereignisse lösten die Katastrophe aus.
Kreuger hatte die finanzielle Struktur und die wirtschaftliche Zukunft dieser Länder falsch beurteilt. Er war Ingenieur,
Industrieller, aber gewiß kein erfahrener Bankier oder Spekulant. Sonst hätte er sich nie auf eine solche Sache
eingelassen. Aber da er weder die Qualitäten des einen noch des anderen besaß, endete alles tragisch.
Deutschland, Rumänien, Ungarn und die anderen Schuldnerländer stellten eines Tages die Zahlung der Zinsen und der
Amortisierungsbeträge ein. Diese Tatsache allein hätte aber den Zusammenbruch des Kreugerschen Industriereiches
noch nicht herbeigeführt, wären die herausgegebenen Obligationen tatsächlich beim Publikum untergebracht gewesen.
In diesem Falle hätten die Inhaber der Obligationen ihren Einsatz oder einen Teil ihres Einsatzes verloren, die
Emissionsgesellschaft wäre aber nicht wegen Zahlungsunfähigkeit der Schuldner pleite gegangen. Der Credit Lyonnais,
der die Unterbringung der russischen Renten besorgt hatte, ging nicht zugrunde, als die UdSSR sich weigerte, die
Anleihen des zaristischen Rußland anzuerkennen − wenn auch die Inhaber der Obligationen dabei ihr Geld verloren.
Und die Bank Rothschild ist auch nicht umgefallen, als eine große Zahl ausländischer Anleihen, die sie beim Publikum
untergebracht hatte, faul wurden.
Aber Kreuger verfügte weder über Tausende von Bankschaltern wie die großen Kreditinstitute, noch hatte er den Ruf
der Rothschilds. Er hatte nicht alle Obligationen unterbringen können, ein großer Teil war an ihm hängen geblieben.
Diese Papiere gab er bei verschiedenen Banken »in Pension« (das heißt als Deckung). Dafür erhielt er kurzfristige
Kredite, und diese Kredite brauchte er wiederum für die mitteleuropäischen Länder.
Für einen scharfsichtigen Spekulanten, der die Einzelheiten einer finanziellen Operation übersieht, war die Affäre
Kreuger klar. Außerdem erfuhr ich, daß der Syndikus des Verbandes der offiziellen Börsenmakler durch ein geheimes
Rundschreiben die siebzig gemeinschaftlich haftenden Verbandsmitglieder aufgefordert hatte, die Zahl der
Kreuger−Obligationen zu begrenzen, für die sie Kredite garantierten.
Damals erreichte die Wirtschaftskrise in Amerika ihren Höhepunkt. Es bestand auch keine Hoffnung auf eine Besserung
der politischen Lage in Mitteleuropa. Infolgedessen war auch niemand interessiert, sein Geld in Kreuger−Obligationen
anzulegen − die Situationschien mir kritisch. Ich hatte keine Bedenken, mit den schwedischen Streichhölzern auf Baisse zu
spekulieren. Die Kurse gaben bereits etwas nach, aber Kreuger stützte sie offensichtlich, um die Kreditfähigkeit seiner
verschiedenen »Pensionen« bei den Banken und Börsenmaklern nicht zu gefährden. In Paris arbeitete die Bank von
Schweden für Kreuger, in New York war es das Bankhaus Lee Higginson, und seine wachsamen Bevollmächtigten
kauften ständig, um die Kurse zu halten.
Wahrscheinlich bestand bei gewissen Banken ein Dauerauftrag, koste es, was es wolle, den Preis von 5,25 Dollar zu
halten, selbst wenn dies den Erwerb einer großen Menge von Papieren erfordern sollte. Damit erklärte ich mir die
zahlreichen Verkäufe vom Samstag. An jenem Nachmittag, als mich das Begräbnis Briands auf die Champs−Elysees
geführt hatte, waren von geheimnisvoller Seite innerhalb von zwei Stunden Hunderttausende von Papieren auf den
Markt geworfen worden. Ich zerbrach mir den Kopf, woher diese Aufträge kamen.
Natürlich konnte ich nicht wissen, daß ein paar Häuser weiter lvar Kreugers Leiche in seiner Wohnung in der Avenue
Victor Emmanuel III lag. Als die Börse nachmittags in Wall Street
eröffnet wurde, war er bereits tot. Aber auch die Banken, die Kreugers Interessen vertraten, wußten es nicht. Sonst
hätten sie die Kauforder ihres Klienten nicht ausgeführt.
lvar Kreuger hatte am Samstag morgen um 11 Uhr Selbstmord begangen. Unter Berücksichtigung des Zeitunterschiedes
hätte die Nachricht vor Eröffnung der Börse in New York sein können. Sie wurde aber erst sehr spät am Samstag
abend bekanntgegeben.
Ein paar Personen kannten das Geheimnis. Einer von Kreugers Teilhabern, der gleichzeitig sein bester Freund war, die
Privatsekretärin und die Aufwartefrau, die beim Reinemachen die gräßliche Entdeckung machte. Die beiden Frauen
bewahrten Stillschweigen.
Kreugers Teilhaber setzte geschickt bei der Polizeipräfektur durch, daß die Nachricht vom Selbstmord nicht vor dem
Abend bekanntgegeben wurde. Es gelang ihm sogar, die beeindruckten Beamten davon zu überzeugen, daß es sonst
eine Weltkatastrophe gäbe, an der sie die Schuld trügen.
Schließlich verlangte der Rang des Verstorbenen, der Grand Officier der Ehrenlegion gewesen war, gewisse
Rücksichtnahmen. Außerdem waren die Dienststellen der Präfektur wegen des Staatsbegräbnisses für Briand, und weil
Wochenende war, spärlich besetzt. In gutem Glauben und überzeugt, das Rad der Geschichte aufzuhalten, fanden sich
die Beamten der Präfektur also bereit, das Geheimnis zu wahren.
Es war eine Farce mit unheilvollen Folgen. Denn wem hatten die »so lebenswichtige« zwölf Stunden Aufschub genützt?
Den Gang der Geschichte haben sie gewiß nicht aufgehalten. Dafür haben eine Handvoll Spekulanten, die noch
annähernd fünfhunderttausend Titel verkaufen konnten, sehr schön davon profitiert.
Unter denen, die das Geheimnis kannten, befand sich auch ein hoher Beamter der Polizeipräfektur. Zum Mittagessen
hatte er den Verlobten seiner Tochter, den amerikanischen Journalisten Mike W., zu Gast.
»lch habe eine sensationelle Nachricht für Sie, und Sie werden sicher wissen, wie Sie sie verwenden oder sogar Nutzen
daraus ziehen können. Nur müssen Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie sie nicht vor dem Abend weitergeben. Stellen
Sie sich vor, der schwedische Streichholzkönig lvar Kreuger hat heute morgen in seiner Wohnung Selbstmord
begangen.
Der junge Mann gab sein Ehrenwort. Als gewissenhafter Journalist begab er sich in das Archiv seiner Zeitung, um dort
Material über den Lebenslauf des Finanzmannes zu sammeln. Dann ging er nach Hause, schrieb einen langen Artikel
und kabelte ihn noch am selben Abend an seine Redaktion.
Am nächsten Morgen brachten alle Zeitungen die sensationelle Nachricht in riesigen Balkenüberschriften. »Selbstmord
des Finanziers Kreuger!« Als ich meine Morgenzeitung entfaltete, bekam ich einen Schock. Die Nachricht wirkte auf
mich wie ein Schlag mit dem Holzhammer. Mit einem mal war mir der große Wirbel mit den Aktien am Vortag klar.
Ich hatte wieder verdient, diesmal aber auf Kosten eines Menschenlebens. Dieser Schlag traf auf einen psychisch
bereits vorbereiteten Boden und verleidete mir die Baissespekulation. Ich fühlte mich geradezu schuldig am Tod lvar
Kreugers. Jedenfalls hatte ich mir einen gewissen Mangel an Moral zuschulden kommen lassen.
Ich wußte noch nicht, daß Kreugers Tod meine Lebensphilosophie ändern würde. Durch diesen Schock wurde ich zum
Optimisten und Haussespekulanten.
Am Montagmorgen stürzten die Kreuger−Werte und konnten kaum noch notiert werden. Ich begann einzudecken.
Mehrere amerikanische Banken stellten als Folge der massiven Käufe vom Samstag ihre Zahlungen ein.
Der Schock traf mich um so mehr, als ich lvar Kreuger zutiefst nicht für den Betrüger hielt, als den ihn die Weltpresse
hinstellte. Der Grundgedanke seiner Geschäfte war anständig und korrekt. Er täuschte sich nur in der Beurteilung der
wirtschaftlichen und politischen Lage und wurde das Opfer unglücklicher Umstände.
Als sein Gebäude ins Rutschen kam, versuchte er, sich überall festzuhalten, gleichgültig, wo, wie es jeder Stürzende
tut. So ließ er sich von einem Ausweg zum anderen treiben, immer weiter, ohne die Trennungslinie genau zu beachten
zwischen dem, was noch legal war und was nicht mehr. Gewiß, das Publikum verlor Milliarden, aber die Verantwortung
dafür sollte nicht allein dem gesetzwidrigen Vorgehen Kreugers zugeschrieben werden, sondern auch den politischen
Ereignissen und den finanziellen Verhältnissen in Mitteleuropa. Und mit etwas Toleranz, glaube ich, sollte man
lvar Kreuger mildernde Umstände zubilligen. An diesem Tag kam auch der Journalist wieder zu seiner
Verlobten. »Nun, haben Sie aus meiner Mitteilung Nutzen gezogen?«
fragte ihn der Vater.
»Ja, natürlich« antwortete der junge Mann, »der Direktor unserer Zeitung hat mich zu meinem Artikel beglückwünscht,
weil ich, dank Ihnen, der erste war, der die Nachricht übermittelte«
»So, und weiter haben Sie nichts getan!!!!« Der junge Mann mußte seine Einfalt teuer bezahlen. Er bekam die Hand der
Tochter nicht, denn für den Existenzkampf in dieser Welt war er entschieden zu unreif.
Andere Leute hatten die Mitteilung − vielleicht aus der gleichen Quelle − offenbar besser verwerten können. So gut, daß
die New Yorker Börse ein Komitee ernannte, das darüber Aufklärung schaffen sollte, wer die massiven Verkäufe vom
Samstag veranlaßt hatte. Man entdeckte nie eine Spur.
Das Kreuger−Drama hatte mich innerlich verwandelt. Es gab mir einen menschlicheren und entsprechend gesünderen
Blickwinkel und machte mich von der bösen Galligkeit des Pessimisten frei. Ich entledigte mich all meiner
Baisse−Verpflichtungen. Abgesehen von meiner veränderten seelischen Grundhaltung sagte mir auch mein Instinkt
−oder war es meine Logik −, daß die Depression in der ganzen Welt ihren Tiefpunkt überschritten hatte. Dafür gab es
mancherlei Anzeichen. Die Börsentendenz
schwenkte allenthalben tatsächlich um. Im Frühling begann mit Roosevelts Amtsübernahme und den Reformen des
New Deal eine neue Ära des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Börsenhausse in den Vereinigten Staaten.
Damals wurde, so möchte ich sagen, die Chance meines Lebens geboren. Mein eigenes Leben glich sich
gewissermaßen dem Lauf der Weltgeschichte an: Meine persönliche Entwicklung hatte eine günstige Wendung
genommen, und zwar im richtigen Augenblick. Aus dem Sturm, der mich erfaßt hatte, war ich als ein neues Wesen
hervorgegangen. Und zur gleichen Zeit erlebte zufällig ein großer Teil der Welt ebenfalls eine Erneuerung.
Amerika löste sich aus einer tödlichen Umklammerung. Die gefährliche Krise des Kapitalismus, die ihn für immer hätte
ersticken können, war überwunden, und nie wieder konnte eine ähnliche Katastrophe eintreten. Es war die erste ihrer
Art und gleichzeitig die letzte.
Von dieser Depression, der Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren, hatte ich viel profitiert. Aber der
Nachgeschmack war bitter. Diesmal hatte ich − endgültig − begriffen, daß es schöner ist, durch die
Hochkonjunktur zu verdienen. Jetzt empfand ich Verachtung für das Geld, weil ich alle anderen Werte, die ich mißachtet
hatte, wieder höher schätzte − einschließlich der Börsenwerte. Mein Glück war, daß diese Werte nicht nur in meinen
Augen, sondern auch an der Börse stiegen. In der Roosevelt−Ära kam es zu einer stürmischen Hausse.
Ich hatte begriffen, daß es andere Dinge im Leben gibt, die man sich mit Hilfe des Geldes zwar leichter beschaffen kann,
die aber das Geld nicht ersetzen können.
Das änderte natürlich nichts daran, daß ich mir den ganzen Tag den Kopf darüber zerbrach, wie ich an der Börse einen
neuen Coup landen konnte. Doch man halte mir zugute, daß mich bei einer gelungenen Spekulation die Bestätigung
meiner richtigen Voraussage ebenso freute wie der materielle Gewinn.
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