--><font size="5">Die Staatsanwältin Ilda Boccassini bleibt Berlusconi auf den Fersen </font>
von Paul Badde
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Menschen wie die Neapolitanerin Ilda Boccassini sind in Deutschland schwer vorstellbar. Wer aber verstehen will, warum Italien allen politischen Kassandrarufen zum Trotz eine der zivilisiertesten Nationen Europas ist und bleibt, muss auf Ilda Boccassini schauen. Auch wenn es an der Staatsanwältin vordergründig nur wenig zu sehen gibt.
Ein roter gelockter Feuerkopf, ein skeptischer Mund, dessen Lippen sich manchmal ironisch zu verziehen scheinen, hin und wieder ein ungläubiges Kopfschütteln über unglaubliche Äußerungen manches Angeklagten, eine markante Brille, deren Notwendigkeit wohl aus dem nächtelangen Studium der dicken Aktenbündel resultiert, hinter denen sie meistens zu verschwinden scheint - das ist schon fast alles, was sie von sich preisgibt.
Ilda Boccassini ist eine der öffentlichsten Figuren Italiens, doch außerhalb des Gerichtssaales von Mailand tritt sie so gut wie nicht in Erscheinung: in keiner Talkshow, in keinem Interview, in keinem Salon ist sie zu sehen. Und gerade jetzt es ist, als hätte sie sich noch enger in den Mantel ihrer Anonymität gewickelt, seit die italienische Regierung ihr den Personenschutz mit der Begründung entzogen hat, dass in Italien, gemessen am europäischen Durchschnitt, einfach zu viel geschützt würde. Der Wirtschaftsberater Marco Biagi wurde im letzten Frühjahr auf offener Straße in Bologna erschossen, nachdem auch ihm der Schutz entzogen worden war.
Ilda Boccassini aber hüllt sich mit jedem Einschüchterungsversuch mehr in ihre anonyme Existenz, als sei die eine schusssichere Weste. Nur soviel ist bekannt: Sie ist 54 Jahre alt, von ihrem Mann getrennt, hat zwei erwachsene Kinder und war nie politisch aktiv - erst recht nicht bei den Kommunisten, wie manche ihrer Opfer und viele ihrer Gegner ihr immer wieder unterstellen. Unter denen ist Silvio Berlusconi nicht nur der prominenteste, sondern auch der geschmeidigste.
Wie ein Fuchs ist er ihr mit immer neuen Finten in einem Korruptionsverfahren mit erdrückender Beweislast entwischt. Nur eines hat er bis heute nicht erreicht: dass Ilda Boccassini von ihm ablässt, seine Spur verliert und von den Fersen geht. Nach dem neuen maßgeschneiderten Immunitätsgesetz, das Italiens Premier bis zum Ende seiner Amtszeit gegen jede Strafverfolgung schützen wird, hat sie diese Woche gegen den härtesten Widerstand von Justizminister Roberto Castelli erreicht, dass sie weiter wie gewohnt ermitteln darf, das heißt: unnachgiebig. Sie ist und bleibt die Jägerin des Silvio Berlusconi.
Dadurch wurde die"rote Ilda" auch zur Verkörperung der"toghe rosse" schlechthin, also der"roten Roben", wie viele im Regierungslager jene Staatsanwälte und Richter nennen, die manche von ihnen als Albtraum heimsuchen. Vor wenigen Tagen hat Minister Castelli in Brescia ein Untersuchungsverfahren gegen Signora Boccassini und ihren Kollegen Colombo wegen"Amtsmissbrauchs" einleiten lassen. Die beiden hätten Prozessakten rechtswidrig unter Verschluss gehalten und andere Untersuchungsergebnisse zum Nachteil der Angeklagten"durchsickern" lassen.
Ilda Boccassini wird den Vorwurf nicht fürchten und auch nicht das Verfahren. Alles spricht ja auch dafür, dass es genauso klammheimlich wieder eingestellt werden wird wie diverse Versuche davor, mit denen sie dazu gebracht werden sollte, ein bisschen nachsichtiger auf die Hände der Politiker zu schauen. Sie scheint sich überhaupt nicht zu fürchten oder besser: der Furcht niemals nachzugeben.
Bevor sie ihre Arbeit in Mailand aufnahm, hat sie jahrelang in Sizilien gearbeitet, in Caltanissetta, allein gegen die Mafia, in deren innerstem Herrschaftsbereich. In Palermo fand sie die Mörder der Richter Falcone und Borsellino und brachte sie vor Gericht. Der unbestechliche Falcone blieb ihr Vorbild, und damit verbunden ist ein Satz John F. Kennedys, der zum Motto des Richters geworden war."Ein Mann muss das tun, was seine Pflicht ist, gleichgültig welche Konsequenzen es für ihn persönlich hat, egal welchen Hindernissen, Gefahren und Druckversuchen er sich damit aussetzt. Das ist die Grundlage aller menschlichen Moral."
Kein Mann Italiens habe in seinem Leben mehr Niederlagen aufeinander gehäuft als der Richter Falcone, rühmte sie ihn noch letztes Jahr. Es sind diese Niederlagen, die auch sie nicht scheut, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Die Gewaltenteilung und die Herrschaft des Rechts in der italienischen Republik wird Ilda Boccassini weiter wie eine Löwin verteidigen. Wer in Deutschland ließe sich mit ihr vergleichen?
<ul> ~ http://www.welt.de/data/2003/08/01/143469.html?s=1</ul>
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