-->Matthias Gebauer
berichtet exklusiv für SPIEGEL ONLINE aus Afghanistan
SPIEGEL ONLINE - 12. September 2003, 14:20
URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,265237,00.html
Afghanistan zwei Jahre danach
Der verlorene Sieg
Von Matthias Gebauer, Kandahar
Nach dem Afghanistan-Krieg sah es für kurze Zeit so aus, als ob das geschundene Land endlich Frieden finden könnte. Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Präsident Karzai ist machtlos gegen die Warlords, der Drogenhandel floriert und die Taliban werden täglich stärker.
Als Donald Rumsfeld diese Woche auf dem Flughafen im afghanischen Kabul ankam, hatte er sein Pulver schon verschossen. Stunden zuvor war der US-Verteidigungsminister in Bagdad gewesen, von wo täglich neue Meldungen über tote US-Soldaten und Angriffe von Guerilla-Truppen kommen. Als Reaktion auf den Widerstand im Irak versprach Rumsfeld sowohl seinen mittlerweile recht verängstigten Soldaten als auch den US-Aufbauhelfern milliardenschwere Hilfe.
Für die Afghanen und ihren Übergangspräsidenten Hamid Karzai hatte Rumsfeld anschließend nur noch Peanuts übrig. So wollen die USA 1,2 Milliarden US-Dollar locker machen. Nur 800 Millionen davon sollen aus dem Mega-Budget von 87 Milliarden Dollar kommen, das Präsident George W. Bush für den Anti-Terror-Kampf will. Das sagt viel über die US-Prioritäten aus. Insgesamt werden von dem Budget nur 11 Milliarden in Richtung Hindukusch gehen, fast alles landet beim Militär.
Fokus auf den Irak
Die Botschaft aus Washington ist klar: Afghanistan ist für die USA ein Problem zweiter Klasse - im Gegensatz zum ölreichen Irak mit seiner wichtigen strategischen Position. Genauso schnell wie das Land als Terror-Nest der Qaida und Herberge des Terror-Chefs Osama Bin Laden nach den Attacken des 11. Septembers in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses geraten war, geriet es auch wieder in Vergessenheit. Statt sich nach 30 Jahren Krieg nun endlich mit internationaler Hilfe als Nationalstaat zu stabilisieren, driftet das Land auseinander und droht erneut ins Chaos abzugleiten.
Doch es sind nicht nur die USA, die sich von Afghanistan abgewendet haben. Auch der Rest der internationalen Gemeinschaft handelt eher halbherzig. Bis heute sind von den 4,5 Milliarden Dollar Aufbauhilfe nur etwas mehr als eine angekommen. Doch selbst die gesamte Summe, ausgehandelt auf der Geber-Konferenz in Tokio, ist knapp kalkuliert. Schon kurz nach dem Krieg gegen die Taliban schätzten Uno und Weltbank den Aufwand für einen wirklichen Wiederaufbau des Landes auf 13 bis 19 Milliarden Dollar. Alle beteiligten Länder, auch die Bundesregierung, müssen sich also fragen, ob ihr Konzept nicht von Beginn an zu naiv war.
Wasser auf die Mühlen der Radikalen
Die Risiken des Rückfalls Afghanistans in ein fragiles Gebilde mit Dutzenden von sich gegenseitig bekämpfenden Gruppen sind enorm, sowohl für die in Afghanistan aktive internationale Gemeinschaft als auch für die USA. Misslingen der Wiederaufbau, ein dauerhafter Frieden oder die geplanten Wahlen im Juni 2004, ist das Vorzeigeprojekt eines Feldzuges gegen ein terroristisches Regime mit anschließender Demokratisierung gescheitert. Die islamische Welt beobachtet den Prozess sehr genau. Der Rückfall ins Chaos wäre für radikale Prediger und ihren Hass auf die von den USA dominierte Weltgemeinschaft das beste Futter.
Für eine abschließende Bewertung ist es noch zu früh. Doch mehr und mehr Fehler in der Taktik der US-Militärs und -Nachkriegsplaner werden offenbar. Nach dem Feldzug gegen die Taliban hatten sich die Mitglieder der Isaf-Truppe - darunter auch die Bundesrepublik - entschieden, mit knapp 5000 Soldaten nur in der Hauptstadt Kabul aktiv zu sein. Zwar würde niemand ihre Arbeit als Sicherungstruppe dort kritisieren. Knapp ein Jahr nach dem Krieg gegen die Taliban hat sich die seit 30 Jahren umkämpfte Stadt recht anschaulich gemausert. Die Basisversorgung mit Strom und Wasser funktioniert und die Sicherheitslage ist relativ stabil.
Eine Insel im stürmischen Ozean
Doch Kabul ist nur eine Insel mitten in einem großen stürmischen Ozean. Karzais Zentralregierung ist weit davon entfernt, Afghanistan effektiv zu regieren. Außerhalb der Stadt haben Warlords das Sagen. Im Norden herrschen General Dostum und Ismail Khan, die Seite an Seite mit den Amerikanern gegen die Taliban kämpften und dafür nun bei ihren Geschäften mit Drogen und beim Aufbau von riesigen Privatarmeen in Ruhe gelassen werden.
Karzais einziger Trumpf ist seine eigene Bedeutung als Gesicht Afghanistans in der Welt. Erst kürzlich nutzte er diese Karte, allerdings aus purer Verzweifelung. Seit dem Ende der Kämpfe hatten ihm die Warlords nicht einen Cent der millionenschweren Zölle, die sie an den Grenzen zu Afghanistans Nachbarn einnehmen, an die Regierungskasse überwiesen. Erst als Karzai signalisierte, er wolle deswegen zurücktreten, gaben sie nach und reisten zum Kotau nach Kabul. Allen Warlords war bewusst, dass der international anerkannten Lenker in Kabul auch ihren Interessen dient.
Zu wenig Friedensstifter
So sehr sich viele Afghanen den Abzug der fremden Soladaten aus ihrem Land wünschen, so gern hätten sie mehr internationale Truppen, um die Zentralregierung zu stützen. Ein Vergleich zeigt, wie wenig in Afghanistan getan wird. So sind allein in Bosnien seit dem Kriegsende rund 60.000 Soldaten als"peacekeeper" aktiv. Im Land am Hindukusch mit einer zwölfmal so großen Fläche und siebenmal so vielen Einwohner sind es gerade mal 5000 Isaf-Kräfte plus rund 12.000 US-Soldaten, die jedoch fast ausschließlich im Süden nach den Taliban und nach Osama Bin Laden suchen.
Die aktuelle Entscheidung, in mehreren Provinzen so genannte PRTs (Provisional Recontruction Teams) mit einer leichten Bewaffnung einzusetzen, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Doch auch hier sind die Maßstäbe zu beachten. So sind beispielsweise in Masar-i-Scharif ganze 74 britische Soldaten für eine Landfläche so groß wie Schottland zuständig. Außerdem ist unwahrscheinlich, dass sich die kleinen Teams in kritischen Fragen wie dem Drogenanbau oder bei der Ermöglichung von freien Wahlen gegen die in dem Jahr nach dem Krieg sehr mächtig gewordenen Warlords durchsetzen können.
Auf den Spuren der 9/11-Highjacker
Im Süden stellt sich die Lage noch dramatischer dar. Fast ein Drittel Afghanistans droht seit Monaten wieder zur Operationsbasis der Taliban und der Qaida zu werden. Dort wo die Terroristen vom 11. September nahe der Stadt Kandahar ihr blutiges Handwerk erlernten, werden nun neue Terroristen ausgebildet. Angestachelt von ihren nach dem Blitzkrieg untergetauchten Führern und finanziell aus Pakistan unterstützt, bildet sich ein Widerstand, den die USA mit ihren rund 10.000 Soldaten immer weniger kontrollieren können. Die Bevölkerung muss sich schon jetzt überlegen, welcher Macht sie sich anschließen will.
Die Taktik der Taliban ist einfach und brutal: Je häufiger die Taliban - wie am Montag geschehen - internationale Helfer töten, umso weniger von ihnen kommen. Und anschließend behaupten die Taliban, der US-gestützte Wiederaufbau existiere gar nicht.
Wahlen in unkontrollierbarem Gebiet
Vollkommen offen ist, wie angesichts des Chaos im Süden im Jahr 2004 Wahlen abgehalten werden sollen. Die Lage ist momentan so instabil, dass sich selbst die Uno kaum noch mit westlichen Mitarbeitern in die Region traut. Ganz abgesehen von der Sicherheitslage ist bisher von einem funktionierenden Parteiensystem kaum etwas zu erkennen.
Am Ende aller Überlegungen steht immer wieder die Erkenntnis, dass der Wiederaufbau der Infrastruktur der entscheidende Punkt für ein erfolgreiches nation building ist. In der Realität aber stocken alle großen Projekte. Die Straße von Kandahar nach Kabul ist eines der besten Beispiele. Spötter unken, dass der neue Straßenbelag vielleicht so lange halten werde, bis US-Präsident Bush sich das nächste Mal zur Wahl stellen muss.
Das Zeitfenster für Entscheidungen der internationalen Weltgemeinschaft für ein beherzteres Eingreifen in Afghanistan wird täglich kleiner. Nicht nur die USA sind gefragt, doch unzweifelhaft kommt den selbsternannten Befreiern die entscheidende Rolle beim Wiederaufbau zu. Der kleine Geldkoffer, den Donald Rumsfeld nach Afghanistan mitbrachte, wird dafür nicht
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