-->Kalter Staatsstreich
Bundesverband der Deutschen Industrie und Unterstützer starten neue »Reformkampagne«
»Laßt die Adler fliegen, in ganz Deutschland, frei und ohne Fesseln.« Mit derlei emphatischem Firlefanz unterstrich der Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, das durchaus ernsthafte Anliegen seines Verbandes. Denn abgesehen von der peinlichen Adlerflugnummer im Atrium des Hauses der Deutschen Wirtschaft in Berlin-Mitte ging es bei dem BDI-Kongreß »Freiheit wagen - Fesseln sprengen! Für ein attraktives Deutschland« äußerst rational zu. Über 1000 Unternehmer, Politiker und »Führungskräfte« waren am Montag zusammengekommen, um auf Podiumsveranstaltungen und in verschiedenen Workshops »Reformalternativen« für Deutschland zu diskutieren. Grundlage der Diskussionen war ein über 100 Seiten umfassender Reader des BDI, der das wohl umfassendste Programm für einen kalten Staatsstreich in Deutschland enthält, das zur Zeit auf dem Markt ist. Unter den Stichworten »schlanker Staat«, »Entfesselung des Arbeitsmarktes«, »Eigenverantwortung« und »Konsumentensouveränität« wird die Reduzierung jeglicher öffentlicher Eingriffe materieller und gesetzlicher Art auf die Aufrechterhaltung unmittelbarer staatlicher Ordnungsfunktionen gefordert und bereits konkret ausgestaltet. Offen wird neben der weitgehenden Abschaffung solidarisch finanzierter Sozialsysteme auch die Reduzierung der öffentlich finanzierten Ausbildung auf ein Minimum gefordert. Durch eine »Ã-konomisierung des Wissens« soll mehr Geld in Spitzenforschung und Elitenausbildung investiert werden, bei gleichzeitiger Beschränkung der allgemeinen Bildung auf ein festgelegtes Kontingent von »Bildungsgutscheinen« für jedes Kind. In diesem System würde beispielsweise die Inanspruchnahme einer Ganztagsschule bedeuten, daß man ein Studium selbst finanzieren müßte, da die Gutscheine bereits aufgebraucht wären.
Weitere Grundlagen des »Reformaufbruches« sind fiskalische und gesetzliche Schritte zur Beschleunigung und Absicherung der Umverteilung nach oben. Eine Wiedereinführung der Vermögens- und eine Erhöhung der Erbschaftssteuer sind für den BDI tabu, da besonders die Vererbung großer Vermögen ein »entscheidendes Leistungsmotiv« sei. Gefordert wird ferner ein Spitzensteuersatz unter 30 Prozent und eine rückwirkende Teillegalisierung der Steuerhinterziehung der letzten Jahrzehnte. Unverblümt fordert der BDI in seinem Konzeptpapier auch die Aufrüstung der Bundeswehr zu einer weltweit interventionsfähigen Armee, die internationale Expansion der Rüstungsindustrie und eine »Verzahnung von Außenhandels- und Sicherheitspolitik«.
Auf einer Pressekonferenz machten Rogowski, sein Vorgänger als BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und das FDP-Urgestein Otto Graf Lambsdorff deutlich, wie man das umfangreiche »Reformpaket« zu realisieren gedenkt. »Wir sind uns im klaren darüber, daß die von uns geforderten Reformen mit den derzeitigen politischen Entscheidungsstrukturen nicht zu schaffen sind. Wir fordern deshalb, die Regeln politischer Entscheidungsfindung (...) zu ändern«, so Rogowski. Dazu seien auch Verfassungsänderungen notwendig. Lambsdorff plädierte für eine »Transformation des Föderalismus zu einem Wettbewerbsföderalismus«. Es gebe beispielsweise keinen Grund, daß Sozialleistungen und Vergütungen in allen Bundesländern einheitlich sein müßten. Ausdrücklich lobte er den Berliner SPD-PDS-Senat, der sich in dieser Frage als Vorreiter betätigt habe.
Henkel plädierte für die Einrichtung eines unabhängigen »Reformkonvents«, der den Politikern Richtlinien vorgibt. Durch die Abhängigkeit von ständigen Wahlentscheidungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene sei bei den Politikern eine strukturelle Reformunfähigkeit zu verzeichnen. beklagten alle drei. Auch in dieser Frage seien »strukturelle Veränderungen« unumgänglich. Rogowski plädierte ferner für eine faktische Abschaffung des Streikrechts, da Arbeitskämpfe nicht mit »modernen Führungsstrukturen« in Betrieben vereinbar seien und in einer globalisierten Wirtschaftswelt ohnehin »in die Mottenkiste« gehörten. Ähnliches gelte für den Flächentarifvertrag und die betriebliche Mitbestimmung in ihrer jetzigen Form.
Der Kongreß sollte am Abend mit einer »Reformkundgebung« in der weiträumig abgesperrten Breiten Straße beendet werden. Anschließend will man sich noch zu einem großen »Dinner Speech« bei Hummer und Seeteufel mit handverlesenen Gästen und einem willigen Vollstrecker der BDI-Pläne treffen: Bundeswirtschaftsminster Wolfgang Clement (SPD) hat jedenfalls sein Erscheinen zugesagt.
Gruss
Otto
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