-->Wer wird Ihre Rente bezahlen, Herr Mißfelder?
Der Vorsitzende der Jungen Union über seinen Ruhestand mit 70, Generationenverrat - und strategische Fehler seiner Partei
Herr Mißfelder, Sie sind 23, stehen ganz am Anfang, wann werden Sie in Rente gehen?
Spät, vielleicht mit 70 Jahren, vielleicht noch später. Aber das ist auch richtig so. Wenn man eine steigende Lebenserwartung hat, kann man auch länger arbeiten als die bisherigen Generationen.
Wer wird denn Ihre Rente bezahlen?
Zum größten Teil ich selbst. Die Rente wird in Zukunft sicher auf mehreren Säulen ruhen. Die Stütze durch Eigenvorsorge muss viel größer werden. Und natürlich muss das eigene Vermögen viel stärker als bisher herangezogen werden. Als drittes sollte es eine Grundsicherung geben, die allerdings nur gegen die schlimmste Altersarmut absichert.
Was wird am Ende dann noch übrig bleiben, von dem, was ja eines der Markenzeichen der Union seit der Ära Adenauer gewesen ist: von der Generationensolidarität in der Rentenversicherung?
Es ist ja jetzt schon kaum noch etwas davon übrig. Jedenfalls gehen Solidarität und Generationenvertrag heute einseitig zu Lasten meiner Generation. Das finde ich von den Älteren nicht gerade solidarisch.
Weitgehende Eigenvorsorge, das mag effizient sein. Aber ist das noch christlich?
Das halte ich schon für christlich. Wer stark und leistungsfähig ist, kann für sich selbst sorgen und braucht keine Rundumversorgung durch die Allgemeinheit. Gegenüber den wirklich Bedürftigen ist es ja kaum christlich, wenn Wohlhabende ihr Vermögen und Einkommen schonen können, um ihre Zukunft von anderen finanzieren zu lassen.
Dennoch: Das Maß an Solidarität, das Sie den Menschen künftig abverlangen wollen, ist weit geringer als das, was bisher verlangt wurde.
Ich glaube, man muss den Solidaritätsbegriff weiter fassen, als Sie dies in Ihrer Frage tun. Es geht ja nicht nur um das Finanzielle. Wenn man sich die Altersentwicklung anschaut, so wird gerade auch im Bereich der Pflege viel stärker als momentan ziviles Engagement gefragt sein. Es geht dann auch darum: Wie kann ich mich - auch jenseits meiner Familiengrenzen - sozial engagieren? Zudem wird der Lebensstandard meiner Generation im Rentenalter ganz anders aussehen, als das der jetzigen Rentner, die häufiger in Urlaub fahren als frühere Rentnergenerationen. Auch Volkshochschulkurse sind nahezu ausgebucht von Rentnern. Das ist ja auch in Ordnung. Wir haben gegenwärtig die aktivste, gesündeste und reichste Rentnergeneration der Nachkriegszeit. Und der wird man einen solidarischen Beitrag für meine Generation schon abverlangen dürfen!
Sie bitten die Alten also zur Kasse?
Natürlich. Die Alten sollen sich stärker an dem beteiligen, was den Sozialstaat wirklich ausmacht: Nehmen und Geben! Es ist ganz klar, dass die Belastung nicht nur oder im Wesentlichen auf meiner Generation liegen kann.
Trotzdem haben Sie nicht nur andere Finanzierungspläne, sondern auch ein anderes Bild von der Gesellschaft der Zukunft, ein anderes Bild von den Menschen.
Das ist richtig. Ich gehe davon aus, dass die Deutschen nach wie vor noch ein Volk sind, das sehr stark durch Eigeninitiative geprägt sein kann. Aber dafür brauchen wir erst mal einen Mentalitätswandel. Ich stamme aus dem Ruhrgebiet, wo die Großkonzerne und der Staat alles geregelt haben, bis hin zum betriebseigenen Tennisverein - so eine Art „DDR light". Man war gewohnt, dass alles organisiert, alles abgesichert wird. Das geht in Zukunft nicht mehr, der Staat wird sich immer weiter zurücknehmen müssen, viel schneller, als viele sich das vorstellen können. Die Jahre der Vollkaskomentalität neigen sich ihrem Ende zu.
Eines muss man Ihnen lassen: Ihre Position ist klar und unmissverständlich. Warum gibt es keine ähnlich deutliche Position der Union zu Rente und Generationengerechtigkeit?
Daran wird in der Tat schon viel zu lange herumgewerkelt. Das kritisiere ich massiv. Mich ärgert, wenn Klarheiten, die ja in Vorstandssitzungen und internen Runden offen ausgesprochen werden, draußen nicht vertreten werden.
Fühlen Sie sich als junger Mensch in der Union gering geschätzt?
Die CDU drückt sich vor der zentralen Frage, die meine Generation umtreibt, nämlich: Wie sieht das Land in 20, 30 Jahren aus? An dieser Stelle fühle ich mich natürlich gering geschätzt.
Die Union wird also ihrer Aufgabe nicht gerecht, Politik für die kommenden Generationen zu machen?
Nicht nur die Union macht diesen Fehler, sondern die Politik insgesamt. Dazu zähle ich übrigens auch die Umweltpolitik, auf die kaum noch jemand achtet, oder die Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Was derzeit passiert, hat nichts mehr mit Generationenvertrag zu tun, sondern verdient nur einen Namen: Generationenverrat.
Sie sind jung, Ihre Zähne dürften noch halbwegs fest sitzen. Wer wird später dafür aufkommen, wenn sich erste Zipperlein einstellen oder echte Gebrechen?
Für die Zipperlein werde ich sicher selbst aufkommen müssen. Die Junge Union fordert in der Gesundheitspolitik einen Grundkatalog, nach dem das Nötigste abgesichert wird. Für alles darüber hinaus wird man sich selbst zusätzlich versichern müssen.
Was ist denn das Nötigste?
Die ärztliche Versorgung im Allgemeinen, Krankenhausaufenthalte, eine Positivliste und Rettungsfahrten aller Art.
Aber die Zähne nicht mehr. Heißt das: kein Geld, keine Zähne?
Nein. In der Schweiz gibt es den weltbesten Zahnbestand, obwohl die ein System haben, in dem jeder selbst für seine Zähne sorgen muss. Dort kümmern sich die Menschen mehr um Prophylaxe. Je häufiger man selbst zur Zahnbürste greift, desto seltener droht der Bohrer.
Was zählt noch zum Nötigsten? Künstliche Hüftgelenke etwa? Früher ging's auch ohne.
Genau. Das auszusprechen, davor schrecke ich nicht zurück. Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen. Das ist eine reine Frage der Lebensqualität. Das klingt jetzt zwar extrem hart, aber es ist doch nun mal so: Früher sind die Leute auch auf Krücken gelaufen. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass nicht jeder medizinische Fortschritt automatisch und auf Kosten der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden kann.
Also: Künftig also nur noch Geld für das, was absolut notwendig ist, um zu überleben?
Nein. Es geht auch darum, ein hohes Maß an Lebensqualität zu gewähren. Aber dafür muss jeder nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit, ähnlich wie bei der Rente, selbst Verantwortung übernehmen. Die Solidarsysteme sind nicht dafür zuständig, dass jeder Senior fit für einen Rentner-Adventure-Urlaub ist.
Wir halten also fest: Grundsicherung bei der Rente, Mindestsicherung bei der Gesundheit.
Man kann das noch knapper zusammenfassen: Viel mehr Selbstvorsorge! Was wir momentan haben, das ist ein sozialistisches Ausbeutungssystem zu Lasten meiner Generation.
Dann müssten Sie eigentlich ein Sprechverbot für Horst Seehofer fordern. Jetzt kommt er auch noch mit der Bürgerversicherung.
Der Unterschied zu Seehofer ist, dass die Junge Union nicht so sehr auf Publicity-Aktionen zur Unzeit bedacht ist. Wir wissen, wann es darum geht, die Mutterpartei voranzutreiben. Wir wissen aber auch genau, wann es darum geht, an Wahlsiegen für die Union mitzuwirken. Herr Seehofer weiß das anscheinend nicht so genau.
Sie sind also gegen die Bürgerversicherung?
Ich bin ganz klar dagegen, genau so klar, wie ich gegen die Kopfpauschalen bin. Weil beides eigentlich nur zur kurzfristigen, rasch verbrauchten Spareffekten führt und eben nicht zu einer richtigen Strukturreform. Beide Vorschläge sind weitere Umverteilungssysteme.
Und wie steht die Union insgesamt zur Bürgerversicherung?
Da gab es mal wieder große Verwirrung - wie das übrigens häufig in der Union der Fall ist. Trotzdem sehe ich in meiner Partei eine klare Mehrheit gegen die Bürgerversicherung. Ich sehe auch keine zwangsläufige Mehrheit für die Kopfpauschale.
Klar war die Position der CDU in den vergangenen Monaten eigentlich nur bei ihrer Amerika-hörigen Lust am Irak-Krieg.
Das ist doch ein gutes Beispiel dafür, wie es der Parteivorsitzenden gelungen ist, die Union ganz eindeutig zu positionieren.
Das war Mut zur Klarheit, trotz einer unpopulären Position. Warum gelingt es Angela Merkel nicht, in den Fragen, über die wir gerade reden, eine ebenso deutliche Position zu beziehen?
Da fragen Sie den Falschen. Ich wünsche mir ja auch, dass bei den Fragen, die für die unmittelbare Zukunft unseres Landes wichtig sind, ähnliche Standfestigkeit gezeigt wird, so wie das bei der Irak-Frage der Fall war.
Feine Vorgänger haben Sie da: Wenn Sie selbst eines Tages mehr politische Verantwortung haben, dann dürfen Sie sich am Schuldenberg, den die Ihnen hinterlassen, abmühen.
Leider ja. Die jetzige Generation der Politiker verspielt gerade unsere Zukunft, und wir müssen mehr oder weniger dabei zugucken. Trotz einer großen Zahl an jungen Abgeordneten, die wir im Bundestag als Junge Union stellen, haben die Jungen in unserer Partei kaum Mitspracherechte, wenn es darum geht, die Zukunftsprogramme der CDU zu gestalten. Schauen Sie sich die Herzog-Kommission an, da ist gerade mal ein Vertreter der Jungen Union dabei.
Jetzt soll die Steuerreform vorgezogen und wieder mal über Schulden finanziert werden. Wo bleibt Ihr Protest?
Den gibt es nicht. Denn mit reiner Sparsamkeit schaffe ich nun mal keine wirtschaftliche Dynamik. Die Steuerreform sollte selbstverständlich durchgeführt werden, notfalls im ersten Jahr auch schuldenfinanziert. Es war falsch für die Union, sich gerade in diesem Punkt gegen die Regierung zu stellen. Weil wir genau das im Wahlkampf glühend vertreten haben.
In der Steuerfrage bietet die Union schönste Kakophonie. Gibt es bei Ihnen nicht so etwas wie strategische Planung?
Die strategische Planung wird natürlich ad absurdum geführt, wenn man es schafft, als Ministerpräsident seine Meinung innerhalb von 24 Stunden drei Mal zu ändern, oder wenn man im Bundesvorstand und in der Fraktion gemeinsam etwas beschließt und sich nachher niemand daran gebunden fühlt.
Voraussetzung jeder Strategie ist Geschlossenheit. Auch daran hapert's.
Deswegen finde ich es ja auch nicht gut, wenn man in Gremien etwas beschließt und dann ein Stellvertreter Merkels in der Fraktion hergeht und mit erhobenen Zeigefinger das Gegenteil verkündet. Damit meine ich Friedrich Merz. Ich finde es nicht richtig, wenn man sich so positioniert. Ich glaube auch nicht, dass die Union so den richtigen Weg findet.
Haben das jetzt alle bei Ihnen verstanden?
Offenbar nicht. Wir tun ja alles, um weiter in die Defensive zu kommen. Denken Sie nur an die Scheindebatten um Kopfpauschale und Bürgerversicherung. Das hat uns wieder tagelang aufgehalten.
Was treibt eigentlich Roland Koch, wenn er sich strikt gegen die Steuersenkung ausspricht: reine Überzeugung oder auch die Lust am Gegensatz zu Angela Merkel?
Auch wenn er rein aus Überzeugung handelt, wird das in den Medien natürlich als Kampfansage an Merkel wahrgenommen. Auch das müssen Überzeugungstäter wissen. Ärgerlich ist jedenfalls, dass der Steuerreform-Streit unsere hervorragende Ausgangslage kaputt gemacht hat. Wir hätten entweder eine klare Sonthofen-Strategie der Ablehnung fahren können mit einer deutlichen eigenen programmatischen Aussage. Oder aber eine Kooperationsstrategie, bei der klar erkennbar ist, wo die Union Kompromisse macht und wo sie sich selbst durchsetzt. Auch das geht nur mit eigenen programmatischen Vorschlägen. Weil wir davon aber zu wenige haben - auch beim Zeitplan der Herzog-Kommission für die Reform der Sozialsysteme haben wir einen Fehler gemacht - befinden wir uns in einer sehr ungünstigen Situation, in der Defensive. Das ist für eine Opposition schlecht, weil nicht wir die Themen setzen, sondern der Kanzler. Schröder ist dadurch offensiver geworden, als wir es sind. Wir haben eine sehr günstige strategische Ausgangslage verspielt.
Das Interview führten Stephan-Andreas Casdorff, Markus Feldenkirchen und Peter Siebenmorgen. Die Fotos machte Mike Wolff.
Aus Der Tagesspiegel http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/03.08.2003/682253.asp
Nur wenige Jungpolitiker blasen zum Generationenkrieg
Die Forderung des JU-Vorsitzenden Mißfelder nach drastischen Einschnitten für ältere Patienten stößt auf ein geteiltes Echo
Von Thomas Kröter (Berlin)
Tut mir leid, Frau Plaumann...
(FR-Karikatur)
Einer aus den Reihen der doppelt so Alten und noch Älteren hat Verständnis für den"CDU-Milchbubi, über den alle schimpfen"(Bild): Karl-Josef Laumann, Jahrgang 1957, findet zwar auch"nicht in Ordnung", was der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder (23), über alte Menschen, künstliche Hüftgelenke und Zähne von sich gegeben hat."Aber im Grunde hat er doch Recht", meint der Sozialexperte der CDU/CSU."Unsere Generation muss ihre Probleme selbst lösen und darf sie nicht auf die nächste schieben, damit wir nicht wie früher im Krankenhaus oder im Altersheim mit sechs Mann auf einer Stube liegen."
Es ist aber nicht nur der Inhalt, sondern die Art und Hartnäckigkeit, wie der jüngste Vorsitzende in der Geschichte des CDU-Nachwuchses seine Thesen vorträgt, die verstören. Dass 85-Jährige keine künstlichen Hüftgelenke mehr auf Kosten der Krankenkasse erhalten sollen, begründete er im Berliner Tagesspiegel so:"Früher sind die Leute auch auf Krücken gelaufen." Da mag mancher denken: Früher haben solche Schnösel was hinter die Löffel gekriegt. Und damit nicht genug, wenig später sattelte der JU-Chef in einem zweiten Interview drauf: Auch fürs Gebiss sollten die Alten selbst berappen.
Sogar der flinkzüngige Vorsitzende der Jungen Liberalen, Daniel Bahr, findet:"Das hilft nicht dem Anliegen der jungen Generation" - selbst wenn er Mißfelders These, das Gesundheitswesen sei ein"sozialistisches Ausbeutungssystem zu Lasten meiner Generation", so fern nicht stehen dürfte. Aber wie andere Jungpolitiker, die die FR befragte, mag er nicht den Generationenkrieg ausrufen oder keine"Neiddebatte" anzetteln.
Der 26-Jährige will zwar auch eine grundlegende Gesundheitsreform. Aber die soll nach seinen Vorstellungen so aussehen, dass alle, nicht nur die Alten, mehr aus eigener Tasche und in eigener Verantwortung bezahlen.
So ähnlich - und doch ganz anders - sehen es die grüne Parlamentsyoungster Anna Lührmann und der Juso-Vorsitzende Nils Annen. Beide plädieren für eine"Bürgerversicherung", in die alle einzahlen und bei der nicht nur die Arbeitseinkünfte berücksichtigt werden. Annen (30) kritisiert auch, dass der Konkurrent von der CDU für seine Forderungen"eine ganze Generation praktisch in Geiselhaft nimmt". Die 20-Jährige Lührmann spottet, was Mißfelder wohl sage,"wenn er hochbetagt keine neue Hüfte mehr bekommen soll".
Aber es gibt auch Jungpolitiker, die - ohne Mißfelders Verbalradikalismus - offenbar den Generationenkrieg führen möchten. Katherina Reiche (30), Edmund Stoibers Schatten-Familienministerin a. D., moniert die Formulierung als taktisch nicht klug, lobt aber im Tagesspiegel, dass Mißfelder für seine Generation"den Kopf aus dem Fenster gelehnt" habe. Auch der 27-jährige SPD-Abgeordnete Carsten Schneider ist auf Konflikt gebürstet:"Grundsätzlich geht die Generationengerechtigkeit im politischen Tagesgeschäft unter, weil der Druck der Rentnerlobby zu groß ist."
Wenig verwundert, dass nicht nur SPD- Gesundheitsministerin Renate Schmidt ("die Menschlichkeit darf nicht auf der Strecke bleiben"), sondern auch CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer den jungen Mann zurechtweist. Schließlich hat die Union unter den Senioren ihre sicherste Wählerschaft. Bisher, weshalb der bayerische JU-Chef Manfred Weber sich aus dem dortigen Wahlkampf mit den schlichten Worten meldet:"Dummes Zeug". Und Otto Wulff, Chef der CDU-Seniorenunion, warnt die Jungen vor dem Krieg der Generationen. Schließlich hätten die Alten in ein paar Jahren die Mehrheit. Gegen eine"Rentnerpartei" hätten die Jungen dann einen noch schwereren Stand als heute.
Aus FR. http://www.fr-aktuell.de/ressorts/n..._politik/deutschland/?cnt=265019
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