--><font size=5>Auf Gerster warten harte Zeiten </font>
HELMUT HAUSCHILD
HANDELSBLATT, 7.8.2003
BERLIN. Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt fĂŒr Arbeit (BA), sieht harten Zeiten entgegen. In Zukunft soll seine Behörde nach dem Willen der Bundesregierung zusĂ€tzlich zu den aktuell 4,35 Mill. Arbeitslosen auch noch knapp 1 Mill. erwerbsfĂ€hige SozialhilfeempfĂ€nger betreuen und vermitteln. ZĂ€hlt man deren Familienangehörige hinzu, dann rollt auf die ArbeitsĂ€mter eine Lawine von 2,5 Mill. zusĂ€tzlich HilfebedĂŒrftigen zu. Eine âriesige Herausforderungâ sei das, bekennt Gersters Vorstandskollege Heinrich Alt, zustĂ€ndig fĂŒr das operative GeschĂ€ft.
Das ist noch beschönigend formuliert. Denn die ohnehin schon völlig ĂŒberforderten ArbeitsĂ€mter sollen mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ab dem kommenden Jahr eine Vielzahl neuer Aufgaben ĂŒbernehmen, fĂŒr die bisher die Kommunen zustĂ€ndig waren. Das reicht von der Auszahlung des Wohngelds fĂŒr Arbeitslose bis hin zur Vermittlung von Sucht- und Schuldnerberatung. Gleichzeitig muss die BA die gröĂte Verwaltungsreform in ihrer Geschichte bewĂ€ltigen. Der alternierende BA-Verwaltungsratschef Christoph KannengieĂer fĂŒrchtet: âDas ist fĂŒr die Arbeitsverwaltung nicht zu bewĂ€ltigen.â
Statt der abgespeckten Arbeitsbehörde, die Gerster einst versprach, entsteht nun ein noch viel gröĂerer Apparat. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) <font color="#FF0000">rechnet mit bis zu 11 800 zusĂ€tzlichen Arbeitsvermittlern, die die BA mit ihren 90 000 BeschĂ€ftigten brauchen wird</font>. Denn trotz der hinzukommenden SozialhilfeempfĂ€nger soll kĂŒnftig ein Arbeitsvermittler nur noch fĂŒr 75 Arbeitslose zustĂ€ndig sein. Heute betrĂ€gt diese Quote durchschnittlich eins zu vierhundert. <font color="#FF0000">Gerster selbst glaubt, dass er die Zahl neuer Stellen unter 10 000 halten kann, indem Mitarbeiter versetzt werden</font>.
In den Koalitionsfraktionen von SPD und GrĂŒnen stoĂen diese Zahlen auf Kritik. SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner lehnt zusĂ€tzliche Stellen fĂŒr die ArbeitsĂ€mter ab. Sie könnten durch interne Umbauten genug Mitarbeiter freibekommen, um die zusĂ€tzlichen Kunden zu betreuen, fordert er. Auch Thea DĂŒckert, Fraktionsvize der GrĂŒnen, hĂ€lt die Schaffung neuer Stellen fĂŒr âvöllig unpassendâ. Denn mit der Hartz- Reform werde beispielsweise die Berechnung des Arbeitslosengeldes wesentlich einfacher. Rund 10 % der zurzeit 36 000 Mitarbeiter, die in den ArbeitsĂ€mtern allein fĂŒr die Leistungsberechnung zustĂ€ndig sind, könnten deshalb kĂŒnftig fĂŒr die Vermittlung eingesetzt werden.
Vergessen wird bei dieser Rechnung jedoch, dass mit dem neuen Arbeitslosengeld II auch ein völlig neues Sozialgesetzbuch mit einer Vielzahl zusĂ€tzlicher Leistungen auf die Mitarbeiter in den ArbeitsĂ€mtern zukommt. Unterschiedliche ZuschlĂ€ge, etwa fĂŒr Geringverdiener mit Kindern oder fĂŒr die ersten beiden Jahre nach Auslaufen des regulĂ€ren Arbeitslosengeldes I, machen das an der einen Stelle vereinfachte Leistungsrecht an anderer Stelle wieder kompliziert. Bisher hatten die SozialĂ€mter viele dieser Aufgaben ĂŒbernommen. Jetzt kommen sie auf die ArbeitsĂ€mter zu. Deren Leistungsabteilungen dĂŒrften also kaum entlastet werden. Mit jeder Reform nehme die Verwaltungsarbeit zu, klagt die Mitarbeiterin eines ostdeutschen Arbeitsamtes.
Das Problem ist mittlerweile auch im Berliner Wirtschaftsministerium angekommen. Fieberhaft arbeiten dessen Beamte daran, bis zum Kabinettsbeschluss am kommenden Mittwoch die GesetzentwĂŒrfe fĂŒr den Umbau der BA zur âBundesagentur fĂŒr Arbeitâ und fĂŒr das neue Arbeitslosengeld II wenigstens noch ein bisschen zu entschlacken. So sollen bestimmte Einmalleistungen fĂŒr die Bezieher des neuen Arbeitslosengeldes II pauschaliert werden, so wie es Sozialministerin Ulla Schmidt auch bei der Reform der Sozialhilfe plant (siehe eingeblockten Text). Auch das Wohngeld soll vereinfacht werden.
Doch das reicht als Entlastung kaum aus. StĂ€dte und Gemeinden sowie einige BundeslĂ€nder fĂŒrchten deshalb, dass die ArbeitsĂ€mter auch kĂŒnftig versucht sein werden, besonders schwierige FĂ€lle an die Kommunen abzuschieben. NRW-Arbeitsminister Harald Schartau (SPD) kritisiert, dass der Gesetzentwurf seines Parteifreundes Clement diesen Verschiebebahnhof weiter zulasse. Hintergrund: Die ArbeitsĂ€mter sind allein fĂŒr ErwerbsfĂ€hige zustĂ€ndig. Und als erwerbsfĂ€hig gilt nur, wer tĂ€glich mindestens drei Stunden lang arbeiten kann. Auf wen das zutrifft und auf wen nicht, darĂŒber wĂŒrden die ArbeitsĂ€mter entscheiden, so Schartau. âDas geht nichtâ, kritisierte er. Zwar soll es eine Einigungsstelle geben, die bei Streitigkeiten mit der Kommune schlichtet. Aber fĂŒr Gerster ist klar, in welche Richtung es gehen soll: âNur wenn bei dem Arbeitslosen die NĂ€he zum Arbeitsmarkt gegeben ist, dann ist das Arbeitsamt fĂŒr ihn die richtige Stelleâ, heiĂt es in der BA.
HANDELSBLATT, Donnerstag, 07. August 2003, 06:02 Uhr
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