-->aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung:
Krankenversicherung
Mitversicherung von ausländischen Familienangehörigen in der Kritik
15. August 2003 Altgediente Fachleute der Gesundheitspolitik kennen das Phänomen. Besonders vor anstehenden Landtagswahlen wird plötzlich über die angeblich überzogenen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für ausländische Staatsbürger und deren Familien diskutiert.
"Das Thema wird aus der rechten Ecke an die Oberfläche gespült", sagt der Sprecher des Bundesverbands der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). Auf Flugblättern, in Briefen an Zeitungsredaktionen und im Internet erwecken Anhänger rechtsorientierter Gruppen den Eindruck, Ausländer beuteten das hiesige System aus - auch als Folge"ungerechter" staatlicher Abkommen.
"Skandal: Für wen unsere Krankenkassen noch bezahlen müssen": Mit solchen Berichten schüren beispielsweise die"Republikaner" öffentliche Erregung und fragen:"Verschenken die etablierten Parteien unsere Beiträge ins Ausland?" Die unausgesprochene Botschaft lautet: Ohne die Ausländer stünde es um die Krankenversicherung nicht so schlecht, wie es derzeit mit Milliardendefiziten und steigenden Beitragslasten der Fall ist.
Zweistaatliche Abkommen
Es geht dabei um die Mitversicherung von Familienangehörigen in Deutschland arbeitender Türken oder Arbeitnehmer aus dem früheren Jugoslawien. Die 1964 und 1968 geschlossenen zweistaatlichen Abkommen über soziale Sicherheit für die damals"Gastarbeiter" Genannten legen fest, daß Ehepartner und Kinder gegen Krankheit mitversichert sind, auch wenn diese weiter im Heimatland leben.
"In besonderen Ausnahmefällen" gelte das entsprechend dem jeweiligen nationalen Sozialversicherungsrecht der Vertragsstaaten auch für die Eltern des Kassenmitglieds, antwortete der parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Franz Thönnes (SPD), im April auf eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Erika Steinbach. Die Politikerin, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, verlangte daraufhin, diese Sonderbehandlung abzuschaffen. Schließlich würden auch die Eltern deutscher Versicherter nicht über ihre Kinder mitversichert.
"Maximal zehn Prozent"
Der Vergleich dürfte in seiner Pauschalität überzogen sein. Auf"maximal zehn Prozent" schätzt Jörg Ziesmer den Anteil mitversicherter Eltern in türkischen Familien, für die die deutschen Kassen regelmäßig Beiträge ihrer Mitglieder überweisen. Ziemer ist stellvertretender Direktor der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA) in Bonn.
Über sie wickeln die gesetzlichen Krankenkassen Zahlungsströme mit ausländischen Partnern ab, entweder für ihre im Ausland erkrankten hiesigen Versicherten oder die Ansprüche ausländischer (Mit-)Versicherter gegenüber den deutschen Kassen. Einzelheiten regeln EU-Verträge und 36 bilaterale Sozialversicherungsabkommen.
Darin sei sichergestellt, daß in der Türkei lebende Eltern eines Mitglieds einer deutschen Kasse nur dann mit unterstützt werden, wenn sie nicht selbst als Arbeitnehmer, Rentner oder anderweitig mitversichert sind und wenn eine Unterhaltspflicht des Kindes ihnen gegenüber besteht, wie die Bundesregierung klarstellt. Über genaue Zahlen zur Häufigkeit der Fälle verfügt weder die Bundesregierung noch die Verbindungsstelle.
Monatliche Pauschale
Sie sind aus Perspektive der Beteiligten auch nicht notwendig. Denn die deutschen Kassen zahlen für jede Familie in der Türkei, in Serbien-Montenegro, Mazedonien, Bosnien, Kroatien und Slowenien eine monatliche Pauschale. Deren Höhe ist unabhängig von der Zahl der Familienmitglieder und dem Umfang und damit den tatsächlichen Kosten der Behandlung. Sie schließt aber weitergehende Behandlungen auf Kosten der GKV aus.
Im Jahr 2000 betrug die Pauschale für türkische Familien 17,70 im Monat. Alles in allem habe man im Jahr 2000 - wie im Vorjahr - 7,1 Millionen Euro an die Türkei überwiesen, sagt Ziesmer. Den starken Anstieg gegenüber 1998 (4,5 Millionen Euro) erklärt die Bundesregierung mit der hohen Inflation in der Türkei. Sie habe im Gesundheitssystem zu starken Kostensteigerungen geführt.
Nach jüngsten Angaben transferierte die Verbindungsstelle der deutschen Krankenkassen 208.000 Euro nach Serbien-Montenegro, 367.000 Euro nach Mazedonien, 1,32 Millionen Euro nach Kroatien und 545.000 Euro nach Slowenien."Das fällt bei den Summen, die die gesetzliche Krankenversicherung im Jahr ausgibt, kaum ins Gewicht," sagt Ziesmer. Die GKV habe im Jahr 2002 Ausgaben von rund 144 Milliarden Euro verbucht. Zudem sinke die Zahl der nicht-deutschen Anspruchsberechtigten, weil der Zuzug von Ausländern gestoppt worden sei.
Höhere Kosten in Deutschland
Der Sprecher des AOK-Bundesverbandes, dessen Mitgliedskassen besonders viele Ausländer versichern, pflichtet dem stellvertretenden Direktor der Deutschen Verbindungsstelle bei: Ohne jeden sachlichen Hintergrund würden Vorurteile gegen türkische Mitbürger geschürt, die angeblich besser gestellt seien:"Das ist faktisch nicht der Fall, gerade vor dem Hintergrund der Höhe der Zahlungen in die Türkei."
Eigentlich spare die deutsche Krankenversicherung durch das System der Pauschalzahlungen sogar Geld, rechnet die Bundesregierung vor:"Die Kosten würden deutlich höher ausfallen, wenn die anspruchsberechtigten Familienangehörigen nicht in ihren Heimatstaaten, sondern in Deutschland wohnen würden", sagt Gesundheits-Staatssekretär Thönnes. Immerhin beliefen sich die Kosten für den GKV-Durchschnittsversicherten - nicht die Familie - im Jahr 2001 auf 213 Euro im Monat. Dafür wurde in der Türkei eine ganze Familie ein Jahr lang versichert. Daher lehnt Thönnes eine Änderung der Sozialversicherungsabkommen ab.
<ul> ~ Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.08.2003, Nr. 189 / Seite 4</ul>
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