stocksorcerer
11.08.2003, 21:57 |
Boulevard-Theater? Politische Berichterstattung: mehr Entertainment weniger Info Thread gesperrt |
-->Sehr bedenklich......!!!!
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Ulle statt Ulla
Powered by Emotion: Ob bei den Ã-ffentlich-Rechtlichen oder den Privaten, die Nachrichten werden immer unpolitischer, das Bild verdrängt den Text
von SILVIA HELBIG
Schön, wie der Ulle auf den Lance gewartet hat. Das wollen wir sehen: Emotionen, Sensationen, Konflikte. Was wir gar nicht gern sehen: welches Gemauschel uns Ulla Schmidt und Horst Seehofer als Gesundheitsreform verkaufen wollen. Das gibt nur Magengeschwüre, das können wir uns bald nicht mehr leisten. Und Zwickel, die alte Heulsuse - bloß gut, dass der endlich abtritt. Wer braucht heutzutage noch Gewerkschaften? Sind doch eh alle arbeitslos.
So oder ähnlich müssen die Redakteure der"Tagesthemen" vom 21. Juli 2003 die Informationsgelüste der Zuschauer eingeschätzt haben, als sie sich für die Tour de France als Aufmacher entschieden. Obwohl zwei wichtige innenpolitische Entscheidungen anstanden - die Präsentation der Gesundheitsreform und der Rücktritt des IG-Metall-Chefs Klaus Zwickel - wurde die Sportnachricht das Top-Thema des Tages. Verkehrte Welt?
Kommunikationsforscher stellen den Nachrichten im deutschen Fernsehen eine bedrohlich klingende Diagnose: den"Rückgang der politischen Berichterstattung, einhergehend mit Tendenzen der Boulevardisierung, korrespondierend mit dem gesellschaftlichen Trend zu mehr Spaß und Unterhaltung". Im Klartext: weniger Information, mehr Entertainment - diese bedenkliche Entwicklung belegt die von der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebene Studie"Der Wert von Nachrichten im deutschen Fernsehen".
Wissenschaftler verschiedener Universitäten haben darin die Hauptnachrichtensendungen aller relevanten Programme von 1992 bis 2001 untersucht. Zusätzlich wurden Journalisten befragt, nach welchen Faktoren sie Nachrichten auswählen.
Kein Bild, kein Konflikt
Die Ergebnisse: Der Rückgang politischer Meldungen erfolgt demnach zugunsten von Emotionen, Sensationen und wachsender Orientierung am Zuschauer. Außerdem hat sich der Anteil an Gewaltdarstellungen erhöht. Statt vorgelesener Nachrichten werden mehr Bildbeiträge gesendet. Die schnellere Bildübertragung bedeutet für die Arbeit der Fernsehjournalisten eine bessere Auswahl an Material, birgt aber auch eine große Gefahr: Nachrichten, zu denen keine Bilder existieren, fallen weg. Wo keine Kamera ist, gibt es auch auch keinen Konflikt.
Katastrophen kommen im Fernsehen nun mal besonders plastisch rüber, weshalb der Faktor Visualität in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Kein Radiobericht und kein Zeitungsartikel kann die emotionsgeladenen Bilder von Erdbeben, Unfällen oder Sportereignissen ersetzen. Politik hingegen sieht immer gleich öde aus. Ältere Herren steigen aus schwarzen Limousinen und betreten Häuser, reden in Sälen oder ziehen Akten aus Schränken. Das will niemand sehen. Weshalb die privaten Sender auch weitestgehend auf Politik verzichten (im Jahre 2001 betrug der Anteil an Unterhaltung bei den Nachrichten der Privaten fast 50 Prozent).
Doch auch die öffentlich-rechtlichen Sender brauchen Quote - und setzen vermehrt auf"soft news". So machte"ZDF heute" am 8. Juli diesen Jahres mit dem Tod der siamesischen Zwillinge Laleh und Ladan Bijani auf. Tragisch, aber ein eindeutig buntes Thema. Der Aufmacher der ZDF-"heute"-Sendung vom 26. April: Bayern München wird vorzeitig deutscher Meister. Der Nachrichtengehalt: weder überraschend noch politisch.
Laut Studie droht den deutschen Nachrichten die Amerikanisierung (viel Service, kaum Politik). Mit dem Ergebnis,"dass nennenswerte Publikumssegmente von komplizierten politischen und militärischen Konflikten wenig wissen, diese kaum verstehen und mit ihnen auch nicht konfrontiert werden möchten." Genau. Wir wolln den Ulle sehn, wir wolln den Ulle sehn …
"Der Wert von Nachrichten im deutschen Fernsehen". Hrsg. v. Georg Ruhrmann u. a., Leske+Budrich, 2003
taz Nr. 7127 vom 11.8.2003, Seite 17, 129 Zeilen (Kommentar), von SILVIA HELBIG, Rezension
taz muss sein: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert?
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Mal sehen, was demnächst dank Haim Saban bei Pro7 / Sat1 / N24 im Schnitt als Top-Meldung kommt. George W. Bush wird ehrenamtlicher Power-Ranger oder so.... [img][/img]
Meinungen?
winkääää
stocksorcerer
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Tempranillo
11.08.2003, 23:12
@ stocksorcerer
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Re: Ärsche, Titten, Stars and Stripes |
-->Hallo Stocki,
warum soll ich Dir jetzt eine Meinung schreiben? In dieser Frage wirst Du von mir nur das zu lesen bekommen, was Du Dir genausogut selber schreiben könntest. Erwarte von meiner Antwort also bitte keine großartigen Neuigkeiten.
Aber wo ich schon mal dabei bin...
Deine Wahrnehmung kann ich nur voll und ganz bestätigen. Daß mir auf der ersten Seite von BILD-online die Titten entgegenhängen wie die platzprallen Euter von EU-Turbo-Rindern und garantiert eine Meldung zu finden ist, wer gerade mit wem die Federn zerwühlt, das nehmen wir hin, achselzuckend vielleicht, und denken uns, was soll man von der Gossenpresse schon erwarten?
Wer schon mal in Frankreich war, hat vielleicht mal beobachtet, wie jeden Morgen die Straßen gespült werden, und aller Unrat, alle Hundehäufchen den Weg in die Kanalisation antreten; eine Szene, die wir auch aus Billy Wilders"Irma La Douce" kennen.
Dieses BILD hat der Franzose vor Augen, wenn er die Boulevard-Presse als"la presse de caniveau", Gossen-, besser Rinnsteinpresse, bezeichnet.
Irgendwie scheint es eine unterirdische Verbindung von der Pariser Kanalisation in die Redaktionsräume des Springer-Verlags, vor allem seines Flaggschiffs, der BILD-Zeitung zu geben.
Seit einiger Zeit habe ich den Eindruck, noch sehr viel mehr Redaktionen, darunter hochrenommierte, schöpfen aus den gleichen Quellen, was ein kurzer Blick ins Inhaltsverzeichnis von, sagen wir, LOCUS, aber auch des SPIEGELs, sofort klar macht. War das zu Augsteins Zeiten denkbar, Beiträge wie"Geheime Wünsche deutscher Männer: mehr Sex mit dem Kumpel" oder"Boxweltmeisterin Regina Halmich, umbeschreiblich weiblich"?
Ich habe schon lange den Eindruck, das Umsichgreifen privater Themen, mit einem starken Einschlag ins Kopulative, gerne auch mit Homo-, Lesben- oder Emanzipationsaspekt ist Teil der massenmedialen Gehirnwäsche. Mit irgendwas müssen die Spalten und Sendezeiten ja gefüllt werden, wenn das Wichtige, das Politische, vorab auszuklammern ist. War doch bei Goebbels und der UFA kein bißchen anders, nur mit weniger Frischfleisch.
Jeder Mist kommt auf die Mattscheibe, bloß nicht das, was von Interesse wäre. Schon seit Jahren staune ich, wie bei RTL und SAT1 in so ziemlich jeder Nachrichtensendung irgendeine kotzdämliche Meldung aus Amerika kommt. Ich meine jetzt nicht die Berichte aus dem Weissen Haus, sondern Filmberichte über für uns hier, im alten Europa, so waaahhhnsinnig wichtige Ereignisse, wenn z.B. in Alabama mal der Wind ein paar Häuser abdeckt, oder in New Mexico die Kartoffelkernte ausfällt. Es ist wirklich nichts so blöd und belanglos, als daß es nicht in Heiner Bremers Nachtjournal über den Sender gehen würde - Hauptsache, es hat mit den USA zu tun. Ich warte auf den Tag, an dem RTL die Stuhlgangbeschwerden von Arnold Schwarzeneggers Hund zum Thema macht.
Diese Praxis greift jetzt auch auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten (!) über. War nicht in"Heute" (ZDF) gerade was mit Walen zu sehen, die ins Wasser geschoben wurden? Ort der Handlung, natürlich God`s own Country.
Alles nur Zufall, oder der Versuch, D-Land anhand des American Way of Life endgültig zu kolonisieren? Nach dem militärischen und politischen Imperialismus jetzt der kulturelle?
Ärsche, Titten, Stars and Stripes. Herr Saban wird´s schon richten.
Tempranillo
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Christian
11.08.2003, 23:27
@ Tempranillo
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Re: Ärsche, Titten, Stars and Stripes |
-->Es ist mit den Medien so wie mit den Politikern: Die Gesellschaft wählt sie sich aus. Wenn niemand RTL2 und ähnliche Programme schaut, wenn niemand das Kommerzgedudel der Privatradios hört, dann verschwinden diese Programme auch wieder aus der Medienlandschaft. Dummerweise sind diese Angebote aber genau das, was die Masse wünscht. Mit den Zeitschriften verhält es sich ähnlich - mit dem Focus begann der Niedergang des Spiegel usw. Regionale und lokale Tageszeitungen sind heute so unpolitisch wie niemals vorher. Hauptsache, jeden tag stehen die billigsten Telefon-Vor-Vorwahlen drin und zehn Köpfe aus Hollywood und irgendwelche Schwachsinnszeilen dazu. Die Krönung ist natürlich das Busenmädchen in der Bild, deren Text vermutlich täglich die halbe deutsche Bevölkerung liest. Aber genau das ist es doch: Wenn niemand Bild kauft, dann verschwindet das Blatt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Vielleicht sollten wir uns auch darüber freuen, dass sich der Großteil der Bevölkerung noch mit einer Tageszeitung wie Bild bildet - und nicht nur aus Coupe und Blitz-Illu seine Informationen bezieht. Aber die Strategie ist klar: Blöde Medien für ein verblödetes Volk. Gruß, Christian
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stocksorcerer
12.08.2003, 06:32
@ Tempranillo
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Danke, Du schreibst viel schöner als ich:-) (owT) |
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stocksorcerer
12.08.2003, 06:37
@ Christian
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Es liegt daran, dass die Nachrichten bewußt zu oberflächlich sind! |
-->Ross und Reiter werden höchstens im Krieg genannt. Siehe Irak-Krieg und die Zeit davor. Da waren die Magazine voll davon und hatten Quote. Die Nachrichten überschlugen sich mit Berichterstattung zum Thema und hatten auch Quote.
Dann aber werden die Menschen stehen gelassen und nicht mehr abgeholt, weil viele Dinge nicht konstant weiter thematisiert werden. Die Tiefe fehlt. Es geht nicht um die Macht als solche, sondern bloß um Auswirkungen. Was hinter den Kulissen geschieht, muß man wieder bei freace.de anschauen, weil die Tagesthemen lieber Radsport mögen. Würde die große Politik ohne Wenn und Aber durchleuchtet, würden die Bundesbürger deutlich mehr politisch interessiert sein und die Themen auch"nachfragen". Aber da spielen ja schon wieder handfeste wirtschaftliche Interessen bis in die Sendeanstalten, ja sogar bis in die Redaktionen hinein.
winkääää
stocksorcerer
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