Bob
06.09.2003, 01:34 |
An Dottore: der Gegenbeweis ist erbracht Thread gesperrt |
-->Moin Dottore,
Dottore, als ich das las, dachte ich, daß jetzt eine Revision Deiner Geldtheorie anstehen dürfte.
Kann die These, daß unser Wirtschaftssystem als Debitismus bezeichnet werden muß, jetzt noch aufrecht erhalten werden?
Zweifellos handelt es sich bei den unten dargestellten Vorgängen um Ausnahmesituationen, aber muß eine Theorie nicht auch diese abdecken? [img][/img]
Vielleicht ist die Tauschtheorie ja doch nicht so blöde...
Zitat:
>> Die Rechtsgrundsätze, die zur Begründung einer Annullierung oder Änderung von Veträgen, bei denen die Leistung der einen Seite in Geld besteht, herangezogen werden, sind verschiedener Art. Zunächst wurde vorwiegend eine durch die Geldentwertung herbeigeführte Unmöglichkeit der Leistung auf der Seite des Lieferanten, welche die Befreiung von der Leistung zur Folge hat, angezogen. Dies geschah insbesondere in Fällen, in denen der Nachweis erbracht wurde, daß die infolge der Geldentwertung eingetretene Diskrepanz von Leistung und Gegenleistung im Falle der Erzwingung der Vertragserfüllung die wirtschaftliche Existenz des Lieferanten zerstören werde. Auch die"clausula rebus sic stantibus" wurde vielfach in den Begründungen angeführt, obwohl diese Klausel im BGB nicht geregelt ist. Außerdem kehrt häufig der Gedankengang wieder, daß ein Festhalten an dem Vertrage und das Verlangen der Erfüllung trotz der eingetretenen Geldentwertung gegen Treu und Glauben verstoße.
Besonders charakteristisch ist das Urteil des Reichsgerichtes vom 13. Februar 1920, in dem zum ersten Mal der Grundsatz aufgestellt wird, daß"der Wille der Parteien bei ihren Abschlüssen auf ein regelrecht entgeltliches Geschäft gerichtet sei". Von der vereinbarten Bausumme - es handelte sich um den Bau eines Bootes - sei beiderseits angenommen worden, daß sie ein angemessenes Entgelt der Werkleistung darstelle; das sei nach dem tatsächlich und unvorhersehbar eingetretenen Entwicklungsgang der wirtschaftlichen Verhältnisseunausführbar geworden. Müßte der Beklagte den Bootsrumpf zum vereinbarten Preis liefern, so würde er nicht nur jeden Verdienst einbüßen, sondern noch sehr bedeutende Geldaufwendungen zusetzen müssen, während der Kläger ein Werk erhielte, dessen Wert sich dem Doppelten des Preises nähern würde. Ein solches Ergebnis könne nicht billig und gerecht erscheinen.
Noch bezeichnender ist ein Reichsgerichtsurteil vom 3. Febuar 1922, in dessen Begründung ausgesprochen wird, daß die Grundlage eines Geschäftes im Sinne einer bei Geschäftsabschlüssen zutage getretenen Vorstellung der Beteiligten über den Bestand gewisser maßgebender Verhältnisse hinfällig werden könne durch eine bloße Valutaverschiebung, nämlich dann, wenn die Fortdauer der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung bei dem Vertragsabschluß vorausgesetzt wurde. Sollte es zu einer Änderung des Vertrages kommen, so müßte behufs der Vermeidung der Lossagung des Beklagten von dem Vertrage der Preis entsprechend der jetzigen Geldentwertung erhöht werden. Ein etwa auf andere Gründe zurückzuführender Wertzuwachs würde den Vorteil des Klägers bilden und brauche von ihm nicht ausgeglichen zu werden.
Die Geldentwertung wird also in diesen Entscheidungen in der Weise berücksichtigt, daß bei zweiseitigen Verträgen, bei denen Leistung und Gegenleistung noch aussteht, eine der Geldentwertung entsprechende Erhöhung der in Geld bestehenden Gegenleistung zugebilligt wird; weigert sich die zur Gegenleistung verpflichtete Partei, diese Erhöhung des Geldpreises zu gewähren, so kann die Gegenpartei vom Vertrage zurücktreten.
Die Fiktion der Wertbeständigkeit des Geldes ist in diesen Entscheidungen nicht nur aufgegeben, sondern der anerkannten Tatsache der Geldentwertung wird ein Einfluß auf die Summe eingeräumt, in der Geldverpflichtungen zu erfüllen sind. Gleichzeitig wird in dem zuletzt angeführten Gerichtsurteil ausdrücklich anerkannt, daß Wertverschiebungen auf der Seite der nicht in Geld bestehenden Leistung keinen Einfluß auf die Ausführung der Verträge haben, daß vielmehr eine auf dieser Seite seit dem Vertragsabschluß eingetretene Wertsteigerung demjenigen zugute kommt, der Anspruch auf die Lieferung des Objektes hat.
Wir stehen also vor der merkwürdigen Tatsache, daß, während früher Geldwertveränderungen als nicht vorhanden und jedenfalls als gänzlich unerheblich für die Erfüllung von Verträgen angesehen wurden, heute den Geldwertveränderungen, nicht dagegen auch den Wertveränderungen der Sachgüter, ein Einfluß auf die Erfüllung der Verträge eingeräumt wird. Ware bleibt also gleich Ware, aber Geld bleibt nicht mehr gleich Geld.
Indem auf diese Weise unter den in Verfall geratenen Geldverhältnissen der Gegenwart von der Rechtsprechung und teilweise auch von der Gesetzgebung der fundamentale Grundsatz der Nennwerttheorie, daß gleiche Geldsummen im Zeitablaufe vor dem Recht gleich bleiben, geopfert wird, kommt die Anerkennung zum Ausdruck, daß auch die rechtliche Behandlung des Geldes auf wirtschaftlichen Grundtatsachen beruht und daß eine dieser Grundtatsachen die annähernde Stabilität des Geldwertes ist. Wo diese Stabilität offensichtlich in Trümmer geht, wird Gesetzgebung und Rechtsprwechung, ebenso wie die Praxis des Geldverkehrs, in Wege gezwungen, die abseits der auf dem Grunde der wohlgeordneten Geldverfassung vom Typ der modernen Geldwährung aufgebauten Theorie liegen. Auch die Nennwerttheorie ist historisch bedingt; eine Zerstörung ihrer wirtschaftlichen Gundlagen hat Rückfälle in eine Praxis zur notwendigen Folge, die eher Metallwert- und Kurswerttheorie entspricht. << Helfferich"das Geld" 6. Auflage, 1923, S. 370-71
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Ricardo
06.09.2003, 04:11
@ Bob
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das ist keine Ausnahmesituation |
-->>Moin Dottore,
>Dottore, als ich das las, dachte ich, daß jetzt eine Revision Deiner Geldtheorie anstehen dürfte.
>Kann die These, daß unser Wirtschaftssystem als Debitismus bezeichnet werden muß, jetzt noch aufrecht erhalten werden?
>Zweifellos handelt es sich bei den unten dargestellten Vorgängen um Ausnahmesituationen, aber muß eine Theorie nicht auch diese abdecken? [img][/img]
>Vielleicht ist die Tauschtheorie ja doch nicht so blöde...
>Zitat:
>>> Die Rechtsgrundsätze, die zur Begründung einer Annullierung oder Änderung von Veträgen, bei denen die Leistung der einen Seite in Geld besteht, herangezogen werden, sind verschiedener Art. Zunächst wurde vorwiegend eine durch die Geldentwertung herbeigeführte Unmöglichkeit der Leistung auf der Seite des Lieferanten, welche die Befreiung von der Leistung zur Folge hat, angezogen. Dies geschah insbesondere in Fällen, in denen der Nachweis erbracht wurde, daß die infolge der Geldentwertung eingetretene Diskrepanz von Leistung und Gegenleistung im Falle der Erzwingung der Vertragserfüllung die wirtschaftliche Existenz des Lieferanten zerstören werde. Auch die"clausula rebus sic stantibus" wurde vielfach in den Begründungen angeführt, obwohl diese Klausel im BGB nicht geregelt ist. Außerdem kehrt häufig der Gedankengang wieder, daß ein Festhalten an dem Vertrage und das Verlangen der Erfüllung trotz der eingetretenen Geldentwertung gegen Treu und Glauben verstoße.
>Besonders charakteristisch ist das Urteil des Reichsgerichtes vom 13. Februar 1920, in dem zum ersten Mal der Grundsatz aufgestellt wird, daß"der Wille der Parteien bei ihren Abschlüssen auf ein regelrecht entgeltliches Geschäft gerichtet sei". Von der vereinbarten Bausumme - es handelte sich um den Bau eines Bootes - sei beiderseits angenommen worden, daß sie ein angemessenes Entgelt der Werkleistung darstelle; das sei nach dem tatsächlich und unvorhersehbar eingetretenen Entwicklungsgang der wirtschaftlichen Verhältnisseunausführbar geworden. Müßte der Beklagte den Bootsrumpf zum vereinbarten Preis liefern, so würde er nicht nur jeden Verdienst einbüßen, sondern noch sehr bedeutende Geldaufwendungen zusetzen müssen, während der Kläger ein Werk erhielte, dessen Wert sich dem Doppelten des Preises nähern würde.
Hallo Bob,
wieso Ausnahmesituation und wieso ist hier von Geldentwertung die Rede (und allgemein), wenn doch ganz offensichlich der der Wert des Baus des Bootes an Wert verloren hat. Der Warenwert sinkt während der Geldwert (Zins) steigt. Das ist symtomatisch für Inflation, die ja keine statische Größe ist sondern sich eben in diesen verschobenen (Wert-) Relationen bemerkbar macht.
Grüsse
Ricardo
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Diogenes
06.09.2003, 09:02
@ Ricardo
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Re: das ist keine Ausnahmesituation |
-->> Müßte der Beklagte den Bootsrumpf zum vereinbarten Preis liefern, so würde er nicht nur jeden Verdienst einbüßen, sondern noch sehr bedeutende Geldaufwendungen zusetzen müssen, während der Kläger ein Werk erhielte, dessen Wert sich dem Doppelten des Preises nähern würde.
Der Geldwert ist verfallen. Das Boot kann für die ürsprünglich vereinbarte Summe nicht mehr hergestellt werden. Die Preise haben sich fast verdoppelt bzw. Geldwert halbiert. 1920 Ende des Krieges, Vorspiel zu Hyperinfla.
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dottore
06.09.2003, 10:18
@ Bob
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Re: Nein |
-->>Moin Dottore,
>Dottore, als ich das las, dachte ich, daß jetzt eine Revision Deiner Geldtheorie anstehen dürfte.
>Kann die These, daß unser Wirtschaftssystem als Debitismus bezeichnet werden muß, jetzt noch aufrecht erhalten werden?
>Zweifellos handelt es sich bei den unten dargestellten Vorgängen um Ausnahmesituationen, aber muß eine Theorie nicht auch diese abdecken? [img][/img]
>Vielleicht ist die Tauschtheorie ja doch nicht so blöde...
Doch. Der Fall bezieht sich nicht auf einen Tausch, bzw."verzögerten Tausch".
Die Gegenleistung wurde nicht in einer Sache (Tauschgegenstand) vereinbart, sondern in einem Schuldderivat ("Geld"). Angenommen, die Gegenleistung wäre in Gold (nach Gewicht) vereinbart gewesen (klassischer Tausch von Leistung und Gegenleistung) wäre es überhaupt nicht zu einem Prozess gekommen.
Es ging beim Helfferich-Problem nicht um die aktuelle Leistung vs. Gegenleistung, also um den dargestellten und beurteilten Fall, sondern darum, dass die Gegenleistung (Geld) zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses selbst ein Schuldtitel war, der sich auf einen Schuldinhalt bezog, der zunächst eine höhere Abforderung von Sachen (Leistungen, auch Gold) ermöglichte und sich - durch die sog."Geldentwertung" - dann verflüchtigte.
Das Urteil befasst sich mit den völlig falschen Parteien. Tatsächlich hätte es so ablaufen müssen: der Gläubiger erhält einen Geldbetrag, für den er weniger abfordern kann, als er es beim Vertragsabschluss konnte. Also hätte sich der Gläubiger mit dem Geldbetrag in der Hand an die Instanz halten müssen, die seinen Titel entwertet hatte (Staat) und von ihm die Differenz zwichen dem, was er als Schuld früher und später in Leistung abfordern konnte, herausklagen müssen. Der Staat war also zu verklagen und nicht der Schuldner.
Dies hatte das Gericht (aus naheliegenden Gründen: Richter sind Staatsbeamte) weder gesehen noch entsprechend gewürdigt. Die Differenz waren der Staat bzw. die Staatsbank schuldig und nicht der Schuldner aus dem Bootsvertrag. Man muss alles nur fein säuberlich aufrollen und auseinander halten.
Das Problem ist bekanntlich bis heute virulent: zwar ist die ZB zur"Sicherung des Geldwertes" gesetzlich"verpflichtet", aber diese Verpflichtung kann nicht eingeklagt werden.
Gruß!
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