-->Lehrstellen
<font size=5>Keine Chance für die Jugend</font>
In der Republik fehlen mehr als 100000 Ausbildungsplätze. Nur ein knappes Viertel der Betriebe kümmert sich noch um den Nachwuchs
Von Frank Schulte
Die Republik erstarrt im Ritual. Da appelliert die Regierung an die gesellschaftliche Verantwortung der Betriebe; da wettern Gewerkschaften, es gebe <font color=#FF0000">unter den Firmen zu viele"Ausbildungsmuffel"</font>; da kritisieren Unternehmen, <font color=#FF0000">dass viele Jugendliche nicht richtig rechnen, lesen oder schreiben könnten</font>. Und was passiert? <font color=#FF0000">Jeder benennt den Teil des Problems, der ihm passt, aber im Ergebnis ändert sich nichts: In Deutschland mangelt es an Lehrstellen - seit Jahren schon, aber noch selten so gravierend wie 2003</font>.
Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit ist die Zahl der angebotenen Lehrstellen im August gegenüber dem Vorjahr <font color=#FF0000">um 8,4 Prozent gesunken, gleichzeitig aber die Zahl der Bewerber um knapp ein Prozent gestiegen</font>. Am ersten September begann in vielen Ausbildungsberufen das neue Lehrjahr, <font color=#FF0000">doch zu diesem Zeitpunkt gab es noch über 113000 Jugendliche, die keine Lehrstelle hatten</font>. Gegenüber dem vergangenen Jahr ist das eine <font color=#FF0000">Steigerung von über 30 Prozent</font>. Zwar wird bis Ende Dezember noch nachvermittelt, <font color=#FF0000">doch mehr Jugendliche denn je werden auf einen Ausbildungsvertrag verzichten müssen</font>. Und viele verschwinden nur aus der Statistik, weil sie"<font color=#FF0000">zwischengeparkt</font>" werden, zum Beispiel in einer <font color=#FF0000">so genannten berufsvorbereitenden Maßnahme</font>.
Selbst wer eine Lehrstelle bekommt, kann noch eine böse Überraschung erleben: In den vergangenen drei Jahren ist die Zahl der insolventen Unternehmen stetig auf zuletzt 37500 gestiegen. 2003 dürften es deutlich mehr als 40000 sein. Das Risiko einer Firma, Pleite zu gehen, ist in den neuen Bundesländern dreimal so hoch wie in den alten. <font color=#FF0000">Und wer fertig ist mit der Maurer-, Schreiner- oder Kaufmannslehre, muss um die Übernahme kämpfen</font>. Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung herausgefunden hat, werden in den neuen Bundesländern <font color=#FF0000">nur rund 40 Prozent der Azubis übernommen, im Westen knapp 60 Prozent. Befristete Arbeitsverträge sind die Regel</font>.
Es knirscht also im deutschen Ausbildungssystem."Die Ausbildungsquote in den Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten geht in den alten Bundesländern ganz erheblich zurück", sagt Klaus Troltsch vom Bundesinstitut für Berufliche Bildung (BIBB) in Bonn. Zwar sank seit 1990 in der gesamten Wirtschaft der Anteil der Auszubildenden an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. <font color=#FF0000">Bei den Großunternehmen aber war der Rückgang besonders drastisch</font>. Der Rückgang ihrer Ausbildungsquote von 5,2 Prozent auf 4,3 Prozent bedeutet einen Verlust von 100000 Ausbildungsplätzen. Allianz, Commerzbank und Post - einer Umfrage der Berliner Zeitung zufolge schrauben diese Konzerne auch in diesem Jahr ihr Ausbildungsplatzangebot gegenüber dem Vorjahr weiter zurück."Heute ist der Mittelstand der Träger der beruflichen Bildung", folgert Troltsch.
<font color=#FF0000">Aber auch dort geht die Quote zurück. Nur noch knapp ein Viertel aller deutschen Unternehmen stellt überhaupt Lehrlinge ein</font>. Damit wächst der politische Druck, die übrigen zur Kasse zu bitten. Wie eine Ausbildungsplatzabgabe aussehen könnte, ist allerdings unklar. Müssten wirklich alle Firmen zahlen, und wenn ja, wie viel? Oder gibt es Ausnahmen für Kleinbetriebe und Existenzgründer? Vor allem: Was bringt die Abgabe - führt sie wirklich zu mehr Lehrstellen? Am Ende wird der Kanzler die Antworten geben müssen. Noch will Gerhard Schröder abwarten. Noch also bleibt für Unternehmen und Verbände Zeit, trotz aller Schwierigkeiten für mehr Lehrstellen zu sorgen. Aber nicht mehr lange. <font color=#FF0000">Spürbar ist die Misere überall - im Osten und im Westen, im Süden und im Norden</font>.
"Nicht in diesem Jahr"
Ein letztes Mal den Schlips gerade gerückt, das Jackett glatt gestrichen. Dann beginnt eines dieser Gespräche, von denen Harry Handke seit 1995 mehr als 1000 geführt hat."Handke, guten Tag, Herr Willöper. Wir hatten telefoniert, ich bin der Lehrstellenentwickler der IHK." Ein Händedruck, ein freundliches Lächeln, jetzt gilt’s. In den kommenden 50 Minuten will Handke den Geschäftsführer der Schweriner Linda Waschmittel GmbH davon überzeugen, einen Ausbildungsplatz für einen Chemielaboranten einzurichten.
"Ich habe noch nie ausgebildet", sagt Peter Willöper, der Geschäftsführer des 20-Mann-Betriebs."Die nächste Schule ist einfach zu weit weg, das will ich keinem Azubi zumuten." Das war früher so, sagt Handke, heute gebe es eine Schule in Wismar, nur 30 Kilometer entfernt."Ach ja?" Ein guter Auftakt, aber längst noch nicht die Unterschrift unter den Ausbildungsvertrag.
Harry Handke ist so etwas wie ein Klinkenputzer, einer von rund 200, die in den neuen Bundesländern regelmäßig Betriebe besuchen, um neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Sie tun das im Auftrag der Kammern und werden vom Bundesbildungsministerium bezahlt. Weil sich das Projekt bewährt hat, wird es seit Mitte der neunziger Jahre immer wieder verlängert. Das zeigt aber auch: <font color=#FF0000">Die Ausbildungsmisere ist ein Dauerbrenner</font>.
<font color=#FF0000">Das Werben um zusätzliche Ausbildungsplätze ist ein mühsames, mitunter zermürbendes Geschäft</font>: Vor zwei Jahren noch bot im Kammerbezirk Westmecklenburg etwa die Post 29 Lehrstellen an, in diesem Jahr hat das Unternehmen die gewerblich-technische Ausbildung komplett gestrichen. So etwas muss Handke zur Seite schieben, um nicht völlig resigniert von Betrieb zu Betrieb zu ziehen. Fast 30 Plätze weg, dafür muss er lange werben.
"Könnten Sie alle geforderten Ausbildungsinhalte vermitteln?" Handke zieht ein Heftchen aus der Tasche, in dem aufgelistet ist, was ein Chemielaborant alles lernen muss."Wir sind ein kleiner Betrieb, das könnte schwierig werden." Handke hat eine Lösung parat: Externe Bildungsdienstleister könnten lehren, was im Betrieb nicht vermittelt werden kann. Verbundausbildung heißt das, und allein in Westmecklenburg nutzen das 70 Prozent der Betriebe in den gewerblich-technischen Berufen. Solche Strukturen müssten ausgebaut werden, findet Handke, das würde gerade den kleinen Betrieben,"die durchaus ausbilden wollen, aber personell und wirtschaftlich dazu objektiv oft nicht in der Lage sind, wirklich helfen". Und eine Ausbildungsplatzabgabe?"Absolut nicht sinnvoll."
Später im Auto ist Handke mit sich zufrieden. Auf alle Bedenken Willöpers konnte er antworten, einige zerstreuen. Eine Garantie für einen zusätzlichen Ausbildungsplatz ist das aber längst nicht:"Da werden noch einige Gespräche nötig sein." Wie Recht er damit hat, stellt sich später heraus: Unternehmer Willöper will in diesem Jahr keinen Ausbildungsplatz schaffen. Nächstes Jahr aber, das hat er Handke gesagt, solle es dann so weit sein.
"Jugend ist ehrgeizig"
Die Hamburger DaimlerChrysler-Niederlassung am Friedrich-Ebert-Damm gehört zu den fünf größten in Deutschland."Früher haben wir immer über Bedarf ausgebildet. Das geht heute nicht mehr", sagt Ausbildungsmeister Volker Nawrot. Doch immerhin 80 Prozent der rund 15000 Euro, die eine Ausbildung kostet, holt ein Azubi wieder herein. Dort, wo jetzt nur einige Mappen herumliegen, stapelten sich Anfang des Jahres <font color=#FF0000">noch bis zu 400 Bewerbungen</font>. Im Gegensatz zu den verschmähten Ausbildungen zum Fleischer oder Bäcker <font color=#FF0000">stehen die Autoberufe in der Beliebtheitsskala deutscher Schüler regelmäßig ganz oben</font>. Die 13 jungen Männer, die im September ihre Lehre als Automechaniker oder -elektriker angetreten haben, standen bereits früh fest. Im Kalender, der neben der Tür hängt, sind noch die Termine für die Auswahltests im Februar vermerkt. Da hatten Nawrot und Kollegen schon über 100 Gespräche geführt.
Nach solchen Gesprächen gehört der 35-Jährige nicht zu denjenigen, denen nichts anderes einfällt, als lautstark über Jugendliche zu schimpfen. Wie die Wirtschaftsverbände, deren Chefs in Berlin oft genug beklagen, dass die jungen Leute zu wenig mitbrächten, wenn sie in die Betriebe kommen - weder im Kopf noch im Benehmen."Vielen fehlt es nicht an der Einstellung", sagt dagegen der Praktiker Nawrot mit ruhiger Stimme:"Die sind sogar ziemlich ehrgeizig. <font color=#FF0000">Aber vielen fehlt es schlichtweg am Können</font>."
In einem Auto stecke heute mehr Elektronik als Mechanik, <font color=#FF0000">aber das mathematische Verständnis sei erschreckend gering</font>. Ein Hauptschüler mit durchschnittlichen Noten hat in der Hamburger Niederlassung deshalb fast keine Chance:"Da muss bei den Bemerkungen der Lehrerin im Zeugnis schon einiges geboten werden." Woran es hapert? Natürlich auch an der Schule. Aber nicht nur. Nawrot erzählt eine kleine Geschichte von einem der Informationsabende, zu denen auch die Eltern eingeladen waren."Unterstützen Sie ihre Kinder", habe er gesagt,"helfen Sie bei der schriftlichen Bewerbung und bei der Vorbereitung auf das Gespräch."
Eine Mutter sei aufgestanden:"<font color=#FF0000">Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Ich bin arbeitslos und habe dafür überhaupt keine Zeit</font>." Da sei weniger Wut als Mitleid in ihm aufgestiegen, sagt Nawrot."Diese Frau hatte ihr eigenes Leben nicht im Griff. Das geht doch an den Kindern nicht spurlos vorüber."
"Der Azubi hilft uns"
Jacqueline Retzlaff ist 29 Jahre alt und hatte bereits lange in der Gastronomie gearbeitet, bevor sie im August des vergangenen Jahres mit Sonja Makatsch (51) den Szene-Treff Alter Schlachthof in Schwerin eröffnete. 80 Gäste finden dort Platz, zwischen viel hellem Ahornholz und großflächigen, pastellfarbenen Bildern. Zwei Jahre lang haben sich die beiden Gründerinnen darauf vorbereitet. Buchhaltung, Disposition, Einrichtung, das waren Themen, die sie beschäftigt haben. Aber Ausbildung?
"Es stand zwar fest, dass wir ausbilden wollten, aber dass es so schnell gehen würde, war nicht geplant", sagt die Jungunternehmerin. Bürokratische Hemmnisse gab es nicht. <font color=#FF0000">Nicht einmal einen Ausbildungseignerschein musste Retzlaff vorlegen: Forschungsministerin Edelgard Bulmahn hat die Eignungsprüfung inzwischen ausgesetzt</font>. Zu viele Vorschriften? In Schwerin jedenfalls nicht.
Also bildet Retzlaff aus. Weil es gut für sie sei und gut für den jungen Mann, den sie eingestellt habe. Dass der 20-jährige Mirco in der Küche steht, um Koch zu lernen, war dabei eher ein Zufall. Retzlaffs Mann brachte ihm in der Fahrschule das Autofahren bei."Mirco wollte die Stelle unbedingt, das kam an", sagt Retzlaff. Pünktlich sei der Azubi, ordentlich und selbstständig arbeiten könne er auch:"Da muss man dann nicht so viel Zeit investieren." Nur in der Schule könnte er besser sein, aber er verspricht, sich mehr anzustrengen. Schließlich ist er froh, dass er weg ist aus diesem Kurhotel an der Ostsee, in dem er nicht viel mehr machen durfte, als den Müll aus der Küche zu räumen.
"Eine Krise wie nie"
Die einstige Stahlstadt Dortmund hat ihren Wandel längst nicht bewältigt. Zwar konnten die Stadtväter stolz darauf verweisen, wie im Schatten der Hoesch-Hochöfen kleine IT-Unternehmen entstanden; zwar mussten sie den Platz im Technologiepark immer wieder erweitern. Aber ausgerechnet die Hoffnungsbranche IT schraubt jetzt ihre Ausbildungsplätze rigoros zurück - <font color=#FF0000">um fast 20 Prozent</font>. Die Konjunktur, die Krise."Einen so deutlichen Abstieg in so kurzer Zeit habe ich noch nicht erlebt. Wir werden kaum allen Bewerbern gerecht werden können", sagt Claus-Dieter Weibert, Geschäftsführer Bildung bei der IHK Dortmund.
Glücklich schätzen sich dagegen diejenigen Regionen, die mit DaimlerChrysler, Porsche, Bosch, IBM und Hewlett-Packard noch industrielle Eckpfeiler aufbieten können. Aber nur ein wenig. Zwar sagt Martin Frädrich, Geschäftsführer Bildung bei der IHK <font color=#FF0000">Stuttgart</font>, dass"der industrielle Kern bei uns <font color=#FF0000">noch zur Stabilisierung beiträgt; dazu gehören das Metall- und Kfz-Gewerbe und der Maschinenbau</font>". Doch wenn Frädrich auf sein Blatt mit den aktuellen Ausbildungsdaten schaut, muss er feststellen, <font color=#FF0000">dass auch im Ländle der wirtschaftliche Abschwung Wirkung zeigt. Nichts ist mehr so wie früher. Wie im Rest der Republik gilt auch hier: Jeder Ausbildungsplatz zählt</font>.
(c) DIE ZEIT 18.09.2003 Nr.39
Quelle: http://www.zeit.de/2003/39/Ausbildung_neu_neu, Die Zeit Online, 18.09.2003
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<font size=5>"Ein Lehrling ist billig" </font>
Während andere über zu hohe Kosten klagen, bildet er aus. Andere geißeln den Standort - er produziert nur in Deutschland. Ein ZEIT-Gespräch mit Trigema-Chef Wolfgang Grupp
die zeit: Herr Grupp, wie gut können Sie rechnen?
Wolfgang Grupp: Ich versuche so zu rechnen, dass ich mein Unternehmen Trigema stets erfolgreich führen kann.
zeit: Offensichtlich rechnen Sie anders als viele Unternehmer in Deutschland. Die beklagen nämlich, dass es sich immer weniger lohne, junge Menschen auszubilden. <font color="#FF0000">Sie haben bei 1200 Beschäftigten immerhin 40 Azubis. Wie kalkulieren Sie?</font>
Grupp: <font color="#FF0000">Wenn ich gute Leute haben will, muss ich sie selber ausbilden</font>. Nur dann kann ich später beurteilen, wer für eine Führungsposition geeignet ist und wer nicht. Eine gute Ausbildung ist die Basis unserer Belegschaft. <font color="#FF0000">80 Prozent der leitenden Verwaltungsmitarbeiter von Trigema haben auch bei uns gelernt</font>. Selbst aus Jugendlichen, die am Anfang vielleicht noch etwas flatterhaft sind, können Sie durch Motivation und Lob Leistungsträger machen.
zeit: Und das Kostenargument?
Grupp: Ein Lehrling, der richtig eingesetzt wird, ist eher billig. Bei uns ist ein Auszubildender im dritten Jahr in der für ihn vorgesehenen Position, und er erfüllt dort 80 bis 90 Prozent seiner künftigen Aufgaben. Wenn ein Unternehmer behauptet, das sei zu teuer, <font color="#FF0000">dann stimmt etwas in diesem Betrieb nicht</font>.
zeit: Nach den neuesten Zahlen suchen 113000 Bewerber einen Ausbildungsplatz. Brauchen wir eine Ausbildungsplatzabgabe, um dieses Problem zu lösen?
Grupp: Die Unternehmen durch eine Abgabe zur Ausbildung zwingen zu wollen, halte ich für den falschen Weg. Man trägt den Hund auch nicht zum Jagen. Besser wäre es, die Unternehmen zu motivieren, wieder vermehrt auszubilden - und die Unternehmer dazu zu bringen, dafür auch persönlich die Verantwortung zu übernehmen.
zeit: Statt Strafabgaben also lieber Subventionen für Ausbildungsplätze?
Grupp: Nein, keine Subventionen. Aber wer hier produziert und Arbeitsplätze schafft - und damit fast automatisch auch Ausbildungsplätze -, sollte steuerlich anders behandelt werden als ein Unternehmen, <font color="#FF0000">das den Standort Deutschland nur fürs Headquarter nutzt und ansonsten im Ausland produziert</font>. Wenn ein Kunde nur bei mir kauft, weil er diese Ware gerade im Ausland nicht bekommt, muss er doch auch andere Preise zahlen als jemand, der das ganze Jahr bei Trigema seine Ware bestellt.
zeit: Viele Unternehmen beklagen, dass sie zwar gern ausbilden würden, aber keine geeigneten Bewerber fänden, weil deren Qualifikation zu schlecht sei. Kennen Sie das Problem?
Grupp: Nein. Ich habe bisher keinen Auszubildenden gehabt, der nicht willig war, etwas zu lernen. Es ist die Aufgabe eines Unternehmens, die Bewerber entsprechend ihren Fähigkeiten an der richtigen Stelle einzusetzen. <font color="#FF0000">Wir kennen das aus der Familie: Nur wer sich mit seinen Kindern befasst, erkennt auch ihre verschiedenen Fähigkeiten</font>.
zeit: Ein Auszubildender kann also bei Ihnen innerhalb des Unternehmens den Ausbildungsplatz wechseln, wenn sich herausstellt, dass er für eine andere Ausbildung besser geeignet ist?
Grupp: Wenn ein Lehrling eine positive Einstellung hat, wird er nicht fortgeschickt. Dann suchen wir eine andere Möglichkeit.
zeit: Dass die Jugendlichen durch die Bank schlechter vorbereitet und motiviert sind, als sie es früher waren, gilt so generell offenbar nicht?
Grupp: Nein. Dass die Jugendlichen heute wesentlich schlechter motiviert oder ausgebildet seien als früher, kann ich nicht bestätigen. Das mag daran liegen, <font color="#FF0000">dass Trigema auf dem Land sitzt und nicht in einer Großstadt</font>. Unsere Jugendlichen haben sich immer angestrengt. Sicher gibt es Ausnahmen, und diesen Jugendlichen muss man klarmachen, dass sie ihre Chance nicht vertun sollen.
zeit: Auffällig an der Debatte über die Ausbildungsplatzmisere ist, dass die Arbeitgeber häufig die Schuld dafür anderen geben: der Politik, der Schule, den Bewerbern - bloß nicht sich selbst. Vernachlässigen die Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung?
Grupp: Lassen Sie es mich so sagen: Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ist die Basis allen Wirtschaftens. Dazu gehört auch, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten. Ich jedenfalls fühle mich persönlich verpflichtet, die Arbeitsplätze in meinem Unternehmen zu sichern. Davon hängen ja nicht nur 1200 Mitarbeiter ab, sondern auch deren Familien. Und wenn nun ein Mitarbeiter kommt und sagt, Herr Grupp, meine Tochter möchte bei Trigema eine Ausbildung beginnen, dann habe ich auch eine moralische Verpflichtung gegenüber diesem Mitarbeiter, <font color="#FF0000">denn vor 20 Jahren habe ich ihn womöglich gebeten, unbedingt bei mir zu arbeiten</font>.
zeit: Andere Unternehmen sagen, sie müssten Arbeitsplätze abbauen und ins Ausland verlagern, um wettbewerbsfähig zu bleiben und wenigstens ein paar Jobs im Inland zu erhalten.
Grupp: Das mag ja für Branchen stimmen, die einen hohen Exportanteil haben. Bei Trigema aber macht der Inlandsabsatz rund 95 Prozent aus. Und außerdem: Wenn ich hier Leute entlasse, kann ich wohl kaum erwarten, dass sie dann jene Waren kaufen, die ich billig im Ausland produziere. Das passt nicht zusammen. Meine Aufgabe als Unternehmer ist es vielmehr, solche Aufträge hereinzuholen, die der Qualifikation der Mitarbeiter und ihrem Lohnniveau entsprechen. Mit Massenware geht das nicht. Die Schwierigkeiten der deutschen Textilindustrie sind doch entstanden, weil die Unternehmen im Boom Kapazitäten aufgebaut haben, die in normalen Zeiten nicht ausgelastet waren. Dann haben diese Unternehmen versucht, mit Massenware ihre Produktion auszulasten, und auf einmal waren sie nicht mehr wettbewerbsfähig.
zeit: Sie produzieren ausschließlich in Deutschland - und schreiben Gewinne. Ist der Standort D besser als sein Ruf?
Grupp: Ja, aber es gibt für Unternehmer trotzdem auch noch viele Hemmnisse…
zeit: …etwa den Flächentarifvertrag?
Grupp: Ich bin nicht im Verband und könnte meine Mitarbeiter daher auch anders bezahlen, als der Tarifvertrag vorsieht. Dennoch halte ich mich an den Tarif, sonst laufen mir die besten Mitarbeiter weg. Allerdings verstehe ich es, wenn der Flächentarif zunehmend kritisiert wird. Heute ist es doch so, dass ein Unternehmen, das wegen eigener Fehlentscheidungen in die Krise gerät, den Flächentarif unterlaufen kann, wogegen ein Unternehmen, das solide wirtschaftet, sich an den Vertrag halten muss. Das ist nicht in Ordnung, und das mehrt den Unmut im Mittelstand.
zeit: Was ärgert Sie sonst noch?
Grupp: Die hundertprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hätte nie abgeschlossen werden dürfen, da gibt es keine Diskussion. Leistung und Nichtleistung können nicht gleich hoch bezahlt werden. Als die alte Bundesregierung 1998 die Lohnfortzahlung auf 80 Prozent senkte, habe ich das sofort umgesetzt <font color="#FF0000">und meinen Mitarbeitern die Ersparnis als außergewöhnliche Lohnerhöhung gegeben</font>. Das waren damals 0,9 Prozent, bezogen aufs Vorjahr. Die Mitarbeiter waren einstimmig dafür.
zeit: Wie halten Sie es mit der Mitbestimmung?
Grupp: Wir haben selbstverständlich einen Betriebsrat. Wenn die Mitarbeiter zufrieden sind und eine gewisse Sicherheit am Arbeitsplatz haben, dann gibt es auch gar nicht so viele Probleme.
zeit: Gerade mittelständische Unternehmen beklagen, dass sie von den Banken kaum noch Kredite bekommen und deshalb in Schieflage geraten. Trigema arbeitet ganz ohne Kredite, nur mit Eigenkapital - eines Ihrer Erfolgsgeheimnisse?
Grupp: Das kann man so nicht sagen. Ich habe mir allerdings immer nur das gekauft, was ich mir leisten konnte. Und ich habe in guten Zeiten vorgesorgt. Als Unternehmer gerät man schon ins Zweifeln, wenn die Banken einem Unternehmen wie Flotex oder Schneider Milliarden hinterherschmeißen und die Vorstände dieser Banken dafür keinerlei Risiko tragen müssen. Geht das Geschäft dann schief, bekommen die Bankvorstände weiter ihr Salär. Ausbaden müssen es die Unternehmer, die noch Kredit haben oder Kredit wollen - und nun viel mehr dafür zahlen sollen oder gar kein Geld mehr bekommen. Ein Mittelständler haftet mit Haus und Hof für das, was er tut. Ein Bankvorstand nicht. Das ist nicht in Ordnung.
zeit: Nicht in Ordnung sind nach Meinung vieler Deutscher die Millionengehälter der Manager. Verdienen auch Sie Millionen?
Grupp: Mir gehört die Firma, und ich verzichte auf ein festes Gehalt. Dafür bekomme ich, was am Ende übrig bleibt, und das kann entweder ein Millionenverlust sein oder eben ein Gewinn.
zeit: Manager wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sehen die Kritik an ihren Millionengehältern als Ausdruck der typisch deutschen Neidgesellschaft an. Zu Recht?
Grupp: Unsere Gesellschaft ist nicht neidisch. Die Menschen sind unzufrieden, weil hohe Gehälter an jene gezahlt wurden, die Arbeitsplätze vernichtet haben. Ein Unternehmer, der sich einbringt und der Milliardenwerte schafft, soll Millionen verdienen, da wird sich auch bestimmt niemand aufregen. Dass aber Leute Milliarden vernichten und dafür Millionen bekommen, ist nicht begründbar. Wenn ein Manager wie Ex-Telekom-Chef Ron Sommer am Gewinn des Unternehmens beteiligt wird, aber für den Verlust finanziell nicht geradestehen muss, ist das ein Missstand, der die Menschen zu Recht aufregt.
zeit: Sie sind jetzt 61 Jahre alt, da ist der Ruhestand nicht mehr fern. Was unternehmen Sie, wenn Ihre Kinder die Firma verkaufen wollen?
Grupp: Nichts. Ich versuche zwar, meinem Sohn und meiner Tochter vorzuleben, was es heißt, ein Unternehmer zu sein. Aber wenn sie die Firma einmal nicht übernehmen wollen, werde ich mich nicht dagegen wehren.
Das Gespräch führten Marc Brost und Marie-Luise Hauch-Fleck
(c) DIE ZEIT 18.09.2003 Nr.39
Quelle: http://www.zeit.de/2003/39/Interview_Grupp, Die Zeit Online, 18.09.2003
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