Tempranillo
18.08.2003, 10:48 |
E. Todd:"Euro stoppen. Die Apologeten der EWU sind die letzten Breschnews" Thread gesperrt |
-->Hallo,
ein ellenlanges Interview mit Emmanuel Todd steht auf www.feldpolitik.de, in dem er dafür plädiert, den Euro zu kippen, Maastricht für ein Projekt aus sowjetischem Geist hält, das nur deshalb zustandegekommen sei, weil Frankreich D-Land niederhalten wolle und D-Land seinerseits es wegen seiner Schuldkomplexe (Achtung, Schandmal) es nicht wage, sich zu seinen Interessen zu bekennen.
Weiters plädiert er für eine Rückkehr zu protektionistischen Methoden, und beruft sich dabei auf den Nationalökonomen Friedrich List (1789-1846), u.a. geistiger Vater des deutschen Zollvereins.
Immer wieder verblüffend, daß man im Ausland mit der deutschen Geschichte, und nicht nur mit den Abschnitten nach der Wannseekonferenz viel vertrauter ist als hierzulande. Dazu paßt, daß Todd, dessen Herkunft und Staatsangehörigkeit das nun überhaupt nicht vermuten lassen, in seinem Nachruf auf die USA (S.167) der Diplomatie OvB´s"Brillanz" attestiert, wo man bei uns, wenn überhaupt, nur vom"Eisernen Kanzler" oder vom"Dämon der Deutschen" (J. Willms) faselt.
Beachtenswert auch Todds Ausführungen über das Ende der Nationalstaaten. Ein Verschwörungsfuzzi mehr, noch dazu, wo er andeutet, daß das Übel in den USA seinen Ursprung hat?
Todds langes Interview habe ich versucht, ein wenig zusammenzukürzen; zum vollen Text geht´s über den Link.
Emmanuel Todd:
VON DER GLOBALISIERUNG IN DEN KÃ-PFEN
oder: Vergesst die Ã-konomen!
(...)
E. Todd: (...) Das Problem, um das es geht, ist aber dieses in allen entwickelten Ländern existierende Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Wirtschaft. Ich komme zur Folgerung, dass wir diese Ohnmacht nicht der Wirtschaft verdanken, sondern dem Verschwinden der kollektiven Glaubens- und Zugehörigkeitsgefühle. Wenn diese kollektiven Bezüge nicht mehr existieren, dann kann man wirklich nichts mehr machen. Nein, ich glaube nicht, dass ich eine chauvinistische Vision der Nation habe.
Frage: Und doch kommt am Ende Ihres Buchs die Rückkehr zur Nation ein wenig wie ein deus ex machina. Man muss nur den Glauben wieder finden in die Nation, die Frankreichs Grandeur ausmachte...
E. Todd: Nein, überhaupt nicht. Ich spreche auch nicht von Frankreich allein. Ich mache eine empirische Studie der Verschiedenheit der Nationen. Die Nationen haben nicht dieselbe Struktur. (...)
Frage: Der Protektionismus als Ausweg und als Antwort auf die Globalisierung?
E. Todd: Was ist genau diese Gefühl der Ohnmacht? Das sind diese Politiker, die sagen: Wir können nichts tun gegen diese blinden Kräfte der Globalisierung. Und aus einem, mir nicht ganz ersichtlichen Grund sind sie häufig fixiert auf die Freizügigkeit des Kapitals, die mich persönlich überhaupt nicht erschreckt.
Aber warum können sie nichts ausrichten? Oder wenn sie etwas beschliessen, dann nur die Aufgabe all dessen, was in Europa noch an nationalen Regulationen besteht. Und dies, weil der Glaube an die nationalen Instanzen nicht mehr besteht. (...)
Die Gesellschaften, die eine protektionistische Mentalität beibehalten haben, vor allem Deutschland und Japan, wehren sich besser gegen die Zunahme der Ungleichheit. Warum kann man sich nicht für die Vorteile des Protektionismus interessieren? Doch nicht aus rationalen oder technischen Gründen, sondern weil der Glaube an ein nationales Kollektiv fehlt. Wenn man vom Prinzip ausgeht, dass die Nation und der Staat nicht existiert, kann man keine kollektiven Entscheidungen auf die Wirtschaft treffen. So simpel ist das.
Frage: Und wenn nun aber der nationale Rahmen tatsächlich historisch von der Realität des Weltmarkts überholt ist und nicht mehr der Entwicklung entspricht?
E. Todd: Das ist eine Rhetorik, die in Europa noch durchgeht. Aber diese Ideologie der Auflösung der Nationen gibt es auch in den USA, die immerhin eine Kontinentalnation ist, wo alle Kompetenzen und Ressourcen existieren. Dennoch ist diese Meinung der nationalen Ohnmacht in den USA ebenso gängig wie in Frankreich. Das ist Ausdruck des verschwindenden kollektiven Glaubenssysteme. Und das Paradox in Frankreich ist es, dass diese Thesen ausgerechnet in dem Moment auftauchten, als wir begannen, die Probleme der des Rückstands und der Unabhängigkeit in der Energie und Rüstung technologisch zu überwinden.
Frage: Ihr Plädoyer für den nationalen Protektionismus könnte als Wunsch, zu einem Ideal der Vergangenheit zurückzukehren, verstanden werden.
E. Todd: Nochmals, wenn ich von Protektionismus rede, hören bestimmte Leute Autarkie und Grenzen schliessen. Das ist nicht, was ich meine. Ich fühle mich den Schriften des deutschen Ã-konomen Friedrich List sehr nahe. Der Protektionismus bedeutet die Kontrolle der Zollgebühren. Und es hat noch niemand bewiesen, dass eine Erhöhung der Zölle den freien Warenfluss unterbrochen hat. Der Freihandel dagegen verlangsamt den internationalen Austausch durch die Stagnation der Nachfrage. Wir sind in einer Logik der Senkung der Lohnkosten, die sich auf die Kaufkraft auswirkt.
Frage: Der Protektionismus hat Ende des letzten Jahrhunderts die Industrialisierung begleitet, ist er heute nicht Ausdruck einer reaktionären nationalistischen Ideologie. Wo ist der methodische Unterschied zwischen Protektionismus und Le Pens"préference nationale"?
E. Todd: Was wir vom Freihandel erhalten, ist ja gerade die Entfesselung nationalistischer Ideologien und der Politik der Diskriminierung. Der Protektionismus würde eher eine gegenteilige Entwicklung fördern. Eine der Dimensionen der Globalisierung, die ich gerne akzeptiere, ist die beschleunigte Migration. Damit werden wir leben müssen. Auch die Ausländer würden in den Schutz eines protektionistischen Systems eingeschlossen.
Frage: Das tönt ziemlich idyllisch. Im schlimmeren Fall ist die xenophobe Propaganda zur herrschenden Ideologie geworden.
E. Todd: Nein. Mit einer solchen Aussage sind Sie voll im"globalen Püree", wie ich das nenne. Sie wollen, nur weil ich von einem intelligenten ökonomischen Protektionismus rede, gleich einen Gegensatz zur Toleranz und Freiheit herstellen. Ich wehre mich gegen diese ideologische Verkürzung. Auch ich bin für die Freiheit. Ich bin ein Anhänger der Freizügigkeit der Personen und des Kapitals. Nur, die Freiheit der Personen, die sexuelle Befreiung usw. ist nicht dasselbe wie der freie Warenverkehr. Amerika zur Zeit der Befreiung der Sklaven war zugleich das protektionistischste Land der Welt.
Frage: Sie haben sich als entschiedener Gegner des Euro einen Namen gemacht. Das Modell der Europäischen Union hat doch einige Fortschritte gebracht. Was bringt Sie dazu zu sagen, dass ausgerechnet dieser Schritt der europäische Integration ein faux pas ist?
E. Todd: Zunächst: Ich war stets ein guter Europäer, und glaube, ich bin es immer noch. Ich glaube überhaupt nicht an das"Ende der Geschichte". Es wird nie ein System geben, das ein für allemal richtig und gültig sein wird. Das gilt auch für den europäischen Aufbau, der in bestimmten Perioden positiv und fortschrittlich ist -- Europa in seiner Anfangsphase war etwas Wundervolles --, die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes war eine grossartige und notwendige Sache.
Die unterschiedlichen Verhaltensweisen waren damals ein Plus: der deutsche Ernst und die französische Disziplinlosigkeit ergänzten sich gut. Jetzt sind wir in einer anderen Etappe. Das Projekt des Euro baut auf einem falschen Postulat auf, dem einer Konvergenz. Nach dem Krieg hatte man sehr stark das Gefühl einer Konvergenz durch die Entwicklung der Konsumgesellschaft. In Wirklichkeit war das eine ökonomische Illusion. Seit der Krise von 1974 ("Erdölschock") jedenfalls sind wir Zeugen eines Prozesses der Divergenz.
Frage: Also den Euro stoppen?
Hier kommen wir zum Kern der Neurose im deutsch-französischen Verhältnis: Die Politiker wollen die Realität nicht sehen. Und in Wirklichkeit sind die europäischen Gesellschaften eben sehr verschiedenartig.
Statt dessen versucht man von oben die Währungsunion einzuführen.
Für mich ist dies ein typisch sowjetisches Vorhaben.
Wirklich, die Apologeten der Währungsunion sind die letzten Breschnews!
Man versucht künstlich die Differenzen plattzuwalzen. Obwohl man jetzt schon weiss, dass das zum ökonomischen Desaster führt. Das deutsch-französische Paar steht dabei an vorderster Stelle.
Ich glaube, schuld daran ist eine Kombination aus bösem Willen und schlechtem Gewissen. Die"Mauvaise foi" auf französischer Seite und der Schuldkomplex auf deutscher Seite. Die französischen Politiker sprechen von Vereinigung, aber in Wirklichkeit sind sie von einem alten Misstrauen gegen Deutschland geleitet, dessen industrielle Macht und deren demographische Masse sie fürchten.
In Deutschland wagen sich die Deutschen nicht, sich als Deutsche zu denken. Es ist doch seltsam, dass sich die Politiker der beiden Länder auf eine Fusion vorbereiten, weil sie sich selber nicht lieben. Die französischen Politiker mögen Frankreich nicht und die deutschen Politiker haben Angst vor Deutschland.
Und daneben haben wir zwei Bevölkerungen, die wie gelähmt sind wegen dieses Projekts der Währungsunion. Man sagt, es wäre eine Katastrophe, den Euro zu stoppen. Aber ganz und gar nicht. Jedes Land könnte wieder an seine eigenen Probleme denken und auch an mögliche Kooperationen. Die Abkehr vom Euro wäre die Rückkehr zu einer wahren deutsch-französischen Zusammenarbeit.
Frage: In der Ablehnung des Euro sind Sie an der Seite der französischen Kommunisten. Mit einer völlig antimarxistischen Argumentation...
E. Todd: (...) Instinktiv habe bei Maastricht die Wiederkehr der"Bestie", der verrückten Ideologie einer von oben aufgezwungenen Konstruktion, gespürt. Die Kommunisten haben gute und schlechte Gründe, gegen den Euro zu sein. Seit dem Fall der Mauer ist die KP ohnehin ideologisch völlig explodiert. Die Kommunisten haben dermassen viel in die Schnauze gekriegt, dass ihr Geist frei ist. Mit den Kommunisten habe ich Spass beim Diskutieren, mit den Sozialisten dagegen langweile ich mich.
Interview: Rudolf Balmer und Thierry Chervel, Paris (copyright)
Emmanuel Todd: 1951 in Frankreich geboren, Studium am Pariser Institut des Etudes Politiques, Doktorat der Geschichtswissenschaften der Universität Cambridge. Er erregte 1976 Aufsehen, als er 1976 aufgrund von Faktoren wie der zunehmenden Kindersterblichkeit den bevorstehenden Zusammenbruch der Sowjetunion ankündigte. 1995 fand der Gaullist Jacques Chirac in Todds Schriften die Inspiration für seine Wahlkampagne zum Thema der"fracture sociale" (soziale Ungleichheit). E. Todds wichtigste Veröffentlichungen:
<ul> ~ Zu Emmanuel Todd</ul>
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Bob
18.08.2003, 10:55
@ Tempranillo
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Re: E. Todd: Ein wunderbar klarer Kopf, mehr davon Herr Todd! (owT) |
-->>Hallo,
>ein ellenlanges Interview mit Emmanuel Todd steht auf www.feldpolitik.de, in dem er dafür plädiert, den Euro zu kippen, Maastricht für ein Projekt aus sowjetischem Geist hält, das nur deshalb zustandegekommen sei, weil Frankreich D-Land niederhalten wolle und D-Land seinerseits es wegen seiner Schuldkomplexe (Achtung, Schandmal) es nicht wage, sich zu seinen Interessen zu bekennen.
>Weiters plädiert er für eine Rückkehr zu protektionistischen Methoden, und beruft sich dabei auf den Nationalökonomen Friedrich List (1789-1846), u.a. geistiger Vater des deutschen Zollvereins.
>Immer wieder verblüffend, daß man im Ausland mit der deutschen Geschichte, und nicht nur mit den Abschnitten nach der Wannseekonferenz viel vertrauter ist als hierzulande. Dazu paßt, daß Todd, dessen Herkunft und Staatsangehörigkeit das nun überhaupt nicht vermuten lassen, in seinem Nachruf auf die USA (S.167) der Diplomatie OvB´s"Brillanz" attestiert, wo man bei uns, wenn überhaupt, nur vom"Eisernen Kanzler" oder vom"Dämon der Deutschen" (J. Willms) faselt.
>Beachtenswert auch Todds Ausführungen über das Ende der Nationalstaaten. Ein Verschwörungsfuzzi mehr, noch dazu, wo er andeutet, daß das Übel in den USA seinen Ursprung hat?
>Todds langes Interview habe ich versucht, ein wenig zusammenzukürzen; zum vollen Text geht´s über den Link.
>Emmanuel Todd:
>VON DER GLOBALISIERUNG IN DEN KÃ-PFEN
>oder: Vergesst die Ã-konomen!
>(...)
>E. Todd: (...) Das Problem, um das es geht, ist aber dieses in allen entwickelten Ländern existierende Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Wirtschaft. Ich komme zur Folgerung, dass wir diese Ohnmacht nicht der Wirtschaft verdanken, sondern dem Verschwinden der kollektiven Glaubens- und Zugehörigkeitsgefühle. Wenn diese kollektiven Bezüge nicht mehr existieren, dann kann man wirklich nichts mehr machen. Nein, ich glaube nicht, dass ich eine chauvinistische Vision der Nation habe.
>Frage: Und doch kommt am Ende Ihres Buchs die Rückkehr zur Nation ein wenig wie ein deus ex machina. Man muss nur den Glauben wieder finden in die Nation, die Frankreichs Grandeur ausmachte...
>E. Todd: Nein, überhaupt nicht. Ich spreche auch nicht von Frankreich allein. Ich mache eine empirische Studie der Verschiedenheit der Nationen. Die Nationen haben nicht dieselbe Struktur. (...)
>
>Frage: Der Protektionismus als Ausweg und als Antwort auf die Globalisierung?
>E. Todd: Was ist genau diese Gefühl der Ohnmacht? Das sind diese Politiker, die sagen: Wir können nichts tun gegen diese blinden Kräfte der Globalisierung. Und aus einem, mir nicht ganz ersichtlichen Grund sind sie häufig fixiert auf die Freizügigkeit des Kapitals, die mich persönlich überhaupt nicht erschreckt.
>Aber warum können sie nichts ausrichten? Oder wenn sie etwas beschliessen, dann nur die Aufgabe all dessen, was in Europa noch an nationalen Regulationen besteht. Und dies, weil der Glaube an die nationalen Instanzen nicht mehr besteht. (...)
>Die Gesellschaften, die eine protektionistische Mentalität beibehalten haben, vor allem Deutschland und Japan, wehren sich besser gegen die Zunahme der Ungleichheit. Warum kann man sich nicht für die Vorteile des Protektionismus interessieren? Doch nicht aus rationalen oder technischen Gründen, sondern weil der Glaube an ein nationales Kollektiv fehlt. Wenn man vom Prinzip ausgeht, dass die Nation und der Staat nicht existiert, kann man keine kollektiven Entscheidungen auf die Wirtschaft treffen. So simpel ist das.
>Frage: Und wenn nun aber der nationale Rahmen tatsächlich historisch von der Realität des Weltmarkts überholt ist und nicht mehr der Entwicklung entspricht?
>E. Todd: Das ist eine Rhetorik, die in Europa noch durchgeht. Aber diese Ideologie der Auflösung der Nationen gibt es auch in den USA, die immerhin eine Kontinentalnation ist, wo alle Kompetenzen und Ressourcen existieren. Dennoch ist diese Meinung der nationalen Ohnmacht in den USA ebenso gängig wie in Frankreich. Das ist Ausdruck des verschwindenden kollektiven Glaubenssysteme. Und das Paradox in Frankreich ist es, dass diese Thesen ausgerechnet in dem Moment auftauchten, als wir begannen, die Probleme der des Rückstands und der Unabhängigkeit in der Energie und Rüstung technologisch zu überwinden.
>Frage: Ihr Plädoyer für den nationalen Protektionismus könnte als Wunsch, zu einem Ideal der Vergangenheit zurückzukehren, verstanden werden.
>E. Todd: Nochmals, wenn ich von Protektionismus rede, hören bestimmte Leute Autarkie und Grenzen schliessen. Das ist nicht, was ich meine. Ich fühle mich den Schriften des deutschen Ã-konomen Friedrich List sehr nahe. Der Protektionismus bedeutet die Kontrolle der Zollgebühren. Und es hat noch niemand bewiesen, dass eine Erhöhung der Zölle den freien Warenfluss unterbrochen hat. Der Freihandel dagegen verlangsamt den internationalen Austausch durch die Stagnation der Nachfrage. Wir sind in einer Logik der Senkung der Lohnkosten, die sich auf die Kaufkraft auswirkt.
>Frage: Der Protektionismus hat Ende des letzten Jahrhunderts die Industrialisierung begleitet, ist er heute nicht Ausdruck einer reaktionären nationalistischen Ideologie. Wo ist der methodische Unterschied zwischen Protektionismus und Le Pens"préference nationale"?
>E. Todd: Was wir vom Freihandel erhalten, ist ja gerade die Entfesselung nationalistischer Ideologien und der Politik der Diskriminierung. Der Protektionismus würde eher eine gegenteilige Entwicklung fördern. Eine der Dimensionen der Globalisierung, die ich gerne akzeptiere, ist die beschleunigte Migration. Damit werden wir leben müssen. Auch die Ausländer würden in den Schutz eines protektionistischen Systems eingeschlossen.
>Frage: Das tönt ziemlich idyllisch. Im schlimmeren Fall ist die xenophobe Propaganda zur herrschenden Ideologie geworden.
>E. Todd: Nein. Mit einer solchen Aussage sind Sie voll im"globalen Püree", wie ich das nenne. Sie wollen, nur weil ich von einem intelligenten ökonomischen Protektionismus rede, gleich einen Gegensatz zur Toleranz und Freiheit herstellen. Ich wehre mich gegen diese ideologische Verkürzung. Auch ich bin für die Freiheit. Ich bin ein Anhänger der Freizügigkeit der Personen und des Kapitals. Nur, die Freiheit der Personen, die sexuelle Befreiung usw. ist nicht dasselbe wie der freie Warenverkehr. Amerika zur Zeit der Befreiung der Sklaven war zugleich das protektionistischste Land der Welt.
>Frage: Sie haben sich als entschiedener Gegner des Euro einen Namen gemacht. Das Modell der Europäischen Union hat doch einige Fortschritte gebracht. Was bringt Sie dazu zu sagen, dass ausgerechnet dieser Schritt der europäische Integration ein faux pas ist?
>E. Todd: Zunächst: Ich war stets ein guter Europäer, und glaube, ich bin es immer noch. Ich glaube überhaupt nicht an das"Ende der Geschichte". Es wird nie ein System geben, das ein für allemal richtig und gültig sein wird. Das gilt auch für den europäischen Aufbau, der in bestimmten Perioden positiv und fortschrittlich ist -- Europa in seiner Anfangsphase war etwas Wundervolles --, die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes war eine grossartige und notwendige Sache.
>Die unterschiedlichen Verhaltensweisen waren damals ein Plus: der deutsche Ernst und die französische Disziplinlosigkeit ergänzten sich gut. Jetzt sind wir in einer anderen Etappe. Das Projekt des Euro baut auf einem falschen Postulat auf, dem einer Konvergenz. Nach dem Krieg hatte man sehr stark das Gefühl einer Konvergenz durch die Entwicklung der Konsumgesellschaft. In Wirklichkeit war das eine ökonomische Illusion. Seit der Krise von 1974 ("Erdölschock") jedenfalls sind wir Zeugen eines Prozesses der Divergenz.
>Frage: Also den Euro stoppen?
>Hier kommen wir zum Kern der Neurose im deutsch-französischen Verhältnis: Die Politiker wollen die Realität nicht sehen. Und in Wirklichkeit sind die europäischen Gesellschaften eben sehr verschiedenartig.
>Statt dessen versucht man von oben die Währungsunion einzuführen.
>Für mich ist dies ein typisch sowjetisches Vorhaben.
>Wirklich, die Apologeten der Währungsunion sind die letzten Breschnews!
>Man versucht künstlich die Differenzen plattzuwalzen. Obwohl man jetzt schon weiss, dass das zum ökonomischen Desaster führt. Das deutsch-französische Paar steht dabei an vorderster Stelle.
>Ich glaube, schuld daran ist eine Kombination aus bösem Willen und schlechtem Gewissen. Die"Mauvaise foi" auf französischer Seite und der Schuldkomplex auf deutscher Seite. Die französischen Politiker sprechen von Vereinigung, aber in Wirklichkeit sind sie von einem alten Misstrauen gegen Deutschland geleitet, dessen industrielle Macht und deren demographische Masse sie fürchten.
>In Deutschland wagen sich die Deutschen nicht, sich als Deutsche zu denken. Es ist doch seltsam, dass sich die Politiker der beiden Länder auf eine Fusion vorbereiten, weil sie sich selber nicht lieben. Die französischen Politiker mögen Frankreich nicht und die deutschen Politiker haben Angst vor Deutschland.
>Und daneben haben wir zwei Bevölkerungen, die wie gelähmt sind wegen dieses Projekts der Währungsunion. Man sagt, es wäre eine Katastrophe, den Euro zu stoppen. Aber ganz und gar nicht. Jedes Land könnte wieder an seine eigenen Probleme denken und auch an mögliche Kooperationen. Die Abkehr vom Euro wäre die Rückkehr zu einer wahren deutsch-französischen Zusammenarbeit.
>Frage: In der Ablehnung des Euro sind Sie an der Seite der französischen Kommunisten. Mit einer völlig antimarxistischen Argumentation...
>E. Todd: (...) Instinktiv habe bei Maastricht die Wiederkehr der"Bestie", der verrückten Ideologie einer von oben aufgezwungenen Konstruktion, gespürt. Die Kommunisten haben gute und schlechte Gründe, gegen den Euro zu sein. Seit dem Fall der Mauer ist die KP ohnehin ideologisch völlig explodiert. Die Kommunisten haben dermassen viel in die Schnauze gekriegt, dass ihr Geist frei ist. Mit den Kommunisten habe ich Spass beim Diskutieren, mit den Sozialisten dagegen langweile ich mich.
>
>Interview: Rudolf Balmer und Thierry Chervel, Paris (copyright)
>Emmanuel Todd: 1951 in Frankreich geboren, Studium am Pariser Institut des Etudes Politiques, Doktorat der Geschichtswissenschaften der Universität Cambridge. Er erregte 1976 Aufsehen, als er 1976 aufgrund von Faktoren wie der zunehmenden Kindersterblichkeit den bevorstehenden Zusammenbruch der Sowjetunion ankündigte. 1995 fand der Gaullist Jacques Chirac in Todds Schriften die Inspiration für seine Wahlkampagne zum Thema der"fracture sociale" (soziale Ungleichheit). E. Todds wichtigste Veröffentlichungen:
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Loki
18.08.2003, 14:56
@ Tempranillo
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Re: Klasse einmal mehr beweißt Todd das er wirklich Ahnung von der Materie hat |
-->>Hallo,
>ein ellenlanges Interview mit Emmanuel Todd steht auf www.feldpolitik.de, in dem er dafür plädiert, den Euro zu kippen, Maastricht für ein Projekt aus sowjetischem Geist hält, das nur deshalb zustandegekommen sei, weil Frankreich D-Land niederhalten wolle und D-Land seinerseits es wegen seiner Schuldkomplexe (Achtung, Schandmal) es nicht wage, sich zu seinen Interessen zu bekennen.
>Weiters plädiert er für eine Rückkehr zu protektionistischen Methoden, und beruft sich dabei auf den Nationalökonomen Friedrich List (1789-1846), u.a. geistiger Vater des deutschen Zollvereins.
>Immer wieder verblüffend, daß man im Ausland mit der deutschen Geschichte, und nicht nur mit den Abschnitten nach der Wannseekonferenz viel vertrauter ist als hierzulande. Dazu paßt, daß Todd, dessen Herkunft und Staatsangehörigkeit das nun überhaupt nicht vermuten lassen, in seinem Nachruf auf die USA (S.167) der Diplomatie OvB´s"Brillanz" attestiert, wo man bei uns, wenn überhaupt, nur vom"Eisernen Kanzler" oder vom"Dämon der Deutschen" (J. Willms) faselt.
>Beachtenswert auch Todds Ausführungen über das Ende der Nationalstaaten. Ein Verschwörungsfuzzi mehr, noch dazu, wo er andeutet, daß das Übel in den USA seinen Ursprung hat?
>Todds langes Interview habe ich versucht, ein wenig zusammenzukürzen; zum vollen Text geht´s über den Link.
>Emmanuel Todd:
>VON DER GLOBALISIERUNG IN DEN KÃ-PFEN
>oder: Vergesst die Ã-konomen!
>(...)
>E. Todd: (...) Das Problem, um das es geht, ist aber dieses in allen entwickelten Ländern existierende Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Wirtschaft. Ich komme zur Folgerung, dass wir diese Ohnmacht nicht der Wirtschaft verdanken, sondern dem Verschwinden der kollektiven Glaubens- und Zugehörigkeitsgefühle. Wenn diese kollektiven Bezüge nicht mehr existieren, dann kann man wirklich nichts mehr machen. Nein, ich glaube nicht, dass ich eine chauvinistische Vision der Nation habe.
>Frage: Und doch kommt am Ende Ihres Buchs die Rückkehr zur Nation ein wenig wie ein deus ex machina. Man muss nur den Glauben wieder finden in die Nation, die Frankreichs Grandeur ausmachte...
>E. Todd: Nein, überhaupt nicht. Ich spreche auch nicht von Frankreich allein. Ich mache eine empirische Studie der Verschiedenheit der Nationen. Die Nationen haben nicht dieselbe Struktur. (...)
>
>Frage: Der Protektionismus als Ausweg und als Antwort auf die Globalisierung?
>E. Todd: Was ist genau diese Gefühl der Ohnmacht? Das sind diese Politiker, die sagen: Wir können nichts tun gegen diese blinden Kräfte der Globalisierung. Und aus einem, mir nicht ganz ersichtlichen Grund sind sie häufig fixiert auf die Freizügigkeit des Kapitals, die mich persönlich überhaupt nicht erschreckt.
>Aber warum können sie nichts ausrichten? Oder wenn sie etwas beschliessen, dann nur die Aufgabe all dessen, was in Europa noch an nationalen Regulationen besteht. Und dies, weil der Glaube an die nationalen Instanzen nicht mehr besteht. (...)
>Die Gesellschaften, die eine protektionistische Mentalität beibehalten haben, vor allem Deutschland und Japan, wehren sich besser gegen die Zunahme der Ungleichheit. Warum kann man sich nicht für die Vorteile des Protektionismus interessieren? Doch nicht aus rationalen oder technischen Gründen, sondern weil der Glaube an ein nationales Kollektiv fehlt. Wenn man vom Prinzip ausgeht, dass die Nation und der Staat nicht existiert, kann man keine kollektiven Entscheidungen auf die Wirtschaft treffen. So simpel ist das.
>Frage: Und wenn nun aber der nationale Rahmen tatsächlich historisch von der Realität des Weltmarkts überholt ist und nicht mehr der Entwicklung entspricht?
>E. Todd: Das ist eine Rhetorik, die in Europa noch durchgeht. Aber diese Ideologie der Auflösung der Nationen gibt es auch in den USA, die immerhin eine Kontinentalnation ist, wo alle Kompetenzen und Ressourcen existieren. Dennoch ist diese Meinung der nationalen Ohnmacht in den USA ebenso gängig wie in Frankreich. Das ist Ausdruck des verschwindenden kollektiven Glaubenssysteme. Und das Paradox in Frankreich ist es, dass diese Thesen ausgerechnet in dem Moment auftauchten, als wir begannen, die Probleme der des Rückstands und der Unabhängigkeit in der Energie und Rüstung technologisch zu überwinden.
>Frage: Ihr Plädoyer für den nationalen Protektionismus könnte als Wunsch, zu einem Ideal der Vergangenheit zurückzukehren, verstanden werden.
>E. Todd: Nochmals, wenn ich von Protektionismus rede, hören bestimmte Leute Autarkie und Grenzen schliessen. Das ist nicht, was ich meine. Ich fühle mich den Schriften des deutschen Ã-konomen Friedrich List sehr nahe. Der Protektionismus bedeutet die Kontrolle der Zollgebühren. Und es hat noch niemand bewiesen, dass eine Erhöhung der Zölle den freien Warenfluss unterbrochen hat. Der Freihandel dagegen verlangsamt den internationalen Austausch durch die Stagnation der Nachfrage. Wir sind in einer Logik der Senkung der Lohnkosten, die sich auf die Kaufkraft auswirkt.
>Frage: Der Protektionismus hat Ende des letzten Jahrhunderts die Industrialisierung begleitet, ist er heute nicht Ausdruck einer reaktionären nationalistischen Ideologie. Wo ist der methodische Unterschied zwischen Protektionismus und Le Pens"préference nationale"?
>E. Todd: Was wir vom Freihandel erhalten, ist ja gerade die Entfesselung nationalistischer Ideologien und der Politik der Diskriminierung. Der Protektionismus würde eher eine gegenteilige Entwicklung fördern. Eine der Dimensionen der Globalisierung, die ich gerne akzeptiere, ist die beschleunigte Migration. Damit werden wir leben müssen. Auch die Ausländer würden in den Schutz eines protektionistischen Systems eingeschlossen.
>Frage: Das tönt ziemlich idyllisch. Im schlimmeren Fall ist die xenophobe Propaganda zur herrschenden Ideologie geworden.
>E. Todd: Nein. Mit einer solchen Aussage sind Sie voll im"globalen Püree", wie ich das nenne. Sie wollen, nur weil ich von einem intelligenten ökonomischen Protektionismus rede, gleich einen Gegensatz zur Toleranz und Freiheit herstellen. Ich wehre mich gegen diese ideologische Verkürzung. Auch ich bin für die Freiheit. Ich bin ein Anhänger der Freizügigkeit der Personen und des Kapitals. Nur, die Freiheit der Personen, die sexuelle Befreiung usw. ist nicht dasselbe wie der freie Warenverkehr. Amerika zur Zeit der Befreiung der Sklaven war zugleich das protektionistischste Land der Welt.
>Frage: Sie haben sich als entschiedener Gegner des Euro einen Namen gemacht. Das Modell der Europäischen Union hat doch einige Fortschritte gebracht. Was bringt Sie dazu zu sagen, dass ausgerechnet dieser Schritt der europäische Integration ein faux pas ist?
>E. Todd: Zunächst: Ich war stets ein guter Europäer, und glaube, ich bin es immer noch. Ich glaube überhaupt nicht an das"Ende der Geschichte". Es wird nie ein System geben, das ein für allemal richtig und gültig sein wird. Das gilt auch für den europäischen Aufbau, der in bestimmten Perioden positiv und fortschrittlich ist -- Europa in seiner Anfangsphase war etwas Wundervolles --, die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes war eine grossartige und notwendige Sache.
>Die unterschiedlichen Verhaltensweisen waren damals ein Plus: der deutsche Ernst und die französische Disziplinlosigkeit ergänzten sich gut. Jetzt sind wir in einer anderen Etappe. Das Projekt des Euro baut auf einem falschen Postulat auf, dem einer Konvergenz. Nach dem Krieg hatte man sehr stark das Gefühl einer Konvergenz durch die Entwicklung der Konsumgesellschaft. In Wirklichkeit war das eine ökonomische Illusion. Seit der Krise von 1974 ("Erdölschock") jedenfalls sind wir Zeugen eines Prozesses der Divergenz.
>Frage: Also den Euro stoppen?
>Hier kommen wir zum Kern der Neurose im deutsch-französischen Verhältnis: Die Politiker wollen die Realität nicht sehen. Und in Wirklichkeit sind die europäischen Gesellschaften eben sehr verschiedenartig.
>Statt dessen versucht man von oben die Währungsunion einzuführen.
>Für mich ist dies ein typisch sowjetisches Vorhaben.
>Wirklich, die Apologeten der Währungsunion sind die letzten Breschnews!
>Man versucht künstlich die Differenzen plattzuwalzen. Obwohl man jetzt schon weiss, dass das zum ökonomischen Desaster führt. Das deutsch-französische Paar steht dabei an vorderster Stelle.
>Ich glaube, schuld daran ist eine Kombination aus bösem Willen und schlechtem Gewissen. Die"Mauvaise foi" auf französischer Seite und der Schuldkomplex auf deutscher Seite. Die französischen Politiker sprechen von Vereinigung, aber in Wirklichkeit sind sie von einem alten Misstrauen gegen Deutschland geleitet, dessen industrielle Macht und deren demographische Masse sie fürchten.
>In Deutschland wagen sich die Deutschen nicht, sich als Deutsche zu denken. Es ist doch seltsam, dass sich die Politiker der beiden Länder auf eine Fusion vorbereiten, weil sie sich selber nicht lieben. Die französischen Politiker mögen Frankreich nicht und die deutschen Politiker haben Angst vor Deutschland.
>Und daneben haben wir zwei Bevölkerungen, die wie gelähmt sind wegen dieses Projekts der Währungsunion. Man sagt, es wäre eine Katastrophe, den Euro zu stoppen. Aber ganz und gar nicht. Jedes Land könnte wieder an seine eigenen Probleme denken und auch an mögliche Kooperationen. Die Abkehr vom Euro wäre die Rückkehr zu einer wahren deutsch-französischen Zusammenarbeit.
>Frage: In der Ablehnung des Euro sind Sie an der Seite der französischen Kommunisten. Mit einer völlig antimarxistischen Argumentation...
>E. Todd: (...) Instinktiv habe bei Maastricht die Wiederkehr der"Bestie", der verrückten Ideologie einer von oben aufgezwungenen Konstruktion, gespürt. Die Kommunisten haben gute und schlechte Gründe, gegen den Euro zu sein. Seit dem Fall der Mauer ist die KP ohnehin ideologisch völlig explodiert. Die Kommunisten haben dermassen viel in die Schnauze gekriegt, dass ihr Geist frei ist. Mit den Kommunisten habe ich Spass beim Diskutieren, mit den Sozialisten dagegen langweile ich mich.
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>Interview: Rudolf Balmer und Thierry Chervel, Paris (copyright)
>Emmanuel Todd: 1951 in Frankreich geboren, Studium am Pariser Institut des Etudes Politiques, Doktorat der Geschichtswissenschaften der Universität Cambridge. Er erregte 1976 Aufsehen, als er 1976 aufgrund von Faktoren wie der zunehmenden Kindersterblichkeit den bevorstehenden Zusammenbruch der Sowjetunion ankündigte. 1995 fand der Gaullist Jacques Chirac in Todds Schriften die Inspiration für seine Wahlkampagne zum Thema der"fracture sociale" (soziale Ungleichheit). E. Todds wichtigste Veröffentlichungen:
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