-->F A M I L I E
<font size=5>Familie haben heißt verzichten </font>
Naiv ist die Vorstellung, mehr Geld vom Staat brächte automatisch mehr Zufriedenheit
Susanne Gaschke
Hast du mal über Kinder nachgedacht?", fragt sie. Und er antwortet:"Ach Gott, Kinder. Ich muss jetzt erst einmal das Buch über O'Neill zu Ende bringen. Das wird nicht von allein fertig." Nachwuchsdiskussion in der Woody-Allen-Gesellschaft von Manhattan.
Die WDR-Redakteurin, Mutter einer Vierjährigen, sitzt ohne Handy im Auto. Das Auto steht auf der Autobahn Bonn-Köln im Stau. Es ist zehn vor fünf. <font color="#FF0000">Um fünf Uhr schließt der Kindergarten. Um fünf wird niemand da sein, um das Kind abzuholen. Panik</font>.
Marias 69-jährige Mutter muss ins Krankenhaus. Maria und ihr Mann nehmen den pflegebedürftigen Vater zu sich; <font color="#FF0000">die jüngere Tochter räumt ihr Zimmer. Ungewohnte Enge, ungewohnte Nähe</font>, normale (also nennenswerte) Anforderungen im Beruf, normal (also nur mäßig) verständnisvolle Kinder, Sorge um die kranke Mutter. Keine leichten Wochen.
Eva, 13, will zu einer Fete. Dort gibt es Übernachtungsmöglichkeiten, sagt sie. Die Eltern finden die Situation unübersichtlich und setzen ein Zeitlimit fürs Nachhausekommen. <font color="#FF0000">Geschrei und Türengeknalle das ganze Wochenende</font>.
<font color="#FF0000">Das sind Familienprobleme. Gemeinsam ist diesen hier, dass sie mit Geld nicht zu lösen sind</font>. Die erwachsenen Beteiligten (abgesehen vielleicht von den New Yorker Intellektuellen) könnten aber versucht sein, sich zu fragen, wie sie eigentlich in diese Lage geraten sind, <font color="#FF0000">diese Lage der Abhängigkeit, der Verantwortung, der Sorge, der Unfreiheit - während der Rest der Mitmenschen flexibel, frei, sorglos und freizeitorientiert vor sich hinzuleben scheint</font>.
Krisen gehen vorüber, die Dinge gleiten zurück in eine vernünftige Perspektive: Karriere und Singletum machen nicht immer glücklich, Familie heißt nicht nur Stress und Verzicht. Totale Freiheit kann totale Bindungslosigkeit bedeuten; und Bindung, so ökonomistisch darf man es in diesen Zeiten gewiss ausdrücken, bringt ja, wenn alles gut geht, auch Rendite: Liebe. Geborgenheit. Einen privaten, vor den Ungerechtigkeiten und Gemeinheiten der Welt geschützten Raum, in dem jede Menge pralles Leben stattfindet.
<font color="#FF0000">Die Single-Ästhetik dominiert</font>
Es ist allerdings bezeichnend, dass Eltern (und Ähnliches gilt für die erwachsenen Kinder gebrechlicher Eltern) sich dieser Vorzüge gleichsam im Autosuggestionsverfahren vergewissern müssen: <font color="#FF0000">Das allgegenwärtige Leitbild dieser Gesellschaft ist eben ganz und gar nicht der sorgende, unflexible und oft notgedrungen ein wenig langweilige Familienmensch</font>. Wer wäre man denn insgeheim lieber: Bridget Jones - oder die Mutter von zwei Kindern mit Reihenhaus und halber Stelle an der Grundschule?
<font color="#FF0000">90 Prozent aller Menschen in Deutschland halten Familie für wichtig; fast 80 Prozent der Mädchen zwischen 16 und 24 Jahren wünschen sich Beruf und Kinder, auch bei den Jungen nimmt das bekundete Interesse an Familie zu. Soweit die eigene Anschauung reicht, wird das familiäre Zusammenleben offenbar als attraktiv empfunden</font>. Aber in dem Maße, in dem <font color="#FF0000">junge Leute in die Gesellschaft hineinwachsen, gewinnen Gegengründe an Boden</font>: <font color="#FF0000">"Individuelle Handlungs- und Entscheidungsfreiheit nehmen zu"</font>, heißt es in dem just verabschiedeten Leitantrag der SPD zur Familienpolitik: <font color="#FF0000">"Mit neuen Freiheiten und Chancen der Selbstverwirklichung, bei Betonung des individuellen Nutzens, scheint es unausweichlich, dass die Bereitschaft abnimmt, sich gegenüber anderen zu verpflichten, für andere Fürsorge zu übernehmen, anderen Hilfe zu leisten und sich für das Gemeinwohl zu engagieren."</font>
In unserer Ã-ffentlichkeit, unserer Politik, unserer Kultur <font color="#FF0000">dominiert die Single-Ästhetik</font>. Deutsche Literaturkritik, zum Beispiel, würde noch den vierhundertfünfundzwanzigsten Erguss eines jungen Mannes abfeiern, der im Wald von existenziellen Gefühlen angesprungen wird und diese anschließend detailreich und ironiefrei ausbreitet. Der alltagsbezogene Empirismus der Briten hingegen, der das Erzählenswerte im Gewöhnlichen sucht, steht hierzulande immer noch unter Trivialitätsverdacht. Herausragende Autorinnen wie Margaret Drabble oder Margaret Forster finden sich bei uns in Frauenbuchreihen - wenn überhaupt. Familienpolitik wäre, so gesehen, also auch eine Aufgabe für Verlage und die Produzenten von Fernsehkultserien. In vergangenen Jahrzehnten gehörten zum Inventar der deutschen Fernsehwelt Die Unverbesserlichen und die Familie Hesselbach. Eine attraktive zeitgemäße Entsprechung scheint undenkbar zu sein; Quote sollen vielmehr Singles im Container bringen.
Familienpolitik in ihrer traditionelleren Form wird von Familienverbänden, einer überschaubaren Zahl von wissenschaftlichen Experten, engagierten Journalistinnen und den Zuständigen in den politischen Institutionen gemacht. Auch sie befleißigen sich einer Rhetorik, die Familienmenschen als zeitgeistentkoppelte Deppen, als Normalitätsspießer dastehen lässt - oder als ewig Hilfebedürftige, als Dauerbenachteiligte, als Loser. Die Profis der Familienpolitik halten es für ihre vornehmste Aufgabe, die vielfältigen finanziellen Notlagen und Ungerechtigkeiten anzuprangern und auf Abhilfe zu pochen - und beschwören so das Familiendasein allein als etwas Defizitäres, das vor allem mit mehr Geld zu heilen wäre. Dieser Ansatz ist weder dazu geeignet, Leuten mit Kindern ein positives Lebensgefühl zu vermitteln, noch dazu, Menschen ohne Kinder die Familiengründung attraktiv erscheinen zu lassen. Auch Letzteres gehört, so unangenehm das manchen Familienpolitikern sein mag, zu ihrem Auftrag. Man braucht es ja nicht Bevölkerungspolitik zu nennen.
<font color="#FF0000">Die Benachteiligungsdiskussion hat ihre Berechtigung nicht zuletzt dort, wo wirklich Not und Armut herrschen, wo Kinder in dieser Überflussgesellschaft von Sozialhilfe leben müssen, gut eine Million sind es</font>. Allerdings ist auch hier einzuschränken: Es gibt Sozialhilfeverhältnisse, die selbst bei sofortiger Verdoppelung der Bezüge desolat bleiben würden, wenn nicht eine ganz andere sozialarbeiterische Intervention, als wir sie kennen, hinzukäme. Es gibt individuelle, zurechenbar herbeigeführte Armut - durch unterhaltssäumige Väter, durch leichtfertig sich trennende Eltern.
Die Alleinerziehenden vor allem finden sich bei uns in prekären finanziellen Verhältnissen, und der Staat hat selbstverständlich die Pflicht, ihre Kinder vor den Folgen der Armut zu schützen. Aber auch in diesem Kontext muss es erlaubt sein, über Verantwortung zu reden: Irgendwann sind der Trennung ja einmal die autonomen, von jeder staatlichen Einmischung freien Entscheidungen zweier Erwachsener für ein bestimmtes Familienarrangement vorausgegangen. Und keine Beziehung zerbricht allein naturgesetzlich.
Die Vorstellung, der Ausgleich aller Benachteiligungen brächte Familien automatisch mehr Zufriedenheit, ist übrigens naiv. Diesen Automatismus gibt es nicht: Eben weil die Lebenslagen so unterschiedlich sind, eben weil familienbedingter Verzicht häufig gar nicht in erster Linie materieller, sondern ideeller Verzicht ist. <font color="#FF0000">Die jetzige Eltern- gehört eben auch zur Erbengeneration: Vier Billionen Mark werden in den nächsten zehn Jahren an sie weitergegeben. Zufriedenheit rechnet sich nicht vorzugsweise nach Bankguthaben</font>. Dass die Kinder im Kindergarten nicht abenteuerlichen pädagogischen Moden unterworfen werden, dass es überhaupt Kindergartenplätze gibt, wo man Kinder, die man lieb hat, zeitweilig abliefern mag, wirkt sich zum Beispiel auf das Wohlbefinden der Eltern unmittelbar aus. Und dass nicht als skurril gilt, wer seine Kinder gar nicht fremdbetreuen lässt, sondern sie zu Hause erzieht, ebenso.
Selbst wenn eine totale Übernahme sämtlicher Kinderkosten durch den Staat in Aussicht gestellt wäre, würde das nicht alle glücklich machen und vor allem nicht den Trend zur Kinderlosigkeit umkehren. Denn obwohl es möglicherweise Menschen gibt, die zwar grundsätzlich Kinder wollen, sie aber erst bei Zuteilungsreife ihres Bausparvertrags bekommen, dürfte dies doch nach jeder Lebenserfahrung eine relativ kleine Gruppe sein.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zieht gleichwohl mit einem Konzept in den Wahlkampf, das dem klassischen Gießkannenprinzip folgt: Erziehungsgeld und Kinderfreibetrag sollen zu einem"Familiengeld" von 1200 Mark pro Monat für jedes unter Dreijährige zusammengefasst werden, egal ob die Eltern arbeiten oder nicht - und egal, ob sie überhaupt Anspruch auf Erziehungsgeld hätten. Damit ist eine Zahl in der Welt, um die die Debatte künftig kreisen wird. Und ganz gewiss ließen sich ohne Schwierigkeiten Lobbyisten finden, die auch diese Fördersumme für unzureichend erklären und 2000 Mark fordern würden.
Selbst wenn man von kleinkarierter Rechnerei absehen wollte und könnte: Es bleibt die Frage, ob eine gehaltsähnliche Vergütung für die Kindererziehung wirklich Aufgabe des Staates ist. <font color="#FF0000">Bleibt nicht zwangsläufig, egal nach welchem Splittingmodell, ein Rest von Privatangelegenheit, von Restrisiko bei der Entscheidung für eine Familie?</font>
Diese Privatheit, dieser Freiraum von staatlicher Intervention und Verrechtlichung ist es doch gerade, der es zumindest auch attraktiv macht, eine Familie zu sein. Würde der Staat zum Beispiel alle Kinderkosten übernehmen, müsste das eigentlich zwangsläufig bedeuten, dass der Staat auch die privaten Erziehungsergebnisse öffentlich unter die Lupe nimmt. Wenn er neue Bürger finanzierte, hätte er das Recht zur Qualitätskontrolle. Dürfte eine Familienkasse der Zukunft das"Erziehungsgehalt", das"Familiengeld" oder wie auch immer der fragliche Transfer schließlich hieße, kürzen, wenn die Eltern ihre Kinder schlagen, fehlernähren, nächtelang Horrorvideos anschauen lassen?
Die Fixierung der Debatte auf die geringere finanzielle Beweglichkeit der Familien gegenüber den kinderlosen Verdienern suggeriert, Elternschaft ohne Verzicht sei möglich. Diese Vorstellung ist wirklichkeitsfremd. Es gibt keine Vollkasko-Familie, weil niemand den Eltern, auch nicht den wohlhabenden, die Sorge um ihr Kind abnehmen kann. Auch sie werden nachts wachgeschrien, müssen Windeln wechseln, trösten und Fieber messen; auch sie haben Angst, wenn die Kinder allein im Dunkeln unterwegs sind, müssen sich über Schulschwierigkeiten Gedanken machen und glaubhaft versichern, dass es auch ein Leben nach dem Streit mit der besten Freundin geben kann. <font color="#FF0000">Sorge, mehr noch als Verzicht, ist die Grundbedingung von Elternschaft: Sie erzwingt Rücksichtnahme, Beschränkung der eigenen Bedürfnisse</font>.
Der BMW ist kein Maßstab
<font color="#FF0000">Junge Eltern fliegen selten übers Wochenende nach Venedig </font>- aber nicht nur, oder hauptsächlich, weil das Geld nicht reicht, sondern weil es für alle Beteiligten kein Spaß ist, einen Vierjährigen über Flughäfen und durch Hotels zu schleifen. Die durch Kinder erzwungene Ruhe, Routine und Regelmäßigkeit sollte nicht nur als Entsagung aufgefasst werden: In einer Berufskultur der hektischen Betriebsamkeit und permanenten Verfügbarkeitserwartung mag es manchen Eltern gut tun, wenn sie am Wochenende und in den Ferien gezwungen sind, Tempo und Reichweite ihres Lebensstils zu reduzieren. <font color="#FF0000">Die Entdeckung der Langsamkeit an der Hand eines kleinen Kindes muss durchaus keine Strafe, sondern kann ein Gewinn sein</font>.
<font color="#0000FF">Der Staat soll Menschen unterstützen, die, kinderbedingt oder aus anderen Gründen, ihre Grundbedürfnisse nach Wohnung, Kleidung, Nahrung, kultureller Teilhabe nicht befriedigen können</font>. Da ist genug zu tun. <font color="#0000FF">Der Staat kann aber nicht, und soll auch nicht, jene Nutzlosigkeiten und Statussymbole für alle sichern, die die überdrehte Single-Gesellschaft sich von ihren freien Einkommensspitzen leistet. BMW-Offroader und Heli-Skiing-Wochenenden im Kaukasus können kein Maßstab sein</font>.
<font color="#0000FF">Was in dieser Gesellschaft so haarsträubend falsch läuft, ist nicht nur eine mangelhafte Gerechtigkeit für Familien, sondern der Wert, der auf Luxus, auf Status, aufs Materielle gelegt wird. Die Diskussion steht Kopf: Nicht dass Familien mit kleinen Kindern auf dreimal Fernurlaub im Jahr verzichten müssen, ist absurd, sondern dass Menschen wegen derartiger"Bedürfnisse" auf Kinder verzichten</font>. Mehr als alles Geld braucht die Familie die anerkannte Überzeugung, dass sie in diesem Land der erstrebenswerte Normalfall ist.
Bisher erschienen: Susanne Mayer"Ein Ruck für die Familie", Elisabeth von Thadden"Fachkraft mit Familiensinn" (Nr. 46), Ulrich Greiner"Warum wollen wir Kinder?" (Nr. 47) und Christiane Grefe"Von wegen Privatsache" (Nr. 48)
[b] Quelle: http://www.zeit.de/2001/49/200149_familienpolitik_xml
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